A. Sachverhalt (leicht vereinfacht)
K ist Eigentümerin eines Personenkraftwagens Audi A6, den sie O. P. zur dauerhaften Nutzung überließ. Im Herbst 2013 erlitt das Fahrzeug einen Motorschaden. Daraufhin beauftragte O. P. den B, der Inhaber einer Kfz-Werkstatt ist, mit dem Einbau eines gebrauchten Austauschmotors. B nahm den Austausch vor und händigte das Fahrzeug an O. P. aus. Wenige Wochen später versagte der Austauschmotor. B übernahm es im Rahmen der Gewährleistung, einen anderen Motor einzubauen.
Nach durchgeführter Reparatur traf sich der Sohn des B, der zugleich dessen Mitarbeiter ist, am 14. März 2014 zwecks Rückgabe des Fahrzeugs mit O. P. . Wie das Treffen im Einzelnen verlaufen ist, steht nicht fest. Nach der Darstellung der K soll O. P. eine Probefahrt durchgeführt haben, an der der Sohn des B als Beifahrer teilgenommen hat. Nach Beendigung der Probefahrt sei es zum Streit über angeblich noch ausstehende Zahlungen gekommen. Der Sohn des B habe gegen den Willen von O. P. den Fahrzeugschlüssel aus dem Zündschloss gezogen und an sich genommen. Sodann habe er sich an dem Motor zu schaffen gemacht. Als O. P. daraufhin ausgestiegen sei, sei der Sohn des B in das Fahrzeug eingestiegen und mit diesem davongefahren.
Fest steht, dass sich das Fahrzeug seither auf dem Betriebsgelände des B befindet und dass dieser den Austauschmotor wieder ausgebaut hat. Es lässt sich nicht feststellen, dass dem B bekannt gewesen ist, nicht mehr zum Besitz des Motors berechtigt zu sein.
K verlangt die Herausgabe des Austauschmotors und eine Nutzungsausfallentschädigung für die Zeit der Vorenthaltung des Motors. Zu Recht?
B. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 17.3.2017 – V ZR 70/16)
I. Anspruch auf Herausgabe des Austauschmotors
1. Anspruch aus § 631 BGB
Besteller und Vertragspartner des B ist O. P., nicht K. Vertragliche Ansprüche, bspw. in Form einer Ablieferungspflicht des Werkunternehmers, scheiden daher schon aus diesem Grunde aus.
2. Anspruch aus § 985 BGB
Ein Anspruch aus § 985 BGB auf Herausgabe des Austauschmotors würde der K nur zustehen, wenn sie dessen Eigentümerin wäre.
Für einen rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerb durch Übereignung des Motors an sie ist nichts ersichtlich. Fraglich ist, ob sie das Eigentum an dem Motor kraft Gesetzes gemäß § 947 II BGB durch Verbindung erworben hat. Das wäre dann der Fall, wenn der Austauschmotor durch den Einbau in den der K gehörenden Audi zu dessen wesentlichem Bestandteil iSv § 93 BGB geworden wäre. Das verneint der BGH in Übereinstimmung mit einer Entscheidung aus dem Jahr 1973, die wir auch als Klassiker vorgestellt haben:
„Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass sich der Herausgabeanspruch der Klägerin gemäß § 985 BGB nicht auf den Austauschmotor erstreckt, weil sie nicht dessen Eigentümerin ist. Eine Übereignung ist nicht erfolgt. Auch hat die Klägerin das Eigentum nicht gemäß § 947 Abs. 2 i.V.m. § 93 BGB durch den Einbau erlangt, weil ein in ein Gebrauchtfahrzeug eingebauter Austauschmotor nicht dessen wesentlicher Bestandteil ist (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 1973 - VIII ZR 201/72 , BGHZ 61, 80, 81 ff. ).“
3. Anspruch aus §§ 861 I, 869 BGB
In Betracht kommt ein Anspruch aus § 861 I BGB, der nach § 869 BGB auch der mittelbaren Besitzerin K, die ihren Besitz von O. P. ableitet (§ 868 BGB), zustehen kann.
Voraussetzung wäre, dass B dem O. P. den Besitz durch verbotene Eigenmacht iSv § 858 BGB entzogen hatte. Verbotene Eigenmacht liegt vor, wenn dem Besitzer ohne dessen Willen der Besitz entzogen wird, sofern nicht das Gesetz die Entziehung gestattet. Verbotene Eigenmacht kann nur gegen den unmittelbaren Besitzer verübt werden, sodass O. P. unmittelbarer Besitzer des Austauschmotors (§ 854 BGB) gewesen sein müsste, als der Sohn des B den Fahrzeugschlüssel aus dem Zündschloss zog und an sich nahm und mit dem Fahrzeug (einschließlich Motor) wegfuhr.
