BGH zur Härtefallklausel im Mietrecht

BGH zur Härtefallklausel im Mietrecht

Beide Fälle müssen nun vor den Landgerichten neu verhandelt werden

Der Bundesgerichtshof hat vergangene Woche (22.05.2019) gleich zwei mietrechtliche Rechtsstreitigkeiten an die jeweiligen Berufungsinstanzen zurückverwiesen und dabei seine Rechtsprechung zu §§ 574, 574a BGB (Härteklausel) präzisiert. Die Entscheidungen sind insbesondere deshalb so interessant, da sie sich mit dem im Mietrecht kollidierenden, grundrechtlichen Interessen der Kläger und Mieter befassen. In den Entscheidungen rügte der Senat außerdem, die unsorgfältigen Sachverhaltsaufklärungen der Gerichte.

 

Worum geht es?

Konkret bezogen sich die Entscheidungen auf zwei ähnlich gelagerte Fälle. Im ersten Fall ging es um eine Wohnung in Berlin, die die heute 82-jährige Beklagte mit ihren zwei erwachsenen Söhnen seit 1974 bewohnt. Im Jahre 2015 hatte der Kläger und Vater von zwei Kleinkindern, der mit seiner Frau und den Kindern derzeit in einer kleineren Wohnung zur Miete wohnt, die Wohnung zur Eigennutzung erworben. Gegen die von ihm ausgesprochene Kündigung des Mietverhältnisses aufgrund von Eigenbedarfs gemäß § 573 II Nr. 2 BGB legte die Beklagte gemäß ** 574 I BGB** Widerspruch ein. Sie berief sich dabei insbesondere auf ihr Alter, ihre Verwurzelung in der Umgebung und auf die fortschreitende Demenz, die ihr einen Neuanfang in einer anderen Umgebung deutlich erschweren solle. Laut eines Attestes, das der Berufungsinstanz vorgelegt wurde, leidet die Beklagte seit 1-2 Jahren an Demenz, die ihr das Erlernen neuer Routinen nur bedingt ermögliche. Durch einen Umzug werde zudem eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes befürchtet.

Im zweiten Fall ging es um eine Doppelhaushälfte in der Nähe von Halle. Diese wurden von den zwei Beklagten seit 2006 gemietet. Neben den beiden Beklagten lebte auch der volljährige Sohn der Beklagten und der Bruder des Beklagten, dessen Leben von verschiedenen „Einschränkungen seiner Alltagskompetenz“ (Wortlaut Pressemitteilung) geprägt ist, in der Doppelhaushälfte. Aufgrund der Einschränkungen (u.a. Alkoholismus, Schizophrenie, Demenz) wurde der Bruder des Beklagten in die Pflegestufe II eingeordnet. Und auch in diesem Fall kündigte der Kläger das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs, denn einziehen sollte seine von ihm in Scheidung und bisher in Bayern lebende Ehefrau, um sich besser um die in der näheren Umgebung lebende Großmutter kümmern zu können. Die Beklagten erhoben hiergegen Widerspruch gemäß § 574 BGB und merkten an, dass die Kündigung nur unter dem Deckmantel des Eigenbedarfs geschehe. Tatsächlich ginge es um Mängelstreitigkeiten bezüglich des Mietobjektes. Darüber hinaus machten sie geltend, dass sich ein Umzug verschlechternd auf den gesundheitlichen Zustand des erkrankten Bruders auswirken würde, was sie durch ein psychiatrisches Attest belegten.

 

Entscheidungen der Berufungsgerichte

Im ersten Fall urteilte das Landgericht, dass durch den Kläger zwar grundsätzlich eine wirksame Eigenbedarfskündigung ausgesprochen wurde, diese aber wegen besonderer Härte gemäß § 574a I BGB auf unbestimmte Zeit zurückstehen müsse. Die Räumungsklage des Klägers wurde somit abgewiesen.

Im zweiten Fall hat das Landgericht Halle hingegen der Räumungsklage auch ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens bezüglich der Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Bruders stattgegeben. Eine Einholung eines solchen Gutachtens wurde von Beklagtenseite im Prozess beantragt, nach Ansicht der Kammer ergab sich allerdings schon aus dem psychiatrischen Attest kein Härtefall.

 

Entscheidung des BGH

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, der unter anderem für Wohnraummietrecht zuständig ist, richtete sich vergangene Woche mit einer recht eindeutigen Nachricht an die Gerichte, hob die Entscheidungen auf und verwies die Rechtsstreite zurück an die jeweiligen Landgerichte. Dem Senat ging es dabei insbesondere um die Sachverhaltsaufklärung durch die zuständigen Kammern. In der einschlägigen Pressemitteilung des BGH heißt es mit Blick auf die grundrechtlich geschützten Interessen sowohl auf Klägerseite (Eigentumsfreiheit, Art. 14 GG) als auch auf Beklagtenseite (Gesundheit, Recht auf körperliche Unversehrtheit, Art. 2 II GG), dass „eine umfassende Sachverhaltsaufklärung sowie eine besonders sorgfältige Abwägung dahingehend erforderlich seien, ob im jeweiligen Einzelfall die Interessen des Mieters an der Fortsetzung des Mietverhältnisses diejenigen des Vermieters an der Beendigung überwiegen (§ 574 I BGB)“.  

Keine expliziten Fallgruppen

Explizite Fallgruppen möchte der BGH aber auch dieses Mal den unteren Gerichten nicht an die Hand geben und legt wie bereits in vorangegangenen Entscheidungen dar, dass sich verschiedene Faktoren wie Alter, Krankheit und Verwurzelung in der Umgebung unterschiedlich auf unterschiedliche Persönlichkeiten auswirken. Aus diesem Grunde sei die Annahme eines Härtefalles ausschließlich aufgrund dieser Faktoren nicht vorzugswürdig. Bei der Sachverhaltsanalyse bezüglich eines möglichen Härtefalles sei vielmehr eine sorgfältige Arbeitsweise von Nöten. Wenn Zweifel bestehen oder „beim Fehlen eigener Sachkunde“ müssten die Richter deshalb ein Sachverständigengutachten einholen, was mögliche Wissenslücken schließt und/oder Zweifel am Vorliegen eines Härtefalls behebt.
 
Der Senat präzisierte seine Rechtsprechung nun dahingehend, als dass das Sachverständigengutachten regelmäßig von Amts wegen einzuholen ist. Dies gilt zumindest dann, wenn die Beklagten bereits die ärztlich attestierte Besorgung eingebracht haben, dass sich der Gesundheitszustand der betroffenen Person verschlechtern wird. Und auch bezüglich des Inhaltes des Sachverständigengutachtens gibt der BGH eine Richtung vor: Der Sachverständige soll unter anderem auch Ausführungen dazu treffen, inwiefern das persönliche bzw. ärztliche Umfeld des oder der Betroffenen zu einer möglichen Milderung der Effekte eines Umzuges beitragen könnte.

Konkret auf die beiden Fälle bezogen, merkt der Senat an, dass den Klägerinteressen im ersten Fall schematisch zu wenig Gewicht zugesprochen wurde, während sich die Richter im zweiten Fall noch nicht einmal mit dem Vorwurf beschäftigten, ob der Eigenbedarf nur ein Vorwand sei. Beide Fälle werden nun vor den Landgerichten neu verhandelt.