BGH zur Ablehnung eines Beweisantrags wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit

A. Sachverhalt (leicht vereinfacht)

Das Landgericht hat den Angeklagten S wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit besonders schwerer räuberischer Erpressung, mit vorsätzlicher Körperverletzung und mit gefährlicher Körperverletzung, wegen “vorsätzlichen unerlaubten Besitzes von Munition und verbotenen Gegenständen nach § 2 III WaffG” sowie wegen “vorsätzlichen unerlaubten Besitzes in Tateinheit mit unerlaubter Mitnahme von verbotenen Gegenständen nach § 2 III WaffG” zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Gegen den Mitangeklagten H hat es wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit besonders schwerer räuberischer Erpressung, mit gefährlicher Körperverletzung und mit vorsätzlicher Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verhängt.

Nach den Urteilsfeststellungen schlug am 28. September 2017 der Angeklagte H gemäß dem mit dem Mitangeklagten S verabredeten Tatplan, Geld oder geldwerte Gegenstände zu erlangen, in Gegenwart des gesondert verfolgten K einem der beiden Tatopfer, dem AT, mit der Faust gegen dessen Auge. Das blutende Auge musste nach der Tat im Krankenhaus behandelt werden. Der Angeklagte S, der zuvor eine unechte Pistole gegen das zweite Tatopfer, den BT, gerichtet hatte, stieß AT mit einem Beil gegen die hintere Schulterseite und drohte beiden Opfern, sie mit dem Beil zu töten. Daher übergab BT aus Furcht seine Halskette dem Angeklagten S; dem AT riss der Angeklagte S eine ähnliche Kette vom Hals.

Die Angeklagten haben diesen Tatvorwurf in der Hauptverhandlung abgestritten. Seine Überzeugung stützt das Landgericht vornehmlich auf die Angaben der beiden Geschädigten.

Der Angeklagte S hat in der Hauptverhandlung beantragt, den Zeugen Ke. zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, der Angeklagte H habe nach der Tat nicht jenem gegenüber gesagt, “wenn er (der Angeklagte H) von der Polizei abgeholt werde, würden die anderen beiden ihn (den AT) platt machen”. Solches hatte aber der Geschädigte AT gegenüber einem polizeilichen Vernehmungsbeamten nach dessen Vermerk vom 4. Oktober 2017 geäußert. Damit hat die Verteidigung des Angeklagten S - neben weiteren ähnlich gelagerten Beweisanträgen - ersichtlich die Glaubwürdigkeit des Zeugen AT angreifen wollen. Das Landgericht hat diesen Antrag mit der Begründung abgelehnt, die Beweistatsache sei aus tatsächlichen Gründen für die Entscheidung ohne Bedeutung. Selbst wenn diese Tatsache erwiesen sei, folge daraus nicht, dass der Zeuge AT die Unwahrheit gesagt habe.

 

B. Die Entscheidung des BGH (Beschl. v. 19.12.2018 – 3 StR 516/18)

Die Revision ist begründet, soweit das Urteil auf einer Verletzung des Rechts beruht (§ 337 StPO), wobei das Urteil bei einem Rechtsfehler im Sinne von § 338 StPO stets als auf der Gesetzesverletzung beruhend anzusehen ist (sogenannter absoluter Revisionsgrund).

 

I. Rechtsfehler

Das Landgericht könnte § 244 III 2 Var. 2 StPO verletzt haben, wenn es einen Beweisantrag nicht ordnungsgemäß abgelehnt hat.

Dazu müsste zunächst ein ordnungsgemäßer Beweisantrag i.S.v. § 244 III 2 StPO vorliegen. Hierunter versteht man das Verlangen des Antragstellers, über eine bestimmte, die Schuld oder Rechtsfolgen der Tat betreffende Tatsachenbehauptung mit einem gesetzlich bestimmten Beweismittel Beweis zu erheben, wobei drei Voraussetzungen erfüllt sein müssen:

 1. Es darf sich nicht nur um eine bloße Anregung handeln.

 2. Im Antrag muss eine konkrete, genau bestimmte Tatsache benannt werden, über welche Beweis erhoben werden soll.

 3. Es kommen nur Beweismittel des Strengbeweises in Betracht, zudem muss das Beweismittel genau bezeichnet sein. Dabei muss eine sogenannte Konnexität zwischen Beweisziel und Beweismittel bestehen: Der Antrag muss erkennen lassen, weshalb gerade dieses Beweismittel zum Beweis der benannten Tatsache tauglich ist.

