Schwimmerschalter-Fall

A. Sachverhalt

Die Firma D. – Versicherungsnehmerin bei der Klägerin – fertigt u.a. Blechrelaisgehäuse an. Die Beklagte stellt Reinigungs- und Entfettungsanlagen für Industrieerzeugnisse her, in denen durch Erhitzen und Verdampfen von Perchloräthylen das von den zu reinigenden Blechteilen abgewaschene Öl abgeschieden wird; ein mit einem Stromabschalter verbundener Schwimmer, den die Beklagte von einer ausländischen Zulieferfirma bezogen haben will, soll dabei verhindern, dass die normalerweise mit Flüssigkeit bedeckten Heizdrähte durch das Verdampfen freigelegt werden.

Nachdem die Firma D. am 29. Januar 1969 eine derartige Reinigungsanlage zum Preis von ca. 20.000 DM bestellt hatte, bestätigte die Beklagte diesen Auftrag am 4. Februar 1969 mit dem Zusatz:

“Garantie: Gemäß unseren beiliegenden Verkaufs- und Lieferbedingungen.”

 

Nr. VII dieser Lieferbedingungen lautet – soweit hier von Interesse – wie folgt:

“VII Haftung für Mängel der Lieferung

  1. Alle diejenigen Teile sind unentgeltlich nach billigem Ermessen nach unserer Wahl auszubessern oder neu zu liefern, die innerhalb von 12 Monaten seit Lieferung nachweisbar infolge eines vor dem Gefahrübergang liegenden Umstandes – insbesondere wegen fehlerhafter Bauart, schlechter Baustoffe oder mangelhafter Ausführung – unbrauchbar werden oder in ihrer Brauchbarkeit erheblich beeinträchtigt werden …

  1. Weitere Ansprüche des Käufers bzw. des Bestellers, insbesondere ein Anspruch auf Ersatz von Schäden, die nicht an dem Liefergegenstand selbst, sondern die nur mittelbar durch diesen entstanden sind, werden von uns in keinem Falle anerkannt.”

 

Nachdem die Anlage Anfang Juni 1969 aufgestellt und in Betrieb genommen war, geriet am 26. Juni 1969 das in der Anlage befindliche Schmutzöl in Brand, weil ein Schwimmerschalter die Heizdrähte nicht rechtzeitig abgeschaltet hatte und diese sich überhitzten. Die Klägerin, die der Firma D. als ihrer Versicherungsnehmerin einen Betrag von 70.971,62 DM erstattet hat, nimmt aus übergegangenem Recht (§ 67 VVG a.F. [§ 86 VVG n.F.]) die Beklagte mit der Begründung auf Schadensersatz in Anspruch, der Schwimmerschalter habe infolge eines Fabrikations- oder Konstruktionsfehlers versagt; für die Reparatur von Reinigungs- und Elektroanlage sowie für die Beseitigung der Korrosion an den Metallvorräten seien der Firma D. Aufwendungen in dieser Höhe entstanden. Die Beklagte stellt demgegenüber mit dem Hinweis, der Brand sei nur durch einen übermäßigen Anfall an Petroleum entstanden, ihre Haftung für den Brandschaden in Abrede, verweist im Übrigen auf den formularmäßigen Haftungsausschluss gegenüber jeglichen Schadensersatzansprüchen und beruft sich im Hinblick darauf, dass ihr der Zahlungsbefehl erst am 23. Juni 1972 zugestellt worden ist, auf Verjährung.

