Wie schreibe ich eine Anwaltsklausur im Zivilrecht? – Teil 2 – Die Klägerklausur (1)

Wie schreibe ich eine Anwaltsklausur im Zivilrecht? – Teil 2 – Die Klägerklausur (1)

Die Klägerklausur – Materielles Gutachten

In der sog. Klägerklausur begehrt der Mandant die Durchsetzung von Ansprüchen. Worauf es dabei ankommt, haben wir in diesem Beitrag für Dich klausurorientiert aufbereitet.

Beispielsfall

Aktenvermerk der Rechtsanwältin Ria Reimann, Glockengießerstraße 21, 23552 Lübeck, vom 2. September 2020:

Heute erscheint Frau Maja Marceau, Beamtin, Mengstraße 4, 23552 Lübeck, und berichtet, dass sie am 13. Mai 2020 einen Gebrauchtwagen erworben habe. Sie überreicht hierzu eine Kaufvertragsurkunde, aus der sich ergibt, dass Verkäuferin eine Gebrauchtwagenhandel Schulze GmbH, Wilhelm-Maybach-Straße 17, 23617 Lübeck-Stockelsdorf, ist. Der Kaufpreis betrug 28.000,00 Euro. Es wurde ein Gewährleistungsausschluss vereinbart. Außerdem enthält der Vertrag eine Gerichtsstandsvereinbarung für Hamburg. Die Mandantin hatte diesen Betrag vorab überwiesen und noch am 13. Mai 2020 das Fahrzeug erhalten. Nach einigen Wochen sei ihr aufgefallen, dass der Wagen in den oberen Gängen kaum beschleunigt. Sie habe sich zu ihrer Stammwerkstatt Müller begeben. Herr Müller habe eine Probefahrt gemacht und einen Kostenvoranschlag erstellt, den die Mandantin ebenfalls überreicht. In diesem Kostenvoranschlag vom 28. August 2020 wird der Befund so beschrieben, wie von der Mandantin geschildert. Die Kosten einer Reparatur werden mit 2.000 bis 3.000 Euro veranschlagt. Die Mandantin möchte, dass die Verkäuferin die Reparatur vornimmt. Deren Geschäftsführer Bertram Benz habe das jedoch in einem Schreiben abgelehnt. Er hält es für ausgeschlossen, dass das Beschleunigungsproblem tatsächlich existiert, und falls es doch so sein sollte, müsse das an der unsachgemäßen Bedienung durch die Mandantin liegen.

Die Mandantin bittet darum, die erforderlichen Maßnahmen durchzuführen, damit die Verkäuferin den Wagen repariert. Außerdem wolle sie Zinsen. Allerdings könne sie sich nach dem Kauf des teuren Fahrzeugs eigentlich keinen Prozess leisten. Wenn es darauf ankomme, könne sie sich aber sicher bei Freunden etwas leihen.

Prüfe die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Vorgehens und erstelle ggf. einen Klageentwurf für die Rechtsanwältin.

A. Begehr des Mandanten

Zunächst musst du das Begehr des Mandanten schildern. Dabei genügt es nicht, nur pauschal “Durchsetzung von Ansprüchen“ zu schreiben. Vielmehr musst du den Kern des Mandantenvortrags kurz darstellen. Hier darfst du aber noch nicht zu „juristisch“ werden.

„Die Mandantin begehrt von der Gegnerin die Reparatur ihres bei dieser erworbenen Gebrauchtwagens. Sie behauptet, das Fahrzeug beschleunige in den oberen Gängen kaum. Die Gegnerin hat die Reparatur abgelehnt.“

B. Materielles Gutachten

Im materiellen Gutachten musst du folgende Frage beantworten:

Was steht dem Mandanten zu?

I. Aufbau

Du kannst das materielle Gutachten einstufig oder zweistufig aufbauen. Der Unterschied liegt darin, dass beim zweistufigen Aufbau zunächst sämtliche Anspruchsvoraussetzungen dargestellt werden (Klägerstation) und erst im Anschluss die Reaktion des Beklagten (Beklagtenstation) sowie die Notwendigkeit einer Beweisaufnahme (Beweisstation) geprüft werden. Dagegen erfolgen diese Stationen beim einstufigen Aufbau einheitlich bei jeder einzelnen Anspruchsvoraussetzung.

Im Prinzip gilt nichts anderes als bei der Urteilsklausur. Während dort aber die einstufige Relation deutlich sinnvoller ist, da sich der Sachverhalt bereits feststellen lässt, spricht in der Anwaltsklausur auch einiges für den zweistufigen Aufbau. Vor allem dann, wenn mehrere Tatsachenbehauptungen streitig sind, dürfte er übersichtlicher sein. Wir empfehlen, dass du beides in den Übungsklausuren ausprobierst.

