Verstoß gegen die Berufsfreiheit?
Wer darf öffnen und wer nicht? Gemäß Corona-Verordnung: Geschäfte bis zu 800-Quadratmeter Verkaufsfläche. Laut VG Hamburg sei das unrechtmäßig und kippte die Regelung – allerdings nur kurzzeitig. Nun muss das OVG entscheiden.
Worum geht es?
Bund und Länder stehen vor der Aufgabe, nach und nach das gesellschaftliche Leben zurück in die Normalität zu führen. Gleichzeitig darf der Infektionsschutz der Bevölkerung nicht zurücktreten. Um diese Brücke in Zeiten von Corona zu schlagen, dürfen bundesweit Geschäfte bis 800 Quadratmeter Ladenfläche wieder öffnen, größere aber nicht. Auch die derzeit geltende Coronavirus-Eindämmungsverordnung von Hamburg verbietet den Betrieb von Läden im Einzelhandel, die eine Verkaufsfläche von 800 Quadratmetern übersteigen. Nun hat das Hamburger Verwaltungsgericht in einer Eilentscheidung die Schließung von Geschäften, die nicht in diesem Größenrahmen liegen, für unrechtmäßig erklärt. Das Gericht hatte einem Eilantrag eines Sportgeschäfts in Hamburg stattgegeben.
VG sieht Verstoß gegen Recht auf Berufsfreiheit
Das VG vertritt die Rechtsauffassung, dass die Lockerung bei Ladenöffnungen einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG darstellt. Nach Art. 12 I 1 GG haben alle Deutschen das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Eingriffe sind nach Art. 12 I 2 GG nur auf Grundlage einer gesetzlichen Regelung erlaubt. Das VG stufte die in der Verordnung getroffene Unterscheidung zwischen der Größe der Geschäfte als unrechtmäßig ein.
Bei der Untersagung des Betriebs von Verkaufsstellen des Einzelhandels, die 800 Quadratmeter Verkaufsfläche überschreiten, handelt es sich um einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Berufsausübung.
Das Gericht führte in seinem Beschluss aus, dass Einschränkungen der Berufsausübungsfreiheit grundsätzlich durch jede vernünftige Erwägung des Gemeinwohls legitimiert werden können. Im Rahmen der Corona-Pandemie stehen sich daher auf der einen Seite die Berufsfreiheit und der Infektionsschutz gegenüber. Die Hamburger Richter betonten, dass in solchen Fällen davon auszugehen sei, eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen – und die hielt ihrer Auffassung nicht Stand. Die Regelung, dass Läden mit einer größeren Fläche als 800 Quadratmeter geschlossen bleiben müssen, sei nicht geeignet, dem Zweck des Infektionsschutzes zu dienen. Das Gericht führte aus:
Es liegt auf der Hand, dass die für alle für den Publikumsverkehr geöffneten Verkaufsstellen geltenden spezifischen Vorgaben auch in großflächigen Einzelhandelsgeschäften umsetzbar sind, in denen die Möglichkeit einer physischen Distanzierung zumindest ebenso gut wie in kleineren Einrichtungen oder sogar besser als dort einzuhalten sind.
Sprich: Wenn in kleinen Läden ein Infektionsschutz durch Abstandsregelungen gewährleistet werden könne, müsse dies auch in größeren Läden gelten.
Öffnung größerer Läden habe keine Anziehungskraft
Weiter lehnte das VG eine andere Argumentation des Senats ab. Die Hamburger Regierung verfolge mit der Schließung größerer Läden nämlich auch das Ziel, die Innenstadt nicht zu überfüllen – das VG sieht das anders. Die Anziehungskraft des Einzelhandels folge nicht aus der Großflächigkeit der Läden, sondern aus der Attraktivität des Warenangebots. Daher heißt es:
Für die Annahme der Antragsgegnerin, dass von großflächigen Einzelhandelsgeschäften eine hohe Anziehungskraft für potentielle Kunden mit der Folge ausgeht, dass allein deshalb zahlreiche Menschen die Straßen der Innenstadt und die Verkehrsmittel des öffentlichen Personennahverkehrs benutzen werden, liegt keine gesicherte Tatsachenbasis vor.
Im Ergebnis seien nach Auffassung des Gerichts mildere Mittel vorhanden, um eine Infektionsgefahr zu reduzieren. Es wies auf den in § 1 I HmbSARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung normierten einzuhaltenden Mindestabstand von 1,5 Metern hin. Sollte die Öffnung größerer Geschäfte tatsächlich eine Anziehungskraft entfalten, könnte der Fußgängerverkehr durch diesen Abstand geregelt und kontrolliert werden. Schließlich könnten Verstöße dagegen auch als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden.
OVG vs. VG
Obwohl das VG der Antragstellerin Recht gegeben hat, darf sie nicht öffnen. Dies liegt daran, dass die Stadt gegen die Entscheidung des Gerichts beim zuständigen OVG Beschwerde erhoben hat. Grundsätzlich entsteht dadurch keine aufschiebende Wirkung. Hier hat die Stadt aber ebenfalls einen sogenannten Hängebeschluss beantragt. Das OVG kann daher eine Zwischenentscheidung erlassen – und hat dies auch getan.
Das OVG erklärt in der Zwischenverfügung, dass das klagende Sportgeschäft bis auf weiteres nicht öffnen darf. Für den Senat stellt das vorerst nur einen Zwischenerfolg dar. Ein Sprecher des OVG kommentierte, dass die Erfolgsaussichten der Beschwerde nach Ansicht des OVG offen seien. Der Erlass einer Zwischenverfügung sei aber zur Vermeidung schwerer und unabwendbarer Nachteile geboten gewesen.
Dem Sprecher zufolge wird das OVG bis zum 30. April 2020 über das Öffnungsverbot großer Läden wegen der Corona-Krise entscheiden. Bis dahin müsse das Sportgeschäft nur mit einer maximalen Verkaufsfläche von 800 Quadratmetern geöffnet werden.
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- [Berufsfreiheit, Art. 12 I GG](https://jura-online.de/lernen/berufsfreiheit-art-12-i-gg/298/excursus?utm_campaign=Wusstest_Du_VG_Hamburg_kippt_800-Quadratmeter-Regel)
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