Zunächst stellt der BGH dar, dass es für die Besitzverhältnisse an einem Kraftfahrzeug – und damit auch an dessen eingebautem Motor – im Regelfall darauf ankomme, wer die tatsächliche Sachherrschaft über die Fahrzeugschlüsse ausübe:
„Der unmittelbare Besitz an einer Sache wird gemäß § 854 Abs. 1 BGB durch die tatsächliche Gewalt über die Sache erworben. In wessen tatsächlicher Herrschaftsgewalt sich die Sache befindet, hängt maßgeblich von der Verkehrsanschauung ab, also von der zusammenfassenden Wertung aller Umstände des jeweiligen Falles entsprechend den Anschauungen des täglichen Lebens (vgl. Senat, Urteil vom 2. Dezember 2011 - V ZR 119/11, WM 2012, 1926 Rn. 10 mwN). Für die Besitzverhältnisse an einem Kraftfahrzeug kommt es in der Regel darauf an, wer die tatsächliche Sachherrschaft über die Fahrzeugschlüssel ausübt (vgl. Staudinger/Gutzeit, BGB [2012], § 854 Rn. 44, PWW/Prütting, BGB, 11. Aufl., § 854 Rn. 8; Palandt/Herrler, BGB, 76. Aufl., § 854 Rn. 5; NK-Hoeren, BGB, 4. Aufl., § 854 Rn. 22; BeckOGK/Götz, 1. März 2017, BGB, § 854 Rn. 138.4). Ist allerdings der Inhaber des Schlüssels als Besitzdiener im Sinne von § 855 BGB anzusehen, so ist nicht er, sondern der Besitzherr unmittelbarer Besitzer (vgl. Senat, Urteil vom 30. Januar 2015 - V ZR 63/13, NJW 2015, 1678 Rn. 19 f.).“
a. O. P. als Besitzdiener (§ 855 BGB)?
Sodann führt der BGH aus, dass umstritten sei, wer bei der Probefahrt eines Kaufinteressenten unmittelbarer Besitzer des Kraftfahrzeugs sei. Nach h.M. sei der Kaufinteressent nur Besitzdiener (§ 855 BGB) des Verkäufers. Nach a.A. fehle es an einem sozialen Abhängigkeitsverhältnis, weswegen der Kaufinteressent selbst unmittelbarer Besitzer sei:
„Wer bei einer Probefahrt unmittelbarer Besitzer eines Kraftfahrzeugs ist, wird nicht einheitlich beurteilt. Nach überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur, auf die das Berufungsgericht seine Entscheidung stützt, ist ein Kaufinteressent, dem das Kraftfahrzeug nebst Schlüsseln zur Durchführung einer Probefahrt ausgehändigt wird, als Besitzdiener des Verkäufers anzusehen (vgl. OLG Köln, MDR 2006, 90 [OLG Köln 18.04.2005 - 19 U 10/05] ; MüKoBGB/Joost, 7. Aufl., § 855 Rn. 14; Palandt/Herrler, BGB, 76. Aufl., § 855 Rn. 7; BeckOGK/Götz, 1. März 2017, BGB, § 854 Rn. 138.4; BeckOK BGB/Fritzsche, 41. Edition 1. November 2016, § 855 Rn. 9; eine entsprechende Anwendung des § 855 BGB befürwortend: Erman/A. Lorenz, BGB, 14. Aufl., § 855 Rn. 13). Nach der Gegenauffassung erlangt der Kaufinteressent den unmittelbaren Besitz an dem Fahrzeug. § 855 BGB sei nicht anwendbar, da es an einem sozialen Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem potentiellen Käufer und dem Händler fehle. Dieser habe - jedenfalls wenn die Probefahrt ohne seine Begleitung durchgeführt wird - keine Möglichkeit, auf das Fahrzeug bzw. den Kaufinteressenten einzuwirken (vgl. OLG Düsseldorf, OLGR 1992, 180 f.; Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, 8. Aufl., § 9 Rn. 14). Der Senat hat bisher offengelassen, ob ein Kaufinteressent während der Probefahrt Besitzdiener des Verkäufers ist (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2013 - V ZR 58/13, BGHZ 199, 227 Rn. 15).“
Diese Frage lässt der BGH offen und führt aus, dass es sich hier nicht um die Probefahrt eines Kaufinteressenten handele. Jedenfalls sei bei einem Werkvertrag der Besteller, der nach erfolgter Reparatur seines Kraftfahrzeuges eine Probefahrt vornimmt, nicht Besitzdiener des Werkunternehmers.
