Juristisch-handwerklicher Fehler beim Verfassen der Reform: Verstoß gegen das Zitiergebot
Formelle Rechtmäßigkeit: (-). Aufgrund eines Formfehlers seien die schärferen Regelungen zu Fahrverboten in der neuen StVO-Reform unwirksam. Bei Erlass wurde die nötige Ermächtigungsgrundlage nicht zitiert.
Worum geht es?
Ende April trat die neue StVO-Reform in Kraft. Die neuen Regelungen wurden vom Bundesverkehrsministerium unter Führung von Andreas Scheuer entwickelt und mit „#Fahrradland“ beworben. Durch die Reform sollten Radfahrerrechte gestärkt werden, außerdem wollte man Rasern entgegenwirken: Durch die Novelle drohte Fahrern ein Führerscheinverlust für einen Monat bereits dann, wenn sie innerorts 21 Kilometer pro Stunde und außerorts 26 Kilometer pro Stunde zu schnell fahren.
Die Regelungen wurden von Autofahrern und vom ADAC kritisiert, sogar Scheuer selbst sagte im Mai, die – von ihm entwickelten – Regelungen zu Fahrverbote wieder kippen zu wollen. Dies ist vielleicht gar nicht mehr nötig. Jüngst wurde entdeckt, dass Teile der StVO-Reform unwirksamen seien. Grund: Ein Formfehler.
Nennung der Rechtsgrundlage vergessen
Die Landesverkehrsminister wurden bereits vom Bundesverkehrsministerium per Telefonschalte darüber informiert, dass die neu vorgesehenen Fahrverbote wahrscheinlich nichtig seien. Dem ADAC sei aufgefallen, dass diese Verbote nicht ausreichend legitimiert seien. In der Präambel der Verordnung ist die dafür erforderliche Rechtsgrundlage nicht genannt – und das müsste sie.
Die StVO-Reform wurde nicht per Gesetz beschlossen, sondern fand per Verordnung statt. Dafür ist eine Verordnungsermächtigung erforderlich, die es für die StVO auch gibt – im Rahmen der Kompetenz von Verkehrsministerium und Bundesrat gibt es daher keine Probleme. Innerhalb der geänderten Verordnung muss aber formal die Verordnungsermächtigung zitiert werden, wie es sich aus Art. 80 I GG ergibt:
Durch Gesetz können die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen ermächtigt werden. Dabei müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetze bestimmt werden. Die Rechtsgrundlage ist in der Verordnung anzugeben.
In der StVO-Novelle waren Fahrverbote vorgesehen, die entsprechende Rechtsgrundlage aus § 26a StVG wurde aber nicht zitiert. In § 26a I StVG wird das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Vorschriften zu erlassen über – und diese Norm hätte zitiert werden müssen – „die Anordnung des Fahrverbotes“ gemäß § 26a I Nr. 3 StVG.
Erste Bundesländer setzen Regelungen bereits aus
Das Bundesverkehrsministerium hat nun die Länder aufgefordert, die seit April geltenden neuen Bußgeldbestimmungen nicht anzuwenden. Dafür sollen bis auf Weiteres die alten Bußgeldhöhen und Grenzwerte gelten. Das Saarland reagierte als erstes, Bayern und Niedersachsen zogen nach. Im gleichen Zug kritisierte der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) die Situation:
Besondere Chuzpe braucht es, die Schlamperei in der Umsetzung des Gesetzes zu nutzen, um eine unliebsame Regelung auszuhebeln.
Die Kritik des SPD-Politikers fußt auf Scheuers Ankündigung, die strengeren Fahrverbote nach Erlass wieder zurücknehmen zu wollen. Auch seitens der Grünen gibt es Kritik. Ihr verkehrspolitische Sprecher Oliver Kritscher sprach von einem „unglaublichen Vorgang, wenn Andi Scheuer eine monatelange mit dem Bundesrat verhandelte Regelung wieder ändern will, weil er jetzt sein Herz für Raser entdeckt hat.“ FDP-Verkehrspolitiker Oliver Luksic bezeichnete die Unwirksamkeit als „Schlappe für Verkehrsminister Scheuer“ und forderte eine grundsätzliche Abschaffung der „Führerscheinfalle“, um bundesweit Rechtssicherheit zu gewährleisten.
Wie ist die Rechtslage?
Spannend ist nun die Frage, welche Regelungen gelten und was mit Sanktionen geschieht, die anscheinend durch eine unwirksame Reform verhängt wurden. Es heißt, dass derzeit bundesweit an einer Lösung gearbeitet werde. Nach Ansicht des ADAC sind von dem Formfehler gleich mehrere Tatbestände betroffen, die mit den unwirksamen Fahrverboten zusammenhängen sollen. Dabei handele es sich um:
- Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts um 21 km/h,
- Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts um 26 km/h,
- Nichtbilden der Rettungsgasse bei stockendem Verkehr,
- Befahren der Rettungsgasse durch Unbefugte,
- Gefährliches Abbiegen.
Diese Tatbestände der StVO können auch weiter geahndet werden. Lediglich die Verhängung eines Fahrverbotes scheint unwirksam zu sein, da § 26a I Nr. 3 StVG nicht zitiert wurde. Die anderen Regelungen bezüglich Verwarnungen und Bußgelder scheinen rechtmäßig zu sein.
Schaue Dir hier die prüfungsrelevanten Lerneinheiten und weiterführenden Beiträge zu diesem Thema an:
- Beitrag vom 29. April 2020: "[Neue Regelungen in der StVO: Was ändert sich?](https://jura-online.de/blog/2020/04/29/neue-regelungen-in-der-stvo-was-andert-sich/)"
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