OLG Koblenz zu Folter in Syrien
Rechtsgeschichte in Koblenz: Zwei Geheimdienstler aus dem Assad-Regime sind wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Ermöglicht wird dies durch das sogenannte Weltrechtsprinzip: Strafverfolgung ohne Grenzen.
Worum geht es?
Am OLG Koblenz beginnt in diesen Tagen Rechtsgeschichte. Zwei Angeklagte müssen sich für Verbrechen verantworten, die sie als Geheimdienstmitarbeiter des Regimes unter Führung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad begangen haben sollen. Als im Frühjahr 2011 die Menschen in Syrien auf die Straßen gingen, um für Freiheit und Würde zu demonstrieren, war einer von ihnen Mohammed A.. Er organisierte Proteste und dokumentierte die Gewalt, mit der das Regime gegen die Versammlungen vorging. Noch im selben Jahr wurde er verhaftet und in ein Gefängnis in Damaskus gebracht, in dem er gefoltert worden sein soll. In den kleinen Zellen seien bis zu 120 Gefangene untergebracht, sodass diese sich weder hinsetzen noch hinlegen können. Häftlinge hätten im Stehen schlafen müssen.
Um an Informationen zu gelangen, wurde Mohammed A. gefoltert. Er berichtete der taz, dass er an den Händen an der Decke aufgehängt worden sei, so dass er nur mit seinen Zehenspitzen den Boden berühren habe können. Die Wärter hätten ihn geschlagen und mit Stromstößen traktiert. Sollte er das Bewusstsein verloren haben, wurde er mit kaltem Wasser wieder aufgeweckt. Diese Tortur solle sich über Monate hingezogen haben.
Zwei der Verantwortlichen müssen sich nun vor dem OLG Koblenz verantworten. Die Anklage spricht von brutalen Misshandlungen auf physischer und psychischer Art. Einer von ihnen ist Oberst Anwar R., der die Unterabteilung für „Ermittlungen“ leitete. Ihm wird von der Anklage Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 58-facher Mord und Folter vorgeworfen. R. sei klar gewesen, dass Häftlinge unter den massiven Gewalteinwirkungen zu Tode kamen. Weiter beschuldigt ihn der Generalbundesanwalt der Vergewaltigung und sexuelle Nötigung in mindestens 4.000 Fällen. Bei dem anderen Angeklagten handelt es sich um Eyad A. Er ist wegen Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Die beiden Syrer wurden 2019 in Berlin und Rheinland-Pfalz festgenommen. Ermittlungen zufolge soll sich R. seit 2014 in Deutschland aufhalten, A. soll 2018 nach Deutschland gekommen sein.
Es handelt sich bei dem Fall um juristisches Neuland, weil das Weltrechtsprinzip die Grundlage für die Strafverfolgung bildet. Es ist seit 2002 im deutschen Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) verankert.
Das deutsche Völkerstrafgesetzbuch
Das VStGB trat 2002 in Kraft. Für alle Straftaten nach dem VStGB ist das OLG erstinstanzlich zuständig (§ 120 I Nr. 8 GVG) und zwar das OLG, in dessen Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hat. Die Verfolgungszuständigkeit liegt automatisch beim Generalbundesanwalt (§ 142a GVG). Dieses Gesetz ist Resultat einer Reihe von Gesetzesanpassungen, die nach der Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag folgten. 1998 verständigte sich eine Vielzahl von Staaten (inzwischen 140) durch das sogenannte Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, eine unabhängige ständige Gerichtsbarkeit einzurichten, die für die schwersten Verbrechen zuständig sein soll, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren. 2002 ist daher das deutsche Ausführungsgesetz in Kraft getreten, welches die notwendigen verfahrensrechtlichen Regelungen für die Zusammenarbeit mit dem IStGH enthält.