Dazu führt der BGH zunächst aus, dass eine Besitzdienerschaft setze nach § 855 BGB ein nach außen erkennbares soziales Abhängigkeitsverhältnis voraussetze:
„Besitzdiener ist nach § 855 BGB , wer die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft oder in einem ähnlichen Verhältnis ausübt, vermöge dessen er den sich auf die Sache beziehenden Weisungen des anderen Folge zu leisten hat. Dazu muss nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ein nach außen erkennbares soziales Abhängigkeitsverhältnis begründet werden, das dem Besitzherrn zumindest faktisch die Möglichkeit gibt, seinen Willen gegenüber dem Besitzdiener durchzusetzen (vgl. nur Senat, Urteil vom 13. Dezember 2013 - V ZR 58/13, BGHZ 199, 227 Rn. 10 mwN). Besitzdiener ist nicht jeder, der Weisungen des Eigentümers der Sache zu befolgen hat, sondern nur derjenige, demgegenüber der Eigentümer die Einhaltung seiner Weisungen im Nichtbefolgungsfall auf Grund eines Direktionsrechts oder vergleichbarer Befugnisse unmittelbar selbst durchsetzen kann (vgl. Senat, Urteil vom 13. Dezember 2013 - V ZR 58/13 , aaO Rn. 14 mwN).“
Daran fehle es bei einer Probefahrt des Bestellers einer Fahrzeugreparatur. Auch eine analoge Anwendung von § 855 BGB komme nicht in Betracht. Dafür fehle es an einer strukturell vergleichbaren Situation, weil der Werkunternehmer keine Befugnisse habe, Anweisungen an den Besteller durchzusetzen. Zudem sei der Werkvertrag ein Besitzmittlungsverhältnis iSv § 868 BGB, weswegen der Besteller Besitzmittler, nicht aber Besitzdiener sei:
„(a) Sollte ein Kaufinteressent bei einer Probefahrt als Besitzdiener des Verkäufers anzusehen sein - was der Senat offenlässt -, ließe sich dies nur damit rechtfertigen, dass er zuvor in keinem besitzrechtlichen Verhältnis zum Verkäufer steht, und die Probefahrt sowohl hinsichtlich der Frage, ob sie überhaupt stattfindet, als auch in ihrer konkreten Ausgestaltung einzig von dem Willen des Händlers abhängig ist. Mit ähnlicher Begründung wird eine (entsprechende) Anwendung des § 855 BGB bei der zeitweiligen Überlassung des Gewahrsams aus Gefälligkeit vorgeschlagen; die Kontinuitätsinteressen des Erlaubenden seien vorrangig und es sei zu erwarten, dass sich der Gefälligkeitsnutzer aufgrund seiner Loyalität gegenüber dem Erlaubenden an dessen Weisung halten werde (vgl. Staudinger/Gutzeit, BGB [2012], § 855 Rn. 30; Erman/A. Lorenz, BGB, 14. Aufl., § 855 Rn. 13; BeckOK BGB/Fritzsche, 41. Edition 1. November 2016, § 855 Rn. 16; Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, 8. Aufl., § 9 Rn. 13).
(b) Diese Erwägungen treffen bei einem Werkvertrag schon im Ansatz nicht zu. Bei der Überprüfung der Reparaturleistung unterliegt der Besteller nicht den Weisungen des Werkunternehmers. Es fehlt an einem Direktionsrecht oder vergleichbaren Befugnissen, aufgrund derer der Werkunternehmer etwaige Anweisungen durchsetzen könnte. Vor allem aber bleibt der Besteller auch während der Reparatur (mittelbarer) Besitzer des Fahrzeugs, weil der Werkvertrag als Besitzmittlungsverhältnis im Sinne von § 868 BGB anzusehen ist (vgl. Senat, Urteil vom 13. Dezember 2013 - V ZR 58/13 , BGHZ 199, 227 Rn. 14 ; OLG Koblenz, NJW-RR 2003, 1563, 1564 [OLG Koblenz 03.07.2003 - 5 U 28/02] ; OLG Köln, VersR 1994, 1428; Staudinger/Gutzeit, BGB [2012], § 868 Rn. 70; Erman/A. Lorenz, BGB, 14. Aufl., § 868 Rn. 37). Die Überlegung, dass der Besteller während der Reparatur als mittelbarer Besitzer durch den Werkunternehmer als Besitzmittler die Sachherrschaft ausübt, schließt es aus, ihn als Besitzdiener anzusehen, wenn ihm der Besitzmittler das Kraftfahrzeug zu einer Probefahrt zwecks Vorbereitung der Abnahme überlässt. In jedem Fall bleibt der Besteller (weiterhin) Besitzer; es ist allein danach zu fragen, ob er nunmehr unmittelbaren Besitz oder weiterhin nur mittelbaren Besitz innehat.“
b. Bloße Besitzlockerung auf Seiten des B?
