BVerfG zur Leugnung des Holocaust

BVerfG zur Leugnung des Holocaust

A. Sachverhalt

In den Jahren 2014 und 2015 veröffentlichte B in der von ihr und einer weiteren Person in gedruckter Form und über das Internet vertriebenen Zeitschrift „Stimme des Reiches“ verschiedene Artikel, die schwerpunktmäßig Darlegungen enthielten, nach denen sich die massenhafte Tötung Menschen jüdischen Glaubens unter der Herrschaft des Nationalsozialismus nicht ereignet haben könne und insbesondere die Massenvergasungen in dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau nicht möglich gewesen seien. Zum Beleg dieser These, die in mehreren der Artikel als aufgrund neuer Erkenntnisse feststehende Tatsache präsentiert wird, verweisen die Artikel unter anderem mehrfach auf vom Institut für Zeitgeschichte veröffentlichte Lager- und Kommandanturbefehle, aus denen hervorgehe, dass das Lager Auschwitz-Birkenau allein dazu bestimmt gewesen sei, die dort internierten Personen für die Rüstungsindustrie arbeitsfähig zu halten. Darüber hinaus stützen sich die Artikel unter anderem auf mehrere angebliche Verlautbarungen der Leitung der Gedenkstätte in Auschwitz-Birkenau, auf verschiedene Historiker, auf näher bezeichnete Zeitungsinterviews und auf zahlreiche Aussagen vermeintlich als Lügner entlarvter, namentlich benannter Zeugen und Zeitzeugen.

Wegen dieser Äußerungen verurteilte das Amtsgericht Verden die B wegen Volksverhetzung in sieben Fällen und versuchter Volksverhetzung in einem Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der B setzte das Landgericht Verden die Gesamtfreiheitsstrafe ohne Aussetzung zur Bewährung auf zwei Jahre herab und verwarf die Berufung im Übrigen. Die hiergegen gerichtete Revision der Beschwerdeführerin verwarf das Oberlandesgericht ohne Begründung.

Verletzt die rechtskräftige Verurteilung die B in ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit?

B. Die Entscheidung des BVerfG (Beschl. v. 22.6.2018 – 2 BvR 673/18)

Der Schutzbereich von Art. 5 I 1 GG müsste eröffnet sein. Die Reichweite der Meinungsfreiheit wird vom BVerfG wie folgt definiert:

„a) Gegenstand des Schutzbereiches des Art. 5 Abs.1 Satz 1 GG sind Meinungen, das heißt Äußerungen, die durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt sind (vgl. BVerfGE 7, 198 <210>; 61, 1 <8>; 90, 241 <247>). Diese fallen stets in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden (vgl. BVerfGE 90, 241 <247>; 124, 300 <320>).

Neben Meinungen sind vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG auch Tatsachenmitteilungen umfasst, da und soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind beziehungsweise sein können (vgl. BVerfGE 61, 1 <8>; 90, 241 <247>). Nicht mehr in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallen hingegen bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen, da sie zu der verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsbildung nichts beitragen können (vgl. BVerfGE 54, 208 <219>; 61, 1 <8>; 90, 241 <247>).

Ob es sich bei einer Äußerung schwerpunktmäßig um eine Tatsache oder um ein Werturteil handelt, ist durch Auslegung der betreffenden Äußerung in ihrem Gesamtkontext zu ermitteln (vgl. BVerfGE 93, 266 <295>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 16. März 2017 - 1 BvR 3085/15 -, www.bverfg.de, Rn. 13). Dabei ist sicherzustellen, dass durch eine Trennung tatsächlicher und wertender Bestandteile einer Äußerung deren Sinn nicht verfälscht wird (vgl. BVerfGE 90, 241 <248>). Wo das nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen und in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit einbezogen werden (vgl. BVerfGE 90, 241 <248>).“

Die Äußerungen von B seien demnach als erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen nicht vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit gedeckt; dass an solche Tatsachenbehauptungen Meinungsäußerungen geknüpft werden, ändere daran nichts:

a) Die Äußerungen der Beschwerdeführerin beruhen in ihrem Kern auf Tatsachenbehauptungen, die jedenfalls für sich betrachtet nicht dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG unterfallen. Als erwiesen unwahre und nach den Feststellungen der Fachgerichte auch bewusst falsche Tatsachenbehauptungen können sie nicht zu der verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsbildung beitragen und ist deren Verbreitung als solche nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. Das ändert sich auch nicht dadurch, dass an solche Tatsachenbehauptungen Meinungsäußerungen geknüpft werden. Denn auch in solchen Fällen bleiben unwahre Tatsachenbehauptungen als solche - anders als durch Tatsachenbehauptungen verbundene Wertungen - vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ausgenommen.

Mit den Äußerungen stellt die Beschwerdeführerin die Bestimmung des Lagers Auschwitz-Birkenau als eine Anlage zur systematischen Vernichtung menschlichen Lebens in Abrede, streitet ab, dass es eine systematische Ermordung jüdischer Menschen durch das nationalsozialistische Deutschland im Allgemeinen und im Lager Auschwitz-Birkenau im Besonderen gegeben habe, und behauptet, dass nunmehr wissenschaftlich erwiesen sei, dass es in Auschwitz keine Massenvergasung mit Zyklon B gegeben habe. Diese Äußerungen sind, wie sich aus ungezählten Augenzeugenberichten und Dokumenten, den Erkenntnissen der Geschichtswissenschaft und den Feststellungen der Gerichte in zahlreichen Strafverfahren ergibt, erwiesen unwahr (vgl. BVerfGE 90, 241 <249>; vgl. für das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau etwa auch die Urteilsfeststellungen im Auschwitz-Prozess des Landgerichts Frankfurt am Main vom 19. und 20. August 1965, 4 Ks 2/63, S. 37-44; abgedruckt in: Sagel-Grande, Fuchs, Rüter <Hrsg.>, Justiz und NS-Verbrechen, Band XXI, lfd. Nr. 595).“

D. Fazit

Auch der freiheitliche Rechtsstaat setzt Ewiggestrigen Grenzen. Die Kammer des BVerfG bestätigt damit die Wunsiedel-Entscheidung.