Unsere Darstellung folgt dem zweistufigen Aufbau

II. Zweistufiger Aufbau

1.) Welche Anspruchsgrundlagen führen zu der vom Mandanten gewollten Rechtsfolge?

Ausgehend vom Begehr des Mandanten, musst du prüfen, ob es mindestens eine einschlägige Anspruchsgrundlage gibt.

„Die Mandantin könnte gegen die Gegnerin einen Anspruch auf Nachbesserung aus § 439 Abs. 1 Alt. 1, 437 Nr. 1 BGB haben.“

2.) Ist schlüssiger Vortrag möglich?

Du weißt, dass ein Gericht zunächst die Schlüssigkeit der Klage prüfen wird. Sollte die Klage unschlüssig sein, wird sie abgewiesen. Es ergibt also überhaupt nur dann Sinn, für den Mandanten eine Klage zu erheben, wenn du schlüssig einen Anspruch darlegen kannst.

a) Welches sind die Anspruchsvoraussetzungen?

Hierzu musst du erkennen, welche Voraussetzungen die Anspruchsgrundlage hat.

„Der Anspruch aus § 439 Abs. 1 Alt. 1 BGB setzt voraus, dass das Fahrzeug mangelhaft ist.“

b) Liegt ausreichendes Tatsachenmaterial vor?

Im nächsten Schritt prüfst du, ob sich in dem Vorbringen des Mandanten und in den vorhandenen Unterlagen Tatsachenbehauptungen finden, mit denen sich die einzelnen Anspruchsvoraussetzungen begründen lassen. Dabei darfst du auch Äußerungen des Gegners verwenden, die für den Mandanten günstig sind, indem du sie dir zu eigen machst.

„1. Kaufvertrag

Zwischen den Parteien besteht ein Kaufvertrag über das Fahrzeug. Das ergibt sich aus der Kaufvertragsurkunde vom 13. Mai 2020, die zur Akte vorliegt.

  1. Mangel

Das Fahrzeug müsste mangelhaft sein. Das ist dann der Fall, wenn seine Ist-Beschaffenheit zum Nachteil der Mandantin von der Soll-Beschaffenheit abweicht.

a) Ist-Beschaffenheit

Die Ist-Beschaffenheit des PKW lässt sich aus dem von der Mandantin eingeholten Kostenvoranschlag der KfZ-Werkstatt Müller vom 28. August 2020 ableiten. Darin ist festgehalten, dass der Wagen in den oberen Gängen kaum beschleunige.

b) Abweichung von der Soll-Beschaffenheit

Die Soll-Beschaffenheit kann sich zunächst aus einer Beschaffenheitsvereinbarung ergeben (§ 434 Abs. 1 Satz 1 BGB). Hierzu müssten die Parteien über das Beschleunigungsverhalten des Fahrzeugs gesprochen haben. Der Kaufvertrag sagt hierüber nichts. Auch die Mandantin hat sich dazu nicht geäußert.

Das Fahrzeug könnte aber für die nach dem Vertrag vorausgesetzte bzw. die gewöhnliche Verwendung ungeeignet sein (§ 434 Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Beschleunigung eines Fahrzeugs ist für dessen gewöhnliche Verwendung von nicht unerheblicher Bedeutung, bspw. bei Überholvorgängen. Beschleunigt es in den oberen Gängen nicht mehr, ist es für die gewöhnliche Verwendung ungeeignet und entspricht nicht der Beschaffenheit, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann (Nr. 2).

Folglich bleibt die Ist-Beschaffenheit hinter der Soll-Beschaffenheit zurück.“

Fehlen bestimmte Angaben des Mandanten - und der Bearbeitervermerk sagt dir regelmäßig, dass eine Nachfrage sinnlos ist -, darfst du nicht vorschnell die Prüfung beenden. Eventuell können die Tatsachen in der Klage geschaffen werden, indem du bspw. einen Widerruf, eine Anfechtung, eine Kündigung oder einen Rücktritt erklärst.

Außerdem musst du daran denken, dass der Mandant ausnahmsweise nicht für alle Anspruchsvoraussetzungen darlegungspflichtig sein könnte. Hier kommen vor allem

  • gesetzliche Vermutungen (bspw. § 477 BGB),
  • gesetzliche Regel-Ausnahme-Verhältnisse (bspw. § 281 Abs. 1 Sätze 2, 3 BGB) und
  • tatsächliche Vermutungen (bswp. Anscheinsbeweis, Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens) in Betracht.

