Hochsitz-Fall

A. Sachverhalt

Der Angeklagte warf am 13.11.1980 im Wald den Hochsitz um, auf dem sein Onkel, der später verstorbene D, saß, um die Jagd auszuüben. Der Abstand zwischen der Sitzfläche des Hochsitzes und dem Waldboden betrug etwa 3,50 m. D fiel herunter und brach sich dabei den rechten Knöchel (Sprunggelenkfraktur). Der Bruch wurde in den Städtischen Kliniken in D operativ behandelt und mit Metallschrauben sowie einer Metallasche stabilisiert. Am 2.12.1980 wurde der Verletzte aus dem Krankenhaus entlassen. Weder hierbei noch vorher waren ihm blutverflüssigende Mittel gegeben oder Anweisungen darüber erteilt worden, wie er sich zuhause verhalten solle. Auch eine Nachbehandlung fand nicht statt. Zuhause war der Verletzte fast ausschließlich bettlägerig. Am 19.12.1980 wurde er mit akuter Atemnot in die Städtischen Kliniken in W. eingeliefert, wo er noch am Morgen desselben Tages verstarb. Todesursache war - wie die Obduktion ergab - Herz-Kreislauf-Versagen infolge des Zusammenwirkens einer doppelseitigen Lungenembolie mit einer herdförmigen Lungenentzündung in beiden Lungenunterlappen; Embolie und Lungenentzündung hatten sich in Abhängigkeit zu dem verletzungsbedingten längeren Krankenlager entwickelt. Darüber hinaus wurden bei dem Verstorbenen altersbedingte Verschleißerscheinungen am Herz- und Kreislaufsystem festgestellt.

 

B. Worum geht es?

Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die Frage nach der Strafbarkeit des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB (§ 226 StGB a.F.). Der Tatbestand dieser Vorschrift setzt voraus, dass durch die Körperverletzung der Tod des Verletzten verursacht worden ist, wobei dem Täter hinsichtlich dieser Tatfolge Fahrlässigkeit zur Last fallen muss (§ 18 StGB).

Dabei reicht es nicht aus, dass zwischen der Körperverletzungshandlung und dem Todeserfolg überhaupt ein ursächlicher Zusammenhang besteht, die Körperverletzung also nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass damit zugleich der Tod des Verletzten entfiele (conditio-sine-qua-non-Formel). Vielmehr ergibt aus Sinn und Zweck des § 227 StGB, dass hier eine engere Beziehung zwischen der Körperverletzung und dem tödlichen Erfolg verlangt wird (sog. Unmittelbarkeitszusammenhang oder tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang):

„Die Vorschrift soll der mit der Körperverletzung verbundenen Gefahr des Eintritts der qualifizierenden Todesfolge entgegenwirken. Sie gilt deshalb nur für solche Körperverletzungen, denen die spezifische Gefahr anhaftet, zum Tode des Opfers zu führen; gerade diese Gefahr muß sich im tödlichen Ausgang niedergeschlagen haben (BGH NJW 1971, 152, 153; BGH bei Dallinger MDR 1976, 16; BGH bei Holtz MDR 1982, 102; BGH, Urteil vom 26. Februar 1980 - 5 StR 681/79 - und Beschluß vom 18. März 1982 - 4 StR 12/82 -; Hirsch in LK StGB 10. Aufl. § 226 Rdn. 4). Der Bundesgerichtshof hat deshalb die Voraussetzungen des § 226 StGB in solchen Fällen verneint, in denen der Tod des Verletzten nicht unmittelbar “durch” die Körperverletzung, sondern durch das Eingreifen eines Dritten oder das eigene Verhalten des Opfers herbeigeführt worden war (BGH NJW 1971, 152, 153; BGH bei Holtz MDR 1982, 102).“

 

Der BGH hatte damit die folgende Frage zu beantworten:

„Wurde der Tod des Onkels unmittelbar „durch“ den Angeklagten verursacht? Kommt es dabei auf die Handlung oder den Erfolg der Körperverletzung an?“

C. Wie hat der BGH entschieden?

Der BGH hebt das Urteil der Vorinstanz im Hochsitz-Fall (Urt. v. 30.6.1982 – 2 StR 226/82 (BGHSt 31, 96 ff.), das den Angeklagten nur wegen **gefährlicher Körperverletzung**verurteilt und eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge verneint hatte, auf. Die Anwendung von § 227 StGB (§ 226 StGB a.F.) sei nicht stets ausgeschlossen, wo die Körperverletzungsfolge - für sich gesehen - nicht mit dem Risiko eines tödlichen Ausgangs behaftet erscheint und der Tod des Verletzten dann erst durch das Hinzutreten weiterer Umstände herbeigeführt wird.

Der BGH knüpft im Rahmen der Prüfung des Unmittelbarkeitszusammenhangs an die Körperverletzungshandlung an; es komme nicht zwingend nur auf den Erfolg der Körperverletzung an:

„Soweit die Vorschrift verlangt, dass sich im Tod des Verletzten die der Körperverletzung eigentümliche Gefahr verwirklicht hat, kommt es nicht nur auf die zunächst eingetretene Körperverletzungsfolge an.

