A. Sachverhalt
Nach den Feststellungen betrat der Angeklagte mit einer geladenen Schreckschusspistole eine Bankfiliale, lud die Pistole durch und forderte von den beiden anwesenden Bankmitarbeiterinnen mit den Worten “Geld her, das ist ein Überfall, sofort Geld her, sonst schieße ich” die Herausgabe von Bargeld. Eine der Mitarbeiterinnen befand sich in der gesicherten Kassenbox, die zweite zunächst im Schalterraum; sie flüchtete später ebenfalls in den Kassenraum. Im angrenzenden Besprechungsraum führte der Filialleiter ein Kundengespräch.
Der Angeklagte drohte, als ihm nicht sogleich Bargeld ausgehändigt wurde, mehrfach damit, “alle zu erschießen”; hierbei deutete er auf die Tür des Besprechungsraums. Die Mitarbeiterinnen, die die Drohung ernst nahmen, übergaben ihm daraufhin einen Bargeldbetrag in Höhe von 34.840 DM, mit welchem der Angeklagte flüchtete. Da sich nicht feststellen ließ, ob die von dem Angeklagten verwendete Pistole mit Gas- oder Schreckschussmunition geladen war, ist das Landgericht zu seinen Gunsten davon ausgegangen, dass nur Schreckschussmunition verwendet wurde.
B. Worum geht es?
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung unter Verwendung einer Waffe gemäß §§ 253, 255, 250 II Nr. 1 StGB verurteilt. Zwar hat es die Bedrohung einer Person mit der Schreckschusspistole aus kürzester Entfernung durch den Angeklagten nicht festgestellt. Gleichwohl hat es gemeint, der Angeklagte habe “mit der geladenen Schreckschusspistole auch eine Waffe im Sinne des § 250 II Nr. 1 StGB verwendet, da er gedroht hat, mit dieser Waffe andere zu erschießen.”
Der für die Entscheidung über die Revision des Angeklagten zuständige 2. Strafsenat des BGH wollte das Rechtsmittel verwerfen. Nach seiner Auffassung sei eine zur Bedrohung des Tatopfers eingesetzte geladene Schreckschusspistole zwar keine Waffe, sie sei aber als gefährliches Werkzeug im Sinne von § 250 II Nr. 1 StGB anzusehen, wenn “sie vom Täter innerhalb kürzester Zeit ohne weitere Zwischenschritte unmittelbar am Körper der bedrohten Person zum Einsatz gebracht” werden bzw. “sich die objektive Gefährlichkeit des Werkzeugs im unmittelbaren Fortgang des konkreten Tatgeschehens in kürzester Zeit realisieren” könne. Seine entgegenstehende eigene Rechtsprechung, wonach es sich bei einer bei einem Raub oder einer räuberischen Erpressung zur Bedrohung verwendeten geladenen Schreckschusspistole nicht um ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 250 II Nr. 1 StGB handele, wenn der drohende Einsatz nicht unmittelbar am Körper des Tatopfers erfolge, wollte der 2. Strafsenat aufgeben.
Auf Anfrage des 2. Strafsenats, der sich an der beabsichtigten Entscheidung durch die Rechtsprechung anderer Senate gehindert sieht, haben der 1., 3. und 4. Strafsenat mitgeteilt, es werde an der der beabsichtigten Entscheidung entgegenstehenden Rechtsprechung festgehalten. Daraufhin hat der 2. Strafsenat dem Großen Senat für Strafsachen gemäß § 132 II GVG folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
„Ist § 250 II Nr. 1 StGB anwendbar in Fällen, in denen der Täter einer räuberischen Erpressung das Tatopfer mit einer mit Platzpatronen geladenen Schreckschusspistole bedroht, bei welcher der Explosionsdruck nach vorne austritt, wenn diese innerhalb kürzester Zeit unmittelbar am Körper des Opfers zum Einsatz gebracht werden kann?“
C. Wie hat der BGH entschieden?
Der BGH entscheidet im Schreckschusspistolen-Fall (Beschl. v. 4.2.2003 – GSSt 2/02 (BGHSt 48, 197 ff.)) entscheidet, dass derjenige, der bei einer Raubtat das Opfer mit einer geladenen Schreckschusswaffe, bei der der Explosionsdruck nach vorn austritt, bedroht, eine Waffe verwendet und damit den Tatbestand des § 250 II Nr. 1 StGB erfüllt.
