BVerfG: Keine formale oder inhaltliche „Glaubensprüfung“ durch die Gerichte bei Asylbegehren von Konvertiten

A. Sachverhalt (leicht abgewandelt und vereinfacht)

B ist iranischer Staatsangehöriger. Er stellte 2011 einen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ablehnte, weil er eine begründete Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft gemacht habe. Während des sich anschließenden Klageverfahrens trug er ergänzend vor, dass er im Mai 2013 getauft worden sei und regelmäßig an kirchlichen Veranstaltungen in der Gemeinde teilnehme. Dies begründe für den Fall einer Abschiebung in den Iran die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung.

Der Verwaltungsgerichtshof wies die Klage ab. Dem B drohe bei einer Rückkehr in den Iran keine Verfolgung aus religiösen Gründen. Die Anhörung habe den Senat nicht von einer die religiöse Identität prägenden Hinwendung des B zur christlichen Religion überzeugen können. Er habe nicht in substantieller Weise seine Beweggründe aufzeigen können, die ihn ausgerechnet zum christlichen Glauben geführt hätten. Ein Taufkurs, der die christlichen Glaubensgrundlagen auch nur grob vermittelt oder vertieft hätte, habe nicht stattgefunden. Zwar habe B sich ein gewisses Grundwissen über das Christentum angeeignet. Es hätten sich aber auch hier nicht unerhebliche Lücken gezeigt. Auch wenn er christliche Glaubensinhalte richtig wiedergegeben habe, habe der Senat nicht den Eindruck gewonnen, der B habe sich über das „Erlernen“ christlicher Glaubensinhalte hinaus intensiv mit dem Glauben beschäftigt und diesen als für sein weiteres Leben identitätsprägend verinnerlicht. Es dränge sich angesichts der sozialen Unterstützung durch die Pfarrerin und die iranische Kirchengemeinde der Eindruck auf, dass der B sich dem Christentum vornehmlich aus sozialen und integrativen Gründen angeschlossen habe. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurück.

B erhebt form- und fristgerecht Verfassungsbeschwerde. Er sei durch die angegriffenen Entscheidungen in erster Linie in seinem Grundrecht auf Glaubens- und Religionsfreiheit aus Art. 4 I und II GG verletzt.

Hat die zulässige Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg?

B. Die Entscheidung des BVerfG (Beschl. v. 3.4.2020 – 2 BvR 1838/15)

 

I. Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen oder Religionsgemeinschaften (Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 III 1 WRV).

B meint,

„mit der Annahme, die Prüfung der Ernsthaftigkeit und identitätsprägenden Bedeutung des Glaubenswechsels sei Aufgabe der staatlichen Gerichte, hätten die Gerichte der in der Taufe dokumentierten Zugehörigkeit zum Christentum die Wirksamkeit abgesprochen und sich eine ihnen nicht zustehende Prüfungsbefugnis angemaßt. Ob jemand getauft werde, liege allein im Verantwortungsbereich der Kirche. Die Überprüfung der Ernsthaftigkeit des Taufbegehrens sei eine innerkirchliche Angelegenheit. Es verbiete sich daher aus staatskirchenrechtlichen Gründen, dass ein staatliches Gericht seinerseits eine solche Überprüfung vornehme und seine Beurteilung an die Stelle derjenige der Kirche setze. Andernfalls greife es in das den Religionsgemeinschaften durch Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht ein. Das Gericht habe bei der Prüfung des Asylantrags die Entscheidung der Kirche, dass die Voraussetzungen für die Taufe – einschließlich des subjektiven Erfordernisses der Ernsthaftigkeit der Hinwendung zum Christentum – vorliegen, zu akzeptieren und seiner Entscheidung als richtig zugrunde zu legen.“

Das BVerfG stellt stimmt B zunächst darin zu, dass die Wirksamkeit einer Taufe nicht in Frage gestellt werde dürfe:

