BGH: Widerrufsrecht bei Online-Kaufvertrag über eine Matratze?

A. Sachverhalt

B ist eine Onlinehändlerin, die unter anderem Matratzen vertreibt. K bestellte zu privaten Zwecken am 25. November 2014 über die Website der B eine Matratze zu einem Kaufpreis von 1.094,52 €. In der Rechnung der K vom 26. November 2014 wurde auf dort abgedruckte Allgemeine Geschäftsbedingungen hingewiesen, in denen auch eine “Widerrufsbelehrung für Verbraucher” enthalten ist. Darin heißt es auszugsweise:

“[…] Wir tragen die Kosten der Rücksendung der Waren. […] Ihr Widerrufsrecht erlischt in folgenden Fällen vorzeitig: Bei Verträgen zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde.”

Die Matratze war bei Lieferung an K mit einer Schutzfolie versehen, die K in der Folgezeit entfernte. Mit E-Mail vom 9. Dezember 2014 erklärte er gegenüber B:

“Sehr geehrte Damen und Herren, ich muss die Matratze […] leider an Sie zurücksenden. Aufgrund des hohen Gewichts muss die Rücksendung wohl durch eine Spedition durchgeführt werden. Können Sie dieses bitte veranlassen? Vorzugsweise an einem Termin noch diese Woche. Mit freundlichen Grüßen […]”

Da B den erbetenen Rücktransport nicht veranlasste, gab K den Transport in Auftrag.

K verlangt nun von B die Rückzahlung des Kaufpreises.

Zu Recht?  

B. Die Entscheidung des BGH (Beschl. v. 15.11.2017 – VIII ZR 194/16)

K könnte gegen B ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 355 III, 357 I BGB zustehen. Dazu müsste B den Kaufvertrag über die Matratze ordnungsgemäß widerrufen haben.
In der E-Mail vom 9.12. liegt eine Widerrufserklärung; das Wort „Widerruf“ muss nicht genutzt werden (§§ 133, 157 BGB). Das Widerrufsrecht könnte sich unter dem Gesichtspunkt eines Fernabsatzvertrages ergeben (§§ 312g, 312c BGB).

Bei dem von den K und B im Wege des Onlinehandels geschlossenen Kaufvertrag handelt es sich um einen Fernabsatzvertrag im Sinne des § 312c BGB, der nach § 312g I BGB von dem Verbraucher K (§ 13 BGB) nach seinem freien Willen widerrufen werden kann.
Dieses Widerrufsrecht könnte allerdings nach § 312g II Nr. 3 BGB ausgeschlossen sein. Danach besteht – sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben – kein Widerrufsrecht bei Verträgen zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde.

Fraglich ist, ob die Matratze von § 312g II Nr. 3 BGB erfasst ist. Hier geht es um die richtlinienkonforme Auslegung von § 312g II Nr. 3 BGB, der nahezu wortgleich Art. 16 Buchst. e der Verbraucherrechterichtlinie entspricht.

Zum Teil wird vertreten, dass die genannte Bestimmung der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass sie auch Waren (wie etwa Matratzen) erfasst, die bei bestimmungsgemäßem Gebrauch eng mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommen können:

„a) In dem zwar nicht verbindlichen, aber unter Beteiligung der zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten sowie unter Mitwirkung von Wirtschaftsvertretern und Verbraucherverbänden erstellten Leitfaden der Generaldirektion Justiz der Europäischen Kommission (Stand: Juni 2014) wird das Eingreifen des Ausnahmetatbestandes gemäß Buchst. e für Matratzen (gemeinschaftsweit) ohne Weiteres bejaht. So heißt es dort - unter dem den Ausschluss des Widerrufsrechts nach Art. 16 Buchst. e Verbraucherrechterichtlinie betreffenden Gliederungspunkt 6.8.2. (Waren mit besonderen Eigenschaften) - auszugsweise:

“Damit Artikel gemäß Buchstabe e vom Widerrufsrecht ausgenommen werden können, müssen triftige Gesundheitsschutz- oder Hygienegründe für die Versiegelung vorliegen, die aus einer Schutzverpackung oder einer Schutzfolie bestehen kann. Die Ausnahme vom Widerrufsrecht könnte beispielsweise für die folgenden Waren gelten, wenn vom Verbraucher nach deren Anlieferung ihre Versiegelung entfernt wurde: - Kosmetikartikel wie Lippenstifte - Auflegematratzen.”

