Cicero-Urteil

Cicero-Urteil

A. Sachverhalt

Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen eine Durchsuchung und Beschlagnahme in den Redaktionsräumen einer Zeitschrift.

Der Beschwerdeführer ist Chefredakteur und Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes des in Potsdam erscheinenden Politikmagazins CICERO. In der Ausgabe der Zeitschrift für April 2005 wurde ein Artikel des freien Journalisten S. über den Terroristen Abu Mousab al Zarqawi veröffentlicht, der sich mit Herkunft und Lebenslauf al Zarqawis sowie den von ihm unternommenen Anschlägen befasste. Dabei wurde in zum Teil sehr detaillierter Weise auf einen Auswertungsbericht des Bundeskriminalamts vom 6. September 2004 Bezug genommen, über den es in dem Artikel ausdrücklich heißt, er sei als “VS - nur für den Dienstgebrauch. Nicht gerichtsverwertbar - nur für die Handakte” gekennzeichnet. Aus dem Bericht wurde in dem Artikel ausführlich zitiert; dabei wurden auch Einzelheiten wie verschiedene Telefonnummern al Zarqawis genannt, die vom Bundesnachrichtendienst überwacht würden. Weiter wurden diverse Aktivitäten seiner Anhänger auch in Deutschland beschrieben. Deutlich wurde ferner, dass der Bericht des Bundeskriminalamts teilweise auf Erkenntnissen ausländischer Nachrichtendienste beruhte.

Unter dem 23. Juni 2005 erstattete das Bundeskriminalamt Strafanzeige wegen Verdachts einer Verletzung des Dienstgeheimnisses nach § 353b StGB. In der Strafanzeige wird dargestellt, dass es sich bei dem Bericht um einen Entwurf gehandelt habe, der das Bundeskriminalamt nicht autorisiert verlassen habe. Aus einem Anruf des Journalisten S. bei der Pressesprecherin des Bundeskriminalamts wisse man, dass S. ein Exemplar dieses Berichtsentwurfs, wohl in elektronischer Form, vorgelegen habe. Interne Ermittlungen des Bundeskriminalamts hätten ergeben, dass 192 Mitarbeiter des Bundeskriminalamts Zugang zu dem Entwurf gehabt hätten. Nach Auffassung des IT-Sicherheitsbeauftragten lasse sich nur mit mehr Informationen über den S. vorliegenden Bericht dessen Versendungsweg “etwas näher bestimmen” und “eventuell auch der zugriffsberechtigte Personenkreis etwas eingrenzen”. Mit Schreiben vom 17. August 2005 erteilte das Bundesministerium des Innern die Ermächtigung zur Strafverfolgung gemäß § 353b Abs. 4 StGB.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam leitete am 31. August 2005 ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer sowie den Journalisten S. wegen Beihilfe zur Verletzung des Dienstgeheimnisses gemäß §§ 353b, 27 StGB ein. Zugleich wurde ein Antrag an den Ermittlungsrichter beim Amtsgericht Potsdam gestellt, gemäß § 102, § 105 und § 162 I 2 StPO die Durchsuchung der Wohn-, Geschäfts- und Nebenräume des Beschuldigten S. in Berlin sowie der Redaktionsräume der Zeitschrift CICERO in Potsdam anzuordnen, da zu vermuten sei, dass dies zur Auffindung von im Einzelnen bezeichneten Beweismitteln führen werde, deren Beschlagnahme gemäß § 94 StPO beschlossen werden möge.

Mit Beschluss vom 31. August 2005 ordnete das Amtsgericht die beantragte Durchsuchung der Redaktionsräume der Zeitschrift CICERO sowie die Beschlagnahme eventuell gefundener Beweismittel an, da insbesondere folgende Gegenstände für das Verfahren von Bedeutung sein könnten:

Schriftstücke oder Dateien, die einen Auswertungsbericht des Bundeskriminalamts zu Abu Mousab Al Zarqawi, der vom Bundeskriminalamt als Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch – eingestuft worden ist, enthalten;

Datenträger (Disketten, CD-Roms o.Ä.), auf denen die oben genannte Datei abgelegt ist, Dateien auf Computern oder sonstigen Speichermedien, die entweder die oben genannte Datei enthalten, Aufschlüsse über ihre Herkunft zulassen oder E-Mail-Verkehr oder andere elektronische Kommunikation hinsichtlich dieser Datei enthalten;

Notizen und schriftliche Aufzeichnungen über die Kontakte des Beschuldigten S. zu Mitarbeitern des Bundeskriminalamts, aus denen sich ergibt, aus welcher Quelle er den o.g. Auswertungsbericht bzw. die entsprechende Datei erhalten hat;

Telefonbücher, Kalender und Ähnliches.

