Journalistin wirft Fischer “grobe handwerkliche Schlamperei” bei seiner Kommentierung zu § 219a StGB vor
Die deutsche Presselandschaft und der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer – das Verhältnis zueinander könnte man bestenfalls als Hassliebe bezeichnen. Fischer, der zu seiner Pensionierung 2017 als Strafrichter am BGH gearbeitet hat und später zunehmend mediale Aufmerksamkeit durch seine provokanten Kolumnen bei “Zeit Online” und später “Spiegel Online” erlangen konnte, hat sich in seinen Beiträgen immer wieder gerne einen offenen Schlagabtausch mit Journalisten geliefert. Ein Streit mit der Journalistin Gaby Mayr geht ihm aber jetzt offenbar zu weit.
Worum geht es?
Der Konflikt begann im Jahr 2018, als ganz Deutschland über die Regelung des § 219a StGB zu “Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft” diskutierte. Mayr warf Fischer bei seiner Kommentierung zu § 219a StGB, auf die sich später mindestens zwei Gerichte in ihren Urteilen gestützt haben sollen, “grobe handwerkliche Schlamperei” vor. Fischer, der stets dafür bekannt ist, mit gewisser Polemik gegen den Rechtsjournalismus zu schießen, will sich diesen Vorwurf nicht weiter gefallen lassen: Er mahnte Mayr ab – erfolglos. Nun verklagt er sie zivilrechtlich auf Unterlassung, Widerruf und Schadensersatz.
Das Landgericht in Karlsruhe wird jetzt klären müssen, ob es sich bei Mayrs Formulierungen um Werturteile oder Tatsachenbehauptungen handelt – ihr Verteidiger sieht die Meinungs- und die Pressefreiheit bedroht.
Mayr kritisiert Aufrechterhaltung vom Vorgänger
Um die scharfe Kritik von Mayr nachvollziehen zu können bedarf es einen Blick in die Vergangenheit: Vorheriger Herausgeber der nun von Fischer geführten StGB-Kommentierung war Herbert Tröndle, ein nicht unumstrittener Mann. Er galt als konservativer Jurist. So wandte er sich beispielsweise gegen die Gleichstellung Homosexueller und kritisierte die Abschaffung des § 175 StGB, der die sexuelle Handlung zwischen Personen männlichen Geschlechts bestrafte. Darüber hinaus war er Gegner der Handhabung von Schwangerschaftsabbrüchen. Er kritisierte, dass das Recht zum Schwangerschaftsabbruch nach einer vorherigen Beratung für Ungereimtheiten und kaum lösbare Probleme sorgen solle.
Im Jahr 2017 verstarb Tröndle. In den Beiträgen von Mayr heißt es aber, dass „der Geist seiner Kommentierung zum Schwangerschaftsabbruch“ weiterlebe, da Fischer nach Übernahme des Strafrechts-Kommentars den Vorwürfen Mayrs zufolge nur die Rechtschreibung änderte. Dadurch wirft sie Thomas Fischer vor, dass Ansichten eines „fanatischen Lebensschützers“ und „dekorierten Wehrmachtsoldaten“ noch heute Gegenstand unserer Rechtsprechung seien. Der StGB-Kommentar von Fischer ist wohlgemerkt einer der weit verbreiteten Kommentare zum Strafgesetzbuch. Deshalb sei die Kommentierung „schlecht für die Rechtsprechung“.
Fischer kontert scharf
Auf diese Vorwürfe reagierte Fischer mit scharfen Antworten – zunächst gab es einen offenen Schlagabtausch über den Online-Dienst „Meedia“, in dem der ehemalige BGH-Richter der Journalistin Ahnungslosigkeit vorwarf. Sie habe nichts nachgelesen und keine Zitate geprüft; generell habe sie nichts verstanden, geht es aus seinen Beiträgen hervor. Am Schluss hieß es aber von Seiten Fischers:
Damit soll es sein Bewenden haben.
