Meinungsfreiheit vs. Lucke Vorlesung und die gesetzliche Aufgabenzuweisung des Hamburger AStA
Die Universität ist ein Ort der wissenschaftlichen Diskussion. Aber wie politisch darf die Studierendenvertretung sein? Die Rückkehr des AfD-Mitbegründers Bernd Lucke als Lehrender sorgt für massive Proteste.
Worum geht es?
Die Uni Hamburg hat in diesen Tagen die volle Aufmerksamkeit der Medienlandschaft. Am 16. Oktober hielt Bernd Lucke seit langem erstmals wieder eine Vorlesung als Professor an der Universität. Der Mitbegründer der AfD war von 2014 bis 2019 offiziell für seine politischen Tätigkeiten beurlaubt gewesen. Für die AfD zog er in das Europaparlament, 2015 trat er allerdings aus seiner gegründeten Partei aus. Nun kehrt der Professor für Makroökonomie zu seinem Lehrstuhl zurück und nahm seine Lehrtätigkeit wieder auf.
Dass die AfD für Spaltung sorgt, ist kein Geheimnis. Besonders kritisch der Wiederaufnahme seiner Lehrtätigkeit gegenüber steht der AStA der Uni Hamburg, also der „Allgemeine Studierendenausschuss“ der Studierendenschaft. Dieser kündigte Proteste an, da Lucke „in der Mitverantwortung der heutigen gesellschaftlichen Verwerfung der Alternative für Deutschland“ und „tolerant für rechts außen“ sei. Unter dem Motto „Lucke lahm legen“ organisierte der AStA vor der ersten Vorlesung Luckes eine Veranstaltung, der sich circa 300 Teilnehmer angeschlossen hatten. Im Anschluss an die Kundgebung kam es dann zu massiven Störungen der Vorlesung des AfD-Mitbegründers. Lucke war als „Nazi-Schwein“ beschimpft, körperlich bedrängt und am Halten seiner Vorlesung gehindert worden. Der Vorlesungsraum war komplett überfüllt; ob es sich dabei um Studierende der Uni Hamburg handelte, ist unklar. Beteiligt waren aber auch Mitglieder der vom Verfassungsschutz beobachten „Antifaschistischen Aktion“.
Rechtliche Stellung des AStA
Besonders interessant ist die Rolle des AStA bei den Geschehnissen. Dieser wehrt sich gegen den Vorwurf, für die Störungen mitverantwortlich zu sein. Zwar habe er davor eine Veranstaltung durchgeführt – die Störungen seien davon aber nicht umfasst. Vielmehr habe der AStA alle Anstrengungen unternommen, die Situation zu beruhigen. Die Studierendenvertretung betonte, dass sie Beleidigungen und physische Gewalt ablehnen. Weiter heißt es seitens des AStA aber:
Dennoch sind wir der Auffassung, dass friedlicher Widerspruch und Ungehorsam ausgehalten werden müssen, wenn sie einem demokratischen Prozess zugänglich sind.
Die Frage ist: Was darf der AStA? Darf der AStA zu politischen Protesten aufrufen? Mit dieser Frage hat sich der Verein „Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht e.V.“ (Juwiss) befasst. Dieser kritisierte die Entscheidung des Universitätsprofessors, der keine rechtlichen Konsequenzen für den AStA in Aussicht stellte. Dieser hielt in einer gemeinsamen Stellungnahme mit der Hamburger Wissenschaftssenatorin nämlich fest, dass Universitäten Orte seien, die „Auseinandersetzung(en) auch über kontroverse gesellschaftliche Sachverhalte und Positionen führen und aushalten müssen.“ Juwiss bezweifelte in einem Aufsatz, dass die Proteste des AStAs gesetzlich gedeckt seien.
Der AStA vertritt die Studierendenschaft nach außen. Die Aufgaben sind vielfältig, unter anderem zählt dazu die Vertretung in hochschulpolitischen Belangen. Allerdings fällt dem AStA kein „allgemeinpolitisches Mandat“ zu. Vielmehr müssen sich die Aufgaben stets auf spezifische studentische Belange beziehen.