 

Zur Begründung heißt es in dem Beschluss unter anderem, der Auswertungsbericht, der das Bundeskriminalamt nicht autorisiert verlassen habe, sei dem Beschuldigten S. durch einen bislang nicht ermittelten Mitarbeiter des Bundeskriminalamts zwischen dem 7. September 2004 und dem 4. Februar 2005 zugespielt worden. Er enthalte insbesondere in seinen 392 Fußnoten unter anderem Erkenntnisse ausländischer Nachrichtendienste aus dem Bereich der Bekämpfung des islamischen Terrorismus. Insbesondere in diesem Bereich sei das Bundeskriminalamt in hohem Maße auf die informelle Zusammenarbeit mit Nachrichtendiensten angewiesen. Durch die Veröffentlichung in dem Magazin CICERO sei mit einem großen Vertrauensverlust der betroffenen Partnerbehörden zu rechnen, der sich auf die zukünftige Zusammenarbeit negativ auswirken werde. Der Tatbestand des § 353b StGB sei daher schon aufgrund der Weitergabe des als Verschlusssache klassifizierten Berichts durch einen Mitarbeiter des Bundeskriminalamts an den Beschuldigten S. erfüllt. Der Beschuldigte S. habe als Journalist ein Geheimnis im Sinne des § 353b StGB veröffentlicht und hierdurch Beihilfe zur Verletzung des Dienstgeheimnisses begangen, da ihm bekannt gewesen sei, dass die Weitergabe des Berichts durch einen Mitarbeiter des Bundeskriminalamts an ihn in der Absicht erfolgt sei, den geheimen Inhalt der Mitteilung in der Presse zu veröffentlichen.

 

Dies gelte auch für den Beschwerdeführer als Chefredakteur und Verantwortlichen im Sinne des Presserechts des Magazins CICERO, da ihm der Sachverhalt bekannt gewesen und der Artikel mit seinem Wissen veröffentlicht worden sei. Die Durchsuchung der Redaktionsräume entspreche den von dem Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien zur Durchsuchung von Redaktionsräumen in einem Strafverfahren und sei verhältnismäßig. Der in Teilen veröffentlichte interne Bericht des Bundeskriminalamts habe erhebliche sicherheitsrelevante Geheimnisse enthalten; die Verletzung des Dienstgeheimnisses sowie auch die Beihilfe hierzu erschienen mithin als besonders schwer wiegend, zumal die Strafnorm ohnehin ein gravierendes Delikt betreffe. Bei der zu durchsuchenden Redaktion handele es sich um eine räumlich überschaubare Örtlichkeit.

Die Durchsuchung der Redaktionsräume sollte am 12. September 2005 durchgeführt werden; da der Beschwerdeführer die mit dem Artikel in Zusammenhang stehenden Datenträger (CD-Roms sowie E-Mail-Ausdrucke) freiwillig herausgab, wurde von einer Durchsuchung abgesehen. Gegen die Erstellung einer so genannten physikalischen Datenkopie der Festplatte des Computers, der von dem seinerzeit für den Artikel zuständigen, zwischenzeitlich aber aus der Redaktion ausgeschiedenen Redaktionsmitarbeiter genutzt worden war, erhob der Beschwerdeführer Widerspruch.

Mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2005 legte der Beschwerdeführer Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 31. August 2005 ein und widerrief zugleich seine zunächst erteilte Einwilligung hinsichtlich einiger anderer sichergestellter Gegenstände; diese Gegenstände wurden im Anschluss hieran von den Ermittlungsbehörden herausgegeben.

