BGH stellt erstinstanzliche Urteil wieder her
Der Bundesgerichtshof sprach vergangenen Dienstag, am 02.04.2019, im Rechtsstreit um die Arzthaftung wegen der Lebenserhaltung eines Patienten durch künstliche Ernährung sein Urteil und betonte ausdrücklich, dass eine Haftung des behandelnden Arztes mangels immateriellen Schadens ausgeschlossen sei. Das Leben ist als höchstrangiges Rechtsgut „absolut erhaltungswürdig”, weshalb eine Haftung des Arztes im Fall nicht in Frage komme. Bereits am 13.03.2019 berichteten wir über den bis dato einzigartigen Fall, der sich um die grundsätzliche und ethische Frage dreht, ob ein Leben - sei es noch so schmerzerfüllt - einen Schaden darstellen kann. Der Bundesgerichtshof stellte das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts wieder her.
Zum Sachverhalt
Geklagt hatte der Sohn seines im Jahre 2011 verstorbenen Vaters. Dieser litt zur Zeit seines Todes bereits mehrere Jahre an fortgeschrittener Demenz, aufgrund dessen er in seiner Kommunikation sowie Bewegung eingeschränkt war. Seit dem Jahre 2006 wurde der Patient mittels einer Magensonde künstlich ernährt und erkrankte in der Zeit vor seinem Tod häufiger unter anderem an Lungenentzündungen. Seit spätestens Anfang des Jahres 2010 war nach Ansicht des Sohnes die Lebenserhaltung seines Vaters nur noch eine „sinnlose Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens ohne Aussicht auf Verbesserung des gesundheitlichen Zustandes”. Der Patient hatte keine Patientenverfügung im Vorfeld erlassen und auch sein tatsächlicher bzw. mutmaßlicher Wille bezüglich der Behandlung konnte nicht ermittelt werden. Der Vater stand unter der Betreuung seines Anwaltes und wurde zuletzt bis zu seinem Tod von dem Hausarzt und Beklagten im Fall medizinisch betreut.
Der Sohn klagte nun als Erbe auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von rund 100.000 Euro wegen wiederholter Körperverletzung sowie auf Ersatz der Behandlungs- und Pflegekosten in Höhe von rund 52.000 Euro.
Zum Prozessverlauf
Im Zentrum des Prozesses vor den Gerichten in erster und zweiter Instanz stand die Frage, ob der behandelnde Hausarzt die Behandlungsperspektiven ausreichend mit dem betreuenden Anwalt besprochen habe. Gemäß § 1901 b I BGB in Verbindung mit dem Behandlungsvertrag ist der behandelnde Arzt im Rahmen seiner Aufklärungspflicht dazu verpflichtet, den Gesamtzustand inklusive Prognose des Patienten zu analysieren und anschließend mit seinem Betreuer zu erörtern. Im vorliegenden Fall hätte also insbesondere die Fortsetzung oder die eventuell in Frage kommende Einstellung der künstlichen Ernährung des Vaters umfassend diskutiert werden müssen. Ein solches Gespräch fand jedoch nach den gerichtlichen Feststellungen nicht statt. Das LG München wies die Klage dennoch ab. Denn: Es konnte keinen schadenursächlichen Behandlungsfehler des Arztes feststellen. Das OLG München sprach dem Kläger in der Berufungsinstanz jedoch 40.000 Euro Schmerzensgeld zu. Der Beklagte hätte nach Ansicht der Richter und Richterinnen einen Entlastungsbeweis vorbringen müssen, dass der Betreuer auch nach umfassender Erörterung der Behandlungssituation für die Fortsetzung der künstlichen Ernährung gestimmt hätte.
Entscheidung des BGH
Der VI. Senat des Bundesgerichtshofes, der unter anderem für Arzthaftungssachen zuständig ist, hob nun jedoch das Urteil des OLG München auf und stellte das erstinstanzliche Urteil des LG München wieder her. Ob der behandelnde Arzt eine Pflicht verletzt habe oder nicht, kann dabei sogar nach Ansicht des Senates dahinstehen. Schon ein immaterieller Schaden liege nicht vor, heißt es in der Pressemitteilung des Gerichtshofes. Dabei stellen die Richter und Richterinnen den Zustand mit künstlicher Ernährung dem Zustand ohne künstlicher Ernährung gegenüber und kommen zu dem klaren Schluss, dass ohne die künstliche Ernährung der sichere Tod eingetreten wäre. „Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig.”, weshalb sich ein Urteil eines Dritten über den Wert des jeweiligen Lebens verbiete. „Auch wenn ein Patient selbst sein Leben als lebensunwert erachten mag mit der Folge, dass eine lebenserhaltende Maßnahme gegen seinen Willen zu unterbleiben hat, verbietet die Verfassungsordnung aller staatlichen Gewalt einschließlich der Rechtsprechung ein solches Urteil über das Leben des betroffenen Patienten mit der Schlussfolgerung, dieses Leben sei ein Schaden.”, heißt es in der Pressemitteilung zur Entscheidung.
Und auch der Anspruch auf die Behandlung- und Pflegekosten scheitert vor dem Bundesgerichtshof. Der Senat begründet dies damit, dass der Schutzzweck der einschlägigen Vorschriften rund um die Aufklärungs- und Behandlungspflichten der behandelnden Ärzte nicht darin liege, dass die Erben vor wirtschaftlichen Belastungen bewahrt werden sollen, vielmehr ginge es um das Wohl der Patienten und Patientinnen allein. Die Entscheidung steht im Kontext zu der ethischen und verfassungsrechtlichen Debatte rund um das “Leben bzw. Kind als Schaden” (englisch auch „wrongful life” genannt). Laut BGH können die Pflegekosten eines behinderten Kindes unter Umständen jedoch - im Gegensatz zum oben behandelten Fall - ersatzfähig sein.
- Urteil vom 2. April 2019 - VI ZR 13/18 -
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