„Die Wirksamkeit einer nach kirchenrechtlichen Vorschriften vollzogenen Taufe und damit die Mitgliedschaft des Schutzsuchenden in der Kirchengemeinschaft, die zum Bereich des in Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV garantierten Selbstbestimmungsrechts zählt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Dezember 2014 - 2 BvR 278/11 -, Rn. 37), darf von den Verwaltungsgerichten nicht in Frage gestellt werden. Vielmehr haben diese die Kirchenmitgliedschaft als Rechtstatsache zu beachten und der flüchtlingsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legen. Dies gilt auch dann, wenn der Sachvortrag zur Konversion oder die vorgelegten Unterlagen Anhaltspunkte für eine gewisse Oberflächlichkeit, für Missbräuchlichkeit (insoweit abweichend wohl BVerwG, Beschluss vom 25. August 2015 - BVerwG 1 B 40.15 -, Rn. 11) oder für eine mitbestimmende taktische Prägung des Übertritts zur christlichen Religion erkennen lassen; derartigen Anhaltspunkten kann jedoch im Rahmen der Verfolgungsprognose Rechnung getragen werden.“

Von der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft zu unterscheiden sei allerdings die Frage, ob und bejahendenfalls welche Aspekte einer Glaubensüberzeugung oder Glaubensbetätigung in einer die Furcht vor Verfolgung begründenden Intensität für die religiöse Identität des individuellen Schutzsuchenden prägend sind oder nicht. Dies zu überprüfen und zu beurteilen, sei Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland und nicht der Kirchen, weswegen kein Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht vorliege:

„Denn bei der damit angesprochenen Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach §§ 3 ff. AsylG vorliegen, handelt es sich nicht um eine eigene Angelegenheit der Kirchen oder Religionsgemeinschaften im Sinne von Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht umfasst alle Maßnahmen, die der Sicherstellung der religiösen Dimension des Wirkens der Religionsgemeinschaft im Sinne kirchlichen Selbstverständnisses und der Wahrung der unmittelbaren Beziehung der Tätigkeit zum kirchlichen Grundauftrag dienen (vgl. BVerfGE 137, 273 <307>). Die Prüfung der Flüchtlingseigenschaft fällt nicht in diesen der Erfüllung des religiösen Auftrags und der religiösen Sendung dienenden Bereich, sondern ist kraft Gesetzes ausschließlich der Zuständigkeit des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (§§ 5 Abs. 1, 13 Abs.1 AsylG) und – im Fall einer gerichtlichen Überprüfung – den Verwaltungsgerichten zugewiesen (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO, §§ 74 ff. AsylG). Die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland Personen in ihrem Hoheitsgebiet Schutz vor Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 und 4 AsylG in Verbindung mit Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 gewährt, obliegt nach Maßgabe der europäischen und nationalen Rechtsvorschriften ausschließlich dieser selbst und nicht der Kirche oder den Religionsgemeinschaften.“

 

II. Verletzung der Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit des Einzelnen (Art. 4 I, II GG, Art. 10 I GR-Charta und Art. 9 I EMRK).

B bringt vor, dass die Gerichte sein eigenes Recht auf Glaubens- und Religionsfreiheit verletzt hätten,

„indem sie sich angemaßt hätten, darüber zu entscheiden, ob er ein „wahrer“ Christ sei. Mit der Verneinung dieser Frage hätten sie ihm außerdem zugemutet, auf eine Betätigung seines Glaubens in seinem Heimatland zu verzichten. Ein Gericht dürfe dem Einzelnen aber nicht vorschreiben, wie er sein Christentum zu leben habe. Insbesondere dürfe es ihm nicht zumuten, auf bestimmte glaubensgeleitete Handlungen zu verzichten.

Der Verwaltungsgerichtshof habe ihm vorgeworfen, sich vornehmlich aus sozialen und integrativen Gründen dem Christentum zugewandt zu haben. Die Motive, warum sich ein Mensch einer neuen Glaubensrichtung zuwende, seien jedoch unerheblich. Der Verwaltungsgerichtshof habe zudem allein aus der Unkenntnis einzelner Glaubensinhalte geschlossen, welche religiöse Betätigung ihm wichtig sei. Damit habe er den Glauben auf die bloße Aneignung von Wissen reduziert, die Beziehungsebene sowie das wachsende Vertrauen in Gottes Verheißung vernachlässigt und verkannt, dass der Glaube nach dem von Luther geprägten protestantischen Verständnis eine Gabe Gottes sei. Der Verwaltungsgerichtshof habe ferner seinen Glauben als „oberflächlich“ bewertet und damit seine Vorstellung vom „wahren“ Glauben an die Stelle seines eigenen Glaubensverständnisses gesetzt. Dies verletze das Gebot staatlicher Neutralität.“

