A. Sachverhalt (leicht vereinfacht)
B wurde an einem frühen Samstagmorgen, dem 14. September 2013, von Rettungskräften in Rostock aufgefunden. Er befand sich infolge eines akuten Rauschzustands in hilfloser Lage, hatte keine Dokumente bei sich und konnte weder zu seiner Person noch zu konsumierten Rauschmitteln Angaben machen. Da die Rettungskräfte vermuteten, dass er Rauschpilze oder ähnlich wirkende Betäubungsmittel zu sich genommen hatte, verständigten sie die Polizei. Nach ihrem Eintreffen gegen 4 Uhr versuchten die Polizeibeamten vergeblich, von einer Zeugin zu erfahren, um wen es sich bei der hilflosen Person handle, brachten aber in Erfahrung, dass sie in unmittelbarer Nähe wohne. Da die Rettungskräfte baten, in der Wohnung nach Personaldokumenten und Hinweisen darauf zu suchen, was die Person zu sich genommen haben könnte, betraten die Polizeibeamten die Wohnung, während der Beschwerdeführer in das Universitätsklinikum Rostock verbracht wurde. Die Wohnung teilte sich B mit einem zu diesem Zeitpunkt abwesenden Mitbewohner. Im Zimmer des B fanden die Polizeibeamten zwei große Plastiktüten mit Cannabisprodukten, eine Feinwaage sowie eine Haschischpfeife und nahmen starken Cannabisgeruch wahr.
Aufgrund ihres Fundes sahen die Polizeibeamten einen Verdacht gegen B wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln begründet. Sie hielten deshalb telefonisch Rücksprache mit der zuständigen Bereitschaftsstaatsanwältin der Staatsanwaltschaft Rostock, die um 4:44 Uhr die Durchsuchung der Wohnung zur Beschlagnahme von Beweismitteln anordnete. Die Bereitschaftsstaatsanwältin folgte der Argumentation der Polizeibeamten, es bestehe Gefahr im Verzug, weil sich B jederzeit aus dem Universitätsklinikum Rostock entfernen könne. Dass sie zuvor versucht hatte, den zuständigen Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Rostock zu erreichen, lässt sich der Ermittlungsakte nicht entnehmen. Bei der im Anschluss vollzogenen Durchsuchung des Zimmers des B und der Gemeinschaftsräume wurde umfangreiches Beweismaterial beschlagnahmt, unter anderem Cannabisprodukte mit einem THC-Gehalt von insgesamt über 44 Gramm.
B legte gegen die nichtrichterliche Durchsuchungsanordnung der Staatsanwaltschaft Rostock Beschwerde ein. Durch Beschluss vom 21. November 2013 verwarf das Landgericht Rostock die Beschwerde als unzulässig, da gegen Anordnungen der Staatsanwaltschaft oder Maßnahmen der Polizei im Rahmen ihrer Eilkompetenz allein der Rechtsbehelf des § 98 II 2 StPO analog statthaft sei. B beantragte daraufhin, nach § 98 II 2 StPO analog festzustellen, dass die in den frühen Morgenstunden des 14. September 2013 in seiner Wohnung durchgeführten Durchsuchungsmaßnahmen der Polizei und der Staatsanwaltschaft rechtswidrig gewesen seien. Das Amtsgericht Rostock wies den Antrag durch den mit Beschluss vom 30. Januar 2014 als unbegründet zurück. Es führte aus, dass die Anordnung der Durchsuchung durch die Staatsanwaltschaft zulässig gewesen sei, da hinreichende Gründe für die Begehung einer Straftat vorgelegen hätten. Da es in der Wohnung nach Cannabis gerochen habe, habe der Verdacht eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz bestanden.