Auch wenn O. P. damit nicht Besitzdiener gewesen sei, folge daraus nicht automatisch, dass er unmittelbarer Besitzer des Fahrzeugs geworden sei, als ihm die Schlüssel zum Zwecke der Probefahrt übergeben wurden. Jedenfalls dann, wenn eine zur Vorbereitung der Abnahme eines reparierten Kraftfahrzeugs durchgeführte Probefahrt des Bestellers (O. P.) in Anwesenheit des Werkunternehmers (B) oder – wie hier – dessen Besitzdiener (Sohn des B) stattfinde, erlange der Besteller keinen unmittelbaren Besitz an dem Fahrzeug. Vielmehr bleibe der Werkunternehmer unmittelbarer Besitzer; sein Besitz werde lediglich gelockert, nicht aber auf den “Probefahrer” übertragen.
Dazu führt der BGH zunächst aus, dass die Übergabe eines Fahrzeugschlüssels nur dann zu einer Übertragung des Besitzes an dem Fahrzeug führe, wenn der Übergeber die tatsächliche Gewalt an der Sache willentlich und erkennbar aufgegeben und der Empfänger des Schlüssels sie in gleicher Weise erlangt hat:
„Erworben wird der Besitz gemäß § 854 Abs. 1 BGB durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache. Beendigt wird er gemäß § 856 Abs. 1 BGB dadurch, dass der Besitzer die tatsächliche Gewalt über die Sache aufgibt oder in anderer Weise verliert; hierfür reicht gemäß § 856 Abs. 2 BGB eine ihrer Natur nach vorübergehende Verhinderung in der Ausübung der Gewalt nicht aus. Für die Begründung des unmittelbaren Besitzes ist eine erkennbare Zeitdauer des Besitzes in Verbindung mit einer gewissen Festigkeit der Herrschaftsbeziehung erforderlich (vgl. PWW/Prütting, BGB, 11. Aufl., § 854 Rn. 11; RGRK/Kregel, BGB, 12. Aufl., § 854 Rn. 2; Staudinger/Gutzeit, BGB [2012], § 854 Rn. 10; Soergel/Stadler, BGB, 13. Aufl., § 854 Rn. 8; NK-Hoeren, BGB, 4. Aufl., § 854 Rn. 6). Die Sache muss der Person so zugänglich geworden sein, dass diese auf die Sache beliebig einwirken und tatsächlich über sie verfügen kann (vgl. RGRK/Kregel, BGB, 12. Aufl., § 854 Rn. 7). Bei dem von einem Vorbesitzer abgeleiteten Besitzerwerb ist zudem erforderlich, dass der Veräußerer den Besitz erkennbar aufgibt (vgl. Staudinger/Gutzeit, BGB [2012], § 854 Rn. 8; BeckOK BGB/Fritzsche, 41. Edition 1. November 2016, § 854 Rn. 35). Die Übergabe eines Schlüssels bewirkt nur dann einen Übergang des Besitzes an der dazugehörigen Sache, wenn der Übergeber die tatsächliche Gewalt an der Sache willentlich und erkennbar aufgegeben und der Empfänger des Schlüssels sie in gleicher Weise erlangt hat (vgl. Senat, Urteil vom 6. April 1973 - V ZR 127/72, WM 1973, 1054).“
Danach habe O. P. keinen Besitz erlangt. Dagegen spreche, dass die Probefahrt auf kurze Dauer angelegt sei und der Besitzdiener des Werkunternehmers an der Probefahrt teilgenommen habe. Zudem widerspreche eine Besitzübertragung der Verkehrsanschauung:
„(a) Eine Probefahrt ist in der Regel nur auf eine kurze Dauer angelegt, was für sich genommen gegen eine Übertragung des unmittelbaren Besitzes spricht (so Staudinger/Gutzeit, BGB [2012], § 854 Rn. 44; PWW/Prütting, BGB, 11. Aufl., § 854 Rn. 11; NK-Hoeren, BGB, 4. Aufl., § 854 Rn. 6). Jedenfalls dann, wenn der Werkunternehmer - oder wie hier sein Besitzdiener - an der Probefahrt teilnimmt, wird er seiner Einwirkungsmöglichkeiten auf das Fahrzeug nicht in dem Maße verlustig, dass von einer Besitzaufgabe ausgegangen werden könnte. Vielmehr tritt eine bloße Besitzlockerung ein (so auch MüKoBGB/Oechsler, 7. Aufl., § 935 Rn. 11); der ununterbrochen anwesende Werkunternehmer verbleibt in einer engen räumlichen Beziehung zu dem Fahrzeug und gibt seine Kontrolle nicht vollständig auf (im Ergebnis ebenso bereits RGZ 67, 387, 389; KG, OLGE 6, 256, 257).