B. Worum geht es?

Weil Ansprüche aus kaufvertraglicher Gewährleistung verjährt waren (§ 477 BGB a.F. enthielt eine sechsmonatige Verjährungsfrist), konnte die Klage nur Erfolg haben, wenn der Firma D. deliktische Ansprüche zustanden. Ein Anspruch aus § 823 I BGB setzt voraus, dass das Eigentum der Firma D. verletzt wurde. Soweit es um den an der Reinigungsanlage selbst entstandenen Schaden (nicht die durch den Brand verursachten Schäden an anderen Gegenständen der Firma D.) geht, könnte einer Eigentumsverletzung im Sinne von § 823 I BGB entgegenstehen, dass die Anlage von vornherein mangelhaft geliefert wurde und die Firma D. damit niemals eine mangelfreie Sache zu Besitz und Eigentum erworben hat. Betroffen wäre damit nicht das –von § 823 I BGB geschützte – Integritätsinteresse der Firma D., sondern nur ihr über den Kaufvertrag zu liquidierendes Äquivalenzinteresse.

Andererseits könnte man argumentieren, dass die Anlage nur im Hinblick auf den Schwimmerschalter mangelhaft war.

Der BGH hatte damit die folgende Frage zu beantworten:

„Kommt eine Eigentumsverletzung i.S.v. § 823 I BGB in Betracht, wenn ein Käufer mangelhaftes Eigentum erwirbt und sich der Mangel an der Kaufsache im Übrigen “weiterfrisst”?“

 

C. Wie hat der Bundesgerichtshof entschieden?

Der BGH bejaht im Schwimmerschalter-Fall (Urt. v. 24.11.1976 – VIII ZR 137/75 (BGHZ 67, 359 ff.)) im Hinblick auf die für die Reparatur der Reinigungsanlage entstandenen Kosten einen deliktischen Schadensersatzanspruch aus § 823 I BGB.

 

Der BGH stellt zunächst die Argumentation des Berufungsgerichts dar und verweist darauf, dass es Fälle gebe, in denen der Mangel der übereigneten Sache von vornherein insgesamt anhafte, weswegen eine Eigentumsverletzung i.S.v. § 823 I BGB ausscheide:

„Soweit das Berufungsgericht hinsichtlich der für die Reparatur der Reinigungsanlage entstandenen Kosten meint, es fehle jedenfalls insoweit an einer rechtswidrigen Eigentumsbeeinträchtigung, weil die Anlage nach der Darstellung der Klägerin von vornherein mangelhaft geliefert worden sei und damit die Firma D. eine mangelfreie Sache nie zu Besitz und Eigentum gehabt habe, ist diese Ansicht rechtsirrig. Richtig ist allerdings, daß sowohl das Reichsgericht (RG JW 1905,367) als, auch der Bundesgerichtshof (BGHZ 39,366) den auf die mangelhafte Erstellung eines Bauwerks gestützten Anspruch eines Bauherrn aus Eigentumsverletzung (§ 823 Abs. 1 BGB) gerade hinsichtlich dieses Bauwerks dann verneint haben, wenn die zum Bau verwandten Materialien mangelhaft waren und mit fortschreitenden Bauabschnitten jeweils ein weiterer mangelhaft erstellter Teil in das Eigentum des Grundstückseigentümers überging (vgl. auch OLG Karlsruhe NJW 1956,913; Schäfer bei Staudinger, BGB, 10./1 1. Auflage § 823 Anm. 49). Wesentlich ist in diesen Fällen, daß der Mangel der übereigneten Sache von vornherein insgesamt anhaftete, diese damit für den Eigentümer von Anfang an schlechthin unbrauchbar war und sich der Mangel mit dem geltend gemachten Schaden deckt (vgl. dazu Dunz/Kraus, Haftung für schädliche Ware, 1969 S. 66). In einem solchen Fall scheidet in der Tat die Beschädigung einer fremden Sache bereits begrifflich aus, und es liegt lediglich ein im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB nicht erstattungsfähiger Vermögensschaden vor (BGHZ aaO).“

 

Der Schwimmerschalter-Fall liege jedoch anders, weil der Mangel nur einen „funktionell begrenzten“ Teil der im Übrigen einwandfreien Anlage betreffe. Der mangelhafte Schwimmerschalter habe das im Übrigen mangelfreie Eigentum der Firma D. an der Anlage insgesamt verletzt:

