BGH: Haften Ärzte für "sinnloses" Leiden?

BGH: Haften Ärzte für

Ein in der Rechtsgeschichte einmaliger Fall

Ein an Demenz erkrankter Mann, der sich bis zu seinem Tod im Jahre 2011 weder bewegen noch irgendwie mitteilen konnte, wurde jahrelang künstlich ernährt und am Leben erhalten. Sein behandelnder Arzt hätte ihn sterben und nicht durch künstliche Ernährung „sinnlos” leiden lassen sollen, sagt der Sohn des Verstorbenen und fordert Schmerzensgeld und Schadensersatz.

 

Worum geht es?

Der BGH hat keine einfache Aufgabe vor sich und steht vor der Frage, ob einem Menschen Schmerzensgeld zustehen kann, weil ein Arzt sein Leiden unnötig verlängert hat. Mit dem Tod des Vaters hat der klagende Sohn alles geerbt - auch die Ansprüche. Er fordert mindestens 100.000 Euro Schmerzensgeld wegen „fortgesetzter Körperverletzung“ und mehr als 52.000 Euro Schadensersatz, weil die seiner Meinung nach sinnlose Behandlung und Pflege seit dem Jahre 2010 so viel gekostet habe. Die künstliche Ernährung seines Vaters habe „zur sinnlosen Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens ohne Aussicht auf Verbesserung des gesundheitlichen Zustandes” geführt. 

 
Der Vater des Klägers litt vor seinem Tod im Oktober 2011 an langjähriger Demenz. Krankheitsbedingt war der Patient in seiner Kommunikation und Bewegung erheblich eingeschränkt und erkrankte in der Zeit vor seinem Tod mehrfach an Lungen- und Gallenblasenentzündungen. Seit dem Jahre 2006 und bis zu seinem Tod wurde der Vater des Klägers zudem wegen Mangelernährung und Austrocknung des Körpers mittels einer Magensonde künstlich ernährt. Der Patient hatte keine Patientenverfügung erlassen. Zudem konnte sein tatsächlicher bzw. mutmaßlicher Wille bezüglich lebenserhaltenden Maßnahmen nicht ermittelt werden. Der Patient stand unter Betreuung seines Rechtsanwaltes und wurde zuletzt vom Beklagten hausärztliche behandelt.  

Ausreichende Erörterung nach § 1901b I BGB fraglich

Anlass des Rechtsstreits ist das damalige Verhalten des Hausarztes, da er nach Ansicht des Klägers das Behandlungsziel spätestens im Jahre 2010 dahingehend hätte abändern müssen, ein palliativ medizinisch begleitetes Sterben des Vaters zu ermöglichen. Die künstliche Ernährung sei spätestens ab dem Jahresbeginn 2010 medizinisch nicht mehr indiziert gewesen. Bei der erfolgten Behandlung handelte es sich lediglich um eine Herauszögerung des Sterbens des Patienten. Dabei seien dem Patienten selbst erhebliche Leiden zugefügt worden, zumal er aufgrund der erheblichen Bewegungseinschränkungen mehrfach an Lungen- und Gallenblasenentzündungen erkrankte. 

In der Verhandlung geht es daher auch um die Frage, ob der Hausarzt die Behandlungsperspektiven auf Grundlage des Behandlungsvertrages in Verbindung mit § 1901b I BGB mit dem Betreuer des Patienten ausreichend erörtert hat und ob eine solche Erörterung den eingetretenen Schaden verhindert hätte.
 
In § 1901b I BGB heißt es: Der behandelnde Arzt prüft, welche ärztliche Maßnahme im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist. Er und der Betreuer erörtern diese Maßnahme unter Berücksichtigung des Patientenwillens als Grundlage für die nach § 1901a zu treffende Entscheidung.