In § 102 II Nr. 1, Nr. 2 HmbHG heißt es:
Die Studierendenschaft hat die Aufgabe, die Interessen der Studierenden wahrzunehmen und bei der Verwirklichung von Zielen und Aufgaben der Hochschule mitzuwirken. Ihre Aufgabe ist es insbesondere,
1. *im Rahmen ihrer Aufgabenstellung […] die hochschulpolitischen Belange der Studierenden wahrzunehmen; sie hat kein allgemeinpolitisches Mandat.*
2. *die politische Bildung das staatsbürgerliche Verantwortungsbewusstsein der Studierenden sowie ihre Bereitschaft zum Einsatz für die Grund- und Menschenrechte sowie zur Toleranz auf der Grundlage der verfassungsmäßigen Ordnung zu fördern.*
Die Kundgebung „Lucke lahm legen“ könnte also von dieser Regelung gedeckt sein. Allerdings dürfe man die Auslegung des Begriffs „politische Bildung“ nicht zu weit gestalten, da ansonsten doch ein „allgemeinpolitisches Mandat“ möglich wäre. Dieses ist ja aber gerade verboten. Nach Auffassung Juwiss hat der AStA mit der veranstalteten Kundgebung eine eigene politische Auffassung verbreitet und vertreten und somit seine Grenzen überschritten.
Spannend ist, dass sich Organe der Studierendenschaft – also auch der AStA – mangels Grundrechtsfähigkeit nicht auf die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG berufen können. Die freie Bildung der öffentlichen Meinung ist wesentlicher Ausdruck der Demokratie. Die Willensbildung des Volkes muss frei, unreglementiert und grundsätzlich staatsfrei vollzogen werden. So geht es aus der Rechtsprechung des BVerwG hervor. In einer Entscheidung stellte das Gericht fest, dass einem Amtsträger in Wahrnehmung seiner hoheitlichen Funktion eine lenkende Einflussnahme auf die politische Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger verwehrt sei. Diese Konstellation sei nach Ansicht des Vereins Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht vergleichbar mit dem Handeln des AStAs. Er fordert deshalb ein Umdenken des Universitätsprofessors und empfiehlt, mögliche Aufsichtsmaßnahmen zu ergreifen.
Der AStA betonte in mehreren Stellungnahmen, dass Lucke jedes Recht habe, an die Uni zurückzukehren. In der Kundgebung vor der Uni sei es vor allem darum gegangen, die Diskussion über die Rückkehr von gescheiterten Politikern in den Universitätsbetrieb anzuregen.
Meinungsfreiheit vs. Lehrfreiheit
Die protestierenden Studierende (wichtig: nicht der AStA!) können sich hier auf ihre Meinungsfreiheit aus Art. 5 I 1 GG berufen:
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten […].
Die Meinungsäußerungsfreiheit zeigt sich hier durch politisches Engagement. Die stark kritische Reaktion auf die Vorlesung Luckes ist grundrechtlich geschützt, was hingenommen werden muss. Bereits das BVerfG führte aus, dass Hochschulprofessoren kein Bestimmungsrecht ohne jede Rücksicht auf Studierende zusteht. Es muss stets eine angemessene Interessenabwägung der kollidierenden Freiheiten gewährleistet werden. Aber mit was kollidiert die Meinungsfreiheit der Studierenden hier?
Die Meinungsfreiheit der stürmenden Studierenden kollidiert mit den Grundrechten Luckes. Lehrenden kommt nämlich der Schutz der Lehrfreiheit nach Art. 5 III 1 GG zu:
Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.
Aus diesem Grundrecht resultiert nicht nur das Recht, als Hochschulprofessor seine Lehrinhalte vortragen zu dürfen. Ebenfalls besteht ein Anspruch auf staatliche Schutzmaßnahmen gegen das Recht beeinträchtigende Handlungen. Dieser Schutzanspruch folgt auch aus Art. 33 V GG, der die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht normiert:
Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.
Erneute Proteste
Mittlerweile ist auch die nächste Vorlesung des AfD-Mitbegründers gestört worden. Im Vorfeld wurden diesmal zwar Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Diese reichten aber augenscheinlich nicht aus. 10 bis 15 Demonstranten versammelten sich vor der Tür zum Hörsaal und lieferten sich mit dem privaten Sicherheitsdienst eine Rangelei. Teilweise erlangten sie Zutritt und riefen Sprechchöre wie „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“. Die Vorlesung musste abgebrochen werden, Lucke und die etwa 300 Studierenden verließen das Gebäude. Wie zukünftig Makroökonomie durch Lucke gelehrt werden wird, bleibt abzuwarten.
Schaue Dir hier die prüfungsrelevanten Lerneinheiten zu diesem Thema an:
- [**Meinungsfreiheit, Art. 5 I 1 1. Fall GG**](https://jura-online.de/lernen/meinungsfreiheit-art-5-i-1-1-fall-gg/306/excursus?utm_campaign=Wusstest_Du_uebrigens_Proteste_an_der_Uni_Hamburg)
- [**Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG**](https://jura-online.de/lernen/versammlungsfreiheit-art-8-gg/302/excursus?utm_campaign=Wusstest_Du_uebrigens_Proteste_an_der_Uni_Hamburg)
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