Das VStGB wurde zur selben Zeit eingeführt, damit Deutschland auch in der Lage sein kann, die in die Zuständigkeit des IStGH fallende Verbrechen selbst zu verfolgen – und zwar auch dann, wenn die Anwendung unseres Strafrechts über § 6 StGB (Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts) hinausgeht. Die innerstaatliche Gerichtsbarkeit hat nämlich grundsätzlich Vorrang. An dieser Stelle kommt das Weltrechtsprinzip ins Spiel.
Strafverfolgung durch Weltrechtsprinzip
Ohne das Weltrechtsprinzip könnten die beiden Männer in Deutschland nicht zur Verantwortung gezogen werden – schließlich haben sie und ihre Opfer nicht die deutsche Staatsangehörigkeit, Tatort war zudem Syrien. Durch das Weltrechtsprinzip (auch Universalitätsprinzip genannt) wird eine weltweite Verfolgung extraterritorialer Taten unabhängig von Staatsangehörigkeit und Tatort möglich, wobei der Tatortstaat keinen Einfluss auf das Verfahren nehmen kann. Hintergrund ist der Gedanke, dass das inländische Strafrecht für Straftaten gegen universell geschützte Werte gelten soll, deren Verletzung die gesamte Weltgemeinschaft betrifft. Das Universalitätsprinzip beruht auf internationaler Solidarität. Der Verfolgungsstaat (hier also Deutschland) wird nicht nur im eigenen Interesse, sondern im Interesse der gesamten Staatengemeinschaft tätig.
Eine Strafverfolgung aufgrund des Weltrechtsprinzips ist in zwei Konstellationen denkbar. Zum einen ist eine solche Situation dann gegeben, wenn das gemeinsame Sicherheitsinteresse verteidigt werden soll, wenn Straftaten an Orten begangen werden, die keiner Hoheitsgewalt unterstehen. Beste Beispiele dafür sind die Piraterie auf Hoher See oder die Verfolgung von internationalem Terrorismus. Zum anderen können durch das Weltrechtsprinzip universell anerkannte Rechtsgüter verteidigt werden, wie es hier auch der Fall ist. Es werden Straftaten verfolgt, die die gemeinsame Wertegrundlage der Staatengemeinschaft im hohen Maße erschüttern. Sollten fundamentale Menschenrechte verletzt werden, liegt ihr Schutz nicht mehr nur im einzelstaatlichen Interesse, sondern im Interesse der ganzen Gemeinschaft.
Ein erster Schritt in Richtung Gerechtigkeit
Der Prozess am OLG Koblenz wird als Mammutprozess eingeschätzt. Gehört werden sollen Aussagen von etwa 80 Zeugen, darunter sind viele selbst Opfer der Folter geworden. Außerdem wurden bereits viele geheime Fotografien des Militärfotografen „Caesar“ analysiert, der seine Bilder aus Syrien heraus schleuste. Aufnahmen von mindestens 6.786 getöteten Gefangenen wurden bereits zum Teil durch das BKA ausgewertet. Vor dem OLG Koblenz dienen sie zum ersten Mal als Beweismittel vor Gericht.
Die Bundesanwaltschaft spricht von einem „weltweit ersten Strafverfahren gegen Mitglieder des Assad-Regimes wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit.“ Die erste Strafanzeige in diesem Zusammenhang ist es aber nicht. Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) aus Berlin unterstützt Folterüberlebende, auch in diesem Verfahren. Zusammen mit mehr als 50 Syrern hat der Verein seit 2016 in verschiedenen europäischen Staaten bereits Strafanzeigen erstattet. Die Möglichkeit der Strafverfolgung aus Deutschland heraus habe eine immense Bedeutung. Laut Berichten von Folteropfern genießen Geheimdienstmitarbeiter in Syrien völlige Straffreiheit. Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des ECCHR, führte aus, dass ein Strafverfahren im Grunde nichts richten könne bei einem Verbrechen solcher Dimension:
Es ist zu groß, zu schwerwiegend. Aber der Prozess ist ein erster Schritt, eine Annäherung an Gerechtigkeit.
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- [Überblick StPO](https://jura-online.de/lernen/stpo-zusatzfrage-ueberblick/1322/excursus)
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