Auch in der Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, der Kreis der Waren, welche aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nach Entfernung der Versiegelung nicht zur Rückgabe geeignet sind, sei relativ weit zu ziehen (Hoeren/Föhlisch, CR 2014, 242, 246; MünchKommBGB/ Wendehorst, 7. Aufl., § 312g Rn. 24) und erfasste sämtliche Waren, die bei bestimmungsgemäßer Verwendung intensiv mit dem Körper in Kontakt kämen, wie etwa Badebekleidung, Unterwäsche oder Kopfhörer bzw. “earphones” (vgl. Spindler/Schuster/Schirmbacher, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl., § 312g BGB Rn. 22). Auch könnte der Wortlaut der Ausnahmevorschrift (“nicht zur Rückgabe geeignet”) unter Umständen darauf hindeuten, dass es maßgeblich auf den Zustand der Ware nach Entfernung der Versiegelung durch den Verbraucher ankommt und nicht darauf, ob der Unternehmer die Ware mit Hilfe bestimmter Maßnahmen (Wäsche, Reinigung) wieder in einen verkehrsfähigen Zustand versetzen kann.“

Der BGH hingegen neigt dazu, einen Ausschluss des Widerrufsrechts nach Art. 16 Buchst. e der Verbraucherrechterichtlinie nur dann anzunehmen, wenn die Verkehrsfähigkeit der Ware aus gesundheitlichen oder hygienischen Gründen mit der Entfernung der Versiegelung (wie etwa bei Kosmetika, Zahnbürsten und Hygieneartikeln im engeren Sinne) endgültig entfallen ist. Dies könne etwa der Fall sein, wenn eine erneute Verwendung der Ware durch Dritte aus gesundheitlichen Gründen (angebrochene Arzneimittel) oder aus hygienischen Aspekten (Zahnbürste, Lippenstift, Erotikartikel) nach der Verkehrsauffassung von vornherein nicht in Betracht komme und auch durch Maßnahmen des Unternehmers wie Reinigung oder Desinfektion nicht einmal eine Wiederverkäuflichkeit als gebrauchte Ware, “Rückläufer” oder Ähnliches hergestellt werden könne.

Danach würde es sich bei der Matratze nicht um einen „Hygienartikel im engeren Sinne“ handeln, weswegen das Widerrufsrecht nicht ausgeschlossen wäre:

„Die Verkehrsfähigkeit einer vom Verbraucher nach Entsiegelung zurückgesandten Matratze ist aber, anders als bei oben erwähnten Hygieneartikeln im engeren Sinne, keineswegs endgültig aufgehoben, wie sich nicht zuletzt aus der Nutzung von Hotelbetten sowie dem insbesondere im Internet bestehenden Markt für gebrauchte Matratzen und der Möglichkeit einer Reinigung gebrauchter Matratzen schließen lässt. Eine mit dem Öffnen der Versiegelung verbundene (möglicherweise auch erhebliche) Wertminderung der - auch nach einer eventuellen Reinigung nur noch als gebraucht oder als “Rückläufer” verkaufsfähigen - Ware dürfte hingegen dem im Fernabsatz tätigen Unternehmer grundsätzlich zumutbar sein, da dieser Rückläuferquoten kalkulieren und gegebenenfalls bei der Preisbemessung berücksichtigen kann (so wohl auch Spindler/Schuster/Schirmbacher, aaO Rn. 25).“

Als Argument führt der BGH an, dass Ausnahmevorschriften eng auszulegen seien:

„Denn Ausnahmevorschriften, zu denen die hier in Rede stehende Regelung zum Ausschluss des Widerrufsrechts gehört, sind nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesgerichtshofs eng auszulegen (st. Rspr.; vgl. nur EuGH, Urteile vom 11. April 2013 - C 535/11 , […] Rn. 46; vom 29. März 2012 - C 185/10 , […] Rn. 31; BGH, Urteile vom 17. Juni 2015 - VIII ZR 249/14 , NJW 2015, 2959 Rn. 23; vom 12. Oktober 2016 - XII ZR 9/15 , NJW 2017, 108 [BAG 18.08.2016 - 8 AZB 16/16] Rn. 24; vom 4. Februar 2016 - IX ZR 77/15 , NJW 2016, 2412 Rn. 29; vgl. im Hinblick auf § 312g Abs. 2 BGB : Becker/Föhlisch, NJW 2008, 3751, 3752; MünchKommBGB/Wendehorst, aaO Rn. 6).“

Schließt man sich dem letztgenannten Argument an, wäre § 312g II Nr. 3 BGB nicht einschlägig. Danach hätte B den Vertrag ordnungsgemäß widerrufen, weswegen ihm ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 355 III, 357 I BGB zustehen würde.  

C. Fazit

Der BGH hat die Frage letztlich nicht entscheiden können, weil es um die Auslegung Art. 16 Buchst. e sowie Art. 6 Abs. 1 Buchst. k Verbraucherrechterichtlinie geht, deren verbindliche Auslegung dem EuGH vorbehalten ist (Art. 267 I Buchst. b AEUV). Deswegen hat er das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH nach Art. 267 III AEUV zur Vorabentscheidung vorgelegt. Über die weitere Entwicklung werden wir an dieser Stelle berichten!

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