„c) Gefahrübergang

Das Probleme mit der Beschleunigung müsste schon im Zeitpunkt des Gefahrübergangs, also bei Übergabe des Fahrzeugs an die Mandantin am 13. Mai 2020 (§ 446 Satz 1 BGB), vorgelegen haben.

Auch für diese Anspruchsvoraussetzung ist die Mandantin als Anspruchstellerin darlegungspflichtig. Der Kostenvoranschlag trifft jedoch keine Aussage darüber, wann das Problem das erste Mal aufgetreten ist.

Es könnte aber dennoch möglich sein, eine schlüssige Klage zu erheben. Unter den Voraussetzungen von § 477 BGB wird nämlich vermutet, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war, wenn sich der Mangel innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang gezeigt hat. Wiederum obliegt es der Mandantin, darzulegen, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind.“

a) Verbrauchsgüterkauf

Zunächst muss es sich bei dem Erwerb des Fahrzeugs um einen Verbrauchsgüterkauf nach § 474 Abs. 1 Satz 1 BGB handeln. Hierzu müsste die Mandantin das Fahrzeug als Verbraucherin von der Gegnerin als Unternehmerin gekauft haben.

Verbraucher ist jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können (§ 13 BGB). Die Mandantin ist Beamtin und übt damit weder eine gewerbliche noch eine selbstständige berufliche Tätigkeit aus. Sie hat das Fahrzeug also als Verbraucherin gekauft.

Unternehmer ist eine natürlich oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt (§ 14 Abs. 1 BGB). Die Gegnerin ist als GmbH eine juristische Person (§ 13 Abs. 1 GmbHG), die einen gewerblichen Autohandel betreibt. Das ergibt sich aus der Kaufvertragsurkunde. Sie hat das Fahrzeug folglich als Unternehmerin verkauft.

Ein Verbrauchsgüterkauf liegt vor.

b) Sechs-Monats-Frist

Der Mangel muss sich innerhalb von sechs Monaten seit der Übergabe am 13. Mai 2020 gezeigt haben. Der Kostenvoranschlag stammt vom 28. August 2020. Innerhalb der Sechs-Monatsfrist hat sich also das Beschleunigungsproblem gezeigt.

Fraglich ist, ob das genügt, um die Vermutung eingreifen zu lassen, oder ob hierzu auch die Ursache des Mangels und die Verantwortlichkeit des Verkäufers dargelegt werden müssen, weil § 477 BGB den Käufer allein vom Nachweis der Mangelhaftigkeit im Zeitpunkt des Gefahrübergangs befreit. Ausweislich eines Schreibens der Gegnerin geht diese davon aus, dass das Problem, falls es überhaupt vorliege, allein auf eine unsachgemäße Bedienung des Wagens durch die Mandantin zurückzuführen sei.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 12. Oktober 2016, VIII ZR 103/15, Rn. 36) greift die Vermutung schon dann ein, wenn dem Käufer der Nachweis gelingt, dass sich innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang ein mangelhafter Zustand (eine Mangelerscheinung) gezeigt hat, der - unterstellt, er hätte seine Ursache in einem dem Verkäufer zuzurechnenden Umstand - dessen Haftung wegen Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit begründen würde. Dagegen muss der Käufer weder darlegen und nachweisen, auf welche Ursache dieser Zustand zurückzuführen ist, noch dass diese in den Verantwortungsbereich des Verkäufers fällt.

Danach genügt es, dass sich das Beschleunigungsproblem innerhalb der Sechs-Monats-Frist gezeigt hat. Die Mandantin trifft nicht zugleich die Darlegungslast dafür, dass die Ursache dieses Problem in den Verantwortungsbereich der Gegnerin fällt.

c) Fazit

Zugunsten der Mandantin greift die Vermutung des § 477 BGB. Sie muss deshalb nicht darlegen können, dass das Beschleunigungsproblem bereits bei Übergabe des Fahrzeugs bestand.

  1. Ergebnis

Der Anspruch der Mandantin auf Nachbesserung des Fahrzeugs aus § 439 Abs. 1 Alt. 1 BGB kann schlüssig vorgetragen werden.“

c) Können auch Nebenforderungen schlüssig dargetan werden?

Vergiss nicht, mögliche Nebenforderungen des Mandanten zu prüfen. Hier musst du vor allem an Zinsansprüche sowie Ansprüche auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten und Inkassokosten denken.

„Die Mandantin begehrt zudem (Verzugs-) Zinsen. Hiermit kann sie keinen Erfolg haben, da nur eine Geldschuld verzinst werden kann (§ 288 Abs. 1 BGB), nicht jedoch der Anspruch auf Vornahme einer Handlung.“

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