Das BVerfG stellt zunächst dar, welche rechtlichen Maßstäbe, die das Bundesverwaltungsgericht im Anschluss an die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Rahmen der Prüfung, ob gemäß §§ 3 ff. AsylG eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen der Religion besteht, entwickelt habe:

„Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist in Fällen, in denen nicht schon die bloße Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft als solche die Gefahr einer Verfolgung begründet, bei der Frage, ob ein Eingriff in die Religionsfreiheit eine hinreichend schwere Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG, Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 darstellt, – in einem ersten Schritt – in objektiver Hinsicht festzustellen, welche Maßnahmen und Sanktionen gegenüber dem Betroffenen im Herkunftsstaat voraussichtlich ergriffen werden, wenn er eine bestimmte Glaubenspraxis dort ausübt, und wie gravierend diese sind. Die erforderliche Schwere kann insbesondere erreicht sein, wenn ihm durch die Betätigung seines Glaubens – im privaten oder öffentlichen Bereich – die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, (tatsächlich) strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Sodann ist – in einem zweiten Schritt – in subjektiver Hinsicht festzustellen, ob die Befolgung einer solchermaßen als verfolgungsträchtig bestimmten Glaubenspraxis ein zentrales Element für die religiöse Identität des Schutzsuchenden und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist. Maßgeblich ist dabei, wie der Einzelne seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Beide Prüfungsschritte unterliegen der eigenständigen tatrichterlichen Würdigung der Verwaltungsgerichte. Die innere Tatsache, dass die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für die religiöse Identität des Betroffenen zentrale Bedeutung hat, muss zur Überzeugung der Gerichte feststehen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO).“

Darin liege weder eine Verletzung der Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit des Einzelnen noch eine Verletzung der Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität:

„Durch die bei Prüfung der Flüchtlingseigenschaft von den Verwaltungsgerichten zu treffenden Feststellung der Bedeutung bestimmter Glaubensbetätigungen für die religiöse Identität des Schutzsuchenden wird auch nicht die Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit des Einzelnen (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 10 Abs. 1 GR-Charta, Art. 9 Abs. 1 EMRK) wegen Missachtung der sich aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 33 Abs. 3 GG und Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1 und 4, Art. 137 Abs. 1 WRV ergebenden weltanschaulich-religiösen Neutralitätspflicht des Staates verletzt. Entgegen der Auffassung der Verfassungsbeschwerde haben die Verwaltungsgerichte nach den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten rechtlichen Maßstäben keine inhaltliche „Glaubensprüfung“ vorzunehmen. Mit der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung wegen geltend gemachter religiöser Verfolgung ist insbesondere keine verfassungsrechtlich unzulässige Bewertung des Glaubens des Einzelnen oder der Lehre der Kirche verbunden (vgl. BVerfGE 33, 23 <29>; 108, 282 <300>; 137, 273 <305 Rn. 88>; 138, 296 <329, Rn. 86, 339 Rn. 110>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 1333/17 -, Rn. 88). Die Verwaltungsgerichte setzen sich bei der erforderlichen – subjektiven – Prüfung der Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit weder mit Inhalten von Glaubenssätzen auseinander, noch setzen sie ihre eigene Wertung zu Inhalt und Bedeutung eines Glaubenssatzes an die Stelle derjenigen des Einzelnen oder der Kirche oder Glaubensgemeinschaft oder formulieren eigene Standpunkte in Sachen des Glaubens (vgl. BVerfGE 137, 273 <305 f.>). Sie entscheiden auch nicht über die Legitimität religiöser Glaubensüberzeugungen und die Art und Weise ihrer Bekundung (vgl. EGMR, Eweida u.a. v. United Kingdom, Urteil vom 15. Januar 2013, Nr. 48420/10 u.a., § 81, und Magyar Keresztény Mennonita Egyhaz u.a. v. Ungarn, Urteil vom 8. April 2014, Nr. 70945/11 u.a., § 76). Die Verwaltungsgerichte müssen und dürfen lediglich der Stellung des Schutzsuchenden zu seinem Glauben nachgehen, nämlich der Intensität und Bedeutung der von ihm selbst empfundenen Verbindlichkeit von Glaubensgeboten für die eigene religiöse Identität. Darin liegt keine Verletzung der Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität.“

