A. Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin, eine rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts, wendet sich gegen den am 6. Dezember 2013 (BGBl I S. 1386) in Kraft getretenen § 6a Bundesjagdgesetz (BJagdG), das im Übrigen aus dem Jahr 1977 stammt.
Nach den jagdrechtlichen Bestimmungen sind die Eigentümer der einem gemeinschaftlichen Jagdbezirk zugehörenden Grundstücke verpflichtet, die Ausübung der Jagd auf denselben zu dulden. § 6a BJagdG eröffnet natürlichen Personen, die Eigentümer solcher Grundstücke sind und glaubhaft machen können, die Jagd aus ethischen Gründen abzulehnen, die Möglichkeit, einen Antrag auf Ruhen der Jagd (Befriedung) zu stellen. Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin von in einem gemeinschaftlichen Jagdbezirk gelegenen Grundflächen. Sie macht geltend, als juristische Person sei ihr die Möglichkeit einer Befriedung ihrer Grundstücke nicht eröffnet, obwohl sie die Jagd auf Wildtiere gemäß ihrem auf einer Gewissensentscheidung beruhenden Stiftungszweck und den entsprechenden Überzeugungen der hinter ihr stehenden Menschen ebenfalls aus ethischen Gründen ablehne.
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 3 I GG und ihres durch die gewissensgeprägte Ablehnung der Jagd „verstärkten“ Eigentumsrechts nach Art. 14 I GG dadurch, dass der Gesetzgeber es unterlassen habe, in § 6a BJagdG auch für juristische Personen eine Möglichkeit zur Befriedung ihrer zu einem gemeinschaftlichen Jagdbezirk gehörenden Grundstücke aus ethischen Gründen zu schaffen.
Für eine Ungleichbehandlung zwischen natürlichen und juristischen Personen gebe es keinen sachlichen Grund. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sei geklärt, dass das Recht auf Gewissensfreiheit nach Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht nur Individuen, sondern auch Organisationen und Gruppen schütze. Außerdem habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 26. Juni 2012 in der Sache Herrmann gegen Deutschland (Nr. 9300/07), das durch § 6a BJagdG umgesetzt werden solle, nicht auf die Gewissensfreiheit, sondern auf das nach Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK geschützte Eigentumsrecht abgestellt, dessen Träger unproblematisch auch juristische Personen seien. Jedenfalls sei es sachwidrig, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit von Gewissenskonflikten juristischer Personen ohne Rücksicht auf deren Zielsetzung und Organisationsform kategorisch verneint habe. Der Gesetzgeber sei mit Blick auf das durch die Gewissensfreiheit „aufgeladene“ Eigentumsrecht nach Art. 14 I GG verpflichtet, in § 6a BJagdG auch für die im Eigentum juristischer Personen stehenden Grundstücke im gemeinschaftlichen Jagdbezirk die Möglichkeit zur Befriedung aus ethischen Gründen vorzusehen.
Hat die Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg?
B. Die Entscheidung des BVerfG (Beschl. v. 2.5.2018 – 1 BvR 3250/14)
Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist.
I. Zulässigkeit
Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich aus Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG.