Zunächst stellt der Große Senat den (damaligen) Stand der Rechtsprechung dar:
„Die Rechtsprechung hat bisher Schreckschußwaffen nicht als “Waffen” im Sinne von § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a), Abs. 2 Nr. 1 StGB angesehen (vgl. z.B. BGHR StGB § 244 Abs. 1 Nr. 1 Schußwaffe 1; BGH StV 1998, 486 f.; 2001, 274 f.). Dem lag ein strafrechtlicher Waffenbegriff zugrunde, nach dem “Waffe” im Sinne von § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a), Abs. 2 Nr. 1 StGB, ebenso wie etwa in § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, derjenige körperliche Gegenstand ist, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und seinem Zustand zur Zeit der Tat bei bestimmungsgemäßer Verwendung geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen (vgl. BGHSt 44, 103, 105; 45, 92, 93; BGH NStZ 1999, 301, 302). Obwohl die Schreckschußwaffe auch schon im geltenden Waffenrecht in gewissem Umfang einer Schußwaffe im Sinne von § 1 Abs. 1 WaffG gleichgestellt ist (§ 1 Abs. 2 WaffG; BGHSt 37, 330; Steindorf, Waffenrecht 7. Aufl. WaffG § 1 Rdn. 10), hat die Rechtsprechung bei ihr eine “artbestimmte generelle Bestimmung, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen”, verneint. Davon ist auch noch der Gesetzgeber beim 6. StrRG vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 164) ausgegangen, durch das § 250 StGB seine jetzige Fassung erhielt. Danach sollten “Überfälle mit einer Spielzeugpistole, mit einer mit vier Platzpatronen geladenen Schreckschußwaffe oder unter Vorhalt einer ungeladenen Gaspistole” von § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) StGB nicht erfaßt sein (vgl. BTDrucks. 13/8587, S. 44).“
Daran hält der Große Senat jedenfalls in Bezug auf die geladene Schreckschusswaffe nicht mehr fest. Die geladene Schreckschusswaffe sei generell als “Waffe” im Sinne der strafrechtlichen Bestimmungen einzuordnen. Sie wird damit der geladenen Gaswaffe gleichgestellt, die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schon bisher allgemein als Schusswaffe und damit als Waffe im technischen Sinne angesehen wurde. Dafür führt er die Gleichartigkeit der Gefährlichkeit ins Feld:
„Maßgebend dafür ist, daß die Gefährlichkeit der geladenen Schreckschußwaffe nicht derart hinter der einer geladenen Gaswaffe zurücksteht, daß dies eine unterschiedliche rechtliche Einstufung länger rechtfertigt. Mit Gaskartuschen geladene Waffen sollen die körperliche Unversehrtheit eines anderen Menschen beeinträchtigen, indem das durch den Schuß freigesetzte Gas - auch über eine gewisse Distanz hinweg - auf das Nervensystem des Gegners einwirkt, während mit Knallkartuschen geladene Waffen in erster Linie zur Erzeugung eines Schußknalls dienen. Das allein steht der Qualifizierung der geladenen Schreckschußwaffe als “Waffe” im strafrechtlichen Sinne jedoch nicht entgegen.
Auch die geladene Schreckschußwaffe, bei der beim Abfeuern der Explosionsdruck nach vorn aus dem Lauf austritt, ist nach ihrer Beschaffenheit geeignet, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. Die Waffenmechanik bei dieser Waffe ist identisch mit der bei scharfen Waffen, sie unterscheidet sich nur dadurch, daß Sperrungen vorhanden sind, die das Abschießen fester Geschosse verhindern sollen. In der kriminaltechnischen und rechtsmedizinischen Literatur war früher schon wiederholt auf ihre Gefährlichkeit hingewiesen worden (vgl. u.a. Greiner Kriminalistik 1990, 540 ff.; Sattler/Wagner Kriminalistik 1986, 485; Rothschild/Krause ArchKrim 197 [1996], 65; Rothschild, Freiverkäufliche Schreckschußwaffen, 1999; ders. NStZ 2001, 406 ff.; Schyma/Schyma Rechtsmedizin 9 [1999], 210 ff.; Perdekamp/Peuten/Sequenc/Schmidt/Pollak ArchKrim 208 [2001], 88 ff.; Püschel/Kulle/Koops ArchKrim 207 [2001], 26 ff.). Diese Einschätzung hat sich in neuerer Zeit, zuletzt im Gesetzgebungsverfahren bei der Neugestaltung des Waffenrechts (dazu weiter unter 3. b), bestätigt und erhärtet. Art und Umfang möglicher Verletzungen hängen dabei von äußeren Bedingungen und dem Waffentyp ab, diese sind um so erheblicher, je näher sich die Waffe am Körper des Opfers befindet. Ein aufgesetzter Schuß auch mit einer Knallkartusche führt regelmäßig zu Aufplatzungen der Haut, je nach Waffenart auch zu schweren Verwundungen tieferliegenden Gewebes. Beim Ansetzen der Waffe an Kopf, Schläfe, Augen oder Hals kann ein Schuß auch tödliche Wirkung haben. Aus rechtsmedizinischer Sicht müssen “Schreckschußwaffen eigentlich genauso behandelt werden wie scharfe Waffen” (Äußerung des vom Innenausschuß des Deutschen Bundestages angehörten Sachverständigen Prof. Dr. Rothschild, Protokoll des Ausschusses 14. WP Nr. 92 S. 16).“
Darin sah sich der Große Senat auch durch die gesetzgeberischen Überlegungen zur Neuregelung des Waffenrechts bestätigt:
„a) Was als “Waffe” im Sinne § 250 StGB zu gelten hat, wird im Strafgesetzbuch nicht geregelt. Der Inhalt dieses Rechtsbegriffs ist zu bestimmen im Einklang mit dem allgemeinen Sprachgebrauch auch unter Berücksichtigung seiner Wandelbarkeit je nach dem Fortschritt der Waffentechnik in Anlehnung an die in den Waffengesetzen enthaltenen Grundvorstellungen über eine Schußwaffe, wenn auch nicht in unmittelbarer Abhängigkeit davon. Die Begriffsbestimmungen des Waffengesetzes, das den Umgang mit Waffen oder Munition unter Berücksichtigung der Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung regelt, bieten dabei aber eine “gewisse Orientierung” (vgl. BGH NJW 1965, 2115; BGHSt 24, 136, 138; BGH NStZ 1989, 476; vgl. auch BGHSt 4, 125, 127).