(b) Zudem kann bei lebensnaher Betrachtung angenommen werden, dass der Werkunternehmer an einer Probefahrt des Bestellers (auch) deshalb teilnimmt, um eine Entfernung des Fahrzeugs ohne vorhergehende Entrichtung des Werklohns zu verhindern; damit übt er letztlich das ihm zu diesem Zwecke gemäß § 647 BGB gewährte Werkunternehmerpfandrecht bzw. sein damit einhergehendes Besitzrecht aus (vgl. hierzu Staudinger/Peters/Jacoby, BGB [2014], § 647 Rn. 25; Messerschmidt/Voit/Hildebrandt, Privates Baurecht, 2. Aufl., § 647 Rn. 27). Nach der Verkehrsanschauung führt die kurzzeitige Aushändigung des Pfandgegenstandes nicht zu einem Besitzübergang, wenn der Pfandgläubiger zugleich Maßnahmen trifft, die den Pfandschuldner hindern, mit dem Pfand nach Belieben zu verfahren (vgl. RGSt 48, 244, 245: Begleitung durch einen “Besitzwächter und Gewahrsamserhalter”; RGRK/Kregel, BGB, 12. Aufl., § 1253 Rn. 2). Hierdurch wird nämlich - worauf es entscheidend ankommt (vgl. MüKoBGB/Damrau, 7. Aufl., § 1253 Rn. 8; Staudinger/Wiegand, BGB [2009], § 1253 Rn. 12) - nicht der Anschein erweckt, der Besteller sei wieder allein verfügungsbefugt. Dies gilt umso mehr, als eine willentliche Herausgabe der Sache an den Besteller das endgültige Erlöschen des Unternehmerpfandrechts zur Folge hätte (§ 1257 i.V.m. § 1253 Abs. 1 Satz 1 BGB; vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 1968 - VIII ZR 214/66 , BGHZ 51, 250, 254 ). Daran gemessen findet ein Besitzübergang nicht statt, wenn das Fahrzeug durch den Besteller im Beisein des Werkunternehmers kurzzeitig getestet wird.
(c) Nichts anderes ergibt sich hier aus dem Umstand, dass kein Unternehmerpfandrecht entstanden ist, weil O. P. als Besteller nicht Eigentümer des Fahrzeugs war (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 1960 - VIII ZR 89/59 , BGHZ 34, 122, 124 ff. ) und das Unternehmerpfandrecht nicht gutgläubig erworben werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 1960 - VIII ZR 146/59 , BGHZ 34, 153, 154 ff. ). Bei der Beurteilung der Besitzverhältnisse ist grundsätzlich eine faktische Betrachtungsweise geboten. Dabei kommt es weniger auf die wahre Rechtslage als darauf an, ob die beim Erwerb der Sachherrschaft hergestellte Beziehung als Ausdruck einer rechtlichen Befugnis erscheint (vgl. Staudinger/Gutzeit, BGB [2012], § 854 Rn. 11; BeckOK BGB/Fritzsche, 41. Edition 1. November 2016, § 854 Rn. 20).“
c. Ergebnis
O. P. hat während der Probefahrt keinen (unmittelbaren) Besitz an dem Fahrzeug erlangt; unmittelbarer Besitzer war weiterhin der B, dessen Sohn als Besitzdiener die tatsächliche Sachherrschaft für ihn ausübte. Daher hat B keine verbotene Eigenmacht verübt, als sein Sohn als die Fahrzeugschlüssel an sich nahm und mit dem Wagen (einschließlich Motor) davonfuhr.
II. Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung
1. Anspruch aus §§ 990 II, 280 I, II, 286 BGB
Ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung könnte sich aus §§ 990 II, 280 I, II, 286 BGB ergeben, mit dem ein Eigentümer den sogenannten Vorenthaltungsschaden liquidieren kann. Das ist der Schaden, der während und infolge des Verzuges entstanden ist. Dazu muss sich der Besitzer mit seiner Herausgabepflicht aus § 985 BGB im Verzug befindet. Zudem muss – wie sich aus der Systematik des § 990 BGB ergibt – der Besitzer bösgläubig sein. Der BGH führt aus, dass B zunächst berechtigter Besitzer gewesen sei, sodass sich seine Bösgläubigkeit nur daraus ergeben könne, dass er später positive Kenntnis von dem Wegfall des Besitzrechts erlangt hat (§ 990 I 2 BGB):
„Eine Verzugshaftung nach diesen Vorschriften setzt voraus, dass der Besitzer gemäß § 990 Abs. 1 BGB bei dem Erwerb des Besitzes nicht in gutem Glauben war oder später erfahren hat, dass er zum Besitz nicht berechtigt ist (vgl. Senat, Urteil vom 12. November 1992 - V ZR 230/91 , BGHZ 120, 204, 214 ; Senat, Urteil vom 19. September 2003 - V ZR 360/02 , BGHZ 156, 170, 171 ; Staudinger/Gursky, BGB [2012], § 990 Rn. 100 mwN). Dass es sich so verhält, steht nicht fest. Da der Beklagte bei Besitzerwerb aufgrund des Werkvertrags berechtigter Besitzer war, kommt es nur darauf an, ob er später positive Kenntnis von dem Entfallen des Besitzrechts erlangt hat (§ 990 Abs. 1 Satz 2 BGB, vgl. Staudinger/Gursky, BGB [2012], § 990 Rn. 28); dies sieht das Berufungsgericht als nicht nachgewiesen an.“
Ob B insoweit bösgläubig war, lässt sich nicht mehr feststellen. Das geht zu Lasten der Anspruch stellerin K, die – so der BGH – insoweit die Beweislast trage:
„Dagegen wendet sich die Revision vergeblich mit dem Argument, das fehlende Besitzrecht sei als Bestandteil der Vindikationslage von dem Beklagten als dem Besitzer zu beweisen. Nach allgemeinen Regeln der Beweislastverteilung muss der Eigentümer den ihm günstigen Umstand beweisen, dass der Besitzer bei Besitzerwerb nicht in gutem Glauben war bzw. später positive Kenntnis von dem Fehlen seines Besitzrechts erlangt hat (vgl. Staudinger/Gursky, BGB [2012], § 990 Rn. 59 und 101; Soergel/Stadler, BGB, 13. Aufl., § 990 Rn. 26; BeckOK BGB/Fritzsche, 41. Edition 1. November 2016, § 990 Rn. 44; Schuschke in Baumgärtel/Laumen/Prütting, Handbuch der Beweislast, 3. Aufl., § 990 Rn. 1). Ist - wie hier - weder das Bestehen noch das Nichtbestehen eines Besitzrechts erwiesen, kann der Eigentümer zwar die Herausgabe der Sache verlangen, aber die Ansprüche gemäß §§ 987 ff. BGB stehen ihm nicht zu.“
2. Anspruch aus §§ 992, 823 I BGB
Ein Anspruch gemäß §§ 992, 823 I scheitert daran, dass sich B den Besitz an dem Kraftfahrzeug der K weder durch eine Straftat noch durch verbotene Eigenmacht verschafft hat.
C. Fazit
Ein skurriler Fall, der geradezu dazu einlädt, zum Gegenstand einer Prüfungs- und Examensaufgabe gemacht zu werden. Er sollte zum Anlass genommen werden, sich mit den Herausgabeansprüchen im Allgemeinen und den besitzrechtlichen Regelungen im Besonderen (§§ 854 ff. BGB) auseinanderzusetzen. Auch die Ersatzfähigkeit des Vorenthaltungsschadens (§§ 990 II, 280 I, II, 286 BGB) ist einen vertiefende Befassung wert; dazu lohnt auch ein Blick in die Entscheidung des BGH vom 18.3.2016 – V ZR 89/15, die wir im Urteilsticker vorgestellt haben.
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