Grundsatzurteil zur Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamten

Grundsatzurteil zur Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamten

BVerwG bestätigt: Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte verfassungsgemäß

Diese Woche hat das BVerwG die Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamten als verfassungsgemäß eingestuft. Darunter ist zu verstehen, dass Polizisten im Einsatz ihre Namen bzw. persönliche Identifikationsnummern auf den Uniformen tragen müssen. Zwei Beamte aus Brandenburg wehrten sich dagegen – erfolglos. Mehrere Instanzen stuften die entsprechende Regelung als verhältnismäßig ein. Das BVerwG schloss sich dieser Rechtsauffassung nun an.

 

Worum geht es?

Es geht um § 9 des Polizeigesetzes im Land Brandenburg. Aufgrund unseres föderalen Systems ist unter anderem die Polizei Landessache. Jedes Land hat sein eigenes Polizeigesetz und regelt grundsätzlich selbst eine Kennzeichnungspflicht für ihre Polizeibeamte. In § 9 BbgPolG wird also die Legitimations- und Kennzeichnungspflicht für brandenburgische Polizeibeamte geregelt. Wichtig: Die Legitimationspflicht wird von den Polizisten vor Gericht nicht beanstandet. Diese verpflichtet die Beamten, sich bei der Vornahme von Maßnahmen auf Verlangen der betroffenen Personen auszuweisen. Es geht hier ausschließlich um die sog. Kennzeichnungspflicht, die in § 9 II BbGPolG normiert ist:

 
Polizeivollzugsbedienstete tragen bei Amtshandlungen an ihrer Dienstkleidung ein Namensschild. Das Namensschild wird beim Einsatz geschlossener Einheiten durch eine zur nachträglichen Identitätsfeststellung geeignete Kennzeichnung ersetzt.

 

Kein Erfolg in den Vorinstanzen

Bereits das VG Potsdam und das OVG Berlin-Brandenburg bestätigten die Verfassungsmäßigkeit der polizeilichen Kennzeichnungspflicht in Brandenburg. Die Polizisten seien dadurch nicht in ihren Grundrechten verletzt.

Das BVerwG betonte, dass insbesondere die informationelle Selbstbestimmung der Beamten nicht verletzt sei. Zwar liege ein Eingriff in den Schutzbereich der aus Art. 2 I in Verbindung mit Art. 1 I GG abgeleiteten informationellen Selbstbestimmung vor: Schließlich ist damit die Befugnis des Einzelnen geschützt, grundsätzlich selbst über die Verwendung eigener persönlichen Daten zu bestimmen. Das Grundrecht kann aber nicht schrankenlos gewährt werden. Bereits das BVerfG stellte in mehreren Entscheidungen fest, dass Einschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung hinzunehmen seien, wenn diese im überwiegenden Allgemeininteresse liegen. Voraussetzung: Verhältnismäßige gesetzliche Grundlage. Also hier: § 9 II BbgPolG; Verhältnismäßigkeit ja oder nein?

 

Verfolgt es denn einen legitimen Zweck?

Zunächst müsste – wie bei jeder Verhältnismäßigkeitsprüfung – überhaupt ein legitimer Zweck bestehen. Was will der Gesetzgeber mit der Norm erreichen? Bei der Norm geht es in erster Linie um ein transparenteres Handeln der Polizei. Die Beamten sollen den Bürgern nicht als anonyme Uniformierte entgegentreten, denn sie tragen für die Rechtmäßigkeit ihrer dienstlichen Handlungen die volle Verantwortung. In einer Zeit, in der vermehrt von „Polizeigewalt“ die Rede ist, erscheint das als eine in zweierlei Hinsicht durchaus nachvollziehbare Maßnahme: Zunächst kann eine Individualisierung von Polizeibeamten zur Deeskalation beitragen. Schließlich steht man dann keinem „schwarzen Block“ gegenüber, sondern einem „Herrn Müller“ – nur als Beispiel. Und zum anderen kann dienstliches Fehlverhalten – sollte es dazu kommen – einfacher aufbereitet und verfolgt werden. Ein legitimer Zweck ist also gegeben.

 

Schritt 2: Die Geeignetheit

Im zweiten Schritt einer Verhältnismäßigkeitsprüfung muss herausgestellt werden, ob die Maßnahme geeignet ist oder nicht. Die gängige Definition ist folgende:

 
Ein Mittel im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann, somit der Zweckerreichung dienlich ist.

