BVerwG zum Schreddern männlicher Küken

BVerwG zum Schreddern männlicher Küken

Wirtschaftliche Interessen allein können den Tierschutz nicht ausblenden – oder doch?

Mit dieser Frage hat sich das Bundesverwaltungsgericht in den letzten Tagen beschäftigt. Das Thema ist aber nicht erst jetzt hoch aktuell. Seit Jahren gibt es Streit darüber, ob das Töten von männlichen Eintagsküken rechtlich zulässig ist.Schließlich ist seit 2002 der Tierschutz als Staatsziel in unserem Grundgesetz verankert. Wie passt das zusammen?

 

Worum geht es?

Seit Jahren sorgt das Thema für Aufsehen: Männliche Küken sind für die Fleisch- und Eierproduktion nicht geeignet. Deshalb gehört es zum landwirtschaftlichen Alltag, dass die Küken nach ihrem Schlüpfen getötet werden. 45 Millionen männliche Tiere werden jedes Jahr in Deutschland getötet, erstickt, geschreddert und zu Tierfutter weiterverarbeitet, weil das Großziehen sich angeblich nicht lohnen würde. Gerade durch die brutale Art und Weise des Tötens hat das landwirtschaftliche Verfahren enorme mediale Aufmerksamkeit bekommen. Wenn man weiter darüber nachdenkt, kommt man doch ein wenig ins Stocken und fragt sich, wie das mit unserem Grundgesetz denn überhaupt vereinbar sein kann. In Art. 20a GG, in dem die natürlichen Lebensgrundlagen geschützt sind, wurde 2002 doch „und die Tiere“ eingefügt:

Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere (…).

In diesem Zusammenhang ist das Tierschutzgesetz (TierSchG) maßgebend, insbesondere dessen erster Abschnitt, der Grundsatz:

** 1 TierSchG:**Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.

Rechtlicher, politischer und sozialer Dreh- und Angelpunkt der Norm ist das Tatbestandsmerkmal „ohne vernünftigen Grund“. Wann liegt ein vernünftiger Grund vor, der das Töten vertreten lässt? Generell wird die Norm bisher vorrangig auf Einzelfälle von Tierquälerei angewendet. Die Zustände in der Massentierhaltung haben bisher eine schützende Hand über sich gehabt – die Hand der Gerichte. Sie sahen die wirtschaftlichen Interessen der Betriebe grundsätzlich als einen solchen vernünftigen Grund an.  

OVG Münster – Regiert Geld die Welt?

Eines dieser Gerichte war das OVG Münster im Jahr 2016. In einem Verfahren wehrte sich ein Landwirt in NRW dagegen, dass sein Vorgehen nicht mit § 1 TierSchG im Einklang stünde. Das OVG Münster sah beim Töten von männlichen Küken keine Verletzung des § 1 TierSchG, weshalb es nicht verboten werden dürfte. Zwar erkennt das Gericht, dass den Küken durch die Tötung unumkehrbar der größtmögliche Schaden für ihre körperliche Unversehrtheit zugefügt wird. Doch das Gericht hielt die wirtschaftlichen Interessen des Klägers für gewichtiger. Seine wirtschaftlichen Interessen wiegen wegen der grundgesetzlich gewährleisteten Berufsfreiheit besonders schwer – schwerer als der Tierschutz. Schließlich erfolge das Töten im Rahmen der landwirtschaftlichen erwerbswirtschaftlichen Betätigung und der Kläger trug vor, dass er durch ein Verbot nicht mehr wettbewerbsfähig wäre. In dem Urteil des OVG Münster wird deutlich gemacht, dass der Tierschutz an dieser Stelle als nachrangig zu behandeln ist.
Das OVG bezeichnete das Aufziehen und Halten männlicher Küken als „ökonomisch sinnlos“ und das Töten der Küken als „ökonomisch sinnvoll“. Der Standpunkt des OVG war offensichtlich.

 
**Das Bundesverwaltungsgericht denkt neu:**Es hat sich nun mit der Frage beschäftigt, ob wirtschaftliche Interessen und damit verbundene Verbraucherinteressen an preisgünstigen Eiern vernünftige Gründe sein können und stellt dabei klar:

Im Lichte des im Jahr 2002 in das Grundgesetz aufgenommenen Staatsziels Tierschutz beruht das Töten der männlichen Küken für sich betrachtet nach heutigen Wertvorstellungen nicht mehr auf einem vernünftigen Grund. Die Belange des Tierschutzes wiegen schwerer als das wirtschaftliche Interesse der Brutbetriebe, aus Zuchtlinien mit hoher Legeleistung nur weibliche Küken zu erhalten.

 

Kein sofortiges Verbot, sondern Übergangsregelung

Tierschützer könnten zunächst erleichtert sein – aber nur kurz, denn in der Praxis ändert sich erst einmal nichts. Das Bundesverwaltungsgericht lässt Ausnahmen zu und untersagt trotz seines klaren Wortlautes nicht sofort das Töten der männlichen Küken. Wieso?

Zunächst ist das Bundesverwaltungsgericht überzeugt, dass es „in näherer Zukunft“ Technologien geben wird, die das Geschlecht des Kükens noch im Ei bestimmen können. Dadurch können Eier mit männlichen Embryonen vernichtet werden, bevor diese schlüpfen. Unsere aktuelle Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) geht davon aus, dass die Technologie ab 2020 in Deutschland zur Verfügung stehen kann.

Dann ist ein weiterer Grund für die „Übergangsregelung“, dass das Töten von den Küken jahrelange Praxis war. Es wurde jahrelang geduldet und genau dieses Dulden – in der ganzen EU – sorgt dafür, dass kein sofortiges Verbot für das Massentöten verhängt wurde.

Die bisherige Praxis wurde allerdings – ausgehend von einer damaligen Vorstellung entsprechenden geringeren Gewichtung des Tierschutzes – jahrzehntelang hingenommen. Vor diesem Hintergrund kann von den Brutbetrieben eine sofortige Umstellung ihrer Betriebsweise nicht verlangt werden.

 
Das Gericht führt aus, dass man von den Betrieben nicht verlangen könne, zunächst eine Aufzucht männlicher Küken zu ermöglichen, um dann wenig später ein Verfahren zur Geschlechtererkennung im Ei einzurichten. Auch diese Überlegung ist unter den Bestimmungen des Tierschutzgesetzes zu prüfen – nach Ansicht des Gerichts stellt die Vermeidung einer aufwändigen und doppelten Umstellung „erneut“ einen vernünftigen Grund für das Töten der Küken i.S.d. § 1 TierSchG dar.

Obwohl in dem Urteil vom Bundesverwaltungsgericht eine Aufwertung des Staatsziels des Tierschutzes erkennbar ist, wird das Urteil, insbesondere die „Übergangsregelung“, kritisiert – das verfassungsrechtliche Gebot des Tierschutzes sei nicht deutlich genug herausgearbeitet worden.

Die schriftliche Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgericht steht noch aus.