Die Verwaltungsgerichte seien allerdings verpflichtet, bei der Anwendung der vorgenannten Maßstäbe auf den konkreten Fall die Bedeutung des in Art. 4 I und II GG in Verbindung mit Art. 9 I EMRK und Art. 10 GR-Charta verbürgten Grundrechts auf Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit als ein in einer demokratischen Gesellschaft zentrales Grundrecht und grundlegendes Menschenrecht in besonderem Maße zu berücksichtigen.

Dem hohen Wert des betroffenen Grundrechts habe insbesondere die Sachverhaltsaufklärung Rechnung zu tragen:

„Ihr Gegenstand ist zunächst die Frage, ob im Herkunftsstaat des Schutzsuchenden ein bestimmtes Verhalten – etwa die Abwendung von einer (Staats-) Religion, die Hinwendung zu einem anderen Glauben, eine bestimmte, als religiös verstandene Betätigung der Betroffenen – Maßnahmen nach sich ziehen kann, die als Verfolgung oder unmenschliche Behandlung einzustufen sind. Erst vor diesem Hintergrund ist zu fragen, ob für den im konkreten Fall betroffenen Schutzsuchenden ein solches Verhalten festzustellen oder im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat voraussichtlich zu erwarten sein wird, ob insbesondere die Hinwendung zu dem neuen Glauben identitätsprägendes Gewicht hat. In Fällen, in denen es um die Bedeutung einer bestimmten Glaubenspraxis für die religiöse Identität des Schutzsuchenden und die Intensität der selbst empfundenen Verpflichtung eines bestimmten Glaubensgebotes geht, kommt der verfahrensrechtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) deshalb verfassungsrechtliches Gewicht zu. Die fachgerichtliche Beurteilung muss daher auf einer hinreichend verlässlichen und auch ihrem Umfang nach zureichenden tatsächlichen Grundlage beruhen (vgl. zur Beurteilung der Aufnahmebedingungen in einem Drittstaat als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK: BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Mai 2017 - 2 BvR 157/17 -, Rn. 16). Dabei ist nicht nur das Vorbringen des Schutzsuchenden im Rahmen der in aller Regel gebotenen informatorischen gerichtlichen Anhörung zu berücksichtigen, sondern es sind auch äußere Anknüpfungstatsachen heranzuziehen, die Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Betroffenen erlauben (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - BVerwG 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67, juris, Rn. 31, und angegriffener Beschluss vom 25. August 2015 - BVerwG 1 B 40.15 -, juris, Rn. 14).“

Auch im Rahmen der tatrichterlichen Beweiswürdigung sei die besondere Bedeutung des Grundrechts auf Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit zu beachten:

„Zwar unterliegt es im Ausgangspunkt der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, auf welche Weise das Tatsachengericht sich die erforderliche Überzeugungsgewissheit vom Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsache verschafft, ob der Schutzsuchende eine verfolgungsträchtige religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - BVerwG 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67, juris, Rn. 30, und angegriffener Beschluss vom 25. August 2015 - BVerwG 1 B 40.15 -, juris, Rn. 14). Auch sind die Umstände, unter denen das Gericht die Überzeugung von dieser inneren Tatsache gewinnt, grundsätzlich einer abstrakt-generellen Verallgemeinerung nicht zugänglich. Es handelt sich stets um eine Frage des jeweiligen Einzelfalls.“

Im Rahmen der Beweiswürdigung bedürfe es in aller Regel der Gesamtschau einer Vielzahl von Gesichtspunkten, die Aufschluss über die religiöse Identität des Schutzsuchenden geben können,

