Der Umwelt- und Tierschutz im Grundgesetz

Der Umwelt- und Tierschutz im Grundgesetz

Knapp ein halbes Jahrhundert nach Erlass des Grundgesetzes

In etwa zwei Wochen am 23. Mai 2019 feiern wir den 70. Geburtstag unseres Grundgesetzes - erst ein Provisorium und heute schon fast eine weltliche Staatsreligion. Zwar gibt es in Europa sogar einen Staat, der bisweilen auch ganz gut ohne eine geschriebene Verfassung auskommt - Großbritannien. Andere Länder hingegen haben bereits dutzende verschiedene Verfassungen verabschiedet, wie etwa Frankreich seit der Revolution 1789. Aber auch Deutschland hat sich in den vergangenen 150 Jahren an mehreren Verfassungen versucht. Die beste unter ihnen besteht seit nunmehr 70 Jahren. Ganz unverändert blieb sie seitdem jedoch nicht: Zu den jüngsten Änderungen gehört der Umwelt- und Tierschutz in Art. 20a GG, der für die junge Generation von Juristen in Zeiten des Klimawandels eine nicht mehr wegzudenkende Staatszielbestimmung in unserem Grundgesetz darstellt.
Doch wie kam es dazu, dass Umwelt- und Tierschutz erst knapp ein halbes Jahrhundert nach Erlass des Grundgesetzes hinzugefügt wurden? Was hatte das berühmte Schächt-Urteil, das bundesweit für Aufsehen sorgte, damit zu tun? Und was genau regelt Art. 20a GG eigentlich?

 

Worum geht es?

„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.” (Art. 20a GG)

Art. 20a GG wurde am 15. November 1994 in das Grundgesetz aufgenommen. Seitdem bindet die Staatszielbestimmung alle drei Gewalten an die dort niedergeschriebene Schutzpflicht des Staates. Trotz steigendem Umweltbewusstsein in der Bevölkerung seit den 1970ern war der Weg zum Art. 20a GG jedoch nicht so einfach. Dies lag insbesondere an vielen Unstimmigkeiten zwischen den Parteien. Denn während die SPD und die Grünen in den 1970ern und Anfängen der 1980er zunächst ein Umwelt-Grundrecht forderten (dies hätte den Vorteil gehabt, dass z.B. Umweltverbände bei Verstößen hätten klagen können), stimmte die CDU gegen jegliche Bemühungen.
 
1983 wurde dann unter Ablehnung der Einführung eines solchen Grundrechtes die Einführung eines Staatsziels von einem Sachverständigengremium des Innenministeriums vorgeschlagen. Während sich innerhalb der SPD durchaus Zuspruch für die Einführung des objektiven Rechts fand, lehnte die CDU das Vorhaben jedoch zunächst weiter konsequent ab. Und auch nachdem die CDU schließlich doch umgestimmt werden konnte, wurde jahrelang um die genaue Umsetzung – sprich den Wortlaut – der Staatszielbestimmung gestritten. Im Jahre 1993 – immerhin knapp 10 Jahre und eine Wiedervereinigung später – konnte sich eine Verfassungskommission dann endlich auf eine Kompromisslösung einigen und Art. 20a GG wurde in seiner damaligen Form 1994 in unsere Verfassung aufgenommen.  

Vom Schächten zum Tierschutz

Bis der Tierschutz der Staatszielbestimmung hinzugefügt wurde, sollten trotz erheblicher Bemühungen von Bündnis 90/Die Grünen nochmals etliche Jahre vergehen. Genauer gesagt acht, denn erst im Jahr 2002 fand der Tierschutz seinen Weg in unser Grundgesetz. Nicht zuletzt ausschlaggebend war das bundesweit für Aufsehen erregende Schächt-Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Januar 2002. In dem Fall hatte ein muslimischer Metzger mit Hinweis auf seine Religionsfreiheit aus Art. 4 GG gegen das bis dato verbotene Schächten geklagt und gewonnen. Denn: Die Richter in Karlsruhe wägten die involvierten Güter ab und stellten fest, dass lediglich die Religionsfreiheit Verfassungsrang genieße, nicht aber der Tierschutz. Da das Urteil eine erhebliche gesellschaftliche Aufmerksamkeit erhielt, fand ein Umdenken auch innerhalb der Parteien statt. Im Anschluss trugen sodann alle Parteien die Verfassungsänderung und der Tierschutz wurde zum 1. August 2002 als Staatszielbestimmung in unser Grundgesetz hinzugefügt.

Zugegeben ist Art. 20a GG trotz seiner allzu großen Bedeutung für unseren Planeten kein besonders examensrelevanter Artikel. Dennoch lohnt es sich, einmal einen Blick auf den Artikel zu werfen. Denn der Umwelt- und Tierschutz kann Dir in einer Prüfung immer dann begegnen, wenn in einer Abwägung nach anderen Gütern von Verfassungsrang gefragt ist. Dabei ist es wichtig, sich die Staatszielbestimmung als objektives Recht zu vergegenwärtigen. Der Einzelne kann folglich keine Rechte aus der Bestimmung ableiten.  

Abgrenzung von natürlichen und technischen Lebensgrundlagen

Die „eine“ Definition, der in Art. 20a GG erwähnten „natürlichen Lebensgrundlagen“, gibt es nicht. Wichtig ist im Sinne juristischen Schrifttums jedoch, dass die natürlichen Lebensgrundlagen insbesondere von technischen Lebensgrundlagen abgegrenzt werden und darunter alles verstanden wird, was nicht auf „menschlicher Erzeugung“ beruht. ** 2 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung** listet dabei eine Reihe von Gütern auf, die als natürliche Lebensgrundlagen gelten und kann hervorragend als Hilfe in der Klausur dienen. Die staatliche Schutzpflicht ist dabei vielseitig, vor allem sollen jedoch die natürlichen Lebensgrundlagen vor zerstörerischen Eingriffen und Gefahren geschützt werden. Hier können insbesondere im Baurecht klausurrelevante Probleme entstehen. Aber auch der Erhalt der Artenvielfalt und Schutz der vom Aussterben bedrohten Pflanzen und Tiere ist vom Staatsziel des Umweltschutzes umfasst.

Der Tierschutz soll Tiere grundsätzlich vor „vermeidbaren Leiden“ schützen. Oftmals kollidiert der Tierschutz mit Grundrechten verschiedener Personen, wie zum Beispiel der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG (z.B. im Rahmen des Schächtens) oder der Forschungsfreiheit aus Art. 5 GG (z.B. im Rahmen von Tierversuchen) oder mit der Berufsfreiheit aus Art. 14 GG (z.B. im Rahmen von Massentierhaltung). Sofern Dir ein solches Problem in der Klausur begegnet, ist es wichtig, Deine Prüfung sauber und strukturiert aufzubauen und die Verfassungsgüter sorgsam miteinander abzuwägen.