Mit Beschluss vom 14. November 2005 bestätigte das Amtsgericht die Beschlagnahme der physikalischen Datenkopie der Festplatte des Computers des ehemaligen Redaktionsmitarbeiters. Es bestehe die Wahrscheinlichkeit, dass sich auf dem Rechner noch Daten befänden, die mit den Tatvorwürfen in Zusammenhang stünden und daher als Beweismittel in Betracht kämen. Da die Auswertung seitens des Landeskriminalamts Brandenburg nach Mitteilung der Polizei mittels eines Suchprogramms erfolge, welches anhand von eingegebenen Suchbegriffen (insbesondere “BKA”) nur die relevanten Dateien öffne und nicht etwa solche, die in keinerlei Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren stünden, erscheine die Maßnahme auch im Hinblick auf die schützenswerten Interessen der Presse nicht unverhältnismäßig.

Gegen diesen Beschluss legte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 17. November 2005 Beschwerde ein. Am 9. Dezember 2005 verfügte die Staatsanwaltschaft die Löschung der physikalischen Datenkopie, nachdem deren Auswertung keine Erkenntnisse erbracht hatte. Die Löschung wurde durch das Landeskriminalamt am 15. Dezember 2005 vorgenommen.

 

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Grundrechts aus Art. 5 I 2 GG.

B. Worum geht es?

Artikel 5 I 2 GG gewährleistet die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film. Doch wie darf der Staat reagieren, wenn der Verdacht einer Straftat durch einen Journalisten besteht? Das BVerfG hatte die folgende Frage zu beantworten:

„Genügt die bloße Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses im Sinne des § 353b StGB durch einen Journalisten im Hinblick auf Art. 5 I Satz 2 GG aus, um einen den strafprozessualen Ermächtigungen zur Durchsuchung und Beschlagnahme genügenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen?“

 

C. Wie hat das BVerfG entschieden?

Das BVerfG hält im Cicero-Urteil (Urteil v. 27.2.2007 – 1 BvR 538/06 (BVerfGE 117, 244 ff.)) die Verfassungsbeschwerde für begründet. Der Eingriff in die Pressefreiheit in Gestalt der Anordnung der Durchsuchung der Redaktion und der Beschlagnahme der dort gefundenen Beweismittel seien verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Durchsuchungen und Beschlagnahmen in einem Ermittlungsverfahren gegen Presseangehörige seien  verfassungsrechtlich unzulässig, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu ermitteln. Die bloße Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses im Sinne des § 353b StGB durch einen Journalisten genüge im Hinblick auf Art. 5 I 2 GG nicht aus, um einen den strafprozessualen Ermächtigungen zur Durchsuchung und Beschlagnahme genügenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen.

 

Zunächst stellt das BVerfG den sachlichen Schutzbereich der Pressefreiheit nach Art. 5 I 2 GG dar. Die Pressefreiheit umfasse auch den Schutz vor dem Eindringen des Staates in die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit sowie in die Vertrauenssphäre zwischen den Medien und ihren Informanten:

„Die Freiheit der Medien ist konstituierend für die freiheitliche demokratische Grundordnung (vgl. BVerfGE 7, 198 <208>; 77, 65 <74>; stRspr). Eine freie Presse und ein freier Rundfunk sind daher von besonderer Bedeutung für den freiheitlichen Staat (vgl. BVerfGE 20, 162 <174>; 50, 234 <239 f.>; 77, 65 <74>). Dementsprechend gewährleistet Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG den im Bereich von Presse und Rundfunk tätigen Personen und Organisationen Freiheitsrechte und schützt darüber hinaus in seiner objektiv-rechtlichen Bedeutung auch die institutionelle Eigenständigkeit der Presse und des Rundfunks (vgl. BVerfGE 10, 118 <121>; 66, 116 <133>; 77, 65 <74 ff.>). Die Gewährleistungsbereiche der Presse- und Rundfunkfreiheit schließen diejenigen Voraussetzungen und Hilfstätigkeiten mit ein, ohne welche die Medien ihre Funktion nicht in angemessener Weise erfüllen können. Geschützt sind namentlich die Geheimhaltung der Informationsquellen und das Vertrauensverhältnis zwischen Presse beziehungsweise Rundfunk und den Informanten (vgl. BVerfGE 100, 313 <365> m.w.N.). Dieser Schutz ist unentbehrlich, weil die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informationsquelle aber nur dann ergiebig fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich auf die Wahrung des Redaktionsgeheimnisses verlassen kann (vgl. BVerfGE 20, 162 <176, 187>; 36, 193 <204>).“

Als Chefredakteur sei der Beschwerdeführer auch vom persönlichen Schutzbereich der Pressefreiheit erfasst:

