OLG Koblenz: Urkundenfälschung bei der Verwendung eines entstempelten Kfz-Kennzeichens?

A. Sachverhalt (vereinfacht)

A brachte  an seinem außer Betrieb gesetzten und nicht mehr für den Straßenverkehr zugelassenen Wohnmobil die entstempelten Kfz-Kennzeichen A-BC 123 an, bevor er mit diesem Fahrzeug am 29. April 2014 gegen 02.00 Uhr nachts öffentliche Straßen in W. befuhr, ohne im Besitz der hierfür erforderlichen Fahrerlaubnis zu sein. Auch bestand für dieses Fahrzeug kein Haftpflichtversicherungsvertrag.

Am 28. Juli 2014 befuhr der A mit einem nicht angemeldeten Motorroller öffentliche Straßen in W., nachdem er an dem Fahrzeug das für das Jahr 2009 gültige Versicherungskennzeichen „XYZ“ angebracht hatte.

Strafbarkeit des A?

 

B. Die Entscheidung des OLG Koblenz (Beschl. v. 19.5.2016 – 2 OLG 4 Ss 158/15)

I. Die Fahrt am 29. April 2014

1. Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 I StGB

A könnte sich wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 I Var. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er die entstempelten Kfz-Kennzeichen an das nicht mehr zugelassene Wohnmobil anbrachte.

 

Dazu müsste A eine unechte Urkunde hergestellt haben. Dazu müsste es sich bei dem Kfz-Kennzeichen um eine Urkunde im Sinne des § 267 I StGB handeln.

Urkunde im strafrechtlichen Sinn ist jede verkörperte menschliche Gedankenerklärung, die zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist und einen Aussteller erkennen lässt. Danach kommen einer Urkunde drei Funktionen zu: die Perpetuierungsfunktion (verkörperte Gedankenerklärung), die Beweisfunktion (Erkennbarkeit des Ausstellers) und die Garantiefunktion (zur Beweisführung geeignet und bestimmt).

Ein (ordnungsgemäßes) Kfz-Kennzeichen umfasst nach § 10 III FZV eine zum Beweis geeignete und bestimmte (Beweisfunktion) Stempelplakette der Zulassungsbehörde, die das farbige Wappen des Landes, dem die Zulassungsbehörde angehört, die Bezeichnung des Landes und der Zulassungsbehörde (Garantiefunktion) und eine eindeutige Druckstücknummer enthält. Die Stempelplakette darf nur erteilt werden, wenn alle Voraussetzungen der Zulassung vorliegen (vgl. § 3 I 3 FZV), weswegen das gestempelte Kfz-Kennzeichen die verkörperte Erklärung enthält, dass das Kfz alle Voraussetzungen für die Zulassung erfüllt. Das Kfz-Kennzeichen bezieht sich danach indes immer auf ein bestimmtes Fahrzeug, ist also für sich genommen nicht aussagekräftig, sondern erst in Verbindung mit dem Fahrzeug. Das Kennzeichen alleine ist damit ein sogenanntes Beweiszeichen und wird erst in Kombination mit dem Fahrzeug zu einer Urkunde, wenn eine hinreichend feste Verbindung zwischen Fahrzeug (Bezugsgegenstand) und Kennzeichen besteht (sogenannte zusammengesetzte Urkunde; vgl. auch § 10 V 1 FZV).

Hier handelte es sich aber um entstempelte Kfz-Kennzeichen. Die Zulassungsbehörde hat damit ihre ursprüngliche Erklärung „widerrufen“, als das Fahrzeug, auf das sich die Kennzeichen bezogen, außer Betrieb gesetzt wurde (§ 14 I FZV). Es fehlt damit einerseits an einer Gedankenerklärung, andererseits lässt das Kennzeichen einen Aussteller nicht (mehr) erkennen. Damit liegt keine (zusammengesetzte) Urkunde vor:

„Kfz-Kennzeichenschilder sind Beweiszeichen, die die Erklärung enthalten, dass das betreffende Fahrzeug für den im Fahrzeugregister eingetragenen Halter zum öffentlichen Verkehr zugelassen ist. Das Kennzeichenschild bildet zusammen mit dem Dienststempel der Zulassungsbehörde und dem Fahrzeug eine zusammengesetzte Urkunde (vgl. Senat, 2 OLG 3 Ss 98/15 v. 07.09.2015; BayObLG, RReg 1 St 13/77 v. 29.04.1977 - BayObLGSt 1977, 74 <Rn. 6 n. juris>; Fischer, StGB, 63. Aufl. § 267 Rn. 7 mwN.; Heine/Schuster, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. § 267 Rn. 36a). Bei Verwendung von ungestempelten oder - wie hier - entstempelten Kennzeichenschildern lässt die mit der Anbringung des Kennzeichens am Fahrzeug verbundene Erklärung den Aussteller nicht (mehr) erkennen, so dass es an der Urkundsqualität fehlt und eine Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung ausscheidet (vgl. BGH, 1 StR 279/91 v. 06.06.1991 - BGHR StGB § 259 Abs. 1 Sichverschaffen 5 <Rn. 2 n. juris>; 1 StR 227/89 v. 16.05.1989 - BGHR StGB § 267 Abs. 1 Urkunde 3 <Rn. 1 n. juris>; 4 StR 266/62 v. 07.09.1962 - BGHSt 18, 66 <Rn. 14 n. juris>).“

