BGH stärkt Rechte von Lebendorganspendern

BGH stärkt Rechte von Lebendorganspendern

Um des Lebensschutzes willen

Denn die Einhaltung der Vorgaben des Transplantationsgesetzes ist unabdingbare Voraussetzung, wenn – um des Lebensschutzes willen – die Bereitschaft der Menschen zur Organspende langfristig gefördert werden soll, sagt der BGH in seinem Grundsatzurteil vom Dienstag (29. Januar 2019) zur Arzthaftung bei Lebendorganspenden. 

 

Worum geht es?

Der unter anderem für die Arzthaftung zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshof hat in dieser Woche bezüglich zweier Fälle, in denen mögliche Schadensersatzforderungen wegen inhaltlich nicht ausreichenden bzw. formal nicht nach den Vorschriften des Transplantationsgesetzes erfolgten Aufklärungen im Vorfeld der Lebendorganspende ein Grundsatzurteil gesprochen und die Rechte von Spendern gestärkt. Zuvor hatte das Oberlandesgericht Hamm die Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen zweier Spender, die nach Nierenspenden unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen leiden, verworfen. 
 
Die Klägerin des ersten Falles spendete im Jahre 2009 ihrem an chronischer Niereninsuffizienz leidenden Vater eine Niere, die er im Jahre 2014 verlor. Nach eigenen Angaben leidet die Klägerin in Folge der Organspende an dem sogenannten Chronischen Fatigue-Syndrom (CFS), was sich insbesondere durch Müdigkeit und Antriebslosigkeit äußert. Zudem leide sie nun selbst an einer Niereninsuffizienz. Der Kläger der zweiten Klage spendete im Jahre 2010 seiner Ehefrau eine Niere. Auch er behauptet seit der Organentnahme am CFS zu leiden. Beide Kläger berufen sich auf eine inhaltlich bezüglich der eventuellen Folge der Organspende nicht ausreichende Aufklärung im Vorfeld der Operation. Bei beiden Klägern seien nach Feststellungen des Landgerichts bereits die präoperativen Nierenfunktionswerte grenzwertig gewesen. Zudem sei weder beim Aufklärungsgespräch ein zweiter, neutraler Arzt anwesend gewesen, noch das Aufklärungsgespräch niedergeschrieben worden. Beides sieht das Transplantationsgesetz in § 8 II 3 und 4 vor. Die Kläger begehren die Zahlung eines Schmerzensgeldes von der beklagten Uniklinik Essen und den beklagten handelnden Ärzten. Darüber hinaus soll die Ersatzpflicht für künftige Schäden festgestellt werden.  

Bisheriger Prozessverlauf

Das Landgericht Essen wies die Klagen jeweils ab. Die Berufungen zum Oberlandesgericht Hamm hatten keinen Erfolg. Die Instanzen gingen zwar jeweils davon aus, dass gegen die formalen Vorgaben des Transplantationsgesetzes verstoßen wurde. Diese „lediglich“ formalen Verstöße führten allerdings nicht zu einer Unwirksamkeit der Einwilligung der Kläger in die Organtransplantation und begründen somit keine Haftung der Ärzte. Der inhaltliche Verstoß bezüglich der unzureichenden Risikoaufklärung sei zudem mit dem Instrument der hypothetischen Einwilligung zu begegnen. Die Kläger hätten nicht plausibel dargelegt, dass sie die Organtransplantation bei ordnungsgemäßer Aufklärung abgelehnt hätten, weshalb im Umkehrschluss von einer hypothetischen Einwilligung der Kläger ausgegangen werden könne. Die Schadensersatzforderungen hatten somit soweit keinen Erfolg.  

Entscheidung des Bundesgerichtshofes

Der BGH hat nun ein deutliches Zeichen gesetzt: Die Vorentscheidungen wurden aufgehoben und die Sache zur Feststellung des Schadenumfangs an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Zwar können die formalen Mängel auch nach Ansicht des VI. Senates nicht zu einer Unwirksamkeit der Einwilligung der Organspender per se führen, sie stellen jedoch ein starkes Indiz dafür dar, „dass eine Aufklärung durch die – insoweit beweisbelastete – Behandlungsseite nicht oder jedenfalls nicht in hinreichender Weise stattgefunden hat“. Während die formalen Vorschriften des Transplantationsgesetzes lediglich den Ärzten vorschreiben, wie sie die Organspender ihrer eigenen „Selbstbestimmungsaufklärung begleiten“, sieht es der Senat allerdings als kritisch an, dass die Kläger nicht umfassend über die ihre eigene Gesundheit betreffenden Folgen aufgeklärt wurden.

Da die Kläger bereits vor der Operation keine zufriedenstellenden Nierenfunktionswerte aufwiesen, hätten sie auf die gesundheitlichen Risiken explizit hingewiesen werden müssen. Und auch die Tatsache, dass durch die Vorerkrankung des Vaters der einen Klägerin das Risiko des Verlustes des Organes beim Vater erhöht war, war mitteilungsbedürftig. Die Richter am BGH kommen somit zu dem Schluss, dass die Einwilligung der Kläger jeweils unwirksam und die durchgeführten Eingriffe rechtswidrig waren. Darüber hinaus bleibe kein Raum für die Auffassung des Berufungsgerichtes, dass die Kläger auch bei umfassender Aufklärung in die Organentnahme eingewilligt hätten.  

Figur der hypothetischen Einwilligung nicht anwendbar

Dies begründet der BGH damit, dass die Figur der hypothetischen Einwilligung im Transplantationsgesetzt schlicht nicht geregelt sei. Insbesondere wegen des gesondert geschaffenen und detailliert ausgestaltenden Regelungsbereiches des Transplantationsgesetzes, sei für eine Übertragung der für das Arzthaftungsrecht entwickelten Rechtsfigur der hypothetischen Einwilligung kein Raum. Und auch die allgemein aus dem Schadensrecht bekannte Figur des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ laufe hier ins Leere. Der Schutzzweck der erhöhten Aufklärungsanforderungen bei Lebendorganspenden würde durch ihre Anwendung unterlaufen, so die Auffassung des Bundesgerichtshofes.

Die strengen Voraussetzungen der Lebendorganspende sollen dem „Schutz des Organspenders vor sich selbst“ dienen, der sich regelmäßig in einer Konfliktlage befindet: Auf der einen Seite benötigt eine ihm nahestehende Person ein Organ, auf der anderen Seite riskiert der Spender möglicherweise seine eigene Gesundheit. Der Risikoaufklärung sei - insbesondere bei nichtregenerierungsfähigen Organen - deshalb ein besonders hohes Maß an Wichtigkeit zuzugestehen. Wenn die Figur der hypothetischen Einwilligung oder gar des rechtmäßigen Alternativverhaltens in diesem Bereich des Medizinrechts anerkannt würden, dann bliebe eine rechtswidrige Organentnahme insoweit immer sanktionslos. „Dies erschütterte das notwendige Vertrauen potentieller Lebendorganspender in die Transplantationsmedizin“, heißt es am Ende der Pressemitteilung aus Karlsruhe.