A. Sachverhalt (vereinfacht)
Nachdem die Angeklagte S. am 11. Februar 2017 festgenommen worden war, wurde sie in den Räumen einer Polizeiwache in G. - in Anwesenheit der geschädigten Polizeibeamtin St. - von einer weiteren Polizeibeamtin körperlich durchsucht. Die Angeklagte, der die Durchsuchung missfiel, rief der Geschädigten zu: “Und Du willst wohl auch gleich in meine Fotze gucken? Soll ich auch in Deine greifen?” Dabei griff sie der Geschädigten mit einer schnellen Bewegung in den Schritt und kniff sie dort schmerzhaft. Die Geschädigte war hierdurch schockiert; der Vorfall war ihr peinlich, und sie ekelte sich sehr.
Strafbarkeit der S wegen sexueller Belästigung?
B. Die Entscheidung des BGH (Beschl. v. 13.3.2018 – 4 StR 570/17)
Strafbarkeit wegen sexueller Belästigung gemäß § 184i I StGB
S könnte sich wegen sexueller Belästigung gemäß § 184i I StGB strafbar gemacht haben, indem sie der Polizeibeamtin St. in den Schritt griff.
I. Objektiver Tatbestand
S hat die Beamtin körperlich berührt. Dies müsste „in sexuell bestimmter Weise“ geschehen sein.
Zur Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals hat sich der BGH noch nicht geäußert. Im Schrifttum werden insoweit unterschiedliche Auslegungsansätze vertreten, die der BGH zunächst darstellt:
„aa) Teile der Literatur bestimmen den Begriff “in sexuell bestimmter Weise” anhand objektiver Umstände und verlangen, dass sich der Sexualbezug aus der Berührung als solcher ergeben müsse - diese müsse nach ihrem äußeren Erscheinungsbild eine sexuelle Konnotation aufweisen (vgl. MüKo-StGB/ Renzikowski, 3. Aufl., § 184i Rn. 8; ders., NJW 2016, 3553, 3557; SK-StGB/ Noltenius, 9. Aufl., § 184i Rn. 6; Hörnle, NStZ 2017, 13, 20; Hoven/Weigend, JZ 2017, 182, 189; in diese Richtung auch Krug/Weber, ArbR 2018, 59, 60). Zur Bestimmung des Sexualbezugs werden als Kriterien genannt die soziokulturell bestimmte Bedeutung der berührten Körperstelle (Renzikowski, aaO) sowie der Umstand, dass für den in Rede stehenden Körperkontakt typischerweise das Bestehen einer intimen Beziehung vorausgesetzt werde (Hörnle, aaO; Noltenius, aaO).
bb) Nach anderer - weiter gehender - Auffassung soll das Vorliegen einer Berührung “in sexuell bestimmter Weise” anhand der Auslegungskriterien zu bestimmen sein, welche die Rechtsprechung zum Begriff der sexuellen Handlung nach § 184h Nr. 1 StGB entwickelt hat (Fischer, StGB, 65. Aufl., § 184i Rn. 4 bis 5a; in diese Richtung auch BeckOK-StGB/Ziegler, Stand: 1. Februar 2018, § 184i Rn. 4 und 5); demnach könne eine Berührung sowohl objektiv - nach dem äußeren Erscheinungsbild - als auch subjektiv - nach den Umständen des Einzelfalls - sexuell bestimmt sein, wobei es allerdings nicht ausreiche, dass die Handlung allein nach der subjektiven Vorstellung des Täters sexuellen Charakter habe (Fischer, aaO).“
Der weit gefasste Wortlaut des § 184i StGB spreche für eine Maßgeblichkeit der zum Begriff der sexuellen Handlung (§ 184h Nr. 1 StGB) entwickelten objektiven und subjektiven Kriterien:
„Dieser verlangt lediglich, dass die belästigende Berührung überhaupt einen Sexualbezug aufweist (“in sexuell bestimmter Weise”), schränkt aber die hierfür maßgeblichen Umstände in keiner Weise ein. Es kommt hinzu, dass beide Vorschriften - unmittelbar aufeinanderfolgend - im 13. Abschnitt des Strafgesetzbuches geregelt sind und einheitlich dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung dienen.“