b) Durch das bereits verabschiedete Gesetz zur Neuregelung des Waffenrechts (WaffRNeuRegG - vom 11. Oktober 2002 - BGBl I 3970 - [Inkrafttreten: 1. April 2003]) wird aus Gesichtspunkten der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Rechtslage (auch) hinsichtlich der Schreckschußwaffen grundlegend geändert (vgl. zu dem Gesetz allgemein Soschinka/Heller NJW 2002, 2690 ff.; Weerth Kriminalistik 2003, 39 ff.). Der Gesetzgeber hat … Schreckschußwaffen wegen ihrer allgemeinen, nicht nur im einzelnen Anwendungsfall gegebenen Gefährlichkeit als “Feuerwaffen” eingestuft. Sie seien zwar nicht ursprünglich für Angriffs- oder Verteidigungszwecke gegen Menschen bestimmt, wiesen aber eine Gefährlichkeit auf, die derjenigen vergleichbar sei, die von echten Waffen ausgeht (BRDrucks. 596/01 S. 91 = BTDrucks. 14/7758 S. 49). Die Schreckschußwaffen werden deshalb nunmehr im Sinne des Waffengesetzes gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 WaffG nF Waffen im technischen Sinne (“Schußwaffen”, vgl. Anlage 1, Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 Nr. 1 sowie Nr. 2 und Nr. 2.7), für deren Führen es nach § 10 Abs. 4 Satz 4 WaffG nF auch eines Waffenscheins bedarf (Kleiner Waffenschein; Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 3 Nr. 2 und 2.1; für den bisherigen Rechtszustand vgl. § 2 Abs. 4 Nr. 2 der 1. WaffV).“
Die Bewertung der geladenen Schreckschusswaffe als Waffe im strafrechtlichen Sinne führe zu einer Harmonisierung desselben in § 250 I Nr. 1 Buchst. a) StGB und in II Nr. 1 der Vorschrift verwendeten Begriffs. Zudem würden auch weitere Ungereimtheiten vermieden:
„a) Der Täter, der täuschend androht, das Opfer mit seiner Schreckschußwaffe aus einer Entfernung, die nicht mehr zu schweren Verletzungen führen kann, zu erschießen, erfüllte nach der bisherigen Rechtsprechung “nur” § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst.
b) StGB. Hingegen machte sich derjenige Täter nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB strafbar, der androhte, mit seiner als solche erkennbaren Schreckschußwaffe näher zu kommen, und zwar auch dann, wenn er sich innerlich vorbehielt, von der Waffe keinen gefährlichen Gebrauch zu machen. Die daraus bislang erwachsene Notwendigkeit, Feststellungen zur Vorstellung des Täters über die beabsichtigte Verwendung der Schreckschußwaffe - Drohung nur aus der Distanz oder gegebenenfalls Einsatz auch aus der Nähe - zu treffen, entfällt nunmehr. Solche inneren Tatsachen sind für den Tatrichter ohnehin schwer aufzuklären.
b) Die Bewertung der geladenen Schreckschußwaffe als Waffe im Sinne des § 250 StGB beseitigt zugleich einen gewissen Wertungswiderspruch, der in einem Vergleich mit der Bewertung des Einsatzes eines Messers gefunden werden kann. Dieses wurde von der Rechtsprechung stets als “anderes gefährliches Werkzeug” im Sinne von § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB eingestuft, unabhängig von der festgestellten Entfernung zwischen Täter und Opfer (vgl. z.B. BGHR StGB § 250 Abs. 2 Nr. 1 Verwenden 1).“
D. Fazit
Die Entscheidung des Großen Senats zieht für die Rechtsprechung einen Schlussstrich unter die umstrittene Einordnung der Schreckschusswaffe und sollte daher bekannt sein.
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