„Diese schützt alle im Pressewesen tätigen Personen, wobei der Schutz von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung reicht (vgl. BVerfGE 77, 346 <354>). Als Beschuldigter des Ermittlungsverfahrens ist der Beschwerdeführer von den Ermittlungsmaßnahmen persönlich betroffen; zudem berühren Durchsuchung und Beschlagnahme in den Redaktionsräumen seine dort ausgeübte Tätigkeit als Chefredakteur.“

 

Eine Durchsuchung in Presseräumen stelle wegen der damit verbundenen Störung der redaktionellen Arbeit und der Möglichkeit einer einschüchternden Wirkung einen Eingriff in die Pressefreiheit dar:

„Auch können potentielle Informanten durch die begründete Befürchtung, bei einer Durchsuchung könnte ihre Identität festgestellt werden, davon abgehalten werden, Informationen zu liefern, die sie nur im Vertrauen auf die Wahrung ihrer Anonymität herauszugeben bereit sind. Überdies liegt in der Verschaffung staatlichen Wissens über die im Bereich journalistischer Recherche hergestellten Kontakte ein Eingriff in das Redaktionsgeheimnis, dem neben dem Vertrauensverhältnis der Medien zu ihren Informanten eigenständige Bedeutung zukommt (vgl. BVerfGE 66, 116 <133 ff.>; 107, 299 <331>).

Durch die Anordnung der Beschlagnahme von Datenträgern zum Zwecke der Auswertung ist den Ermittlungsbehörden die Möglichkeit des Zugangs zu redaktionellem Datenmaterial eröffnet worden. Dies greift in besonderem Maße in die vom Grundrecht der Pressefreiheit umfasste Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit ein, aber auch in ein etwaiges Vertrauensverhältnis zu Informanten.“

 

Die §§ 353b, 27 StGB sowie §§ 94, 98, 102 StPO seien allgemeine Gesetze im Sinne von Art. 5 II GG. Allerdings seien sie unter Berücksichtigung der Pressefreiheit auszulegen und anzuwenden:

„Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet die Pressefreiheit ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Darunter sind alle Gesetze zu verstehen, die sich nicht gegen die Meinungsfreiheit oder die Freiheit von Presse und Rundfunk an sich oder gegen die Äußerung einer bestimmten Meinung richten, die vielmehr dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen. Dieses Rechtsgut muss in der Rechtsordnung allgemein und damit unabhängig davon geschützt sein, ob es durch Meinungsäußerungen oder auf andere Weise verletzt werden kann. Beschränkt die zum Schutz dieses Rechtsguts ergriffene Maßnahme die Meinungs- oder Pressefreiheit, so führt nicht schon dies zur Verneinung des Charakters der ermächtigenden Rechtsnorm als allgemeines Gesetz. Bei seiner Anwendung ist aber zu klären, ob die Güterabwägung zu einem Vorrang des Schutzes des Rechtsguts führt, dem das allgemeine Gesetz dient. Soweit die zur Beschränkung ermächtigenden Rechtsnormen auslegungsbedürftig sind, darf die Auslegung nicht zur Außerachtlassung des Schutzgehalts von Art. 5 Abs. 1 GG führen (vgl. BVerfGE 111, 147 <155>).

aa) Die in den angegriffenen Beschlüssen herangezogene Strafrechtsnorm des § 353 b StGB sowie die darauf bezogene Beihilfevorschrift des § 27 StGB sind allgemeine Gesetze. § 353 b StGB dient für sich allein, aber auch im Zusammenwirken mit § 27 StGB, dem Schutz vor der unbefugten Offenbarung von Dienstgeheimnissen und vor der Verletzung besonderer Geheimhaltungspflichten. Diese Schutzgüter sind in der Rechtsordnung allgemein durch Strafsanktionen geschützt, unabhängig davon, ob sie durch Meinungsäußerungen oder durch Presseorgane verletzt werden (vgl. BVerfGE 28, 191 <200>). Auch bei Auslegung und Anwendung von Strafvorschriften ist aber der Bedeutung der Pressefreiheit Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 28, 191 <201 f.>; stRspr). Dabei gebietet es die Verfassung nicht, Journalisten generell von strafprozessualen Maßnahmen auszunehmen (vgl. BVerfGE 107, 299 <331>;).