Zwar ist der in § 226 StGB vorausgesetzte Ursachenzusammenhang regelmäßig gegeben, wenn die Körperverletzungsfolge nach Art, Ausmaß und Schwere den Eintritt des Todes besorgen läßt. Der Anwendungsbereich der Vorschrift beschränkt sich indessen nicht auf die Herbeiführung lebensbedrohlicher Körperschäden und Gesundheitsbeeinträchtigungen. Eine derart einengende Auslegung des Gesetzes würde dem Schutzzweck der Vorschrift nicht gerecht; sie findet auch im Wortlaut des § 226 StGB keine Stütze. Danach genügt es, daß durch die “Körperverletzung” der Tod des Verletzten verursacht worden ist. Als “Körperverletzung” stellt sich nicht nur die jeweils eingetretene Verletzungsfolge dar; vielmehr umfaßt dieser Begriff auch das Handeln des Täters, das zu der Körperverletzungsfolge geführt hat.

Demgemäß reicht es für den Tatbestand des § 226 StGB bereits aus, daß der Körperverletzungshandlung das Risiko eines tödlichen Ausgangs anhaftet und sich dann dieses, dem Handeln des Täters eigentümliche Risiko im Eintritt des Todes verwirklicht.“

Am damit vorausgesetzten Zusammenhang zwischen Körperverletzung und Todesfolge fehle es nicht immer schon dann, wenn zunächst nur eine Verletzung eintrat, die - für sich genommen - nicht lebensbedrohlich erschien, dann aber doch infolge des Hinzutretens besonderer Umstände zum Tod des Verletzten führte. Schon die Verletzungshandlung (das Umwerfen des Hochsitzes) sei geeignet gewesen, den Tod des Opfers zu verursachen. Die erlittene Sprunggelenkfraktur führe regelmäßig zu einem längeren Krankenhausaufenthalt und bedinge die Gefahr tödlicher Embolien und Lungenentzündungen, weswegen der Unmittelbarkeitszusammenhang dadurch nicht entfiele:

„Liegt der tatsächliche Geschehensablauf, der Körperverletzung und Todesfolge miteinander verknüpft, nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit - wie es etwa bei der außergewöhnlichen Verkettung unglücklicher Zufälle der Fall wäre -, dann kann sich im Tod des Opfers jene Gefahr verwirklicht haben, die bereits der Körperverletzungshandlung anhaftete; dies gilt auch dann, wenn diese Gefahr in der zunächst eingetretenen Verletzungsfolge als solcher noch nicht zum Ausdruck gekommen war.

So verhält es sich hier. Der Angeklagte hatte, indem er den Hochsitz umwarf, um seinen Onkel zu verletzen, eine Handlung begangen, die für das Opfer das Risiko eines tödlichen Ausgangs in sich barg. Die Gefahr für das Leben des Verletzten hat sich im tödlichen Ausgang niedergeschlagen. Daran ändert es nichts, daß die zunächst verursachte Verletzung (Knöchelbruch) für sich genommen nicht lebensbedrohlich erschien. Der Tod des Verletzten ist auf Grund eines Geschehensablaufs eingetreten, der nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit lag. Daß eine Sprunggelenkfraktur zu einem längeren Krankenlager des Verletzten führt, stellt sich nicht als ein außergewöhnlicher Verlauf dar. Es widerspricht auch nicht jeder Erfahrung, daß ein längeres, verletzungsbedingtes Krankenlager die Entwicklung lebensgefährlicher Embolien und Lungenentzündungen begünstigt. Daß die Gefahren einer solchen Entwicklung verkannt werden, wirksame Gegenmaßnahmen unterbleiben und deshalb der Tod des Verletzten eintritt, ist nicht in einem solchen Maße unwahrscheinlich, daß hierdurch der Zusammenhang unterbrochen würde, der - im Sinne des § 226 StGB den Tod des Opfers mit der dafür ursächlichen Körperverletzung verbindet.

Weil das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob der Angeklagte den Tod des Verletzten (schon) bei Vornahme der Verletzungshandlung vorhersehen konnte (§ 18 StGB), hat der BGH das Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Dabei weist der BGH ausdrücklich darauf hin, dass sich die Vorhersehbarkeit nicht auf alle Einzelheiten des daran anschließenden, zum Tod des Verletzten führenden Geschehensablaufs zu erstrecken brauche. Ein nicht völlig außerhalb jeder Lebenserfahrung liegender Geschehensablauf werde regelmäßig auch vorhersehbar sein, sodass der Fahrlässigkeitsvorwurf nur dann entfalle, wenn der Angeklagte nach seinem individuell-persönlichen Wissens- und Erfahrungsstand nicht in der Lage gewesen ist, sich den Tod des Opfers als mögliche Folge der von ihm begangenen Körperverletzung vorzustellen.

D. Fazit

§ 227 StGB ist ein dogmatisch nicht ganz einfach zu fassender Straftatbestand, der – nicht zuletzt deswegen – äußerst prüfungsrelevant ist. Vor allem der Unmittelbarkeitszusammenhang erfordert eine saubere Definition und Subsumtion, wobei die Kenntnis einiger grundlegender Entscheidungen des BGH hilfreich ist. Mit dem Hochsitz-Fall machen wir den Anfang.