Hatte es aber nicht. Nach eigener Aussage klagt er nun gegen die Journalisten insbesondere deshalb, weil sie Kontakt zum Verlag des StGB-Kommentars aufgenommen und versucht haben soll, ihn „anzuschwärzen“.
Schutz der Meinungsfreiheit?
Fischer begehrt nun, dass Mayr ihre getätigten Aussagen widerruft. Mayr sieht hierin aber eine Verletzung der Meinungsfreiheit aus Art. 5 I GG.
Art. 5 I 1 GG:
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.
Bei diesem Jedermann-Grundrecht steht an zentraler Stelle der Begriff der Meinung:
Unter Meinung ist ein Werturteil zu verstehen, das durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt ist.
Wer eine Meinung äußert, charakterisiert also seine subjektive Beziehung zum Inhalt seiner Aussage. Eine Meinung kann deshalb nicht unwahr oder wahr sein. Wesentlicher Bestandteil des Grundrechts ist aber auch die Unterscheidung zwischen einer Tatsachenbehauptung und einem Werturteil. Genau davon hängt auch der Rechtsstreit Fischer ./. Mayr ab, also ob die Äußerungen der Journalistin als bloße Werturteile einzustufen oder doch als Tatsachenbehauptungen anzusehen sind. Tatsachenbehauptungen werden im Unterschied zu Werturteilen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert. Deshalb sei der Wahrheitsgehalt von Tatsachenbehauptungen stets überprüfbar. Aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit fallen solche Tatsachenbehauptungen heraus, die nicht die Grundlage einer Meinungsbildung sind, sondern die erwiesen oder erkenntlich unwahre Behauptungen darstellen. Wie sieht es also aus: Lebt Tröndles Geist tatsächlich in Fischers Worten weiter?
Wie sieht es denn nun aus?
Die Vorwürfe der Journalistin stützen sich vor allem darauf, dass sich die Kommentierung von § 219a StGB nicht geändert hat. Sie beginne damit, die Vorschrift wolle
„verhindern, dass der Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt und kommerzialisiert wird.“
Diese Kommentierung ist zwar Wortgleich geblieben – so stand es auch schon unter Tröndle in dem Werk. Fischer erklärt aber, dass es sich hier um keine persönliche Rechtsauffassung von Tröndle oder Fischer handle, sondern um ein Zitat aus der Gesetzesbegründung von 1974. Eine solche dürfe nicht in StGB-Kommentaren fehlen, da sie für die aktuellen Verwender – also Richter, Staatsanwälte und Strafverteidiger – ein wertvolles Werkzeug bietet. Die Rede ist von der Auslegung: Was war der ursprüngliche Zweck eines Gesetzes?
Das LG Karlsruhe hat sich mit der Kommentierung zu § 219a StGB befasst und kommt bislang zu dem Entschluss, dass sich Fischer von Tröndles Äußerungen – die dem Zitat aus der Gesetzesbegründung damals folgten – distanziert und entsprechend geändert habe. Fischer selbst betonte, dass er mit Tröndle nichts zu tun gehabt habe und es in den vergangenen Jahrzehnten zu keinen Gesprächen zwischen den beiden Juristen gekommen sei. In diesem Punkt wird sich Thomas Fischer wohl behaupten können, da die Journalistin ihm diesbezüglich keinen Vorwurf machen darf.
Anders könnte es aber mit der Aussage aussehen, dass der Kommentar „schlecht für die Rechtsprechung“ sei – Mayrs Verteidiger machte deutlich, dass manche Aussagen der streitenden Parteien in der „Hitze des Gefechts“ fielen – in solchen Fällen seien die Gerichte „großzügiger“, schätzte der Rechtsbeistand ein. Er betonte:
Wenn man sich als Kommentator in die Öffentlichkeit begibt, dann muss man auch scharfe Kritik ertragen.
Eine Urteilsverkündung ist für den 27. September datiert. Wir sind gespannt wie das Landgericht Karlsruhe urteilt – es soll aber bereits eine leichte Tendenz zu Fischer signalisiert haben. Klar ist aber: § 219a StGB sorgt mal wieder für Aufregung.
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