bb) Die angegriffenen Beschlüsse sind ferner auf die Vorschriften der Strafprozessordnung über die Durchsuchung und Beschlagnahme gestützt (§§ 94, 98, 102, 105 StPO). Die Bestimmungen der Strafprozessordnung mit ihrer prinzipiellen Verpflichtung für jeden Staatsbürger, zur Wahrheitsfindung im Strafverfahren beizutragen und die im Gesetz vorgesehenen Ermittlungsmaßnahmen zu dulden, sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als allgemeine Gesetze anerkannt; auch sie sind unter Berücksichtigung der Pressefreiheit auszulegen und anzuwenden (vgl. BVerfGE 77, 65 <81 ff.>; 107, 299 <329 ff.>).“

 

Die Anordnung der Durchsuchung der Redaktionsräume des Magazins CICERO und der Beschlagnahme der in dem amtsgerichtlichen Beschluss im Einzelnen bezeichneten Gegenstände sowie die Bestätigung der Beschlagnahme der physikalischen Datenkopie der Festplatte tragen dem Grundrecht der Pressefreiheit des Beschwerdeführers nicht hinreichend Rechnung. Der den gerichtlichen Anordnungen zugrunde liegende Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer reiche unter Berücksichtigung des Grundrechts aus Art. 5 I 2 GG für eine auf §§ 102, 94 StPO gegründete Durchsuchung und Beschlagnahme bei den in § 53 I Nr. 5 StPO genannten Personen nicht aus.

Der Tatverdacht der Beihilfe gegen den Beschwerdeführer stützte sich allein auf die Veröffentlichung und auf Hinweise darauf, dass der Verfasser des Artikels im Besitz des Auswertungsberichts gewesen sein musste. Für die Verwirklichung einer beihilfefähigen Haupttat, die einen Tatplan des Geheimnisträgers vorausgesetzt hätte, der gerade auf die Veröffentlichung der offenbarten Dienstgeheimnisse hinzielte, lagen demgegenüber keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vor:

„§ 353 b StGB stellt unter anderem die unbefugte Offenbarung eines Dienstgeheimnisses unter Strafe. Die Veröffentlichung des Geheimnisses deutet allerdings nicht zwingend auf das Vorliegen einer derartigen Haupttat durch den Geheimnisträger hin. Der Tatbestand des § 353 b StGB ist beispielsweise nicht verwirklicht und eine Beihilfe daher nicht möglich, wenn Schriftstücke oder Dateien mit Dienstgeheimnissen versehentlich oder über eine nicht zur Geheimhaltung verpflichtete Mittelsperson nach außen gelangen. Will der Geheimnisträger dem Journalisten nur Hintergrundinformationen liefern und erfolgt die Veröffentlichung abredewidrig, ist die Tat mit der Offenbarung des Geheimnisses nicht nur vollendet, sondern auch bereits beendet; dann kann eine Beihilfe durch die nachfolgende Veröffentlichung gar nicht mehr geleistet werden. In solchen Fällen kann eine Durchsuchung und Beschlagnahme nicht mit dem Ziel der Aufklärung einer Beihilfehandlung des Journalisten angeordnet werden.“

 

Dem durch Art. 5 I 2 GG gebotenen Informantenschutz bei der Auslegung und Anwendung der zur Durchsuchung und Beschlagnahme ermächtigenden Normen sei nicht hinreichend Rechnung getragen worden. Durchsuchungen und Beschlagnahmen in einem Ermittlungsverfahren gegen Presseangehörige seien verfassungsrechtlich unzulässig, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu ermitteln:

„Auch wenn die betreffenden Angehörigen von Presse oder Rundfunk nicht Zeugen, sondern selbst Beschuldigte sind und der Schutz des § 97 Abs. 5 StPO deshalb nicht besteht, dürfen in gegen sie gerichteten Ermittlungsverfahren wegen einer Beihilfe zum Dienstgeheimnisverrat Durchsuchungen nach § 102 StPO sowie Beschlagnahmen nach § 94 StPO zwar zur Aufklärung der ihnen zur Last gelegten Straftat angeordnet werden, nicht aber zu dem vorrangigen oder ausschließlichen Zweck, Verdachtsgründe insbesondere gegen den Informanten zu finden. Andernfalls könnte der von der Pressefreiheit umfasste Informantenschutz unterlaufen werden.