„wie etwa die religiöse Vorprägung des Betroffenen und seiner Familie, eine Glaubensbetätigung bereits im Herkunftsland, der äußere Anstoß für den Konversionsprozess sowie dessen Dauer oder Intensität, die inneren Beweggründe für die Abwendung vom bisherigen Glauben, die Vorbereitung auf die Konversion und deren Vollzug, die Information und Reaktion des familiären und sozialen Umfeldes, das Wissen über die neue Religion und die Konversionskirche, die Bedeutung und Auswirkungen des neuen Glaubens für beziehungsweise auf das eigene Leben sowie Art und Umfang der Betätigung des neuen Glaubens wie zum Beispiel die Teilnahme an Gottesdiensten, an Gebeten und am kirchlichen Leben (vgl. Berlit/Dörig/Storey, Glaubhaftigkeitsprüfung bei Asylklagen aufgrund religiöser Konversion oder Homosexualität: Ein Ansatz von Praktikern (Teil 1), ZAR 2016, 281 <284 ff.>).“

Dabei könne von einem Antragsteller auch im Hinblick auf Art. 4 I und II GG, Art. 10 I GR-Charta und Art. 9 I EMRK in der Regel erwartet werden,

„dass er schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den inneren Beweggründen für die Konversion machen kann und mit den Grundzügen seiner neuen Religion hinreichend vertraut ist, um die von ihm behauptete Gefahr der Verfolgung aus religiösen Gründen gebührend zu substantiieren (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2018, C-56/17, Bahtiyar Fathi, NVwZ 2019, 634 <639> Rn. 84 und 90). Allerdings wird der Umfang des Wissens über die neue Religion maßgeblich von der individuellen Geschichte des Antragstellers, seiner Persönlichkeit, seinem Bildungsniveau und seiner intellektuellen Disposition abhängen, die bei der Beweiswürdigung daher angemessen Berücksichtigung finden müssen (vgl. BVerwG, angegriffener Beschluss vom 25. August 2015 - BVerwG 1 B 40.15 -, juris, Rn. 14; Berlit/ Dörig/Storey, Glaubhaftigkeitsprüfung bei Asylklagen aufgrund religiöser Konversion oder Homosexualität: Ein Ansatz von Praktikern (Teil 1), ZAR 2016, 281 <284>).“

Eine inhaltliche „Glaubensprüfung“ sei den Gerichten jedoch verwehrt:

„Bei alledem haben die Tatsachengerichte jedoch zu beachten, dass Gesichtspunkten der vorerwähnten Art stets nur die Bedeutung von Indizien zukommt, und dass sie sich im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung jeglicher inhaltlicher Bewertung des Glaubens des Einzelnen und der Kirchen zu enthalten haben. Eine inhaltliche „Glaubensprüfung“ – etwa eine eigene Auslegung oder Priorisierung einzelner Glaubensinhalte gegenüber anderen Aspekten der jeweils betroffenen Religion – ist ihnen verschlossen, weil dies die verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit, das eigene Verhalten an den Lehren des Glaubens auszurichten und innerer Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln, entleeren würde.

Zudem gilt, dass die Vertrautheit des Schutzsuchenden mit den Lehraussagen einer Religionsgemeinschaft zwar ein Indiz für die identitätsprägende Bedeutung eines Übertritts zu dieser Religion darstellen kann – wenn auch nicht zwingend muss –, dass indes der Umkehrschluss nicht in jedem Fall zulässig ist. Eine identitätsprägende Hinwendung zu einem Glauben kann vielmehr auch ohne eine derartige Vertrautheit vorliegen, wenn aussagekräftige und gewichtige Umstände des Einzelfalles festzustellen sind, die die Prognose rechtfertigen, dass der Schutzsuchende sich den Verhaltensleitlinien seines neu gewonnenen Glaubens derart verpflichtet sieht, dass er ihnen auch nach Rückkehr in seinen Heimatstaat folgen und sich damit der Gefahr von Verfolgung oder menschenunwürdiger Behandlung aussetzen wird. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV gebieten es, auch derartige Fallkonstellationen zutreffend zu erfassen.“

 

III. Ergebnis

Die Verfassungsbeschwerde des B ist unbegründet.

 

D. Fazit

Eine Entscheidung, die zwar nicht im Mittelpunkt der juristischen Ausbildung stehen dürfte, gleichwohl wegen ihrer praktisch hohen Bedeutung zum Allgemeinwissen (angehender) Juristinnen und Juristen zählen sollte.