Der Sinn und Zweck der Norm spreche ebenfalls für die Übertragung der zu § 184h Nr. 1 StGB entwickelten Grundsätze auf den Straftatbestand der sexuellen Belästigung:
„Weiter spricht für die Übertragung der zu § 184h Nr. 1 StGB entwickelten Grundsätze auf den Straftatbestand der sexuellen Belästigung das Anliegen des Gesetzgebers, mit § 184i StGB solche Handlungen zu pönalisieren, die mangels Erreichen der Erheblichkeitsgrenze zwar keine sexuellen Handlungen im Sinne des § 184h Nr. 1 StGB darstellen, aber gleichwohl sexuell belästigend wirken (vgl. BT-Drucks. 18/9097, S. 30). Der Gesetzgeber sah sich also maßgeblich durch die Erheblichkeitsgrenze des § 184h Nr. 1 StGB veranlasst, den Tatbestand der sexuellen Belästigung einzuführen, um auch weniger gravierende Handlungsformen strafrechtlich zu erfassen (ebenso BGH, Urteile vom 26. April 2017 - 2 StR 574/16 und 2 StR 580/16, aaO). Ausgehend von diesem Anliegen ist es jedoch folgerichtig, den - von der Erheblichkeitsfrage zu trennenden - Sexualbezug der Berührung so zu bestimmen wie bei der sexuellen Handlung gemäß § 184h Nr. 1 StGB, zumal der Gesetzgeber diesbezüglich keinen ergänzenden Regelungsbedarf sah.“
Einer solchen Auslegung stehe nicht die weitere Gesetzesbegründung zu § 184i I StGB entgegen, wonach eine Berührung in sexuell bestimmter Weise erfolge, wenn sie sexuell motiviert sei; dies liege nahe, wenn der Täter das Opfer an den Geschlechtsorganen berühre oder Handlungen vornehme, die typischerweise eine sexuelle Intimität zwischen den Beteiligten voraussetze (BT-Drucks. 18/9097, S. 30):
„Danach wäre der Sexualbezug einer Berührung grundsätzlich anhand der subjektiven Tatseite zu bestimmen und müsste stets mit einer sexuellen Motivation des Täters einhergehen; die äußere Handlung könnte lediglich als Beweisanzeichen für eine entsprechende Motivation herangezogen werden (vgl. zu einem entsprechenden Verständnis der Gesetzesbegründung Hörnle, NStZ 2017, 13, 20 Fn. 83). Eine solche maßgeblich mit der Tätermotivation verknüpfte Auslegung stünde jedoch in Widerspruch zu Sinn und Zweck des § 184i StGB. Schutzgut dieser Vorschrift ist das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung (vgl. BT-Drucks. 18/9097, S. 30; MüKo-StGB/Renzikowski, aaO, § 184i Rn. 1; NK-StGB/Frommel, 5. Aufl., § 184i Rn. 2; SK-StGB/Noltenius, aaO, § 184i Rn. 2). Verlangte man für die Strafbarkeit aber stets eine sexuelle Tätermotivation, würde dies den Tatbestand der sexuellen Belästigung in erheblichem Maße einschränken, da gerade bei den von § 184i StGB ins Auge gefassten Berührungen (vgl. BT-Drucks. 18/9097, S. 29 f.: u.a. flüchtiger Griff in den Schritt, “Begrapschen des Gesäßes”) häufig keine eigentliche sexuelle Motivation des Täters - insbesondere in Form eines angestrebten Lustgewinns - feststellbar sein wird. Vielmehr werden solche Berührungen oftmals aus anderen Gründen erfolgen, etwa um das Gegenüber zu belästigen, zu demütigen oder durch Distanzlosigkeit zu provozieren. An der Beeinträchtigung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung ändert sich hierdurch aber nichts.
