BVerfG zur Corona-Triage in Deutschland

BVerfG zur Corona-Triage in Deutschland

Beschwerdeführer rügen Untätigkeit des Gesetzgebers

Wenn medizinische Ressourcen knapp werden, müssen Ärzte in einer Triage-Situation über Leben und Tod entscheiden. Das BVerfG hat nun klargestellt: Die Bundesregierung muss die Triage nicht regeln.

 

Worum geht es?

Das BVerfG hat jüngst einen Eilantrag von neun Beschwerdeführern abgelehnt, die eine mögliche Triage-Situation in Deutschland geklärt wissen wollten. Aus dem Beschluss der Karlsruher Richter geht nun hervor, dass der Gesetzgeber eine solche medizinische Ausnahmesituation unter den aktuellen Umständen nicht verbindlich regeln müsse.

 

Beschwerdeführer rügen Untätigkeit des Gesetzgebers

Bei der sogenannten Triage-Situation (frz.: sortieren) handelt es sich um ein medizinisches Dilemma, bei dem von Ärzten und Helfern bestimmt werden muss, wem Ressourcen zukommen – und wem nicht. Dabei sollen so viele Menschen gerettet werden wie möglich. Im Rahmen der Möglichkeiten der medizinischen Versorgung müssen Patienten priorisiert werden. Diese Entscheidungen fallen schwer, denn sie entscheiden über Leben und Tod. 

Solche Situationen sind mancherorts unumgänglich, wie das Coronavirus bewiesen hat: In italienischen Kliniken wurden sehr alte Patienten von vornherein abgewiesen, um jüngere Menschen mit höheren Heilungsaussichten behandeln zu können. Eine ähnliche Situation befürchteten die Beschwerdeführer auch in Deutschland. Sie alle leiden unter verschiedenen Behinderungen und Vorerkrankungen und gehören daher zur Risikogruppe, bei der durch eine Corona-Infektion schwere Krankheitsverläufe die Folge sind. Daher befürchteten sie, im Falle einer Triage-Situation in Deutschland von lebensrettenden Behandlungen ausgeschlossen zu werden, damit Patienten mit höheren Überlebenschancen die medizinischen Ressourcen erhalten.

Sie wendeten sich daher mit einer Verfassungsbeschwerde und einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Untätigkeit des Gesetzgebers, der bislang keine Vorgaben für die Triage-Situation geschaffen habe. Dieser müsse ihrer Auffassung nach seiner Schutzpflicht für Gesundheit und Leben nachkommen. Außerdem forderten sie, dass die Bundesregierung ein Gremium benennen müsse, welches die Verteilung knapper intensivmedizinischer Ressourcen vorläufig regeln soll.

 

Eingehende Prüfung im Eilverfahren nicht möglich

Das BVerfG lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Untätigkeit des Gesetzgebers ab. Das Gericht führte aber aus, dass die Verfassungsbeschwerde nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet sei. Vielmehr sei eine eingehende Prüfung für das Anliegen erforderlich, die im Eilverfahren nicht möglich sei. In einer Mitteilung des Karlsruher Gericht heißt es:

Sie [die Verfassungsbeschwerde] wirft vielmehr die schwierige Frage auf, ob und wann gesetzgeberisches Handeln in Erfüllung einer Schutzpflicht des Staates gegenüber behinderten Menschen verfassungsrechtlich geboten ist und wie weit der Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei Regelungen medizinischer Priorisierungsentscheidungen reicht.

Ob und unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber überhaupt in einem Eilverfahren zur Gesetzgebung verpflichtet werden kann, ließ das BVerfG an dieser Stelle offen.

 

Keine Triage-Situation in Deutschland

Allerdings sei die Ablehnung des Antrags schon durch die aktuellen Infektionszahlen in Deutschland verbunden mit den intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten gerechtfertigt. Es sei derzeit nicht wahrscheinlich, so das BVerfG, dass in Deutschland die Situation der Triage eintritt. Zwar stammt der frisch veröffentlichte Beschluss schon vom 16. Juli und seitdem steigen die Zahlen der täglichen Neuinfektionen wieder. Die aktuellen Zahlen seien aber nicht mit den hohen Infektionszahlen zu Beginn der Pandemie vergleichbar.

 

Gewünschtes Gremium hätte keine Legitimation

Abschließend ging das BVerfG auf die Forderung der Beschwerdeführer ein, dass die Bundesregierung ein Gremium benennen solle, welches die Verteilung von knappen intensivmedizinischen Ressourcen vorläufig regeln solle. Ein solches würde die Situation der Beschwerdeführer aber nicht wesentlich verbessern, führte das Gericht aus. In der Mitteilung heißt es:

Auch ein solches Gremium wäre nicht legitimiert, Regelungen mit der Verbindlichkeit einer gesetzgeberischen Entscheidung zu erlassen, auf die es den Beschwerdeführern gerade ankommt.

Tipp: In diesem Artikel haben wir uns schon einmal mit der Triage-Situation beschäftigt und eingeordnet, wie sie aus strafrechtlicher Sicht zu bewerten ist.

Schaue Dir hier die prüfungsrelevanten Lerneinheiten und weiterführenden Beiträge zu diesem Thema an:

 - [Verfassungsbeschwerde, Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 23, 90 ff. BVerfGG](https://jura-online.de/lernen/verfassungsbeschwerde-art-93-i-nr-4a-gg-13-nr-8a-23-90-ff-bverfgg/855/excursus?utm_campaign=Wusstest_Du_BVerfG_zur_Corona_Triage_in_Deutschland)

 - Beitrag vom 02. April 2020: "[Corona und (Rechts-) Ethik: Die Triage-Situation. Wer entscheidet über Leben und Tod?](https://jura-online.de/blog/2020/04/02/corona-und-rechts-ethik-die-triage-situation-wer-entscheidet-uber-leben-und-tod/?utm_campaign=Wusstest_Du_BVerfG_zur_Corona_Triage_in_Deutschland)"