 

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Dass der Wortlaut des Antrags auf eine Negativtatsache gerichtet ist („H habe etwas nicht gesagt“) stehe dem nicht entgegen:

„Der Antrag ist seinem Wortlaut nach zwar auf eine sogenannte Negativtatsache gerichtet. Dennoch stellt er eine bestimmte Tatsache unter Beweis, denn er ist bei verständiger Auslegung dahin zu verstehen (vgl. LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 117 mwN), der Angeklagte H. habe nach der Tat nur zu anderen Personen Kontakt aufgenommen oder im Falle eines Zusammentreffens mit Ke. habe er diesem anderes berichtet.“

Nach § 244 III 2 Var. 2 StPO darf der Beweisantrag abgelehnt werden, wenn die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist. Diese Bedeutungslosigkeit kann sich aus Rechtsgründen oder aus tatsächlichen Gründen ergeben. Hier kommt nur Letzteres in Betracht, wobei es dann nur um bedeutungslose sogenannte Indiztatsachen gehen kann. Indiztatsachen (oder Hilfstatsachen) sind solche, aus denen sich nicht unmittelbar die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands ergibt, ihr Vorliegen jedoch darauf hindeutet oder im umgekehrten Fall dagegenspricht. Demgegenüber können Haupttatsachen, die ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal unmittelbar ausfüllen, niemals bedeutungslos sein. Der BGH stellt zunächst die Anforderungen an eine Ablehnung von Beweisanträgen als wegen für die Entscheidung aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos dar:

„Zwar darf das Tatgericht Indiz- oder Hilfstatsachen als für die Entscheidung tatsächlich bedeutungslos erachten (§ 244 Abs. 3 Satz 2 Variante 2 StPO), wenn es aus diesen eine mögliche Schlussfolgerung, die der Antragsteller erstrebt, nicht ziehen will. Hierzu ist die unter Beweis gestellte Tatsache so, als sei sie erwiesen, in das aufgrund der bisherigen Beweisaufnahme erlangte Beweisergebnis einzustellen und im Wege einer prognostischen Betrachtung zu prüfen, ob hierdurch seine bisherige Überzeugung - gegebenenfalls in Anwendung des Zweifelsatzes - in einer für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch bedeutsamen Weise erschüttert würde (LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 220). Diese antizipierende Würdigung ist in dem den Antrag ablehnenden Beschluss (§ 244 Abs. 6 StPO) näher darzulegen. Denn dieser hat zum einen den Antragsteller sowie die weiteren Prozessbeteiligten so weit über die Auffassung des Tatgerichts zu unterrichten (“formalisierter Dialog”), dass diese sich auf die neue Verfahrenslage einstellen und das Gericht von der Erheblichkeit der Beweistatsache überzeugen oder aber neue Anträge mit demselben Beweisziel stellen können; zum anderen muss der Ablehnungsbeschluss dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglichen, ob der Beweisantrag rechtsfehlerfrei zurückgewiesen worden ist sowie ob seine Feststellungen und Schlussfolgerungen mit denjenigen des Urteils übereinstimmen. Deshalb ist mit konkreten Erwägungen zu begründen, warum das Tatgericht aus der Beweistatsache keine entscheidungserhebliche Schlussfolgerung ziehen will.

Nach diesen Maßstäben erweist es sich in aller Regel als rechtsfehlerhaft, wenn die Ablehnung wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit allein auf die Aussage gestützt wird, die unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache ließe keinen zwingenden, sondern lediglich einen möglichen Schluss zu, den das Gericht nicht ziehen wolle (…).“

Danach habe das Landgericht § 244 III 2 StPO verletzt:

„Das Tatgericht hat nicht begründet, warum es dem Zeugen AT zum Tatgeschehen weiterhin geglaubt hat, auch wenn dieser zum Randgeschehen gelogen haben sollte. Es hätte die für die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen sprechenden Gesichtspunkte und gegebenenfalls die weiteren Umstände, auf die es in den Urteilsgründen rechtsfehlerfrei seine Überzeugungsbildung gestützt hat (§ 261 StPO), bereits in seinem Ablehnungsbeschluss mitteilen müssen. Freilich kann und muss die Beschlussbegründung in der Regel weder die Ausführlichkeit noch die Tiefe der Beweiswürdigung der späteren Urteilsgründe aufweisen; die wesentlichen Hilfstatsachen wären indes jedenfalls in Grundzügen mitzuteilen gewesen. Nur dann hätte sich die Verteidigung auf die Umstände, die nach Ansicht des Landgerichts für die Glaubwürdigkeit des Zeugen AT sprachen, einstellen und diese gegebenenfalls mit weiteren Beweisanträgen angreifen können.“

Ein Rechtsfehler i.S.v. § 337 I StPO liegt damit vor.

 

II. Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfehler

Das Urteil beruhe auf dem Verfahrensfehler (§ 337 I StPO):

„Es ist nicht auszuschließen, dass der Antragsteller auf eine den Anforderungen des § 244 Abs. 6 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 Variante 2 StPO genügende Begründung des Ablehnungsbeschlusses in einer für den Schuldspruch erheblichen Weise hätte reagieren können, naheliegend mit weiteren Beweisanträgen. Dem Beschluss hat er zwar entnehmen können, dass das Landgericht den Zeugen ungeachtet einer Lüge zum Nachtatgeschehen für glaubwürdig gehalten hat. Der Angeklagte S. hatte jedoch ein berechtigtes Interesse daran, die dafür maßgeblichen Umstände zu erfahren, um diese zum Gegenstand seines weiteren Prozessverhaltens machen zu können.“

 

C. Fazit

Solche „kleinen, aber feinen“ Entscheidungen sind hervorragend geeignet, um sich das im Assessorexamen wichtige Revisionsrecht exemplarisch vor Augen zu führen. Nicht selten werden solche Entscheidungen auch in Prüfungsaufgaben eingebaut.