LG Innsbruck zur Tierhalterhaftung
Heute richten wir unseren Blick nach Österreich, denn dort hatte das Landesgericht Innsbruck letzte Woche einen Fall zur Tierhalterhaftung zu entscheiden. Im Kern ging es um die Frage, ob ein österreichischer Landwirt seine weidende Mutterkuhherde hätte einzäunen müssen, um die an dem Weidegebiet vorbeiwandernden Personen vor Angriffen seiner Kühe zu schützen. Im Sommer 2014 trampelte die Kuhherde des Landwirtes eine Wanderin zu Tode.
Worum geht es?
Im Juli 2014 wanderte die 45-jährige Frau mit ihrem Hund auf einer öffentlichen Straße durch das Pinnistal. Die Straße sei laut Pressemitteilung des Landesgerichts „stark frequentiert“, da dort unter anderem mehrere Wanderwege zusammentreffen. In unmittelbarer Nähe liegt zudem - laut Feststellungen des Gerichts - eine Gastwirtschaft mit 220 Plätzen, die insbesondere im Sommer starken Zulauf genießt. Und auch die Mutterkuhherde soll sich meist in diesem Gebiet aufhalten: Zum einen, weil das dortige Gebiet angenehm flach sei und zum anderen, da sie in dem an die Gastwirtschaft angrenzenden Stall täglich Zusatzfutter erhalte. All diese Umstände führten zur folgenden Annahme des Gerichts:
„Durch das somit zwangsläufig häufige Aufeinandertreffen von Wanderern (mit und ohne Hunden) ist die Wahrscheinlichkeit von Reizungen der Herde hoch, was letztendlich auch zu einer erhöhten Aggressivität der Herde führte.“
Das Landesgericht stellte fest, dass am besagten Tag im Juli gegen Nachmittag eine Familie mit vier Kindern und zwei Hunden (angeleint) an der Kuhherde vorbeispazierte. Dies führte zu einer erheblichen Beunruhigung bei der Mutterkuhherde, die mutmaßlich um die Sicherheit ihrer Kälber besorgt war. Ein Mitglied der Wandergruppe wurde von einer Kuh angegriffen.
Etwa eine halbe Stunde nach diesem Vorfall kam die später verunglückte Hundehalterin ebenfalls an der Kuhherde vorbei. Ihren Hund hatte sie dabei angeleint, während sie die Leine mit einem Karabinerhaken um ihre Hüfte befestigt hatte. Als sie sich mit ihrem Hund der Herde näherte, verhielten sich die Kühe zunächst unauffällig. Erst als sie die Herde bereits vollständig passiert hatte, brach eine Unruhe unter den Tieren aus, welche dazu führte, dass sie die Verfolgung aufnahmen und Hund und Halterin von hinten umzingelten. Die Frau bemerkte hiervon zunächst nichts und wurde schließlich von der Herde angegriffen - sie stürzte sodann zu Boden und wurde ohne jegliche Verteidigungsmöglichkeit von den Tieren zu Tode getrampelt. Der Hund konnte entkommen.
Abzäunungen zum Schutz notwendig
Das Gericht hatte im Rahmen des Verfahrens zu klären, ob die Hinweisschilder des Landwirtes (Eigentümer der Weide und der Herde) als Warnung für Wanderer ausreichten und somit eine Haftung des Landwirtes für den Unglücksfall entfalle oder dem Ehegatten und dem Sohn der Verstorbenen ihr geltend gemachter Anspruch auf Schadensersatz zustehe.
Das Gericht gelangte aber schnell zu der Überzeugung, dass bloße Hinweisschilder nicht ausreichten: Der Landwirt hätte das Weidegebiet einzäunen müssen.
„An einem neuralgischen Punkt wie dem Unfallsort sind Abzäunungen zum Schutz des höchsten Gutes, des menschlichen Lebens, notwendig und aufgrund des geringen Aufwandes auch zumutbar.“
Bei der Abwägung ließ das Gericht jedoch nicht außer Acht, dass auch die Hundehalterin eine Sorgfaltspflichtverletzung begangen haben könnte. Denn: Durch die Fixierung des Hundes an der Hüfte der Halterin, konnte dieser nicht unverzüglich freigelassen werden. Der Frau hätte jedoch bewusst sein müssen, dass insbesondere Mutterkühe empfindlich auf die Anwesenheit von Hunden reagieren können. Das Landesgericht nahm jedoch an, dass die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs gering war und der Angriff im Wesentlichen durch die vorhergegangen Beunruhigung der Herde beeinflusst worden sei - was der Hundehalterin schließlich nicht bekannt sein konnte. Ihre Sorgfaltspflichtverletzung sei nach Ansicht des Gerichts somit als gering anzusehen und zu vernachlässigen. Der Landwirt wurde zur Zahlung von rund 180.000 Euro an Ehemann und Sohn verurteilt. Daneben muss er beiden eine beachtliche, monatliche Geldrente zahlen.
Landwirt will in Berufung gehen
Obwohl dieser Fall in Österreich spielt, lässt er sich leicht auf unser Rechtssystem adaptieren und hat auch gewisse **Examensrelevanz,**denn die Tierhalterhaftung spielt eine immer größere Rolle in Examensklausuren. Da Du Dich in Deiner Freizeit vermutlich nicht wirklich tiefergehend mit dem natürlichen Verhalten von Mutterkuhherden und den von ihnen ausgehenden möglichen Gefahren beschäftigen wirst, ist in solchen Klausuren insbesondere Deine Argumentationskraft gefragt. Es gilt dabei alle im Sachverhalt angegebenen Informationen zu verwerten. Im österreichischen Fall spielten für die Richter insbesondere folgende Faktoren eine Rolle:
- In der Nähe lag eine gut besuchte Gastwirtschaft, weshalb die Herde oft mit Menschen und deren tierischen Begleitern in Kontakt kam,
- die Herde hielt sich vornehmlich in dem Gebiet auf und wurde dort sogar gefüttert,
- der Hund war zwar angeleint, die Hundehalterin konnte den Hund allerdings nicht unverzüglich freilassen.
- Darüber hinaus, wird das Gericht die finanzielle Belastung einer Einzäunung als wohl zumutbar erachtet haben.
Landwirte reagierten auf das ergangene Urteil wenig positiv:
„Das Urteil ruft unter den Landwirten extreme Ängste und Verunsicherung hervor. Die Bauern fragen mich, ob sie die Kühe noch auf die Alm treiben sollen, oder ob sie die Almen komplett sperren sollen”, sagte der Präsident der Tiroler Landwirtschaftskammer, Josef Hechenberger nach Angaben der Neuen Westfälischen.
Und auch der betroffene Landwirt möchte in Berufung gehen - in einem Gespräch mit dem ORF Tirol machte sein Anwalt auf noch womöglich zu klärende Fragen aufmerksam:
„Das hätte eine Lawine von Folgen, insbesondere für Viehhalter im alpinen Bereich. Die freie Weide würde es dann nicht mehr geben, weil man dann jede Fläche von stärker frequentierten Wegen abzäunen muss. Und dann kommt noch das große Problem mit der Frage: Ab wann ist ein Weg stärker frequentiert?“
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