Kreuze in Verhandlungsräumen seien hingegen keine Gefahr für Neutralität des Amtsträgers
Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat sich vergangene Woche im Rahmen einer Popularklage mit dem „Kopftuchverbot“ für Richterinnen und Staatsanwältinnen beschäftigt und entschied: Art. 11 des Bayerischen Richter- und Staatsanwaltsgesetzes (BayRiStAG) ist mit der Landesverfassung vereinbar und stellt somit keinen Verstoß gegen die Grundsätze der bayerischen Verfassung dar. Die Entscheidung reiht sich dabei in die Liste der durchaus examensrelevanten Entscheidungen rund um das Thema „Kopftuch” und der Kollision von Glaubens- und Gewissensfreiheit und staatlicher Neutralität ein.
Worum geht es?
Die Entscheidung vom 14. März 2019 erging im Rahmen einer Popularklage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof. Die Antragstellerin ist eine islamische Religionsgemeinschaft, die die Regelung des Artikels 11 BayRiStAG mit Grundsätzen der bayerischen Landesverfassung für unvereinbar hielt.
Art. 11 BayRiStAG lautet:
(1) Richter und Richterinnen, Staatsanwälte und Staatsanwältinnen sowie Landesanwälte und Landesanwältinnen tragen Amtstracht nach näherer Bestimmung der obersten Dienstbehörde.
(2) 1Richter und Richterinnen dürfen in Verhandlungen sowie bei allen Amtshandlungen mit Außenkontakt keine sichtbaren religiös oder weltanschaulich geprägten Symbole oder Kleidungsstücke tragen, die Zweifel an ihrer Unabhängigkeit, Neutralität oder ausschließlichen Bindung an Recht und Gesetz hervorrufen können. 2Satz 1 gilt für Staatsanwälte und Staatsanwältinnen sowie Landesanwälte und Landesanwältinnen entsprechend. 3Weitergehende Vorschriften bleiben unberührt.
Die Antragstellerin sah in der Vorschrift neben einem Verstoß gegen die Glaubens- und Gewissensfreiheit (in der Bayerischen Landesverfassung in Art. 107 geregelt) auch einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 118 BV). Dabei stützte sich die Religionsgemeinschaft insbesondere darauf, dass gezielt die Teilnahme von Richterinnen und Staatsanwältinnen mit Kopftuch an Verhandlungen unmöglich gemacht werden sollte. Darüber hinaus wurde die Tatsache gerügt, dass ein im Gerichtssaal hängendes Kreuz anscheinend kein Problem für die staatliche Neutralität darstelle.
Der Bayerische Landtag und die Bayerische Staatsregierung hielten die Vorschrift von vornherein für verfassungsgemäß.
Kollision von Glaubensbekundung der Amtsträger und negativer Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Prozessbeteiligten
Die Richter haben zunächst das Grundrecht des Amtsträgers auf freie Religionsausübung mit der negativen Religionsfreiheit der Prozessbeteiligten abgewogen und stellten grundsätzlich fest, dass die negative Religionsfreiheit der Prozessbeteiligten zwar generell keinen Anspruch auf eine Unterbindung von Religionsausübungen anderer Personen begründe oder gar eine staatliche Schutzpflicht bestehe. Laut Pressemitteilung ergebe sich aber für die bayerischen Richter eine andere Situation, sofern die einzelne Person dem Staat ohne Ausweichmöglichkeit gegenübertrete. So heißt es in der Pressemitteilung:
„Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Einzelne durch eine vom Staat geschaffene Lage ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluss eines bestimmten Glaubens oder seiner Symbole ausgesetzt wird.“
Und eine solche, unausweichliche Lage liegt - sofern es sich um eine verpflichtende Teilnahme handelt - im Rahmen von Gerichtsprozessen nach Ansicht der Verfassungsgerichtshofrichter vor. Die staatliche Funktion des Amtsträgers spiele deshalb eine der Glaubensbekenntnisfreiheit übergeordnete Rolle. Das Tragen von religiösen Kleidungsstücken könne aus diesem Grunde „auch nicht dem Bereich der privaten Selbstdarstellung des Amtsträgers zugeordnet werden“.
Kollision von Glaubensbekundung der Amtsträger und Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität
Darüber hinaus wurde das Verbot im Lichte der Neutralitätspflicht des Staates betrachtet. Das Gericht wies dabei insbesondere darauf hin, dass die Neutralitätspflicht im Bereich der Justiz in besonderer Weise gelte. Denn: „Der Staat muss gewährleisten, dass die Gerichte mit Richtern besetzt sind, die unabhängig und unparteilich sind und die Gewähr von Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bieten.“ Laut Pressemitteilung widerspreche das Tragen von religiösen Kleidungsstücken diesem Grundsatz, da diese grundsätzlich dazu geeignet seien, „Zweifel an der Unvoreingenommenheit des jeweiligen Amtsträgers zu begründen“.
Nach umfassender Abwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern ist der Verfassungsgerichtshof zu dem Ergebnis gekommen, dass Art. 11 BayRiStAG mit Art. 107 BV zu vereinbaren sei.
„Dementsprechend ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber den Verfassungsgütern, die mit dem Verbot geschützt werden, größeres Gewicht beigemessen hat als der mit der angegriffenen Regelung verbundenen Beeinträchtigung des Grundrechts der Amtsträger auf freie Bekundung ihres Glaubens.“
Glaubensfreiheit, Art. 118 I BV
Bezüglich des Gleichheitssatzes rügten die Richter, dass die Antragstellerin nicht ausreichend dargelegt habe, worin sie eine Ungleichbehandlung sehe. Insbesondere differenziere das Gesetz nicht zwischen verschiedenen Religionen, was grundsätzlich eine Ungleichbehandlung darstellen würde. Und auch auf die Tatsache, dass Kreuze im Gerichtssaal hingen, kann die Annahme einer Ungleichbehandlung nicht gestützt werden, da die Ausstattung von Verhandlungsräumen ersichtlich einen anderen Sachverhalt als das Tragen von religiösen oder weltanschaulichen Symbolen durch die betroffenen Amtsträger betreffe.
Nach Ansicht der Richter ergebe sich dies bereits daraus, dass die Ausstattung der Gerichtssäle der Gerichtsverwaltung zugeordnet und deshalb nicht dazu geeignet sei, Zweifel an der Neutralität des sich jeweils im Gerichtssaal aufhaltenden Amtsträgers hervorzurufen.
Diskriminierungsverbot, Art. 118 II 1 BV
Darüber hinaus verstoße die Vorschrift nicht gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 118 II 1 BV, da sie nicht am Geschlecht des Amtsträgers anknüpfe. Auch männlichen Amtsträgern sei das Tragen von religiösen Kleidungsstücken untersagt. Denn: „[Vom Verbot] umfasst sind auch Kleidungsstücke, die ausschließlich oder vorwiegend von Männern getragen werden, wie etwa die Kippa oder der Dastar.“, heißt es in der Pressemitteilung.
-VerfGH Bayern, Entscheidung vom 14.03.2019 - Vf. 3-VII-18 -
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