 

LG München: Kein schadensverursachender Rechtsbruch

Das Landgericht München stellte fest, dass die künstliche Ernährung durch die Magensonde im strittigen Fall spätestens im Jahre 2010 grundsätzlich medizinisch nicht mehr indiziert war - die Klage wies das Gericht dennoch ab, da es keinen schadensverursachenden Rechtsbruch in dem Verhalten des Hausarztes sehen konnte. In erster Instanz konnte das Gericht in dem Verhalten des beklagten Hausarztes also weder eine ursächliche Verletzung des zugrundeliegenden Behandlungsvertrages noch deliktischer Vorschriften feststellen:

„Eine Verpflichtung, die PEG-Sonden-Ernährung abzubrechen, oder auch nur eine Empfehlung dazu ergibt sich weder aus ärztlichen Leitlinien, […] noch aus der vom BGH entwickelten Rechtsprechung oder aus Gesetz.“

Gleichwohl sah das Landgericht eine Pflicht des behandelnden Arztes dahingehend,

„den Betreuer des Patienten davon in Kenntnis zu setzen, dass ein über die reine Lebenserhaltung hinausgehendes Therapieziel nicht mehr erreichbar war, und mit ihm vor diesem Hintergrund zu erörtern, ob die PEG-Sonden-Ernährung fortgesetzt bzw. abgebrochen werden soll“.

Nach Feststellungen des Landgerichtes fand eine solche Erörterung nicht statt. Als problematisch sah die Kammer jedoch an, dass nicht mit Gewissheit festgestellt werden konnte, dass dieser Fehler des Arztes auch ursächlich für die künstliche Ernährung bis zu dem Tod des Patienten war.

„Dass eine Erörterung zwischen dem Beklagten und dem Betreuer des Patienten über die mit der PEG-Sonden-Ernährung nur noch erreichbaren Ziele, nämlich die reine Lebenserhaltung bei kontinuierlicher Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustandes, zu einer Entscheidung im Sinne von § 1901a BGB, die Ernährung zu beenden, geführt hätte, ist vom Kläger nicht zur Überzeugung dargetan und nachgewiesen worden.“

Mangels schadensursächlichen Behandlungsfehlers wies das Landgericht somit die Klage ab.  

OLG München: Sohn stehen 40.000 Euro zu

Das OLG München änderte das Urteil im Rahmen der Berufung des Klägers dahingehend ab, dass es dem Sohn einen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 40.000 Euro zusprach. Im Übrigen wies auch das Berufungsgericht die Klage ab. Die Richter des OLG gingen davon aus, dass ein Informationsdefizit bzgl. des kritischen Krankheitszustandes und der medizinisch nicht indizierten künstlichen Ernährung beim Betreuer nicht bestanden habe. Dennoch hätte der Arzt die Situation und die Behandlung mit dem Betreuer erörtern müssen, was nach den Feststellungen des Gerichts unstreitig nicht stattgefunden habe. Und auch der Senat am OLG konnte nicht feststellen, wie der Betreuer nach einem solchen Gespräch entschieden hätte. Allerdings legte das OLG folgende Annahme bei der Urteilsfindung zugrunde:

„Die Folge der Nichtaufklärbarkeit der Frage, ob sich der Betreuer bei gehöriger Information durch den Beklagten für oder gegen die Fortsetzung der Sondenernährung entschieden hätte und der Patient dann möglicherweise bereits im Januar 2010 verstorben wäre, trifft den Beklagten.“

Da diesem der Entlastungsbeweis nicht gelang, sprach das OLG dem Kläger einen Schmerzensgeldanspruch zu. Darüber hinaus steht dem Kläger nach Ansicht des Gerichts mangels materiellen Schadens kein Schadensersatzanspruch zu.  

Ein in der Rechtsgeschichte einmaliger Fall

Gegen dieses Urteil legten beide Parteien das Rechtsmittel der Revision zum Bundesgerichtshof ein. Der BGH steht nun vor einer schwierigen Aufgabe, zumal sich ein Urteil über den Wert eines Lebens verbiete - wie soll darüber entschieden werden, was lebenswert sei? Die Richter wollen sich eingehend beraten und ihre Entscheidung erst in den kommenden Wochen verkünden. Wir werden das Urteil dann an dieser Stelle entsprechend ergänzen.

 

- BGH, Az. VI ZR 13/18 -

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