Gegen den Beschluss vom 30. Januar 2014 legte B Beschwerde ein, zu deren Begründung er sich wiederum auf die Ausführungen in seinem Schriftsatz vom 11. Oktober 2013 bezog. Das Amtsgericht Rostock half der Beschwerde mit Verfügung vom 20. Februar 2014 nicht ab. Das Landgericht Rostock verwarf die Beschwerde durch Beschluss vom 26. Februar 2014 als unbegründet, da die Bereitschaftsstaatsanwältin zu Recht von Gefahr im Verzug im Sinne von § 105 Abs. 1 StPO ausgegangen sei. Maßgeblich seien allein die tatsächlichen Möglichkeiten der mit der Sache befassten Staatsanwältin, rechtzeitig im Sinne der Verhinderung weiterer Gefahren für den Durchsuchungserfolg eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Es komme hingegen nicht darauf an, ob das Amtsgericht verpflichtet gewesen sei, einen richterlichen Eildienst für die Zeit, in der die Staatsanwältin mit der Sache befasst war, einzurichten.
Der Staatsanwaltschaft Rostock und dem Beschwerdegericht sei bekannt, dass das Amtsgericht Rostock weder an Werktagen noch an Sonn- und Feiertagen in der Zeit ab 21 Uhr bis zum normalen Dienstbeginn am darauffolgenden Werktag oder bis zur „Eilrichterzeit“ zwischen 11 Uhr und 12 Uhr am darauffolgenden Samstag oder Sonntag einen richterlichen Bereitschaftsdienst eingerichtet habe. Die Staatsanwältin habe zum Zeitpunkt ihrer Befassung mit der Sache an einem Samstagmorgen gegen 4:40 Uhr daher davon ausgehen dürfen, dass sie erst nach über sechs Stunden, mithin gegen 11 Uhr, eine richterliche Entscheidung würde einholen können. In der Zwischenzeit hätten Dritte die Beweismittel ohne weiteres wegschaffen oder vernichten können, zumal zu besorgen gewesen sei, dass der Beschwerdeführer sobald wie möglich Bekannte über das Geschehen informieren würde.
Das Amtsgericht Rostock verurteilte B am 8. Juli 2014 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, die inzwischen nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen wurde.
Bei dem Amtsgericht Rostock bestand im Jahr 2013 ausweislich des Präsidiumsbeschlusses über den richterlichen Bereitschaftsdienst und des entsprechenden Bereitschaftsdienstplans an Samstagen und dienstfreien Tagen (z.B. dem 24. und dem 31. Dezember) ein richterlicher Bereitschaftsdienst in Form einer Präsenzbereitschaft im Zeitraum von 10 Uhr bis 12 Uhr, an Sonn- und Feiertagen im Zeitraum von 11 Uhr bis 12 Uhr. Diese Bereitschaft dauerte jeweils auch nach 12 Uhr an, sofern zuvor durch die Staatsanwaltschaft oder die Polizei eilige Anträge angekündigt worden waren.
Darüber hinaus war ein gesonderter richterlicher Rufbereitschaftsdienst eingerichtet, der jeweils nach Dienstende (montags bis donnerstags ab 16:15 Uhr; freitags ab 15 Uhr; samstags, sonntags und feiertags ab 12 Uhr) begann und bis 21 Uhr andauerte. Der Rufbereitschaftsdienst war nur zuständig für eilige strafprozessuale Maßnahmen.
B sieht sich durch die Beschlüsse des Amtsgerichts Rostock vom 30. Januar 2014 und des Landgerichts Rostock vom 26. Februar 2014 in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 I, II 2 GG in Verbindung mit Art. 19 IV GG verletzt und erhebt Verfassungsbeschwerde.
Ist die zulässige Verfassungsbeschwerde begründet?
