Bayerisches Integrationsgesetz teilweise verfassungswidrig

Bayerisches Integrationsgesetz teilweise verfassungswidrig

Eine freiheitliche Gesellschaft muss auch “unfreiheitliche” Überzeugungen aushalten können

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat das Bayerische Integrationsgesetz für teilweise verfassungswidrig erklärt. Durfte der Freistaat den Migranten seine „Leitkultur“ vermitteln?    

Worum geht es?

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH) hat Anfang Dezember ein bayerisches Gesetz für teilweise verfassungswidrig erklärt. Es geht um das Bayerische Integrationsgesetz (BayIntG), welches Ende 2016 in einer turbulenten Landtagssitzung bis in die frühen Morgenstunden von der CSU durchgesetzt wurde. Das Gesetz verfolgte das Ziel, den zu dieser Zeit hunderttausendfach in Bayern ankommenden Migranten eine bayerische „Leitkultur“ zu vermitteln. Diese wurde in der Präambel des Gesetzes definiert. Danach sei unter der „Leitkultur“ insbesondere eine „freiheitliche Lebensweise“ und eine „offene Gesellschaft“, zu der die „Werte und Traditionen des gemeinsamen christlichen Abendlandes“ zählen sollen. Die bayerischen Richter gaben mit ihrer Entscheidungen Klagen der SPD- und der Grünen-Landtagsfraktion teilweise statt. Diese griffen bereits 2017 das Gesetz gerichtlich an, nämlich insbesondere den Begriff der Leitkultur sowie die als Integrationsziel genannte Integrationspflicht und weitere Regelungen.

 

Mögliche Integrationskurs-Verpflichtung verfassungswidrig

Im Mittelpunkt stand eine Regelung des BayIntG, die die mögliche Verpflichtung zur Teilnahme an einem Kurs zur Wertevermittlung vorsah. Eine solche Teilnahme konnte dann angeordnet werden, wenn Migranten durch ihr Verhalten oder Regelverstöße ihre Missachtung gegenüber unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung äußerten. Dazu gehörten auch die Aberkennung der Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Ablehnung des staatlichen Gewaltenmonopols oder beispielsweise die Nichtakzeptanz der Trennung von Staat und Religion. 

Der BayVerfGH rügte nun zunächst, dass die Regelung zu unbestimmt sei. Es sei nicht hinreichend klar, welches individuelle Verhalten zu einer Verpflichtung zu einem solchen „Wertekurs“ führen würde – das Anknüpfungsverhalten sei zu unbestimmt. Darüber hinaus sei die Regelung des Art. 13 BayIntG, in der die Anordnung eines solchen Kurses geregelt ist, ohnehin unverhältnismäßig und daher verfassungswidrig. Sie stelle einen Verstoß gegen die Meinungsfreiheit dar. Die Regelung ziele nämlich auf einen generellen Gesinnungswandel ab. In der Entscheidung heißt es:

 Die mit Art. 13 BayIntG beabsichtigte geistige Einflussnahme […] greift daher, auch wenn sie letztlich nur appellativen Charakter trägt, in innerpsychische Vorgänge der Meinungsbildung ein, die für das individuelle Selbstverständnis besonders bedeutsam sind.

Die Ausführungen der bayerischen Richter basieren auf dem Grundgedanken, dass eine freiheitliche Gesellschaft wie unsere auch mögliche unfreiheitliche Überzeugungen aushalten müsse. Die SPD-Fraktion brachte hervor, dass Art. 13 BayIntG über die Grenzen zum Gesinnungsstrafrecht hinausgehe – und ein solches dürfe es nicht geben. Dass ein möglicher Hintergrund der Regelung sei, dass eine geäußerte Ablehnung unserer Grundordnung zukünftig auch durch verfassungsfeindliche bzw. rechtswidrige Taten geäußert wird, könne nicht einen solchen Eingriff in die Meinungsfreiheit rechtfertigen.

 

Verletzung der Rundfunkfreiheit

Ein weiterer für verfassungswidrig erklärter Teil des BayIntG betraf die Rundfunk- und Fernsehanstalten. Diese wurden in dem Gesetz dahingehend verpflichtete, einen Beitrag zur Vermittlung der deutschen Sprache und der Leitkultur zu leisten. Der BayVerfGH entschied, dass es sich dabei sowohl um eine Verletzung der Rundfunkfreiheit als auch um eine Verletzung der Meinungsfreiheit handele. In Art. 11 2 BayIntG wurde geregelt, dass der Rundfunk den Inhalt der Präambel des Gesetzes in seinen Sendungen zu „vermitteln“ habe. Eine solche Verpflichtung zur Förderung bestimmter Wert- und Zielvorstellungen sei aber verfassungsrechtlich unvereinbar.

 

CSU reagiert „gelassen“

Medienberichten zufolge reagierte die CSU „gelassen“, trotz der Einstufung der Entscheidung durch den SPD-Fraktionschefs Horst Arnold als „schallende Ohrfeige“. Florian Herrmann (CSU), Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, sagte:

 Die Staatsregierung nimmt das Urteil sehr gelassen auf.

 Sein Namensvetter und bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) führte nach der Entscheidung aus, dass der Grundgedanke des Gesetzes mit der Verfassung vereinbar sei.

 Die Verfassungsrichter haben das Konzept der Leitkultur bestätigt.

Tatsächlich sei die Präambel als solche mit der Verfassung im Einklang. Diese wurde vorab von der SPD und den Grünen kritisiert, dass sie gegen die Neutralitätspflicht des Staates verstoßen würde. Diesen Einwand lehnte der BayVerfGH ab. Es gehe nicht darum, den Migranten eine weltanschaulich-religiöse Grundhaltung vorzugeben, sondern darum, gegenseitige Rücksichtnahme, Respekt und Toleranz untereinander zu vermitteln. Der hohe Abstraktionsgrad der in der Präambel verdeutlichten Zielvorstellung mache ebenfalls deutlich, dass sie (also die Präambel) kein unmittelbar anwendbares Recht darstelle, sondern lediglich appellative und programmatische Aussagen treffe. Ihre Umsetzung bedürfe konkreter Normen, wie sie im folgenden Teil des BayIntG geschrieben seien. Die Idee einer „Leitkultur“ an sich dürfe aber von den Behörden verwendet werden. Daher sei der von der CSU verfolgte Grundsatz des „Förderns und Forderns“ unangetastet geblieben und von dem BayVerfGH als verfassungsgemäß erklärt worden.

 

Integration von Ausländern als „staatliche Querschnittsaufgabe“

Schließlich führte der BayVerfGH auch aus, dass die Integration von Ausländern nicht dem Ausländer- oder Staatsangehörigkeitsrecht alleine zugeordnet werden könne. Die Integration von Ausländern sei, so geht es aus den Leitsätzen hervor, vielmehr eine „staatliche Querschnittsaufgabe“, die von Bund und Ländern gemeinsam zu erfüllen sei.

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 - [**Meinungsfreiheit, Art. 5 I 1 1. Fall GG**](https://jura-online.de/lernen/meinungsfreiheit-art-5-i-1-1-fall-gg/306/excursus?utm_campaign=Wusstest_Du_Bayerisches_Integrationsgesetz_teilweise_verfassungswidrig)

 - [**Sonstige Kommunikationsgrundrechte**](https://jura-online.de/lernen/sonstige-kommunikations-grundrechte-art-5-i-1-u-2-gg/290/excursus?utm_campaign=Wusstest_Du_Bayerisches_Integrationsgesetz_teilweise_verfassungswidrig)
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