BGH zur Wegnahme von kleinen, leicht transportablen Sachen

A. Sachverhalt (leicht vereinfacht)

A nimmt in einem Rewe-Markt vier Flaschen Jägermeister und zwei Flaschen Bacardi aus den Warenträgern, legt sie zunächst in einen Einkaufskorb und dann in eine von ihm mitgeführte Sporttasche, um sie ohne Bezahlung für sich zu behalten.

Strafbarkeit des A?

 

B. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 6.3.2019 – 5 StR 593/18)

A könnte sich wegen Diebstahls gemäß § 242 I StGB strafbar gemacht haben, indem er vier Flaschen Jägermeister und zwei Flaschen Bacardi in eine von ihm mitgeführte Sporttasche legte, um sie ohne Bezahlung für sich zu behalten.

 

I. Objektiver Tatbestand

A müsste eine fremde bewegliche Sache weggenommen haben. Die Flaschen standen nicht im Alleineigentum des A und waren für ihn damit fremd. Fraglich ist, ob er die Flaschen weggenommen hat.

Unter Wegnahme versteht man den Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendiger Weise tätereigenen Gewahrsams. Gewahrsam ist die von einem natürlichen Willen getragene tatsächliche Sachherrschaft, wobei sich der Umfang der Sachherrschaft nach der Verkehrsauffassung bestimmt. Bestehen objektiv keine Hindernisse, den Willen zur unmittelbaren Einwirkung auf die Sache zu verwirklichen, liegt die tatsächliche Sachherrschaft vor, wobei eine räumliche Nähe zur Sache nicht bestehen muss. Vielmehr genügt es, wenn die Sachherrschaft bei einer räumlichen Trennung im Bereich des sozial Üblichen für eine bestimmte Zeit ausgeübt werden kann. Danach hatte der Inhaber des Rewe-Marktes Gewahrsam an den im Regal befindlichen Flaschen.

An den Flaschen müsste A neuen Gewahrsam begründet haben. Für die Frage des Wechsels der tatsächlichen Sachherrschaft ist entscheidend, dass der Täter diese derart erlangt, dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben kann und dieser über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters zu brechen. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach ständiger Rechtsprechung nach den Anschauungen des täglichen Lebens.

Der BGH erinnert daran, dass insoweit danach zu unterscheiden sei, ob es sich bei dem Diebesgut um umfangreiche, namentlich schwere Sachen handelt, deren Abtransport mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, oder ob es nur um kleine, leicht transportable Gegenstände geht. Im letzteren Falle könne der Täter in generell beherrschten Räumen (wie Supermärkten) sogenannte Gewahrsamsenklaven begründen:

„Bei unauffälligen, leicht beweglichen Sachen, wie etwa bei Geldscheinen sowie Geld- und Schmuckstücken, lässt die Verkehrsauffassung für die vollendete Wegnahme schon ein Ergreifen und Festhalten der Sache genügen. Steckt der Täter einen Gegenstand in Zueignungsabsicht in seine Kleidung, so schließt er allein durch diesen tatsächlichen Vorgang die Sachherrschaft des Bestohlenen aus und begründet eigenen ausschließlichen Gewahrsam. Die Verkehrsauffassung weist daher im Regelfall einer Person, die einen Gegenstand in der Tasche ihrer Kleidung trägt, die ausschließliche Sachherrschaft zu, und zwar auch dann, wenn er sich noch im Gewahrsamsbereich des Berechtigten befindet (…).“

Das überträgt der BGH auf ohne Weiteres transportable, handliche und leicht bewegliche Sachen, wenn der der Täter sie in einem Geschäft in eine von ihm mitgeführte Hand-, Einkaufs-, Akten- oder ähnliche Tasche steckt:

„[H]ierdurch bringt er sie in ebensolcher Weise in seinen ausschließlichen Herrschaftsbereich wie beim Einstecken in seine Kleidung (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 1961 - 2 StR 289/61 , BGHSt 16, 271, 274 f. ; ebenso für ein in der Wohnung des Besitzers nebst Ladekabeln in einen Jute-Beutel gestecktes Notebook BGH, Beschluss vom 16. September 2014 - 3 StR 373/14 , NStZ 2015, 276). Ob er hierbei die Aussicht hat, den Gewahrsam längere Zeit aufrechtzuerhalten, ist für die Frage, ob die Wegnahme vollendet ist, ohne Belang (RG, aaO), denn die Tatvollendung setzt keinen gesicherten Gewahrsam voraus (BGH, Urteile vom 26. Juni 2008 - 3 StR 182/08 , NStZ 2008, 624, und vom 18. Februar 2010 - 3 StR 556/09 , NStZ 2011, 158, 159).“

 

Das Einstecken der Flaschen in die Sporttasche diente dem Verbergen vor möglichen Beobachtern. Die Tasche war geeignet, einen unproblematischen Abtransport der Beute zu ermöglichen und zudem den Berechtigten von einem ungehinderten Zugriff auf seine Ware auszuschließen. Der Ladeninhaber hätte seinerseits in die Herrschaftsgewalt des A eingreifen müssen, um wieder über die Flaschen verfügen zu können. Damit hat A neuen Gewahrsam an den Flaschen begründet.

Der Gewahrsamswechsel vollzog sich auch ohne Einverständnis des Ladeninhabers, weswegen er durch Bruch geschah. A hat die Flaschen damit weggenommen.

 

II. Subjektiver Tatbestand

A handelte vorsätzlich und mit der Absicht, sich die Flaschen rechtswidrig zuzueignen.

 

III. Rechtswidrigkeit und Schuld

A handelte rechtswidrig und schuldhaft.

 

D. Fazit

Diebstahl gehört zum Kernbereich des strafrechtlichen Prüfungsstoffs. Insbesondere Ladendiebstähle bieten zahlreiche Möglichkeiten und Fallvarianten, um dieses Pflichtwissen abzuprüfen. Hier solltest Du keinen „Mut zur Lücke“ haben, sondern sattelfest sein. Dieser Fall bietet hinreichend Anlass, sich mit der Wegnahme im Besonderen und dem Diebstahl im Allgemeinen intensiv auseinanderzusetzen.

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