BGH: Zeugnisverweigerungsrecht für nach islamischem Recht verheiratete Eheleute?

A. Sachverhalt

A und B leben als ausländische Staatsangehörige in Deutschland. In Deutschland heiraten sie nach islamischem Recht. Während eines gegen A gerichteten Strafverfahrens wird B als Zeugin vernommen. Über ein Zeugnisverweigerungsrecht wird B vor ihrer Vernehmung nicht belehrt. Das Gericht stützt die Verurteilung des A auch auf die Aussage der B.
Dagegen richtet sich die zulässige Revision des A. Ist sie begründet?  

B. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 10.10.2017 – 5 StR 379/17)

Die Revision ist begründet, wenn das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruht (§ 337 StPO).  

1. Rechtsfehler

Möglicherweise hat das Gericht gegen die Belehrungspflicht aus § 52 III 1 StPO verstoßen. Dann müsste B zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt gewesen sein.  

a. Ehe

Ein Zeugnisverweigerungsrecht könnte sich aus § 52 I Nr. 2 StPO ergeben. Dann müsste B Ehegatte des A sein.
A und B sind nach islamischem Recht und damit nur nach religiösem Recht verheiratet. Fraglich ist, ob sich daraus eine gültige, rechtlich anerkannte Zivilehe ergibt. Nach Art. 13 I EGBGB unterliegen die Voraussetzungen der Eheschließung dem Recht des Staates, dem die Parteien jeweils angehören. Nach Art. 13 IV 1 EGBGB kann eine Ehe im Inland allerdings nur in der hier vorgeschriebenen Form geschlossen werden, was der Senat kurz und knapp feststellt:

„Eine in Deutschland vorgenommene Eheschließung ist nur dann gültig, wenn sie in der hier vorgeschriebenen Form geschlossen wird (Art. 13 Abs. 4 Satz 1 EGBGB zur Problematik ausführlich Ebner/Müller, NStZ 2010, 657 mwN).“

Das ist hier nicht der Fall, sodass die Voraussetzungen des § 52 I Nr. 2 StPO nicht vorlagen.

Der BGH verneint auch eine analoge Anwendung von § 52 I Nr. 2 StPO:

„Für eine analoge Anwendung von § 52 StPO auf hier (lediglich) nach islamischem Recht geschlossene “Ehen” sieht der Senat keinen Anlass (vgl. Senge in KK-StPO, 7. Aufl., § 52 Rn. 14; Schmitt in Meyer-Goßner, StPO, 60. Aufl., § 52 Rn. 5; vgl. zur rechtlichen Bedeutung von lediglich nach religiösem Ritus geschlossenen, staatlich nicht anerkannten Ehen auch BVerwGE 123, 18 ).“

 

b. Verlöbnis

Ein Zeugnisverweigerungsrecht könnte sich aber aus § 52 I Nr. 1 StPO ergeben, wenn B die Verlobte des A gewesen ist. Denkbar ist, dass die nicht rechtsgültige und nur nach religiösem Recht geschlossene Ehe zwischen A und B in ein Verlöbnis umgedeutet werden kann. Das könnte sich aus § 140 BGB ergeben.
Dafür spricht, dass die Ehe ein Mehr zur Verlobung darstellt und durch die Umdeutung keine weiterreichenden Pflichten entstehen würden als durch das nichtige Rechtsgeschäft (Ehe). Maßgeblich ist, ob A und B ein Verlöbnis vorgenommen hätten, wenn sie die Nichtigkeit der Ehe gekannt hätten. Zur Feststellung des mutmaßlichen Parteiwillens kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Das wäre zu verneinen, wenn die beiden nur eine rein religiöse Ehe und gerade keine Zivilehe eingehen wollten.
Der BGH verneint die Anwendung von § 52 I Nr. 1 StPO:

„Die Umdeutung einer nach islamischem Recht vorgenommenen, nach deutschem Recht nicht rechtsgültigen “Eheschließung” in ein Verlöbnis kommt ebenfalls nicht ohne weiteres in Betracht (vgl. Ebner/Müller aaO, insbesondere S. 660 f.; Herold, JA 2014, 454, 456).“

 

2. Ergebnis

B stand kein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Das Gericht hat nicht gegen die Belehrungspflicht aus § 52 III StPO verstoßen; die Revision ist mangels Rechtsfehler nicht begründet.  

C. Fazit

Eine Entscheidung, die sich ohne weiteres in eine strafprozessuale Zusatzfrage oder eine Revisionsklausur im Assessorexamen einbauen lässt.
Der BGH verneint im konkreten Fall zwar eine Umdeutung der nichtigen Ehe in ein Verlöbnis, lässt dabei aber leider offen, unter welchen Voraussetzungen das der Fall sein kann („…nicht ohne weiteres…“) – hier wird man in der Klausur die Umstände des Falles genau zu würdigen haben.
Sollte die Ehe zudem nach dem Recht des Staates der Beteiligten wirksam sein (Art. 13 I EGBGB), liegt eine sogenannte „hinkende Ehe“ vor. Hier kann sich die Frage stellen, ob sich in solchen Fällen nicht aus einer verfassungskonformen Auslegung von § 52 I Nr. 2 StPO (Art. 6 I GG) ein Zeugnisverweigerungsrecht ergibt.