Dementsprechend steht es nach ständiger Rechtsprechung bei Verhaltensweisen, die bereits nach ihrem äußeren Erscheinungsbild die Sexualbezogenheit erkennen lassen, der Annahme einer sexuellen Handlung gemäß § 184h Nr. 1 StGB nicht entgegen, dass der Täter nicht von sexuellen Absichten geleitet ist, sondern aus Wut, Sadismus, Scherz oder zur Demütigung seines Opfers handelt (vgl. BGH, Urteile vom 22. Oktober 2014 - 5 StR 380/14, NStZ 2015, 33, 35; vom 20. Dezember 2007 - 4 StR 459/07, NStZ-RR 2008, 339, 340; vom 11. Mai 1993 - 1 StR 896/92, BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 6; vom 9. November 1982 - 1 StR 672/82, NStZ 1983, 167; vom 24. September 1980 - 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336, 338; MüKo-StGB/Hörnle, 3. Aufl., § 184h Rn. 7 mwN). Diese Grundsätze gelten nach Auffassung des Senats auch für die Auslegung von § 184i Abs. 1 StGB, soweit es sich um eine bereits nach den äußeren Umständen sexualbezogene Berührung handelt. Der teilweise in eine andere Richtung weisenden Gesetzesbegründung ist keine bewusste Abkehr von den vorgenannten Grundsätzen zu entnehmen. Der Gesetzgeber hatte Fallgestaltungen äußerlich eindeutig sexualbezogener Körperkontakte bei fehlender sexueller Motivation offenbar lediglich nicht im Blick.“
Eine rein objektive Auslegung, nach der sich der Sexualbezug allein aus dem äußeren Erscheinungsbild der Berührung als solcher ergeben müsse, würde den gesetzgeberischen Zweck der Vorschrift verfehlen:
„Gerade im Bereich von Körperkontakten unterhalb der Erheblichkeitsgrenze des § 184h Nr. 1 StGB sind zahlreiche Formen äußerlich ambivalenter Berührungen denkbar, die aber bei Kenntnis aller Umstände, unter Berücksichtigung des gesamten Handlungsrahmens und nach ihrem sozialen Sinngehalt in einem eindeutigen sexuellen Kontext erscheinen. Hierbei können insbesondere sexuelle Absichten des Täters (etwa gezieltes Herandrängen an eine andere Person in öffentlichen Verkehrsmitteln, um sich hieran zu erregen - vgl. hierzu Fischer, aaO, § 184i Rn. 5) oder flankierende Äußerungen (vgl. BGH, Urteile vom 6. Februar 2002 - 1 StR 506/01, NStZ 2002, 431, 432; vom 22. Mai 1996 - 5 StR 153/96, StV 1997, 524 - jeweils zu § 184c Nr. 1 aF) von Bedeutung sein.“
Eine Berührung in sexuell bestimmter Weise sei demnach zu bejahen, wenn sie einen Sexualbezug bereits objektiv, also allein gemessen an dem äußeren Erscheinungsbild, erkennen lasse:
„Darüber hinaus können auch ambivalente Berührungen, die für sich betrachtet nicht ohne Weiteres einen sexuellen Charakter aufweisen, tatbestandsmäßig sein. Dabei ist auf das Urteil eines objektiven Betrachters abzustellen, der alle Umstände des Einzelfalles kennt; hierbei ist auch zu berücksichtigen, ob der Täter von sexuellen Absichten geleitet war. Insofern gilt im Rahmen von § 184i Abs. 1 StGB nichts anderes als bei der Bestimmung des Sexualbezugs einer Handlung gemäß § 184h Nr. 1 StGB (vgl. hierzu die st. Rspr.; BGH, Urteile vom 8. Dezember 2016 - 4 StR 389/16 Rn. 7; vom 21. September 2016 - 2 StR 558/15, NStZ 2017, 528; vom 10. März 2016 - 3 StR 437/15, BGHSt 61, 173, 176; vom 6. Februar 2002 - 1 StR 506/01, NStZ 2002, 431, 432; Beschlüsse vom 6. Juni 2017 - 2 StR 452/16, StV 2018, 231; vom 19. August 2015 - 5 StR 275/15, StraFo 2015, 471).“
Danach habe S die Geschädigte in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt:
„Die Angeklagte hat die Geschädigte nach den Urteilsfeststellungen gezielt in den Schritt - also in den Bereich des primären Geschlechtsorgans - gekniffen. Hierdurch ergibt sich bereits nach dem äußeren Erscheinungsbild ein Bezug zum Geschlechtlichen (vgl. für Berührungen im Bereich der primären Geschlechtsorgane im Ergebnis übereinstimmend: BT-Drucks. 18/9097, S. 30; Fischer, aaO, § 184i Rn. 4; MüKo-StGB/Renzikowski, aaO, § 184i Rn. 8; Hörnle, NStZ 2017, 13, 20). Dieser sexuelle Bezug wurde, ohne dass es hierauf noch maßgeblich ankäme, verstärkt durch die begleitende Äußerung der Angeklagten, aus welcher sich ergibt, dass gerade die Intimsphäre der Geschädigten als Reaktion auf die eigene, als störend empfundene körperliche Durchsuchung verletzt werden sollte.
