A. Einleitung
Im vorletzten Teil unserer Reihe „Wie schreibe ich ein Zivilurteil?“ befassen wir uns mit den Entscheidungsgründen (§ 313 I Nr. 6 und III ZPO), die nur in den Fällen der §§ 313a, 313b ZPO entbehrlich sind (Hauptanwendungsfall in der Praxis: Versäumnisurteil, § 313b I 1 ZPO).
B. Die Entscheidungsgründe (Überblick)
Nach dem Tatbestand folgen – getrennt durch einen größeren Absatz – die Entscheidungsgründe, die mit der nämlichen und zentrierten Überschrift eingeleitet werden.
Die Entscheidungsgründe enthalten eine kurze Zusammenfassung der Erwägungen, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht (§ 313 III ZPO). Daraus ergibt sich einerseits, dass die Entscheidungsgründe kurzzu halten sind und anderseits nur das enthalten sollen, was die Entscheidung trägt; sogenannte obiter dicta sind daher – vor allem in einer Klausur – zu vermeiden. Wird der Klage vollumfänglich stattgegeben, ist daher nur eine einzige und die Klage tragende Anspruchsgrundlage abzuhandeln – sinnvollerweise diejenige, deren Voraussetzungen am einfachsten zu bejahen sind („Das Urteil nimmt den kürzesten Weg zur Entscheidung“). Bei einem klagabweisenden Urteil sind demgegenüber zwar alle (ernsthaft) in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen darzustellen, wobei man sich an der aus dem Studium bekannten Reihenfolge (vertragliche Ansprüche, quasivertragliche Ansprüche, dingliche Ansprüche, deliktische Ansprüche, bereicherungsrechtliche Ansprüche) orientieren sollte. Hier genügt es aber, je Anspruchsgrundlage ein einziges anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal zu verneinen oder eine einzige Einwendungs- oder Einredenorm zu bejahen, an dem oder der der Anspruch scheitert.
Die Entscheidungsgründe sollen den Parteien erläutern, vor allem der unterlegenen Partei, warum die Entscheidung so und nicht anders ausgefallen ist. Adressat der Entscheidungsgründe ist aber auch das Rechtsmittelgericht, das durch sie in die Lage versetzt werden soll, das Urteil auf seine inhaltliche Richtigkeit in prozessrechtlicher und materiell-rechtlicher Hinsicht zu überprüfen. Fehlen Entscheidungsgründe, stellt dies einen absoluten Revisionsgrund dar (§ 547 Nr. 6 ZPO).
Die Entscheidungsgründe sind im sogenannten „Urteilsstil“ abzufassen. Dieser unterscheidet sich fundamental von dem im Studium üblichen Gutachtenstil, weil bei der Verwendung des Urteilsstils das (jeweilige) Ergebnis voranzustellen ist und die Begründung erst danach erfolgt.
Beispiel: „Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Zahlung von 1.000 Euro aus § 433 II BGB zu. Die Parteien haben einen Kaufvertrag über einen Fernseher geschlossen und dafür einen Kaufpreis von 1.000 Euro vereinbart.“
Häufig setzt sich die Ergebniskette eines Urteils aus mehreren Teilgliedern zusammen. Auch diese sind wiederum hintereinander im Urteilsstil abzuhandeln, wobei stets auf den Leser führende Obersätze und Zwischenergebnisse zu achten ist. Der Urteilsstil ist dann eingehalten, wenn sich die Sätze jedenfalls gedanklich mit den Wörtern „denn“, „da“ oder „weil“ verbinden lassen („Denn-Stil“im Urteil vs. „Also-Stil“ im Gutachten). Selbstverständlich sollte man aber darauf verzichten, jedem Satz ein „denn“ vorauszuschicken, weil dies nicht sonderlich elegant klingt. Der Urteilsstil setzt sich im Ausgangspunkt aus vier Schritten zusammen: Ergebnissatz, Definition/Voraussetzungen, Zwischenergebnis und Subsumtion
„Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Herausgabe des streitgegenständlichen Pferdes aus § 985 BGB zu. Danach kann der Eigentümer von dem Besitzer einer Sache deren Herausgabe verlangen, sofern dieser kein Recht zum Besitz hat (§ 986 BGB). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Beklagte ist Besitzer des Pferdes und der Kläger dessen Eigentümer; ein Recht zum Besitz steht dem Beklagten nicht zu.“
Weil es sich bei einem Urteil um einen Hoheitsakt handelt, dürfen die Entscheidungsgründe keine Zweifel an der Entscheidung erkennen lassen, weswegen jede Form gutachterlicher Überlegungen („fraglich ist“, „dürfte“, „könnte“) zu vermeiden ist. Selbstverständlich dürfen die Entscheidungsgründe aber auch nicht die Parteien oder deren Prozessbevollmächtigte belehren („abwegig“) oder sonst übertreibende und nichtssagende Aussagen enthalten („zweifellos“, „selbstverständlich“, „offensichtlich“).
In der Praxis ist es häufig anzutreffen, dass die Entscheidungsgründe durch Ziffern (nicht aber durch Zwischenüberschriften) gegliedert werden, weil dies gerade bei komplexeren Fällen die Lesbarkeit und Verständlichkeit des Urteils erheblich erleichtert. In einer Klausur sollte man indes darauf verzichten; hier sind die Fälle in der Regel auch nicht derart komplex. Hier ergibt sich die Gliederung ausschließlich aus der Struktur der Entscheidungsgründe mit entsprechenden Obersätzen sowie sinnvoll gesetzten Absätzen. Zitate aus Rechtsprechung und Literatur, die im laufenden Text in Klammern gesetzt werden, sind in der Praxis üblich, sollten in der Klausur aber ebenfalls unterlassen werden, weil Zitate eine eigene Begründung und Argumentation ohnehin nicht ersetzen können.
Die Entscheidungsgründe werden üblicherweise wie folgt aufgebaut:
Ergebnissatz (Beispiel: „Die zulässige Klage ist begründet.“)
Zulässigkeit der Klage („Vorrang der Zulässigkeitsprüfung“)
Begründetheit der Klage (Haupt- und Nebenforderungen)
Prozessuale Nebenentscheidungen (insbes. Kostengrundentscheidung und Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit)
Gute Entscheidungsgründe zeichnen sich durch eine gelungene Schwerpunktsetzung und Gewichtung aus. Zudem ist unbedingt auf die Kongruenz zwischen Entscheidungsgründen und Tatbestand sowie zwischen Entscheidungsgründen und Tenor zu achten.
C. Ausblick
Im nächsten Teil unserer Reihe werden wir uns den Einzelheiten der Entscheidungsgründe widmen.
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