Examensreport: ÖR I 1. Examen aus dem Februar 2018 Hessen

Sachverhalt (beruht auf einem Gedächtnisprotokoll)

Teil 1F geht zum Fußballderby ins Stadion. Dabei treffen der Fußballverein X und Y aufeinander.
Nach dem Spiel entsteht eine spontane Ansammlung von Fans des Fußballvereins X und Y. Dabei kommt es zu Gesängen gegen den verfeindeten Verein Y. Unter anderem wird laut gerufen “ihr könnt nach Hause gehen” und “Alle aus Y sind Schweine “ . Die Anhänger von Y reagieren empört und schimpfen zurück. Es kommt zu wüsten gegenseitigen Beschimpfungen.

F kann sich nicht mehr halten und begibt sich mitten ins Geschehen. Dabei holt F einen Gegenstand aus seiner Jackentasche heraus und schwenkt diesen vor den Augen der Y-Anhänger hin und her. Der Polizeihundeführer P sieht den F mit dem Gegenstand und kann in der Dunkelheit aber nicht genau erkennen, welchen Gegenstand der F in der Hand hält. Er geht jedoch zu dieser Situation wegen seines Blickwinkels und der Lichtverhältnisse vertretbar davon aus, dass der F ein Messer in der Hand hält und damit auf die Anhänger von Y los gehen will. Ein durchschnittlicher Polizist hätte dies ebenfalls angenommen. Aus diesem Grund befiehlt der P seinem Hund den F zu fassen. Der Hund beißt den F zu Boden. Es stellt sich jedoch heraus, dass es bloß ein harmloses Fähnchen des Fußballvereins ist. F erleidet allerdings eine Verletzung am Bein und die Heilbehandlungskosten betragen 1.500€, die nicht von seiner Versicherung übernommen werden.

F fragt sich, ob das Vorgehen des P rechtmäßig war und ob man dies mit einer Klage feststellen kann. Der Rechtsanwalt R des F hält den Einsatz des Hundes für ersichtlich rechtswidrig. Er ist der Ansicht, dass schon keine Gefahr bestand und die Polizei sich aufgrund der spontanen Versammlung nicht auf das HSOG stützen könne. Im Übrigen sei die Maßnahme völlig überzogen und daher unverhältnismäßig gewesen. Daher erhebt R im Namen des F Klage vorm zulässigen Gericht.

Frage 1: Hat die Klage Aussicht auf Erfolg?

Frage 2: Unterstellen Sie, dass das Verhalten des P rechtswidrig war. Hat F einen Anspruch auf Ersatz der Heilbehandlungskosten aus Amtshaftung gem. § 839 I BGB i.V.m. Art 34 GG wegen der Handlung von P gegenüber dem Land Hessen?

Frage 3: Welches Gericht ist für Amtshaftungsansprüche zuständig?

 

Teil 2
Wenige Tage später geht F zur Veranstaltung von dem Verein “Frieden für Europa”. Hier soll gegen die Terroranschläge von Paris und für Frieden demonstriert werden. Allerdings gibt es auch eine Gegendemo. Der Ableger der NRA will die Veranstaltung von dem Verein “Frieden für Europa” stören. So platzieren sich die Anhänger der NRA an verschieden Stellen der Veranstaltung und provozieren die Friedensaktivisten mit Beleidigungen.

Wieder ist der Polizeihundeführer P bei der Veranstaltung anwesend. Er will und soll die Gruppen voneinander fernhalten. Dabei bemerkt er jedoch nicht, dass der zuvor ordnungsgemäß angebrachte Maulkorb des Hundes verrutscht ist.  Als es alsbald zu einem Gedränge kommt, wird der Hund hierbei von einem Demonstranten getreten. Dies konnte P weder voraussehen noch verhindern. Wegen der Schnelligkeit des Verlaufs konnte der Maulkorb auch nicht wieder richtig angebracht oder der Hund zurückhalten werden. Ferner war es P auch nicht zumutbar zu erkennen, dass der Maulkorb des Hundes verrutscht ist.

Der Hund beißt aufgrund des Tritts den unbeteiligten F, der in dem Gedränge stand, aber gerade dabei war zwei aufgebrachte Anhänger zu beruhigen und auseinander zu halten. Dem F entstehen dadurch Heilbehandlungskosten in Höhe von 1.300€ und Schmerzensgeld in Höhe von 700 €. F verklagt das Land Hessen auf Schadensersatz. R meint, F habe der Polizei helfen wollen und nur aufgrund dessen sei ihm ein Sonderopfer entstanden. Das Land Hessen hält den Amtshaftungsanspruch wegen 833 BGB für unzulässig. Eine Aufopferung und landesrechtliche Ansprüche, wenn sie gegebenen seien, würden kein Schmerzensgeld umfassen.

