EuGH entscheidet über “ewiges Widerrufsrecht”
Kein Kredit-Widerruf auf ewig – Der EuGH schließt einen fast 10 Jahre späteren Widerruf eines Darlehensvertrages aus. Damit legt er eine Richtlinie im Verbraucherschutz anders aus als der BGH.
Worum geht es?
Das klagende Ehepaar plante die Finanzierung ihrer privaten Immobilie und hat deshalb ein Darlehen bei der DSL Bank abgeschlossen, die heute eine Niederlassung der DB Privat- und Formenkundenbank AG ist. Dafür erhielt das Paar im Vorfeld ein standardisiertes Antragsblatt der Bank, inklusive einer Widerrufsbelehrung. Die Widerrufsbelehrung enthielt unter anderem folgenden Text:
„Erlöschen des Widerrufsrechts
Das Widerrufsrecht erlischt vorzeitig, wenn der Vertrag vollständig erfüllt ist und der Darlehensnehmer dem ausdrücklich zugestimmt hat.“
Das Ehepaar unterzeichnete den Darlehensantrag und die Widerrufsbelehrung und ließ beides der Bank zukommen. Der Vertrag über das Darlehen fällt somit unter die Fernabsatzgeschäfte, da er nicht in einer Filiale zustande kam, sondern über Post, Mail oder Telefon vermittelt wurde. Kurz darauf wurde das Darlehen an die Eheleute ausgezahlt.
Fast 9 Jahre später aber widerriefen die Eheleute den Vertrag. Sie beriefen sich auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung. Die Bank weigerte sich und meinte, es gebe kein Widerrufsrecht mehr – der Vertrag sei erfüllt. Seitens der Bank wurde betont, dass nach der europäischen Verbraucherschutzrichtlinie das Widerrufsrecht erlösche, sobald der Vertrag auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers von beiden Seiten bereits voll erfüllt wurde.
Problem: Nach ständiger Rechtsprechung des BGH gibt es aber ein sogenanntes „ewiges Widerrufsrecht“ bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung.
Das „ewige Widerrufsrecht“
Bei dem vorliegenden Darlehensvertrag handelt es sich um einen Fernabsatzvertrag über Finanzdienstleistungen im Sinne des § 312b BGB. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist es anerkannt, dass Verbraucher, die fehlerhaft über ihr Widerrufsrecht belehrt wurden, noch Jahre („ewig“) nach Vertragsschluss den Widerruf erklären und somit die Rückabwicklung des Vertrages erreichen können – selbst die Erfüllung ändere daran nichts.
Das „ewige Widerrufsrecht“ resultiert aus § 355 III BGB alter Fassung, in dem es hieß:
Das Widerrufsrecht erlischt spätestens sechs Monate nach Vertragsschluss. […] abweichend von Satz 1 erlischt das Widerrufsrecht nicht, wenn der Verbraucher nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist.
Wegen des sogenannten „ewigen Widerrufsrechts“ kann der Vertrag also auch noch widerrufen werden, selbst wenn der Vertrag auf Wunsch des Verbrauchers zuvor bereits vollständig erfüllt ist. Das LG Bonn, vor dem das Ehepaar und die Bank verhandelten, rief den EuGH an und bat um eine Vorabentscheidung, da ein Konflikt zu der RL 2002/65 bestehen könnte. Das LG Bonn wies darauf hin, dass es im deutschen Recht eine Vorschrift gebe, die bereits vor der Umsetzung der Richtlinie und zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in Kraft gewesen sei - § 355 III BGB aF. Der EuGH wurde darüber in Kenntnis gesetzt, dass nach ständiger Auslegung des BGH das Widerrufsrecht auch bei Fernabsatzverträgen dem Verbraucher ein „ewiges Widerrufsrecht“ einräume, wenn die Widerrufsbelehrung fehlerhaft sei.
Entscheidung des EuGH
Der EuGH grenzt das Widerrufsrecht bei Fernabsatzgeschäften nun ein: Wenn ein Vertrag vollständig erfüllt wurde, sieht die EU-Richtlinie kein Widerrufsrecht vor. Sprich: Das „ewige Widerrufsrecht“ sei nicht ewig, insbesondere dann nicht, wenn trotz potentieller fehlerhafter Widerrufsbelehrung der Vertrag erfüllt wurde. Somit folgt es der Auffassung des Generalanwalts und auch der des LG Bonn, das die Problematik aufzeigte. Das Widerrufsrecht müsse auch beim Darlehensvertrag nach Art. 6 II c) der RL 2002/65 erlöschen, wenn der Vertrag im Fernabsatz geschlossen wurde und auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers von beiden Seiten voll erfüllt sei. Die BGH-Auslegung sei ein von den Vorgaben des EuGH „abweichendes Verbraucherbild“. Von Seiten des EuGH heißt es, dass in unserer nationalen Rechtsprechung nun Abänderungen getroffen werden müssen, wenn bisweilen die Auslegung des BGH mit der Richtlinie unvereinbar sei.
Deshalb wird die Rechtssache wohl zum Nachteil des Ehepaars ausgehen. Der in der Widerrufsbelehrung enthaltene Satz „Das Widerrufsrecht erlischt vorzeitig, wenn der Vertrag erfüllt ist und der Darlehensnehmer dem ausdrücklich zugestimmt hat“, entspreche der Rechtsauffassung des EuGH. Hätte man der Ansicht des BGH folgen können, würde das „ewige Widerrufsrecht“ gelten und die Eheleuten hätten das Widerrufsrecht in Anspruch nehmen können.
Hier kannst Du Dir die prüfungsrelevanten Lerneinheiten anschauen und Dein Prüfungswissen vertiefen:
- **[Widerruf, §§ 355 ff. BGB](https://jura-online.de/lernen/widerruf-355-ff-bgb/450/excursus?utm_campaign=Wusstest_Du_Doch_kein_Widerruf_auf_ewig_Der_Widerrufsjoker_vor_dem_EuGH).**
Du möchtest weiterlesen?
Dieser Beitrag steht exklusiv Kunden von Jura Online zur Verfügung.
Paket auswählen