Corona: Reisebeschränkungen möglicherweise rechtswidrig

Corona: Reisebeschränkungen möglicherweise rechtswidrig

Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages sieht keine ausreichende Rechtsgrundlage

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat die geltenden Reisebeschränkungen untersucht. Fazit: Möglicherweise rechtswidrig. Der WD äußert Bedenken.

 

Worum geht es?

In Deutschland gelten seit Mitte März strikte Maßnahmen, um die Covid-19-Pandemie einzudämmen. Einige dieser Regelungen werden aktuell gelockert, andere bleiben bestehen. Die seit Mitte März geltenden Reisebeschränkungen wurden sogar bis zum 15. Mai 2020 verlängert. Sie werden – wie die anderen Maßnahmen – mit dem Schutz der Bevölkerung begründet. 

Die Ausreise-Untersagung wurde vom Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) angeordnet. Danach sind Grenzübergänge nach Österreich, Schweiz, Frankreich, Luxemburg und Dänemark nicht zulässig, wenn kein „triftiger Reisegrund“ vorliegt. Ein solcher besteht zum Beispiel im Warentransport oder beim Pendeln. Außerdem umfasst die Regelung auch Flug- und Schiffsreisen. So sind Reisen in der Luft oder auf See nach Italien, Spanien, Österreich, Frankreich, Luxemburg, Dänemark und Schweiz untersagt.

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat sich nun mit dieser Regelung auseinandergesetzt. Er zweifelt am Vorliegen an einer ausreichenden Rechtsgrundlage, außerdem sei das Argument des Bevölkerungsschutzes zu pauschal formuliert.

 

Keine ausreichende Rechtsgrundlage?

Die Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Dienstes unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Ausübung ihres Mandates. Dies geschieht durch umfangreiche Recherchen, Analysen und Gutachten. Ihre Ausarbeitungen geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages wieder, sie arbeiten parteipolitisch neutral und sachlich objektiv. Nun hat sich der Wissenschaftliche Dienst mit der Ausreiseuntersagung des Innenministeriums befasst. Um das Fazit vorwegzunehmen: 

Es bestehen rechtliche und tatsächliche Bedenken, dass sich eine allgemeine Ausreiseuntersagung für Reisen ohne triftigen Grund auf die Rechtsgrundlage des § 10 I 2 PassG in Verbindung mit § 7 I Nr. 1 3. Alt. PassG stützen lässt.

 

Die Normen aus dem Passgesetz (PassG) regeln, dass die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange Deutschlands nicht gefährdet werden sollen durch Grenzübergang. Der Wissenschaftliche Dienst führt in seinem Gutachten aus, dass ein „kollabierendes Gesundheitssystem“ in Deutschland zwar zu „dramatische Folgen“ führen könnte, sodass eine „erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit“ entstehen könnte. Allerdings sieht der Wissenschaftliche Dienst aktuell keine Gefahr für unser Gesundheitssystem, sollten Bundesbürger ausreisen. Die Argumentation, wiederkehrende Reisende könnten das deutsche Gesundheitssystem gefährden, sei zu pauschal.

In dem Gutachten wird ausgeführt, dass es in vielen anderen Ländern bereits vergleichbare – und strengere – Ausgangsbeschränkungen gebe. Durch diese Corona-Maßnahmen in den Nachbarländern werde ausreichend gewährleistet, dass nicht jeder Wieder-Einreisende automatisch die Stabilität unseres Gesundheitssystems gefährde.

 

Normen aus PassG für Einzelfälle

Weiter führte der Wissenschaftliche Dienst aus, dass die Vorschrift des § 7 I Nr. 1 PassG bislang nur auf Fälle angewandt wurde, bei denen die Gefährdung individuell von dem Passbewerber ausging. Grundsätzlich jeden Aus- und wieder Einreisenden als potentielle Gefahr anzusehen, sei zu pauschal und könne nicht auf die Norm gestützt werden. Diese sei vielmehr nur in Einzelfällen anwendbar, etwa bei Ausreisen von Hooligans, die zu Fußballspielen ins Ausland reisen. Ein anderes vom Wissenschaftlichen Dienst genanntes Beispiel ist die Ausreise von gewaltbereiten Islamisten in Kriegsgebiete. Abgesehen von der Pauschalisierung wird im Gutachten abschließend auf ein weiteres Problem aufmerksam gemacht:

Eine Gefährdungslage im konkreten Einzelfall anhand von gerichtsfesten bestimmten Tatsachen zu begründen, fällt angesichts der zahlreichen Unsicherheiten und der sich ständig weiterentwickelten fachlichen Erkenntnisse über die […] Infektionsgefahr und Risiken schwer.