Frage 4: Besteht ein Schadensersatzanspruch? Unterstellen Sie dabei, dass der Einsatz des Hundes entweder durch das VersammlungsG oder durch HSOG rechtmäßig war.

 

Unverbindliche Lösungsskizze

Teil 1

Frage 1: Erfolgsaussichten der Klage

A. Zulässigkeit

I. Verwaltungsrechtsweg § 40 I 1 VwGO

Hier: HSOG

  • § 23 EGGVG (-); Arg.: präventive Maßnahme

II. Statthafte Klageart

  1. FFK, § 113 I 4 VwGO (analog)
    - Problem: Rechtsnatur von Vollstreckungsmaßnahmen
  • aA: konkludenter DuldungsVA
  • hM: nur Realakt

2. Feststellungsklage, § 43 I VwGO (+)

III. Besondere Sachurteilsvoraussetzungen

  1. Feststellungsinteresse (+)

  2. Klagebefugnis, § 42 II VwGO analog
    Hier: Art. 2 II GG

  3. Klagegegner
    -> Rechtsträger

IV. Allgemeine Sachurteilsvoraussetzungen (+)

B. Begründetheit
(+), wenn keine Berechtigung des P bestand

I. Ermächtigungsgrundlage

  1. Versammlungsgesetz
    -> Voraussetzung: Versammlung
    Hier: wohl kein ausreichender gemeinsamer Zweck
    (andere Ansicht vertretbar, dann Problem „Polizeifestigkeit von Versammlungen“ –
    hier: (-); Arg.: Gefahr für Leib und Leben
    )

  2. § 11 HSOG
    (-); Arg.: Ermächtigt nicht zu vollstreckungsrechtlichen Maßnahmen

  3. Mehraktiges Vollstreckungsverfahren, § 47 I HSOG
    (-); Arg.: kein wirksamer GrundVA

  4. Einaktiges Vollstreckungsverfahren, § 47 II HSOG (+)

II. Formelle Rechtmäßigkeit (+)

III. Materielle Rechtmäßigkeit

  1. Keine wirksamer GrundVA (+)

  2. Schutzgut
    Hier: Leib und Leben

  3. Gefahr
    Hier: Anscheinsgefahr; Arg.: objektive Anhaltspunkte

  4. Handeln innerhalb ihrer Befugnisse
    -> Rechtmäßigkeit des fiktiven GrundVA
    Hier: Aufforderung, das Messer abzugeben, wäre – gestützt auf § 11 HSOG (Generalklausel) – rechtmäßig gewesen.

  5. Verhältnismäßigkeit

a) Ob
Hier: akute (Anscheins-) Gefahr

b) Wie

  • Abwendung einer Gefahr für Leib und Leben durch anscheinende Messerattacke durch Hundebiss in die Wade wohl in Ordnung

IV. Ergebnis: (-)

C. Ergebnis: (-)

 

Frage 2: Amtshaftung** 839 BGB, Art. 34 GG**

I. Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes (+)

II. Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht
Hier: Maßnahme rechtswidrig (sachverhaltlich vorgegeben)

III. Vertretenmüssen (+)

IV. Rechtsfolge: Schadensersatz, §§ 249 ff. BGB (+)

V. Kein Ausschluss (+)

VI. Ergebnis: (+)

 

Frage 3: Rechtsweg
-> Ordentliche Gericht, § 40 II VwGO, Art. 34 S. 3 GG (und zwar das Landgericht Wiesbaden, § 12, 13, 17 ZPO; Art. 71 II Nr. 2 GVG)

Teil 2/Frage 4: Anspruch auf Schadensersatz

A. § 839 BGB; Art. 34 GG
(-); Arg.: Maßnahme rechtmäßig (sachverhaltlich vorgegeben)

B. Enteignender Eingriff
(-); Arg.: keine Eigentumsbetroffenheit

C. § 64 I 1 HSOG
(-); Arg.: keine „Inanspruchnahme“ als Notstandspflichtiger

D. ** 64 I 1 HSOG analog**
(+); Arg.: faktische Betroffenheit zumindest vergleichbar
Aber: nur Entschädigung, kein Schmerzensgeld; Arg.: nur Aufopferungsentschädigung (vertretbar wäre auch das Institut des allgemeinen Aufopferungsanspruchs heranzuziehen)