Apotheker panscht Medikamente für Krebspatienten in 62.000 Fällen

Apotheker panscht Medikamente für Krebspatienten in 62.000 Fällen

Medizinskandal - Panscherei im großen Stil

Vor dem Landgericht Essen hat der Prozess gegen einen Apotheker aus Bottrop begonnen: Ihm wird vorgeworfen, in etwa 62.000 Fällen 35 verschiedene Sorten von Krebsmedikamenten - sogenannte Zytostatika, die den Wachstum von Krebszellen eindämmen sollen - gepanscht und den Krebspatienten teilweise lediglich nur Kochsalzlösung statt der verordneten Medikamente gemischt zu haben.

 

Berechtigung zur Zusammenstellung von Medikamenten

Der Apotheker betrieb die „Alte Apotheke” in Botropp in vierter Generation und hatte die Berechtigung, in einem speziellen Reinraum-Labor individuell auf seine Kunden abgestimmte Krebsmittel zusammenzustellen - die Apotheke zählte zu den lediglich 300 Schwerpunkt-Apotheken für Krebsmedikamente in Deutschland. Mit Hilfe dieser Berechtigung soll der Apotheker im Zeitraum zwischen 2012 und 2016 teure Chemo- und Antikörpermedikamente in ca. 62.000 Fällen mit wesentlich weniger Wirkstoff hergestellt haben, als von den Ärzten verordnet. So soll er höchsten 70% der eigentlich benötigten Menge eingekauft, aber bei den Krankenkassen voll abgerechnet haben. Allein für die gesetzlichen Kassen ist hierdurch ein Schaden von rund 56 Millionen Euro entstanden. Ihm wird von der Staatsanwaltschaft besonders schwerer Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz und gewerbsmäßiger Betrug in zehntausenden Fällen vorgeworfen. In 27 Fällen muss er sich auch wegen versuchter Körperverletzung verantworten: Denn in nur 27 Fällen können die fehlerhaften Infusionen zweifelsfrei den Krebspatienten zugeordnet werden - die Infusionen enthielten hier 60 - 80% weniger Wirkstoff als verordnet und in einigen Proben konnte sogar gar kein Wirkstoff nachgewiesen werden.

 

Anklage wegen Betrugs und versuchter Körperverletzung

Zu großen Diskussionen führt die Frage, warum der Apotheker nicht auch wegen eines Tötungsdelikts angeklagt ist: Drei Nebenklägeranwälte monierten zu Beginn der Verhandlung, dass der Fall an einer Wirtschaftsstrafkammer angeklagt ist und beantragten deshalb, den Prozess an das Schwurgericht zu überweisen und den Apotheker auch wegen versuchten Totschlags oder sogar wegen versuchten Mordes anzuklagen, da er es in Kauf genommen habe, dass eine Vielzahl von Patienten vorzeitig stirbt. Zudem habe er mit grenzenloser Menschenverachtung, eiskaltem Gewinnstreben und Habgier gehandelt. Hierfür fehle es jedoch laut Staatsanwaltschaft an Beweisen: Trotz zahlreicher Indizien könne nicht eindeutig geklärt werden, ob die gepanschten Medikamente bei bestimmten Patienten tatsächlich zum Tod geführt hätten. Außerdem könne keines der noch lebenden Opfer sagen, ob es gepanschte Infusionen erhalten habe. Darüber hinaus ginge aus einem Gutachten hervor, dass sich der Schaden bei einer Minderdosierung bei den Krebspatienten nicht eindeutig bemessen ließe.

Es bleibt abzuwarten, wie sich der Prozess mit der über 800 Seiten langen Anklageschrift entwickelt. Den Ermittlungen zufolge sind Patienten von 37 Ärzten, Praxen und Kliniken in sechs Bundesländern betroffen. 

Prüfungsrelevanz:

In materieller Hinsicht bietet der Fall in der mündlichen Prüfung Gelegenheit, verschiedene Themen abzufragen:

 - [Kausalität](https://jura-online.de/lernen/kausalitaet/360/excursus?utm_campaign=Wusstest_Du_Medizinskandal)

 - Vorsatz, insbesondere [dolus eventualis](https://jura-online.de/lernen/vorsatzformen/363/excursus?utm_campaign=Wusstest_Du_Medizinskandal)

 - [Mordmerkmale](https://jura-online.de/lernen/mord-211-stgb/748/excursus?utm_campaign=Wusstest_Du_Medizinskandal), insbesondere das Merkmal der Habgier.

Würde wegen Mordes oder Totschlags, und nicht nur wegen Betruges angeklagt, hätte das prozessual zur Folge, dass das Landgericht – Schwurgericht – zuständig wäre, § 74  II Nr. 2 bzw. 3 GVG. Wie ist das Schwurgericht besetzt? Drei Berufsrichter und zwei ehrenamtliche Richter. Rechtsmittel: Revision zum BGH, § 333 StPO.