B. Die Entscheidung des BVerfG (Beschl. v. 12.3.2019 – 2 BvR 675/14)
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, soweit die angegriffenen Entscheidungen B in seinen Grundrechten oder in Art. 93 I Nr. 4a GG genannten (grundrechtsgleichen) Rechten verletzt. Das BVerfG stellt indes keine „Super-Revisionsinstanz“ dar, weswegen sein Prüfungsmaßstab auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts beschränkt ist, d.h. auf die Frage, ob bei der Anwendung des einfachen Rechts der Bedeutung und Einfluss der Grundrechte verkannt wurde. Solches setzt voraus, dass die Strafgerichte bei der Auslegung und Anwendung des Prozessrechts, hier der Vorschriften über die Durchsuchung (§§ 102 ff. StPO), entweder die Grundrechte ganz übersehen oder sie zwar gesehen, aber in ihrer Bedeutung und Tragweite falsch gewürdigt haben. Spezifisches Verfassungsrecht ist also nicht schon dann verletzt, wenn eine Entscheidung – am einfachen Recht gemessen – objektiv fehlerhaft ist. Vielmehr muss der Fehler gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen:
„Auslegung und Anwendung der Strafvorschriften ist grundsätzlich Sache der Strafgerichte. Das Bundesverfassungsgericht ist auf die Klärung beschränkt, ob das Strafgericht die wertsetzende Bedeutung des Freiheitsrechts verkannt hat (vgl. BVerfGE 7, 198 <208 f.>; 93, 266 <292>; stRspr).“
Hier kommt eine Verletzung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 I GG in Betracht.
I. Eingriff in den Schutzbereich von Art. 13 I GG
Art. 13 I GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. Damit wird dem Einzelnen im Hinblick auf seine Menschenwürde und im Interesse der freien Entfaltung der Persönlichkeit ein elementarer Lebensraum gewährleistet. In seinen Wohnräumen hat er das Recht, in Ruhe gelassen zu werden. In diese grundrechtlich geschützte Lebenssphäre greift eine Durchsuchung schwerwiegend ein. Ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 13 I GG liegt damit vor.
II. Rechtfertigung
Art. 13 II GG erlaubt Durchsuchungen; diese müssen aber grundsätzlich durch den Richter angeordnet werden. Zum Schutzzweck des Richtervorbehalts führt das BVerfG aus:
„Der präventive Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Wohnungsgrundrechts und zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz (vgl. BVerfGE 57, 346 <355 f.>; 103, 142 <151 f.>; 139, 245 <265 Rn. 57>). Das Grundgesetz geht davon aus, dass der Richter aufgrund seiner persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und seiner strikten Unterwerfung unter das Gesetz (Art. 97 GG) die Rechte des Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren kann (vgl. BVerfGE 77, 1 <51>). Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, das die Staatsanwaltschaft in eigener Verantwortung führt (§§ 158 ff. StPO), ist er unbeteiligter Dritter, der nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft tätig wird (§ 162 StPO). Durch seine Einschaltung soll von vornherein, nicht erst nach vollzogener Durchsuchung, sichergestellt werden, dass die Interessen des Betroffenen, der vor Anordnung der Durchsuchung regelmäßig nicht angehört wird (vgl. § 33 Abs. 4 Satz 1 StPO), angemessen berücksichtigt werden (vgl. BVerfGE 9, 89 <97>; 103, 142 <151>; 139, 245 <266 Rn. 60>).“
Nur bei Gefahr im Verzuge dürfen Durchsuchungen auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet werden. Bei strafprozessualen Durchsuchungen gemäß § 105 I 1 StPO also durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 GVG). Das BVerfG betont dabei den Ausnahmecharakter dieser Regelung. Gefahr im Verzug im Sinne von Art. 13 II GG, § 105 I 1 StPO liege nur vor, wenn ein richterlicher Bereitschaftsdienst im Einklang mit Art. 13 II GG nicht eingerichtet wurde und ein Zuwarten bis zur Erreichbarkeit eines Richters nicht möglich ist:
„Wortlaut und Systematik des Art. 13 Abs. 2 GG belegen indes, dass die richterliche Durchsuchungsanordnung die Regel und die nichtrichterliche die Ausnahme sein soll (vgl. BVerfGE 103, 142 <153>; 139, 245 <269 Rn. 69>). Das entspricht der Bedeutung des verfassungsrechtlichen Richtervorbehalts und trägt dem Grundsatz Rechnung, dass derjenigen Auslegung einer Grundrechtsnorm der Vorzug zu geben ist, die ihre Wirkungskraft am stärksten entfaltet. Ordnen die Strafverfolgungsbehörden eine Durchsuchung an, fällt die präventive Kontrolle durch den unabhängigen und neutralen Richter weg. Die verbleibende nachträgliche Kontrolle kann den erfolgten Grundrechtseingriff nicht mehr rückgängig machen und genügt dem Anspruch präventiven richterlichen Grundrechtsschutzes nicht (vgl. BVerfGE 139, 245 <269 Rn. 69>). Demgemäß ist der Begriff „Gefahr im Verzug“ im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG eng auszulegen. Gefahr im Verzug ist nur anzunehmen, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme – regelmäßig die Sicherung von Beweismitteln – gefährdet würde (vgl. BVerfGE 51, 97 <111>; 103, 142 <153 f.>; 139, 245 <269 Rn. 69>).