„Darum geht es hier jedoch nicht. Ganz abgesehen davon, daß die vorgenannten Erwägungen des Berufungsgerichts ohnehin nur den an der Reinigungsanlage selbst entstandenen Schaden, nicht aber die durch den Brand verursachten Schäden an anderen Gegenständen der Firma D. betreffen, hatte hier die Beklagte der Firma D. Eigentum an einer Anlage verschafft, die im übrigen einwandfrei war und lediglich ein - funktionell begrenztes - schadhaftes Steuerungsgerät enthielt, dessen Versagen nach der Eigentumsübertragung einen weiteren Schaden an der gesamten Anlage hervorgerufen hatte. In einem solchen Fall kommt es aber auf den Umstand, daß nach formaler Betrachtungsweise der Erwerber von vornherein nur ein mit einem Mangel behaftetes Eigentum erworben hat (vgl. dazu Diederichsen, VersR 1971,1078,1094; Schlechtriem, VersR 1973,581,589), nicht an. Entscheidend ist vielmehr, daß die in der Mitlieferung des schadhaften Schalters liegende Gefahrenursache sich erst nach Eigentumsübergang zu einem über diesen Mangel hinausgehenden Schaden realisiert hat und dadurch das im übrigen mangelfreie Eigentum des Erwerbers an der Anlage insgesamt verletzt worden ist (Dunz/Kraus aaO S. 66; Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung S. 300. In derartigen Fällen besteht - insbesondere wenn der Geschädigte das Eigentum aufgrund eines Kaufvertrages erworben hat - kein Grund, diesem das Zurückgreifen auf deliktische Ansprüche abzuschneiden; dies umso weniger, als dem Geschädigten, wenn er - etwa im Interesse der Aufrechterhaltung der Produktion - die Anlage behalten muß und lediglich Ersatz seiner Reparaturkosten geltend machen will, ein vertraglicher Schadensersatzanspruch von vornherein deswegen nicht zusteht, weil das Gewährleistungsrecht (§§ 459 ff BGB) über den Sonderfall der Eigenschaftszusicherung (§ 463, § 480 Abs. 2 BGB) hinaus einen Schadensersatzanspruch nicht kennt und Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung wegen Lieferung einer mangelhaften Sache nur auf Ersatz des an anderen Rechtsgütern, nicht aber an der Kaufsache selbst entstandenen Schadens gehen (Senatsurteil vom 8. März 1967 - VIII ZR 4/65 = LM BGB § 276 [1] Nr. 3), der Käufer mithin ohne die Möglichkeit eines Zurückgreifens auf deliktische Ansprüche insoweit weitgehend recht los gestellt würde.“

 

Der BGH weist darauf hin, dass die Abgrenzung im Einzelfall schwierig sein kann; der Schwimmerschalter-Fall nötige jedoch nicht dazu, Abgrenzungskriterien aufzustellen:

„Der Senat verkennt nicht, daß im Einzelfall die Abgrenzung zwischen einem die übereignete Sache von vornherein insgesamt umfassenden Mangel und einem begrenzten Fehler, der erst später einen zusätzlichen Schaden an der sonst mangelfrei übereigneten Sache hervorgerufen hat, auf Schwierigkeiten stoßen kann, - so etwa dann, wenn ein anfänglich vorhandener begrenzter Mangel sich nach Übereignung durch »Weiterfressen ausgedehnt und nachträglich die gesamte Sache erfaßt hat (vgl. dazu Schlechtriem aaO S. 589; Dunz/Kraus aaO S. 66 Fußn. 7). Der vorliegende, angesichts der Relation zwischen dem geringen Wert des Schwimmerschalters und der zum Gesamtpreis von etwa 20 000 DM verkauften Reinigungsanlage eindeutige Fall nötigt jedoch nicht dazu, Abgrenzungskriterien aufzustellen“

 

D. Fazit

Der Weiterfresserschaden – ein klassisches Problem des Deliktsrechts. In dem berühmten Schwimmerschalter-Fall hat der BGH erstmalig einen deliktsrechtlich ersatzfähigen Weiterfresserschaden anerkannt.