Das Risiko einer Verletzung des verfassungsrechtlich gebotenen Informantenschutzes ist besonders groß, wenn der Verdacht einer Beihilfe allein darauf gestützt wird, dass das Dienstgeheimnis in der Presse veröffentlicht worden ist und das maßgebende Schriftstück allem Anschein nach unbefugt in die Hände des Journalisten gelangt war. In einer solchen Situation kann die Staatsanwaltschaft den betroffenen Journalisten durch Einleitung eines gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens zum Beschuldigten machen. Das ist als solches verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Würde jedweder Verdacht aber auch für die Anordnung von Durchsuchung und Beschlagnahme bei den von § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StPO betroffenen Personen ausreichen, hätte die Staatsanwaltschaft es in ihrer Hand, durch die Entscheidung zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens den besonderen grundrechtlichen Schutz der Medienangehörigen zum Wegfall zu bringen, selbst wenn die Anhaltspunkte für eine Beihilfe schwach sind. Das ist der Fall, wenn nicht bekannt ist, ob das Handeln des Geheimnisträgers auf eine Veröffentlichung des Geheimnisses zielte und auch sonst keine auf eine solche Absicht hindeutenden Umstände erkennbar sind. Die Möglichkeit, auch aufgrund eines derart unzureichenden Verdachts Durchsuchungen und Beschlagnahmen in der Redaktion oder bei einem Journalisten anzuordnen, würde zu dem nicht von der Hand zu weisenden Risiko führen, dass die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren mit dem ausschließlichen oder überwiegenden Ziel einleitete, auf diese Weise den Informanten festzustellen. Dies aber widerspräche dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Informantenschutz (vgl. BVerfGE 20, 162 <191 f., 217>). Der Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gebietet, diesem Risiko entgegenzuwirken. Deshalb müssen die strafprozessualen Normen über Durchsuchung und Beschlagnahme dahingehend ausgelegt werden, dass die bloße Veröffentlichung des Dienstgeheimnisses durch einen Journalisten nicht ausreicht, um einen diesen Vorschriften genügenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen. Zu fordern sind vielmehr spezifische tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer vom Geheimnisträger bezweckten Veröffentlichung des Geheimnisses und damit einer beihilfefähigen Haupttat.“

 

Nach diesen Maßstäben widerspreche die vorliegend angeordnete Durchsuchung und Beschlagnahme in der von dem Beschwerdeführer geleiteten Redaktion dem von der Pressefreiheit gewährleisteten Schutz der Redaktionsarbeit unter Einschluss des Informantenschutzes:

„Die Anordnung der Durchsuchung und Beschlagnahme erfolgte in einer Situation, in der es keine Anhaltspunkte außer der Veröffentlichung des Berichts in der Zeitschrift dafür gegeben hatte, dass ein Geheimnisverrat durch den Geheimnisträger vorliegen könnte. Alle Ermittlungen in diese Richtung waren zuvor erfolglos geblieben.

Nach dem für die verfassungsgerichtliche Beurteilung maßgeblichen Wortlaut des amtsgerichtlichen Beschlusses vom 31. August 2005 sollte die Durchsuchung dementsprechend vorwiegend die Ermittlung des mutmaßlichen Informanten aus dem Bundeskriminalamt ermöglichen. Die Handlung des Beschwerdeführers, auf die allein der Anfangsverdacht der Beihilfe gestützt wurde, war die Veröffentlichung; diese aber war bekannt und bedurfte als solche keiner weiteren Ermittlung. Wie der Auflistung der als Beweismittel insbesondere gesuchten Gegenstände zu entnehmen ist, ging es darum, Anhaltspunkte dafür zu finden, wie und durch wen der Bericht in den Verfügungsbereich der Zeitschrift CICERO gelangt ist, und damit letztlich um die Frage, wer der Haupttäter der Straftat nach § 353 b StGB war. Besonders deutlich zeigt sich das Ziel der Identifizierung des Informanten an der Formulierung, gesucht würden “… Notizen und schriftliche Aufzeichnungen …, aus denen sich ergibt, aus welcher Quelle er (scil.: der Journalist) den … Auswertungsbericht … erhalten hat …”.

 

D. Fazit

Ein Dauerbrenner in jedem Rechtsstaat: Staatsschutz gegen Pressefreiheit. Das Urteil zugunsten von Cicero gilt als richtungweisend. Es stärkte die Pressefreiheit, die für die freiheitlich demokratische Grundordnung konstituierend ist.