BGH zu den Anforderungen der Hinweispflicht nach § 265 StPO

A. Sachverhalt

A besuchte mit den S und B am Abend des 19. Dezember 2015 eine Geburtstagsfeier. Vom benachbarten Grundstück aus beschimpfte und beleidigte der Nachbar G die Gäste der Feier und bewarf sie mit Gegenständen. Daraufhin beschlossen die drei, diesen in seinem Haus aufzusuchen und ihm eine “Lektion zu erteilen”. Um den Zugang ins Haus zu ermöglichen, durchtrennte A mit einem Bolzenschneider die an der Haustür angebrachte Sicherungskette. Während A am Hauseingang wartete, begaben sich S und B zum Schlafzimmer des G. Dort schlug S mit einer mitgeführten Eisenstange auf den mittlerweile schlafenden G ein und traf ihn mindestens zweimal am Kopf; B beobachtete das Geschehen von der Schlafzimmertür aus. Anschließend kehrten die drei zur Geburtstagsfeier zurück. Trotz des durch die Schläge erlittenen offenen Schädel-Hirn-Traumas überlebte G den Angriff.

A wurde angeklagt. In der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage wurde ihm vorgeworfen, den G “gemeinschaftlich handelnd” mit den Mitangeklagten S und B gemäß § 224 I Nr. 2 StGB mittels eines gefährlichen Werkzeugs körperlich misshandelt und an der Gesundheit beschädigt zu haben.

Das Landgericht hat A wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 I Nr. 4 StGB verurteilt, da es nicht auszuschließen vermocht hat, dass der A die Mitnahme der Eisenstange durch den Mitangeklagten S nicht gesehen habe, ist es davon ausgegangen, dass “andere Alternativen des § 224 I StGB nicht in Betracht” kämen. Aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergibt sich nicht, dass die Strafkammer den A darauf hingewiesen hatte, dass eine Verurteilung nach dieser Norm in Betracht kommt. A meint, deswegen hätte er nicht wegen § 224 I Nr. 4 StGB verurteilt werden dürfen.

 

Ist die zulässige Revision des A begründet?

 

B. Die Entscheidung des BGH (Beschl. v. 20.3.2018 – 2 StR 328/17)

Die Revision ist begründet, wenn das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruht (§ 337 StPO).

I. Rechtsfehler

Möglicherweise hat das Gericht gegen § 265 I StPO verstoßen. Danach darf ein Angeklagter nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne dass er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

265 I StPO wäre dann verletzt, wenn § 224 I Nr. 4 StGB, wonach die Strafkammer den A verurteilt hat, nicht schon mit der Formulierung „gemeinschaftlich handelnd“ in der Anklageschrift angeführt gewesen wäre und es sich bei § 224 I Nr. 4 StGB gegenüber dem in der Anklageschrift ausdrücklich genannten§ 224 I Nr. 2 StGB um ein „anderes Strafgesetz“ handeln würde.

In der Anklageschrift ist zwar angeführt, dass A, S und B „gemeinschaftlich“ gehandelt hätten. Der BGH geht aber davon aus, dass sich daraus der Vorwurf nach § 224 I Nr. 4 StGB nicht ergebe; es handele sich vielmehr um die Beschreibung der Mittäterschaft nach § 25 II StGB:

„Dem Angeklagten war in der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage vorgeworfen worden, den Geschädigten “gemeinschaftlich handelnd” mit den nicht revidierenden Mitangeklagten S. und B. gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB mittels eines gefährlichen Werkzeugs körperlich misshandelt und an der Gesundheit beschädigt zu haben. Dem so gefassten Anklagesatz lässt sich der Vorwurf einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht entnehmen. Die Formulierung “gemeinschaftlich handelnd” reicht für die sichere Annahme, die Anklage umfasse auch den Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB , für sich genommen nicht aus. Sie kann ohne weiteres auch als Umschreibung von bloßer Mittäterschaft im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB verstanden werden. Für ein solches Verständnis der Anklageschrift spricht zum einen, dass die - wenngleich allein nicht maßgebliche - Liste der angewendeten Strafvorschriften § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht aufführt. Zum anderen enthält auch das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen der Anklageschrift keinen Hinweis auf diese Tatbestandsvariante.“

 

Bei § 224 I Nr. 4 handelt es sich auch um ein anderes Strafgesetz als § 224 I Nr. 2 StGB:

„Unter diesen Umständen hätte es vor der ausschließlich auf die Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB gestützten Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung eines Hinweises nach § 265 Abs. 1 StPO bedurft, der ausweislich des Protokolls nicht erteilt wurde. Ein “anderes Strafgesetz” im Sinne der Vorschrift ist auch eine ihrem Wesen nach andersartige Begehungsform desselben Strafgesetzes (KK-StPO/Kuckein, 7. Aufl., § 265 Rn. 8 mwN). Bei den Qualifikationstatbeständen nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StGB handelt es sich um wesensverschiedene Tatvarianten (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 1984 - 4 StR 742/83 , NStZ 1984, 328, 329; BGH, Beschluss vom 21. Januar 1997 - 5 StR 592/96 , NStZ-RR 1997, 173).“

 

Damit hat das Gericht § 265 I StPO verletzt.

II. Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler

Der BGH bejaht auch ein „Beruhen“ des Urteils auf dem Verstoß gegen § 265 I StPO:

„Nach den Feststellungen hielt sich der Angeklagte während der vom Mitangeklagten S. ausgeführten Körperverletzungshandlungen selbst nicht im unmittelbaren Tatortbereich auf. Der Mitangeklagte B. war dort zwar anwesend, wirkte aber am Tatgeschehen nicht aktiv mit. Unter diesen Umständen ist es nicht auszuschließen, dass der Angeklagte sich gegen den geänderten Tatvorwurf der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB erfolgreich hätte verteidigen können.“

III. Ergebnis

Das Gericht hat gegen § 265 I StPO - auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil auch - die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen (§§ 353 I, II und 354 II StPO). Die Revision ist begründet. Das Urteil ist daher mit den Feststellungen aufzuheben.

C. Fazit

Revisionsrecht gehört in beinahe allen Prüfungsämtern des Assessorexamens zum Pflichtstoff und § 265 StPO dabei zum Standardwissen. Der vorliegende Fall kann zwanglos in eine Prüfungsaufgabe eingebaut werden. Grund genug, sich mit der Revision im Allgemeinen und den Verfahrensfehlern im Besonderen zu befassen.