Sachverhalt (beruht auf einem Gedächtnisprotokoll)
Fall: 1
Lalandia ist ein Staat außerhalb der Europäischen Union. Staatschef ist der K. In letzter Zeit ist es zunehmend zu Verhaftungen von Regimekritikern gekommen. Nachdem im Septmeber 2015 in Lalandia ein Aufstand gewaltsam niedegeschlagen wurde, meldet der A, ehemals lalandischer Staatsangehöriger, nunmehr aber deutscher Staatsangehöriger, am Folgetag in der hessischen Stadt S eine Veranstaltung an. Die Veranstaltung soll am 08.09.2015 auf dem Rathausmarkt stattfinden. Geplant ist, dass der K höchstselbst „als Privatperson“ auf einer aufgestellten Leinwand zu sehen sein soll und so zu seinen Sympathisanten sprechen soll. Als die zuständige Behörde davon erfährt, untersagt sie in einem formell ordnungsgemäßen Bescheid das Aufstellen der Leinwand anlässlich der Kundgebung und ordnet sogleich auch die sofortige Vollziehung dieser Untersagungsverfügung an. Zur Begründung trägt die Behörde vor, dass gewaltsame Ausseinandersetzungen zwischen in den in Deutschland lebenden regimetreuen und regimekritischen Lalandiern zu befürchten seien. Außerdem seien die Versammlung zu spät angemeldet worden. Einstweiliger Rechtsschutz des A bleibt erfolglos. Die Veranstaltung findet daher am 10.09.2015 ohne Leinwand und Redebeitrag des D statt. Dies will der A nicht auf sich beruhen lassen und erhebt hiergegen Klage. Er ist der Auffassung, dass es schon keine Rechtsgrundlage für eine solche Untersagung gäbe. Die Klage des A wird in letzter Instanz abgewiesen. Ein Verstoß gegen die Versammlungsfreiheit liegt nicht vor, weil die Versammlung schließlich stattgefunden habe.
Hat die von A hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG Erfolg?
Fall 2:
Bundespräsident S ist sehr angetan von der Persönlichkeit des lalandischen Staatschefs K und möchte diesem gerne das Bundesverdienstkreuz verleihen. Dies teilt der Öffentlichkeit per Twitter mit. Der Bundesaußenminister teilt dem S in einer Email aus dem Urlaub mit, dass er das Vorhaben unterstütze. Die Bundeskanzlerin N ist entsetzt. Dennoch kommt es zur Ordensverleihung. Die Bundeskanzlerin ist der Auffassung, dass die Ordensverleihung verfassungswidrig sei.
Hat die Bundeskanzlerin Recht?
Bearbeitervermerk:
Es ist davon auszugehen, dass eine Twitter- Nachricht keine elektronische Form i.S.v. § 3a VwVfG ist und dass Bundesverdienstkreuz ein Orden i.S.d. Ordensgesetzes darstellt.
Unverbindliche Lösungsskizze
Fall 1: Verfassungsbeschwerde des A
A. Zulässigkeit
I. Zuständigkeit
-> Verfassungsbeschwerde, Art. 93 I Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a BVerfGG
II. Beteiligtenfähigkeit, § 90 I BVerfGG
Hier: B = Deutscher und damit Träger aller Grundrechte
III. Beschwerdegegenstand, § 90 II BVerfGG
Hier: Untersagungsverfügung (= Akt der Exekutive) in Gestalt des letztinstanzlichen Urteils (= Akt der Judikative)
IV. Beschwerdebefugnis, § 90 I BVerfG
Mögliche Grundrechtsverletzung
Hier: Art. 8, 5 I 1 GGSelbst, unmittelbar, gegenwärtig (+)
V. Form und Frist, §§ 23, 92, 93 BVerfGG
VI. Rechtsschutzbedürfnis (+)
B. Begründetheit
I. Verletzung von Art. 8 GG
- Schutzbereich
a) Persönlich
-> Deutscher, Art. 116 GG (+)
b) Sachlich
aa) Versammlung
Problem: Zweck
aA: jeder Zweck -> (+)
aA: politischer Zweck -> (+), auch wenn als K „als Privatperson“ erscheint
hM: Kommunikativer Zweck -> (+)
bb) Friedlich und ohne Waffen
(+); eventuelle Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Sympathisanten und Kritikern unbeachtlich
cc) Geschützte Verhaltensweisen
- Nicht nur das Versammeln an sich, sondern auch Ort und Zeit der Versammlung und Wahl der Redner und der Kommunikationsform (Leinwand)
Eingriff
Hier: Untersagung des Einsatzes der LeinwandVerfassungsrechtliche Rechtfertigung
a) Bestimmung der Schranken
Hier: Einfacher Gesetzesvorbehalt; Arg.: Versammlung unter freiem Himmel, Art. 8 II GG
b) Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage (§ 15 I VersG)
-> Ob die Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen, ändert nichts daran, dass § 15 I VersG prinzipiell die Rechtsgrundlage ist.
aa) Formelle Verfassungsmäßigkeit (+)
bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit
-> Verhältnismäßigkeit (+)
c) Verfassungsmäßigkeit des Einzelaktes (= Untersagungsverfügung)
-> Verhältnismäßigkeit
(1) Zweck
Hier: Schutz von Leib und Leben, Art. 2 II GG
(2) Geeignetheit (+)
(3) Erforderlichkeit
- Verzicht auf eine Untersagungsverfügung wäre nicht genauso geeignet
- Vorgehen gegen eventuelle Gegendemonstranten, also gegen die Regimekritiker, wohl nicht genauso effektiv (andere Ansicht aufgrund der wenigen Angaben im Sachverhalt vertretbar)
(4) Verhältnismäßigkeit i.e.S.
- Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG vs. Schutz von Leib und Leben, Art. 2 II GG
- Einschätzung der Gefahrenlage zu abstrakt (andere Ansicht vertretbar)
- Eilversammlungen, also ohne Einhaltung der Anmeldefrist des § 14 VersG, in Ordnung, wenn Versammlungszweck andernfalls gefährdet
- „Verhinderung von Wahlkampf im Ausland“ für sich genommen kein ausreichender Grund
C. Ergebnis: (+)
Fall 2: Verfassungsmäßigkeit der Ordensverleihung
I. Formelle Verfassungsmäßigkeit
Zuständigkeit des Bundespräsidenten
(+), §§ 1,2 OrdenGVerfahren
-> Zustimmung (Gegenzeichnung) der Bundeskanzlerin erforderlich, Art. 58 GG?
a) Anordnung oder Verfügung des Bundespräsidenten
Hier: Ordensverleihung; Arg.: weite Auslegung
b) Person des Gegenzeichnenden
-> Bundeskanzlerin oder zuständiger Minister
Hier: Email des Außenministers
Aber: Richtlinien- bzw. Geschäftsleitungskompetenz der Bundeskanzlerin, Art. 65 S. 1 u. 4 GG
Also: (-)
Form
-> Verleihungsurkunde, § 3 OrdenG (+)Ergebnis: (-)
II. Materielle Verfassungsmäßigkeit
Orden
Hier: BundesverdienstkreuzBesondere Verdienste um die Bundesrepublik Deutschland
Hier: Wohl nur persönlich „beeindruckt“.Ergebnis: (-)
III. Ergebnis: (-)
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