A. Sachverhalt
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit Beleidigung und wegen Beleidigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es die Sicherungsverwahrung angeordnet.
In allen vier Fällen hat der Angeklagte die Mädchen, die seine auf dem Gehweg liegende Geldbörse aufgehoben hatten - im Fall 1 geht das Landgericht zu seinen Gunsten davon aus, dass die Geldbörse ihm zufällig aus seiner Hosentasche geglitten war, in den Fällen 2 bis 4 hat er seine Geldbörse auf den Gehweg gelegt, um Mädchen anzulocken -, verdächtigt, ihm Geld entwendet zu haben. Ihre (zutreffende) Behauptung, das sei nicht der Fall, hat er jeweils zum Anlass genommen, sie unter der Vorspiegelung, er wolle das entwendete Geld suchen, abzutasten, in den Fällen 1, 3 und 4 auch unter der Kleidung.
B. Worum geht es?
Das Landgericht sah in dem Abtasten unter der Kleidung eine Missachtung der Persönlichkeit der Mädchen und einen Angriff auf ihre „Geschlechtsehre“, weil er sie gegen ihren Willen durch entwürdigende körperliche Untersuchungen zum Objekt seiner - aus seiner Sicht - sexualbezogenen Handlungen gemacht und dadurch ihren sozialen Achtungsanspruch vorsätzlich verletzt habe. Die Beleidigung sei dabei mittels einer Tätlichkeit begangen worden, nämlich durch unmittelbare körperliche Einwirkung auf die Mädchen.
Dagegen wendet sich der Angeklagte und meint unter Berufung eine frühere Entscheidung des BGH zu den Grenzen einer Beleidigung durch sexualbezogene Handlungen, dass eine Strafbarkeit wegen Beleidigung ausscheide. Dort hatte der BGH (3. Strafsenat) nämlich entschieden, dass eine Beleidigung durch sexualbezogene Handlungen nur in Betracht komme, wenn das Verhalten des Täters wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls über die mit der sexuellen Handlung regelmäßig verbundene Beeinträchtigung hinaus einen Angriff auf die Geschlechtsehre der Jugendlichen enthalte.
Der BGH hatte deshalb erneut die Frage zu beantworten:
“Wann erfüllen sexualbezogene Handlungen, die nicht den Tatbestand eines Sexualdelikts erfüllen, den Tatbestand der Beleidigung?“
C. Wie hat der BGH entschieden?
Der BGH bestätigt im Fall „Beleidigung durch sexualbezogene Handlung II“ (Urt. v. 15.10.1987 – 4 StR 420/87 (BGHSt 35, 76 ff.)) die Verurteilung des Angeklagten wegen Beleidigung.
Zunächst stellt der 4. Strafsenat dar, dass die – auch hier bereits vorgestellte – Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1986 einer Strafbarkeit des Angeklagten wegen Beleidigung nicht entgegenstehe. Die dort zum Ausdruck gekommene Schranke gelte „nur für Handlungen, die mit dem regelmäßigen Erscheinungsbild eines Sexualdelikts notwendig verbunden“ seien:
„Der Bestrafung wegen Beleidigung steht die Entscheidung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 14. Mai 1986 (3 StR 504/85 = NStZ 1986, 453; vgl. auch OLG Zweibrücken NJW 1986, 2960 [OLG Zweibrücken 05.07.1985 - 1 Ss 62/84]) nicht entgegen. Dort hat der 3. Strafsenat zwar zum Ausdruck gebracht, es sei mit der Neufassung des Sexualstrafrechts im 4. Gesetz zur Reform des Strafrechts (4. StrRG) vom 23. November 1973 (BGBl. I 1725) nicht zu vereinbaren, “sexuelle Handlungen an Jugendlichen, wenn der Tatbestand eines Sexualdelikts nicht vorliegt, allgemein oder in bestimmten Fällen nach § 185 StGB zu ahnden”. Diese Einschränkung des Beleidigungsrechts gilt aber nur für Handlungen, die mit dem regelmäßigen Erscheinungsbild eines Sexualdelikts notwendig verbunden sind, darüber hinaus jedoch keinen Angriff auf die Geschlechtsehre enthalten, und nur deshalb nicht als Sexualstraftat zu ahnden sind, weil es an einem eingrenzenden Merkmal des Tatbestandes fehlt, etwa weil - wie in dem vom 3. Strafsenat entschiedenen Fall - die dem Erscheinungsbild der §§ 177, 178 StGB entsprechenden Handlungen im Einverständnis mit der Jugendlichen vorgenommen worden sind.“
Diese „Kongruenz“ bestehe hier indes nicht. Vielmehr enthielten die Handlungen einen eigenen Handlungsunwert:
„So liegt es hier nicht. Die gegen den Willen der Jugendlichen vorgenommenen sexualbezogenen Handlungen verletzen deren sozialen Achtungsanspruch. Sie sind mit dem Erscheinungsbild eines Sexualdelikts nicht notwendig verbunden. Sie enthalten vielmehr einen eigenen Handlungsunwert, den der Gesetzgeber in § 185 StGB unter Strafe gestellt hat.“
D. Fazit
Der 4. Strafsenat legt damit die Entscheidung des 3. Strafsenats recht eng aus und erweitert damit die Strafbarkeit einer Beleidigung durch sexualbezogene Handlungen. In der kommenden Woche werden wir auf einen Fall eingehen, den der 2. Strafsenat zu entscheiden hatte.
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