Die Strafverfolgungsbehörden müssen dementsprechend regelmäßig versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie eine Durchsuchung beginnen. Nur in Ausnahmesituationen, wenn schon die zeitliche Verzögerung wegen eines solchen Versuchs den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde, dürfen sie selbst die Anordnung wegen Gefahr im Verzug treffen, ohne sich zuvor um eine richterliche Entscheidung bemüht zu haben. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nicht allein mit dem abstrakten Hinweis begründet werden, eine richterliche Entscheidung sei gewöhnlich zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb einer bestimmten Zeitspanne mangels Erreichbarkeit eines zuständigen Richters nicht zu erlangen (vgl. BVerfGE 103, 142 <155 f.>).“
Die Durchsuchung wurde an einem Samstag um 4:44 Uhr durch eine Staatsanwältin angeordnet. Ein richterlicher Bereitschaftsdienst war erst für die Zeit ab 10 Uhr eingerichtet, zunächst als Präsenzbereitschaft (bis 12 Uhr), nachfolgend als Rufbereitschaft (bis 21 Uhr). Fraglich ist, ob dies den verfassungsrechtlichen Anforderungen von Art. 13 I, II GG genügte.
Das BVerfG führt zunächst aus, dass sich aus Art. 13 GG die Pflicht zur Einrichtung eines richterlichen Bereitschaftsdienstes außerhalb der üblichen Dienstzeiten ergebe, um den Vorrang des Richtervorbehalts aus Art. 13 II GG praktisch durchzusetzen:
„Zugleich ergibt sich aus Art. 13 GG die Verpflichtung der staatlichen Organe, dafür Sorge zu tragen, dass die effektive Durchsetzung des grundrechtssichernden Richtervorbehalts gewährleistet ist. Defiziten in der Wirksamkeit müssen sowohl die Gerichte – die einzelnen Ermittlungsrichter ebenso wie die für die Bestellung der Ermittlungsrichter und die Geschäftsverteilung zuständigen Präsidien (§ 21e Abs. 1 Satz 1 GVG) – als auch die Strafverfolgungsbehörden entgegenwirken. Daneben verpflichtet Art. 13 GG die für die Organisation der Gerichte und für die Rechtsstellung der dort tätigen Ermittlungsrichter zuständigen Organe der Länder und des Bundes, die Voraussetzungen für eine tatsächlich wirksame präventive richterliche Kontrolle zu schaffen. Zu diesen Voraussetzungen gehört auch eine ausreichende sachliche und personelle Ausstattung der Gerichte (vgl. BVerfGE 103, 142 <152 f.>; 139, 245 <267 Rn. 62 f.>). … Damit korrespondiert die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Gerichte, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters, auch durch die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes, zu sichern (vgl. BVerfGE 103, 142 <156>). Dem Eilrichter müssen die notwendigen Hilfsmittel für eine effektive Wahrnehmung seiner richterlichen Aufgaben zur Verfügung gestellt werden. Soweit es erforderlich erscheint, ist auch sicherzustellen, dass der Eilrichter auf die Unterstützung durch den nichtrichterlichen Dienst zurückgreifen kann (vgl. BVerfGE 139, 245 <268 Rn. 65>; BVerfGK 2, 176 <178>; 9, 287 <290>).“
Das BVerfG vertritt dabei in ständiger Rechtsprechung, dass ein Ermittlungsrichter zur Tageszeit uneingeschränkt erreichbar sein müsse, auch außerhalb der üblichen Dienststunden. Die Tageszeit umfasse dabei ganzjährig die Zeit zwischen 6 Uhr und 21 Uhr. Während der Nachtzeit sei ein ermittlungsrichterlicher Bereitschaftsdienst jedenfalls bei einem Bedarf einzurichten, der über den Ausnahmefall hinausgehe:
