Schlaf eines Richters

A. Sachverhalt

Die vor dem Oberverwaltungsgericht in der Berufungsinstanz unterlegene Beklagtenvertreterin erhebt vor dem BVerwG eine Besetzungsrüge, indem sie Folgendes vorträgt:

“Der ehrenamtliche Richter H. war unfähig der Verhandlung zu folgen, weil er über einen längeren Zeitraum ununterbrochen die Augen geschlossen hatte und - wie durch seine Körperhaltung, nämlich Senken des Kopfes auf die Brust und ruhiges tiefes Atmen sowie ‘Hochschrecken’ - zum Ausdruck kam, offensichtlich geschlafen hat. “ Zur Glaubhaftmachung ihres Vortrags hat sie auf einen Vermerk des ihr zur Ausbildung zugewiesenen Rechtsreferendars Bezug genommen, der an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hatte und in seinem Vermerk anmerkt, “dass während nahezu der gesamten Verhandlung der ehrenamtliche Richter einnickte. Er schien der Verhandlung nicht zu folgen”.

 

B. Worum geht es?

Nach § 138 Nr. 1 VwGO ist ein Urteil stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war (sog. absoluter Revisionsgrund; im Strafprozessrecht siehe § 338 Nr. 1 StPO, im Zivilprozessrecht § 547 Nr. 1 ZPO). Hier hatte das BVerwG nun folgende Frage zu beantworten:

„Begründet der Vortrag der Beklagtenvertreterin die Rüge des nicht vorschriftsmäßig besetzten Gerichts, weil der ehrenamtliche Richter in der mündlichen Verhandlung mutmaßlich eingeschlafen sei?“

C. Wie hat das BVerwG entschieden?

Das BVerwG weist in der Entscheidung „Schlaf eines Richters“ (Beschl. v. 13.6.2001 – 5 B 105/00 (NJW 2001, S. 2898 f.)) die Rüge zurück. Wer sich darauf beruft, das Gericht sei wegen eines in der mündlichen Verhandlung eingeschlafenen Richters nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, müsse konkrete Tatsachen vortragen, welche eine Konzentration des Richters auf die wesentlichen Vorgänge in der Verhandlung ausschließen.

Das BVerwG führt aus, dass sich aus dem Vortrag der Beklagtenvertreterin nicht sicher schließen lasse, dass der ehrenamtliche Richter H. geschlafen habe. Denn die mitgeteilte Haltung des Richters könne auch zur geistigen Entspannung oder zwecks besonderer Konzentration eingenommen werden:

„Aus diesen mitgeteilten Beobachtungen, die weder hinsichtlich der Dauer des behaupteten Einnickens bestimmt sind noch sich inhaltlich decken und die vom Klägervertreter, der ebenfalls an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, nicht bestätigt werden, lässt sich aber, selbst wenn sie zuträfen, noch nicht sicher darauf schließen, dass der bezeichnete Richter tatsächlich über einen längeren Zeitraum geschlafen hat und der mündlichen Verhandlung nicht folgen konnte. Das Schließen der Augen über weite Strecken der Verhandlung und das Senken des Kopfes auf die Brust beweist allein nicht, dass der Richter schläft. Denn diese Haltung kann auch zur geistigen Entspannung oder zwecks besonderer Konzentration eingenommen werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. März 1975 a. a. O. ; Urteil vom 24. Januar 1986 - BVerwG 6 C 141. 82 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 63 S. 44; BFH, Beschlüsse vom 5. Dezember 1985 und vom 17. Mai 1999 a. a. O. ). Deshalb kann erst dann davon ausgegangen werden, dass ein Richter schläft oder in anderer Weise “abwesend” ist, wenn andere sichere Anzeichen hinzukommen, wie beispielsweise tiefes, hörbares und gleichmäßiges Atmen oder gar Schnarchen oder ruckartiges Aufrichten mit Anzeichen von fehlender Orientierung (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Januar 1986 a. a. O. und Beschluss vom 3. März 1975 a. a. O. ; BFH, Beschluss vom 17. Mai 1999 a. a. O. ). Derartige Beweisanzeichen hat die Beschwerde nicht in ausreichendem Maße vorgetragen. Ruhiges tiefes Atmen kann ebenfalls ein Anzeichen geistiger Entspannung oder Konzentration sein, insbesondere dann, wenn es für andere nicht hörbar erfolgt, denn gerade dies kann da-rauf schließen lassen, dass der Richter den Atmungsvorgang bewusst kontrolliert und nicht schläft. Auch das “Hochschrecken” des Richters hat die Beschwerde nicht näher geschildert, vor allem nicht dargelegt, dass er nach dem “Hochschrecken” einen geistig desorientierten Eindruck gemacht habe. “Hochschrecken” allein kann auch darauf schließen lassen, dass es sich lediglich um einen die geistige Aufnahme des wesentlichen Inhalts der mündlichen Verhandlung nicht beeinträchtigenden Sekundenschlaf gehandelt hat.“

 

Zudem habe die Beklagtenvertreterin das Verhalten während der Verhandlung auch nicht gerügt:

„Ganz offensichtlich hatte die Beklagtenvertreterin - wie sich daraus ergibt, dass sie das angebliche Schlafen des ehrenamtlichen Richters während der fast zweistündigen Verhandlung nicht zur Sprache gebracht oder beanstandet hat - auch selbst während der mündlichen Verhandlung nicht den sicheren Eindruck einer ins Gewicht fallenden geistigen Abwesenheit des ehrenamtlichen Richters. Denn es kann ihr nicht unterstellt werden, dass sie unter Verstoß gegen ihre dienstlichen Pflichten gegenüber ihrem Dienstherrn und unter Verletzung der gebotenen Verfahrensfairness einen solchen Eindruck, wenn sie sich ihrer Sache sicher gewesen wäre, nicht sogleich dem Vorsitzenden Richter mitgeteilt und um Abhilfe gebeten hätte, um sich mit diesem treu- und pflichtwidrigen Verhalten einen absoluten Revisionsgrund für den Fall des Unterliegens zu sichern (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 1980 - BVerwG 6 C 110. 79 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 VwGO Nr. 20 S. 10 und Beschluss vom 19. Februar 1985 a. a. O. S. 9).“

 

D. Fazit

Wir merken uns: Richter sind immer hellwach. Selbst bei geschlossenen Augen und gesenktem Kopf! Erst ein Schnarchen auf der Richterbank könnte Gegenteiliges bedeuten…