Das kann hier bejaht werden. Aus den Urteilen der Vorinstanzen geht hervor, dass im Vorfeld wissenschaftliche Untersuchungen und vergleichbare Rechtsprechungen herangezogen wurden. Wenn Polizeibeamte im Sinne von § 9 II BbgPolG gekennzeichnet sind, fällt die Identifikation leichter. Polizeigewalt kann damit bekämpft werden, die präventive Deeskalation wird gefördert. Das Mittel ist der Zweckerreichung dienlich.

 

Freiwillige Kennzeichnung hätte keinen Erfolg

Die Maßnahme ist auch erforderlich. Insbesondere ging es in den Verhandlungen darum, ob eine Kennzeichnungspflicht auch freiwillig sein kann oder obligatorisch sein muss. Die Freiwilligkeit wäre in diesem Fall das mildere, zur Verfügung stehende Mittel. Der Gesetzgeber entschied sich aber bewusst für die Pflicht, befand auch das VG Potsdam in seinem Urteil:

 

Ein freiwilliges Tragen von Namen und Kennzeichen könnten dazu führen, dass nur die ohnehin besonders engagiert und verantwortungsvoll handelnden Polizeibediensteten zur Herstellung einer besseren Kommunikation mit dem Betroffenen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen.

 

Mit dem freiwilligen Kennzeichnen kann die Zielsetzung nicht erreichen, wie es der Gesetzgeber anstrebt. Ein gleich wirksames, aber weniger einschränkendes Mittel sei daher nicht gegeben. 

 

Angemessenheit

An dieser Stelle geht es um die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne und um die Frage, ob die beanstandete Regelung – also § 9 II BbgPolG – auch zumutbar ist. Es muss geprüft werden, ob die sich aus der Norm resultierenden Pflichten mit den Rechten des Einzelnen in einem angemessenen Verhältnis stehen. 

Hier stehen sich die angestrebte Transparenz und Überprüfbarkeit polizeilichen Handelns dem Schutzbedürfnis der Beamten gegenüber. Insbesondere befürchteten die beiden Polizisten, dass die Namen und Identifikationsnummern „in die falschen Hände“ geraten und so eine Gefahr für sie und auch für ihre Angehörige bestehe. Diesen Einwand wiesen die Vorinstanzen allerdings damit zurück, dass § 9 III BbgPolG dieser Befürchtung zuvorkommen würde. Dort heißt es:

 
Die Legitimationspflicht und die namentliche Kennzeichnung gelten nicht, soweit der Zweck der Maßnahme oder Amtshandlung oder überwiegende schutzwürdige Belange des Polizeivollzugsbediensteten beeinträchtigt werden.

Die Ausnahmeregelung greift also gerade dann ein, wenn von einer Gefahr für die Polizisten ausgegangen werden kann. Das OVG – das die Revision zum BVerwG zugelassen hatte – vertritt bezüglich des Gefahrenpotentials für Polizisten dieselbe Rechtsauffassung wie das VG Potsdam und führte aus:

 

Jeder Polizeibeamte wisse zudem bereits bei seiner Entscheidung für den Beruf, dass hiermit gewissen Gefährdungen verbunden seien. Diese würden durch ein Namensschild lediglich erweitert, aber nicht neu begründet.

BVerwG teilt Ansicht von EGMR

Außerdem ging das BVerwG bei seiner Entscheidung auch auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein. Es betonte, dass eine Kennzeichnungspflicht eine Möglichkeit sei, der Rechtsprechung des EGMR Rechnung zu tragen. Dieser befürwortete stets das Tragen unverwechselbarer Kennzeichnungen im Polizeieinsatz. Hintergrund ist ein Fall massiver Polizeigewalt aus dem Jahr 2007, der für Schlagzeilen sorgte. Zwei Fußballfans wurden anscheinend grundlos nach einem Spiel von Polizeikräften mit Pfefferspray und Schlagstock angegriffen. Die Beamten konnten nicht identifiziert werden. Der EGMR monierte deshalb die mangelnde Aufklärungsarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft und führte aus, dass er zwar nicht vorschreibe, dass Polizeieinheiten eindeutig identifizierbar sein müssen. Andererseits machte er aber deutlich, dass er bei Vorwürfen von Polizeigewalt durch nicht identifizierbare Beamte in Zukunft „sehr genau hinschauen wird.“