„a) Aus Art. 13 Abs. 2 GG folgt nicht, dass an allen nach § 162 Abs. 1 Satz 1 StPO für die ermittlungsrichterlichen Aufgaben zuständigen Amtsgerichten von Verfassungs wegen ein Richter „rund um die Uhr“ erreichbar sein muss. Art. 13 Abs. 2 Halbsatz 2 GG sieht die Eilkompetenz der Strafverfolgungsbehörden als Ausnahme ausdrücklich vor. Kommt es nur im Ausnahmefall zu nächtlichen Durchsuchungsanordnungen, gefährdet das Fehlen eines nächtlichen ermittlungsrichterlichen Bereitschaftsdienstes die in Art. 13 Abs. 2 GG vorgesehene Regelzuständigkeit des Richters nicht. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Verfassungsgeber bei der Schaffung von Art. 13 Abs. 2 GG davon ausging, die Erreichbarkeit eines Richters müsse zur Nachtzeit stets gewährleistet sein.
b) Die vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung vorgenommene Differenzierung zwischen Tages- und Nachtzeit beruht auf der Erfahrung, dass tagsüber regelmäßig ein deutlich größerer Bedarf an Durchsuchungsanordnungen besteht als während der Nachtstunden. Dies gebietet tagsüber die uneingeschränkte Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters unabhängig vom konkreten Bedarf, lässt es jedoch zu, die Frage der nächtlichen Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters dagegen vom praktischen Bedarf in dem jeweiligen Gerichtsbezirk abhängig zu machen.
Der geringere nächtliche Bedarf folgt schon aus dem Umstand, dass Wohnungsdurchsuchungen nachts wegen des besonderen Schutzes der Nachtruhe nur ausnahmsweise zulässig sind. Dieser besondere Schutz der Nachtruhe hat seine verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 13 Abs. 1 GG. Nächtliche Durchsuchungen sind von Verfassungs wegen nur ausnahmsweise zulässig, weil eine Wohnungsdurchsuchung während dieser Zeit ungleich stärker in die Rechtssphäre des Betroffenen eingreift als zur Tageszeit. Stellt bereits die Durchsuchung der Wohnung bei Tage einen schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Wohnungsinhabers dar, sind bei einer nächtlichen Wohnungsdurchsuchung zusätzlich die Nachtruhe und die damit verbundene besondere Privatsphäre betroffen (vgl. Park, Durchsuchung und Beschlagnahme, 4. Aufl. 2018, Rn. 185; Benfer/Bialon, Rechtseingriffe von Polizei und Staatsanwaltschaft, 4. Aufl. 2010, Rn. 416).“
Dem habe der Gesetzgeber grundsätzlich auch Rechnung getragen, allerdings müsse § 104 III StPO modifiziert werden:
„Gemäß § 104 Abs. 1 StPO dürfen Wohn- und Geschäftsräume sowie befriedetes Besitztum mit Ausnahme der in § 104 Abs. 2 StPO genannten Räumlichkeiten während der Nachtzeit im Sinne von § 104 Abs. 3 StPO nur bei Verfolgung auf frischer Tat, bei Gefahr im Verzug oder zur Wiederergreifung eines entwichenen Gefangenen durchsucht werden. Gefahr im Verzug als in der Praxis häufigster Ausnahmefall liegt vor, wenn der Aufschub der Durchsuchung bis zum Tagesbeginn ihren Erfolg wahrscheinlich gefährden würde, beispielsweise, weil in der Zwischenzeit Beweismittel vernichtet werden könnten (vgl. Hauschild, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2014, § 104 Rn. 7; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 104 Rn. 4). Zwar schränkt § 104 Abs. 1 StPO nicht den nächtlichen Erlass von Durchsuchungsanordnungen ein, sondern lediglich deren Vollzug. Allerdings wird der Bedarf an Durchsuchungsanordnungen in dem Zeitraum, in dem sich aus § 104 Abs. 1 und Abs. 3 StPO keine Einschränkungen für den Vollzug von Durchsuchungsanordnungen ergeben, regelmäßig deutlich größer sein als zur Nachtzeit im Sinne von § 104 Abs. 3 StPO. Die Stellungnahmen der befragten Länder zeigen, dass die Fallzahlen nachts grundsätzlich deutlich geringer sind als tagsüber.
