Pistolenschlag-Fall

A. Sachverhalt

Der Angekl. überwachte in der Nacht zum 10.01.1959 zusammen mit einem anderen Polizeibeamten in M. die Einhaltung der Polizeistunde. Als er gegen 1.40 Uhr die Gäste des Lokals „Wetterstein” zum Gehen aufforderte, wurde er von dem stark angetrunkenen Brauereihilfsarbeiter S und zwei weiteren mit diesem zusammensitzenden Männern namens Kl und Kr beschimpft und tätlich bedroht. Während der andere Polizeibeamte die drei zurückzuhalten suchte, zog der Angekl. seine Dienstpistole, lud durch, sicherte und drohte zu schießen, wenn er angegriffen werde. Als er rückwärts in den Hausgang trat, folgten ihm die drei unter weiteren Beschimpfungen und Drohungen. Anschließend stellten sie ihn erneut auf der Straße. S und Kl vereinbarten, sie wollten es „heute darauf ankommen lassen”, ob der Angekl. tatsächlich schieße. S ging auf den Angekl. zu und beschimpfte ihn als Sauhund und Feigling. Der Angekl. zog darauf erneut seine Pistole und suchte rückwärtsgehend einer tätlichen Auseinandersetzung auszuweichen. Während der andere Beamte Kr und Kl festhalten konnte, folgte S dem Angekl. in kurzem Abstand und mit dem wiederholten Ruf: „Schieß doch, du Feigling”. Als er den Angekl. schließlich angriff, indem er nach dessen vorgestrecktem Arm fasste oder stieß, versetzte ihm dieser mit seiner Dienstpistole zwei Schläge auf den Kopf. S stürzte und lag ausgestreckt mit dem Gesicht nach unten auf der Straße. Darauf beugte oder kniete sich der Angekl. über ihn und stieß mit der Pistole nochmals gegen den Hinterkopf des am Boden Liegenden, wobei er wie bisher den Zeigefinger am Abzugsbügel hatte. In diesem Augenblick löste sich ein Schuss, der S in den Kopf traf und seinen Tod herbeiführte. Das SchwG hat festgestellt, dass der Angekl. mit der Waffe nicht schießen, sondern nur zustoßen oder schlagen wollte.

 

B. Worum geht es?

Im Mittelpunkt des Falles steht die Frage der Strafbarkeit des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB (§ 226 StGB a.F.). Der Tatbestand dieser sog. Erfolgsqualifikation setzt voraus, dass durch die Körperverletzung der Tod des Verletzten verursacht worden ist, wobei dem Täter hinsichtlich dieser Tatfolge Fahrlässigkeit zur Last fallen muss (§ 18 StGB). Dabei muss zwischen der Körperverletzung und dem Tod des Opfers ein sog. Unmittelbarkeitszusammenhang (oder tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang) vorliegen.

Stellt man dabei auf den Verletzungserfolg (Letalitätslehre) ab, wäre eine Strafbarkeit nach § 227 StGB zu verneinen. Danach wird bei der Körperverletzung mit Todesfolge die Unmittelbarkeit nämlich nur bejaht, wenn die durch das Grunddelikt zugefügte Verletzung zum Tode führt. Die durch das Stoßen vorsätzlich herbeigeführten Verletzungen am Kopf haben aber nicht unmittelbar zum Tode geführt; die Schussverletzung als solche ist ihrerseits nur fahrlässig herbeigeführt worden. Knüpft man hingegen an die Körperverletzungshandlung an, nämlich das Stoßen mit der Pistole, wäre § 227 StGB hingegen zu bejahen.

Der BGH hatte damit die folgende Frage zu beantworten:

„Knüpft der Unmittelbarkeitszusammenhang beim Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge an den Körperverletzungserfolg an oder an die Körperverletzungshandlung?“

C. Wie hat der BGH entschieden?

Der BGH bestätigt im Pistolenschlag-Fall (Urt. v. 2.2.1960 – 1 StR 14/60 (BGHSt 14, 110 ff.)) die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB (§ 226 StGB a.F.) in Tateinheit mit Körperverletzung im Amt.

 

Die Revision des Angeklagten hatte sich für ihre Ansicht auf ein Urteil des Reichsgerichts in einem gleichliegenden Fall berufen (RGSt 44, 137 ff.).

Der BGH teilt indes die Auffassung des Reichsgerichts nicht und verweist insoweit auf die Neufassung des § 56 StGB a.F. (§ 18 StGB):

„Die Rüge greift nicht durch, weil der Sen. die vom RG in der angeführten Entsch. geäußerte Rechtsansicht u.a. mit Rücksicht auf die jetzt infolge der Neufassung des § 56 StGB veränderte Rechtslage nicht teilt.