Fraglich ist bereits, ob sich die B hier in zulässiger Weise eine gegen ein gesetzgeberisches Unterlassen gerichtete Verfassungsbeschwerde erhoben hat. Das BVerfG führt aus, dass B durch das von ihr gerügte gesetzgeberische Unterlassen nicht in ihrem Grundrecht auf Eigentum beschwert werde. Zwar sei eine Verfassungsbeschwerde, die sich gegen ein gesetzgeberisches Unterlassen oder eine nicht vorgenommene Nachbesserung richte, nicht an die Jahresfrist des § 93 III BVerfGG gebunden. Sie setze allerdings voraus, dass der Gesetzgeber gänzlich untätig geblieben sei, andernfalls drohe die Jahresfrist unterlaufen zu werden:
„Eine nicht an die Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG gebundene, auf die Verletzung von Freiheitsrechten durch gesetzgeberisches Unterlassen gestützte Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf einen verfassungsrechtlichen Auftrag, der auch in der Verpflichtung zur Nachbesserung bestehen kann, gänzlich untätig geblieben ist. Ist der Gesetzgeber hingegen ablehnend tätig geworden, hat er eine Entscheidung nicht unterlassen. Vielmehr muss dann diese Regelung als solche bei gegenwärtiger und unmittelbarer Betroffenheit innerhalb der Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG oder ansonsten im Rahmen der Anfechtung eines Vollziehungsaktes angegriffen werden. Andernfalls träte neben die fristgebundene Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz wahlweise die weitere unbefristete Verfassungsbeschwerde, die den Gesetzgeber zum Erlass eines grundrechtsgemäßen Gesetzes anhalten wolle (vgl. BVerfGE 23, 229 <237 f.>; 56, 54 <71>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23. August 1999 - 1 BvR 2164/98 -, juris, Rn. 11; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 26. Februar 2010 - 1 BvR 1541/09, 1 BvR 2685/09 -, juris, Rn. 13 ff.). Ausgehend davon mag das gerügte gesetzgeberische Unterlassen zwar mit Blick auf das Gebot der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG relevant sein, es berührt aber nicht die Freiheitsrechte juristischer Personen, die einen auf ethische Gründe gestützten Antrag auf Befriedung ihrer im gemeinschaftlichen Jagdbezirk liegenden Grundstücke stellen möchten.“
Das Eigentumsrecht an Grundstücken innerhalb eines gemeinschaftlichen Jagdbezirks sei durch die bereits am 1. April 1977 in Kraft getretenen jagdrechtlichen Vorschriften ausgestaltet. Der Gesetzgeber sei mit § 6a BJagdG keiner irgendwie gearteten grundrechtlichen Pflicht zum Schutz einer gewissensgeprägten Ausübung des Eigentumsrechts nachgekommen, sondern habe lediglich in einem bestimmten Fall die gesetzlich auferlegte Pflicht zur Duldung der Jagd zugunsten natürlicher Personen beseitigt. Dies sehe § 6a BJagdG zwar nicht für juristische Personen vor, ihnen werde mit dieser Regelung jedoch auch keine über die bereits bestehende Duldungspflicht hinausgehende Beschwer auferlegt:
„Der Rüge liegt die Annahme zugrunde, dass der Gesetzgeber mit der Regelung des § 6a BJagdG einer aus Art. 14 Abs. 1 GG folgenden Pflicht nachgekommen sei, für Eigentümer, die die Jagd auf ihren zum gemeinschaftlichen Jagdbezirk gehörenden Grundstücken aus Gewissensgründen ablehnen, eine Möglichkeit zur Befriedung derselben zu schaffen. Dieser Schutzpflicht sei der Gesetzgeber wegen der Beschränkung der Befriedungsmöglichkeit auf die im Eigentum natürlicher Personen stehenden Grundstücke nur unzureichend nachgekommen. Daher müsse der Gesetzgeber die Befriedungsmöglichkeit nach § 6a BJagdG auf das in gemeinschaftlichen Jagdbezirken liegende Grundeigentum juristischer Personen erstrecken. Diese Rüge der Verletzung einer gesetzlichen Pflicht zur Nachbesserung (vgl. dazu etwa BVerfGE 56, 54 <70 ff.>) geht angesichts der seit längerem bestehenden jagdrechtlichen Ausgestaltung des Grundeigentums ins Leere.