d) Der gemäß Art. 13 Abs. 1 GG gebotene Schutz vor nächtlichen Wohnungsdurchsuchungen wird von § 104 StPO jedoch nur unvollkommen gewährt. Soweit die in § 104 Abs. 3 StPO definierte Nachtzeit und damit die Einschränkungen des § 104 Abs. 1 StPO in den Monaten April bis September bereits um 4 Uhr morgens enden, bildet die Vorschrift nicht mehr die Lebenswirklichkeit ab. Vielmehr sind nach den heutigen Lebensgewohnheiten mindestens die Stunden zwischen 4 Uhr und 6 Uhr noch der Nacht zuzurechnen.“
Nach diesen Maßstäben verletzte die Ausgestaltung der Bereitschaftsdienstzeiten bei dem Amtsgericht Rostock im Jahr 2013 die Anforderungen aus Art. 13 I, II 2 GG. Das Beschwerdegericht hätte daher wenigstens prüfen müssen, ob die Staatsanwaltschaft bis 6 Uhr morgens hätte warten müssen, um eine richterliche Durchsuchungsanordnung zu beantragen:
„Am 14. September 2013 bestand – wie an allen anderen Samstagen auch – ein richterlicher Präsenzbereitschaftsdienst im Zeitraum von 10 Uhr bis 12 Uhr, an den sich ein bis 21 Uhr dauernder Rufbereitschaftsdienst anschloss. Im Zeitraum zwischen 6 Uhr und 10 Uhr war dagegen kein Ermittlungsrichter erreichbar. Die – unabhängig vom konkreten Bedarf gebotene – uneingeschränkte Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters bei Tage, die ausnahmslos auch für Samstage, Sonntage und gesetzliche Feiertage sicherzustellen ist, war auf diese Weise nicht gewährleistet. Ein Ermittlungsrichter hätte mindestens ab 6 Uhr erreichbar sein müssen. Der vom Landgericht irrtümlich angenommene Beginn des Bereitschaftsdienstes um 11 Uhr wäre demnach erst recht nicht geeignet gewesen, den Anforderungen aus Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG zu genügen.
c) Das Landgericht hätte sich daher mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Anordnung der Durchsuchung durch die Bereitschaftsstaatsanwältin am 14. September 2013 um 4:44 Uhr im Falle eines verfassungsgemäß eingerichteten ermittlungsrichterlichen Bereitschaftsdienstes wegen Gefahr im Verzug gerechtfertigt gewesen wäre. Dabei hätte es vorliegend nahegelegen, zunächst zu prüfen, ob die Staatsanwaltschaft ohne Gefährdung des Durchsuchungszwecks bis zur hypothetischen, von Verfassungs wegen mindestens gebotenen Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters um 6 Uhr morgens hätte zuwarten müssen, um sodann eine richterliche Durchsuchungsanordnung zu beantragen. Hätte das Landgericht dies verneint, weil die durch die Einholung der richterlichen Anordnung bedingte zeitliche Verzögerung den Erfolg der Durchsuchung aus seiner Sicht gefährdet hätte, hätte es sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob für das Präsidium des Amtsgerichts Rostock angesichts des Bedarfs an nächtlichen Durchsuchungsanordnungen Anlass bestanden hätte, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters zum Zeitpunkt der staatsanwaltlichen Durchsuchungsanordnung sicherzustellen.“
III. Ergebnis
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
D. Fazit
“The Rechtsstaat never sleeps”. Meint man. Ist aber nicht ganz richtig: Von 21 Uhr bis 6 Uhr morgens darf sich das Gericht grundsätzlich eine kleine Auszeit gönnen.
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