Die Auffassung des RG wäre nur dann unabweisbar, wenn der Gesetzgeber im § 226 StGB unter Körperverletzung nur die dem Opfer vorsätzlich zugefügte Körperbeschädigung als solche verstanden hätte. In diesem Falle könnte dann in der Tat eine Todesfolge nur dann tatbestandsmäßig i.S. des § 226 StGB sein, wenn gerade die von dem Täter mit Wissen und Willen herbeigeführte Körperbeschädigung des Opfers den Tod verursacht hätte. Hiervon scheint das RG auszugehen, wenn es sagt, eine Körperverletzung mit tödlichem Ausgange liege nur vor, wenn die Körperverletzung nicht hinweggedacht werden könne, ohne daß gleichzeitig der tödliche Erfolg beseitigt wird, und in diesem Zusammenhang darauf hinweist, daß der den Schlag oder Stoß führende Täter die Schußwunde nicht wollte.“

 

Der BGH geht stattdessen davon aus, dass sich der Begriff der „Körperverletzung“ in erster Linie auf die zum Erfolg führende Handlung beziehe:

„So ist aber, wie in der genannten Entsch. des RG an anderer Stelle auch zum Ausdruck kommt, der Begriff der Körperverletzung im § 226 StGB nicht zu verstehen. Er umfaßt vielmehr, wie der Grundtatbestand des § 223 StGB deutlich macht, überall dort, wo sich das Gesetz seiner bedient, nicht bloß den Erfolg, den der Täter durch seine Tat unmittelbar herbeiführt und herbeiführen will, sondern bezieht sich in erster Linie auf die den Erfolg herbeiführende Tätigkeit, mag diese nun im Führen eines Schlages oder Stoßes oder in einer sonstigen Einwirkung auf den Körper des Opfers bestehen.“

 

Danach besteht die „Körperverletzung“ hier darin, dass der Angeklagte mit der Pistole auf den Kopf des am Boden liegenden S. einschlug oder einstieß. Sie umfasste also den ganzen Vorgang vom Ausholen mit der vom Angeklagten willentlich als Schlagwaffe benutzten Pistole bis zu ihrem Aufschlag auf dem Kopf des Opfers und der dadurch entstandenen Verletzung. Für die Anwendung des § 226 StGB a.F. (§ 227 StGB) komme es deshalb darauf an, ob die Körperverletzungshandlung zum Tode des Angegriffenen geführt hat, ob also der von dem Willen, das Opfer zu verletzen, getragene und diese Verletzung im Ergebnis auch bewirkende Tätigkeitsakt zugleich auch den Tod des Opfers herbeiführte:

„Das könnte hier nur dann verneint werden, wenn man es für möglich hielte, die ungewollte Betätigung des Abzugsbügels der Pistole während des Schlages rechtlich völlig unabhängig von dem als Verletzungshandlung zu wertenden Tätigkeitsakt anzusehen und die natürliche Einheit aufzulösen, die der Vorgang des Zustoßens oder Schlagens mit der gerade durch diese Bewegung hervorgerufenen und mit ihr zeitlich zusammenfallenden ungewollten Betätigung des Abzugsbügels der Pistole bildete. Eine solche Betrachtungsweise würde aber auch den kriminalpolitischen Zweck des § 226 StGB verfehlen, wie er nunmehr unter Beachtung des § 56 StGB [§ 18 StGB] zu begreifen ist. Nach dieser Vorschrift, die auf Grund des 3. StrRÄndG v. 4. 8. 1953 (BGBl. I, 735) geschaffen wurde, trifft eine höhere Strafe, die an eine besondere Folge der Tat geknüpft ist, den Täter nur dann, wenn er die Folge wenigstens fahrlässig herbeigeführt hat. § 226 StGB schließt also nunmehr stets den Tatbestand der fahrlässigen Tötung ein, und die höhere Strafwürdigkeit einer nach § 226 StGB zu beurteilenden Tat ist gegenüber einer Tat nach § 222 StGB dadurch begründet, daß die fahrlässig herbeigeführte Todesfolge auf einer vorsätzlich begangenen, bereits für sich strafbaren Verletzungshandlung beruhte. Danach muß gerade der hier zu erörternde Vorgang als bezeichnender Anwendungsfall des § 226 StGB erscheinen. Mit der Ausdehnung des Schuldgrundsatzes auf die erfolgsqualifizierten Straftaten ist andererseits das vom Gerechtigkeitsbedürfnis getragene Bestreben hinfällig geworden, statt des bloßen Bedingungszusammenhangs einen „typischen Kausal verlauf” zu fordern (vgl. Schönke, StGB 6. Aufl. S. 23 und 9. Aufl. Anni. I, III zu § 56 StGB; ferner BGHSt. 1, BGHST Jahr 1 Seite 332). Unter diesem Gesichtspunkt ist wohl auch die Entsch. RGSt. 44, RGST Jahr 44 Seite 137 zu verstehen; sie beruhte möglicherweise ebenfalls auf dem Bestreben, die Anwendbarkeit der mit den neuzeitlichen Anschauungen von Schuld und Strafe nicht mehr zu vereinbarenden Zufallshaftung einzuschränken.“

D. Fazit

Im Pistolenschlag-Fall lehnt der BGH die sog. Letalitätslehre ab und legt damit zugleich den Grundstein für die Möglichkeit eines erfolgsqualifizierten Versuchs des § 227 StGB.

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