Alle nicht zu einem Eigenjagdbezirk gehörenden Grundflächen einer Gemeinde oder einer abgesonderten Gemarkung, die im Zusammenhang mindestens 150 Hektar umfassen, bilden kraft Gesetzes einen gemeinschaftlichen Jagdbezirk (§ 8 Abs. 1 BJagdG). Die Eigentümer dieser Grundflächen bilden eine Jagdgenossenschaft (§ 9 Abs. 1 BJagdG), der gemäß § 8 Abs. 5 BJagdG die Ausübung der Jagd im gemeinschaftlichen Jagdbezirk zusteht. Die Jagdgenossenschaft wiederum ist zur Ausübung der Jagd auf den zum gemeinschaftlichen Jagdbezirk gehörenden Grundstücken - gegebenenfalls auch gegen den Willen bestimmter Jagdgenossen - verpflichtet (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2, § 21 Abs. 1 und § 27 Abs. 1 BJagdG; zur Vereinbarkeit dieser Ausgestaltung des Grundeigentums mit Art. 14 Abs. 1 GG vgl. BVerfGK 10, 66 <68 ff.>). Vor diesem Hintergrund ist der Gesetzgeber mit § 6a BJagdG keiner irgendwie gearteten grundrechtlichen Pflicht zum Schutz einer gewissensgeprägten Ausübung des Eigentumsrechts nachgekommen. Vielmehr hat er eine bereits vorhandene Einschränkung des Eigentumsrechts in Gestalt der gesetzlich auferlegten Pflicht zur Duldung der Jagd auf den in einem gemeinschaftlichen Jagdbezirk befindlichen Grundstücken zugunsten natürlicher Personen für einen bestimmten Fall beseitigt. Zwar sieht § 6a BJagdG eine solche Abschwächung der gesetzlichen Duldungspflicht für die im Eigentum juristischer Personen stehenden Grundstücke im gemeinschaftlichen Jagdbezirk nicht vor, ihnen wird mit dieser Regelung jedoch auch keine über die bereits bestehende Duldungspflicht hinausgehende Beschwer auferlegt.“
Fraglich ist zudem, ob die Verfassungsbeschwerde dem Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs (§ 90 II BVerfGG) genügt.
Die Kammer stellt zunächst die allgemeinen Anforderungen dar:
„Die Verfassungsbeschwerde eines von der angegriffenen Rechtsnorm selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffenen Grundrechtsträgers ist unzulässig, wenn er in zumutbarer Weise Rechtsschutz durch die Anrufung der Fachgerichte erlangen kann. Dies ist auch dann zu verlangen, wenn das Gesetz keinen Auslegungs-, Ermessens- oder Beurteilungsspielraum offenlässt, der es den Fachgerichten erlauben würde, die geltend gemachte Grundrechtsverletzung kraft eigener Entscheidungskompetenz zu vermeiden. Obwohl dann die fachgerichtliche Prüfung für den Beschwerdeführer günstigenfalls dazu führen kann, dass die ihnen nachteilige gesetzliche Regelung gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt wird, ist eine solche Prüfung regelmäßig geboten, um zu vermeiden, dass das Bundesverfassungsgericht ohne die Fallanschauung der Fachgerichte auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage entscheiden muss. Ausnahmsweise besteht keine Pflicht zur Anrufung der Fachgerichte, wenn sie dem Beschwerdeführer nicht zumutbar ist, weil dies offensichtlich sinn- und aussichtslos wäre (BVerfGE 123, 148 <172 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 4. Oktober 2016 - 1 BvR 1704/16 -, juris, Rn. 3).“
Danach hätte B einen Antrag auf Befriedung ihrer Grundstücke aus Gewissensgründen stellen müssen, um nach dessen Ablehnung den Rechtsweg zu beschreiten. Auch hätte fachgerichtlicher Klärungsbedarf bestanden. Hinsichtlich der Frage einer Verletzung des Art. 3 I GG wäre vorab zu klären gewesen, ob durch das Ruhen der Jagd keiner der in § 6a I 2 Nr. 1 bis 5 BJagdG genannten Belange gefährdet werde:
„Die Beschwerdeführerin kann einen Antrag auf Befriedung ihrer Grundstücke nach § 6a BJagdG stellen und nach Erschöpfung des Rechtswegs Verfassungsbeschwerde auch mit dem mittelbaren Angriff auf § 6a BJagdG erheben. Dass nach dem Wortlaut dieser Vorschrift für juristische Personen keine Antragsmöglichkeit besteht, steht dem nicht entgegen (vgl. bereits BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 8. Dezember 2015 - 1 BvR 2120/10, 1 BvR 2146/10 -, juris, Rn. 9; vgl. auch BVerfGE 69, 122 <126>; 108, 370 <386>). Dementsprechend hat die Beschwerdeführerin bei den zuständigen Behörden auch bereits einen Antrag auf Befriedung ihrer Grundstücke gestellt.“
Zudem hätten die Fachgerichte hinsichtlich einer Verletzung des Art. 14 I GG der Frage nachgehen müssen, ob die Ablehnung der Jagd auf wildlebende Tiere überhaupt zu den Zielen der juristischen Person gehört. Es wäre weiter zu prüfen gewesen, ob sich eine solche Zielsetzung der juristischen Person auf eine Gewissensüberzeugung zurückführen lässt:
„Das gilt zunächst, soweit sie geltend macht, § 6a BJagdG verstoße wegen des „Ausschlusses“ juristischer Personen von der Möglichkeit einer auf ethische Gründe gestützten Befriedung ihrer zu einem gemeinschaftlichen Jagdbezirk gehörenden Grundstücke gegen Art. 3 Abs.1 GG. Gemäß § 6a Abs. 1 Satz 2 BJagdG hat auch der Antrag natürlicher Personen auf eine Befriedung ihrer Grundstücke nur dann Erfolg, wenn im konkreten Fall durch das Ruhen der Jagd keine der dort genannten Belange gefährdet wird. Eine gleichheitswidrige Benachteiligung juristischer Personen scheidet daher von vornherein in den Fällen aus, in denen eine Befriedung ihrer Grundstücke schon wegen der Gefährdung dieser Belange versagt werden müsste. Die Klärung dieser vorgängigen tatsächlichen Frage ist Sache der Fachgerichte.
bb) Auch bezogen auf die Rüge einer Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG wegen Gewissenskonflikten, denen sich die Beschwerdeführerin durch die auf ihren Grundstücken stattfindende Jagd auf Wildtiere ausgesetzt sieht, liegt die Entscheidungserheblichkeit der Frage, ob sich juristische Personen auf die Gewissensfreiheit berufen können, keineswegs auf der Hand. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müsste vor einer abschließenden Klärung dieser verfassungsrechtlichen Frage zumindest festgestellt werden, ob die Ablehnung der Jagd auf wildlebende Tiere überhaupt zu den Zielsetzungen der juristischen Person gehört (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. Oktober 1989 - 1 BvR 1013/89 -, FamRZ 1990, S. 140). Sollte dies der Fall sein, wäre vorab weiter zu prüfen, ob es Anhaltspunkte dafür gibt, dass sich eine solche Zwecksetzung der juristischen Person auf eine Gewissensüberzeugung zurückführen lässt. Dies würde voraussetzen, dass die Zwecksetzung nicht „nur“ Ergebnis von politischen Wertungen oder Zweckmäßigkeitserwägungen ist, sondern ihr eine ernste sittliche, an den Kategorien von „Gut“ und „Böse“ orientierte Entscheidung der „hinter“ der juristischen Person stehenden Menschen zugrunde liegt, die diese als für sich unbedingt verpflichtend empfinden (vgl. BVerfGE 12, 45 <55>; 48, 127 <174>; 61, 82 <101>; 75, 192 <195 f.>; BVerfGK 10, 234 <238>).“
II. Ergebnis
Die Verfassungsbeschwerde ist bereits unzulässig.
C. Fazit
Der Beschluss enthält interessante Ausführungen zur Zulässigkeit einer gegen ein gesetzgeberisches Unterlassen gerichteten Verfassungsbeschwerde und zur Rechtswegerschöpfung (§ 90 II BVerfGG). Die Ausführungen zur Frage der Anwendbarkeit der Gewissensfreiheit auf juristische Personen sorgen indes für weitere Unklarheit. Hier bleibt zu hoffen, dass sich das BVerfG in näherer Zukunft einmal eindeutiger und grundsätzlicher dazu positioniert.
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