Da sich eine Berührung in sexuell bestimmter Weise bereits hinreichend aus den äußeren Umständen ergibt, ist es unerheblich, dass keine sexuelle Motivation der Angeklagten festgestellt ist, sondern sie naheliegend allein aus Renitenz und zur Provokation der Geschädigten handelte.“
Schließlich müsste die Beamtin St. dadurch belästigt worden sein. Zu den Anforderungen führt der BGH aus, dass im Rahmen dieser Vorschrift nicht jede Form von subjektiv empfundener Beeinträchtigung als tatbestandsrelevante Belästigung ausreiche:
„Angesichts des Schutzguts der im 13. Abschnitt verorteten Strafnorm und ihrer amtlichen Überschrift muss es sich vielmehr gerade um eine “sexuelle Belästigung” handeln, bei welcher die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers tangiert ist (vgl. BT-Drucks. 18/9097, S. 30; Fischer, aaO, § 184i Rn. 6; BeckOK-StGB/Ziegler, aaO, § 184i Rn. 8).“
Dies sei hier der Fall. Die Geschädigte empfand den Vorfall als peinlich und ekelte sich.
Da die Berührung im Schritt der Geschädigten ohne Weiteres geeignet gewesen sei, sexuell belästigend zu wirken, brauchte der Senat nicht zu entscheiden, ob es allein auf das individuelle Empfinden des Tatopfers ankommt oder ob zusätzlich eine aus objektiver Perspektive zu bestimmende Eignung zur Belästigung vorliegen muss:
„Angesichts der tatbestandlichen Reichweite von § 184i StGB neigt der Senat jedoch der Auffassung zu, dass es nicht allein auf das subjektive Empfinden des Opfers ankommt, sondern dass die Berührung auch bei einer wertenden Betrachtung objektiv geeignet sein muss, sexuell belästigend zu wirken (in diese Richtung weist auch die Gesetzesbegründung, wonach bloße Ärgernisse, Ungehörigkeiten oder Distanzlosigkeiten “nicht ohne Weiteres dazu geeignet seien, die sexuelle Selbstbestimmung zu beeinträchtigen”, BT-Drucks. 18/9097, S. 30).“
II. Subjektiver Tatbestand
„Die Angeklagte S. handelte auch vorsätzlich. Insoweit reicht es aus, dass sich der Täter des sexuellen Charakters seines Tuns bewusst ist (vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 2017 - 5 StR 518/17, BGHR StGB § 184i Abs. 1 Tathandlung 1; vgl. zum Begriff der sexuellen Handlung BGH, Urteile vom 22. Oktober 2014 - 5 StR 380/14, NStZ 2015, 33, 34; vom 11. Mai 1993 - 1 StR 896/92, BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 6; Fischer, aaO, § 184h Rn. 10; MüKo-StGB/Renzikowski, aaO, § 184h Rn. 7). Ein entsprechender Vorsatz ist den Feststellungen zu entnehmen und im Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe belegt, da die Angeklagte der Geschädigten gezielt in den Schritt kniff und den Sexualbezug bewusst durch ihre begleitende Äußerung unterstrich.“
III. Ergebnis
S hat sich wegen sexueller Belästigung strafbar gemacht.
C. Fazit
Der recht neue Tatbestand der sexuellen Belästigung, der durch das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 4. November 2016 (BGBl. I, S. 2460) eingeführt wurde, steht sicherlich nicht im Zentrum des Prüfungsstoffs. Dennoch ist die Entscheidung schon in methodischer Hinsicht lehrreich, weil sie schulmäßig eine neue Auslegungsfrage (zum Merkmal „in sexuell bestimmter Weise“) klärt. Zudem gehören die Grundlagen der Strafbarkeit nach § 184i I StGB in Zeiten der #MeToo-Bewegung zum juristischen Allgemeinwissen.
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