 

2. Strafbarkeit wegen Kennzeichenmissbrauchs gemäß § 22 I Nr. 1 StVG

„Gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 1 StVG wird mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bis zu einem Jahr bestraft, wer ein Kraftfahrzeug oder einen Kraftfahrzeuganhänger, für die ein amtliches Kennzeichen nicht ausgegeben oder zugelassen worden ist, mit einem Zeichen versieht, das geeignet ist, den Anschein amtlicher Kennzeichnung hervorzurufen. Dies umfasst auch die Fälle, in denen ein Fahrzeug abgemeldet und das dafür ausgegebene Kennzeichen von der Zulassungsbehörde entstempelt, jedoch vom Fahrzeughalter weiter verwendet wird, um im Straßenverkehr den Anschein zu erwecken, das betreffende Fahrzeug sei für den im Fahrzeugregister eingetragenen Halter (noch immer) zum öffentlichen Verkehr zugelassen (vgl. König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. StVG § 22 Rn. 2). Genauso liegt der Sachverhalt hier.“

 

3. Strafbarkeit wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 I Nr. 1 StVG

Indem A das Wohnmobil vorsätzlich auf öffentlichen Wegen gebraucht hat, ohne die dafür erforderliche Fahrerlaubnis zu haben, hat er sich wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 I Nr. 1 StVG strafbar gemacht.

4. Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz gemäß § 6 I PflVG

Indem A das Wohnmobil vorsätzlich auf öffentlichen Wegen gebraucht hat, obwohl für das Fahrzeug der nach § 1 PflVG erforderliche Haftpflichtversicherungsvertrag nicht besteht, hat er sich nach § 6 I PflVG strafbar gemacht.

5. Konkurrenzen

„Die Straftat des Kennzeichenmissbrauchs nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 StVG steht zu den weiteren Taten des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG) und des Verstoßes gegen § 6 Abs. 1 PflVG im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB; vgl. auch BGH, 4 StR 266/62 v. 07.09.1962 - BGHSt 18, 66 <Beck LSK 1962, 844650>; König aaO. Rn. 12).“

II. Die Fahrt am 28. Juli 2014

1. Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 I StGB

A könnte sich wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 I Var. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er die für das Jahr 2009 gültigen Versicherungskennzeichen an den nicht (mehr) angemeldeten Motorroller anbrachte.

Zunächst führt der Senat aus, dass auch Versicherungskennzeichen in Verbindung mit dem jeweiligen Fahrzeug eine (zusammengesetzte) Urkunde darstellen:

„Versicherungskennzeichen sind gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 FZV dazu bestimmt, den Nachweis für das Bestehen eines dem Pflichtversicherungsgesetz entsprechenden Haftpflichtversicherungsvertrags zu erbringen. Der Versicherer händigt das Versicherungskennzeichen dem Versicherungsnehmer nicht zur beliebigen Verwendung, sondern ausschließlich zur Anbringung an dem im Versicherungsvertrag bezeichneten Fahrzeug aus. Dies bedeutet, dass der Versicherungsnehmer bei der Anbringung des Versicherungskennzeichens als verlängerter Arm des Versicherers tätig wird und auf Grund der ihm vom Versicherer erteilten Ermächtigung Versicherungskennzeichen und versichertes Fahrzeug zu einer Urkunde verbindet. Dementsprechend betrachtet die Verkehrsauffassung ein an einem Fahrzeug angebrachtes Versicherungskennzeichen als Erklärung des Versicherers mit dem Inhalt, dass gerade für dasjenige Fahrzeug, an dem sich das Kennzeichen befindet, ein Haftpflichtversicherungsvertrag abgeschlossen ist.“

 

Hieraus folgt, dass der Versicherungsnehmer (oder ein Dritter), der in Überschreitung der ihm vom Versicherer erteilten Ermächtigung (oder überhaupt ohne solche Ermächtigung) ein Versicherungskennzeichen an einem anderen Fahrzeug als demjenigen anbringt, für das es ausgegeben wurde, den Tatbestand der Urkundenfälschung gemäß § 267 I Var. 1 StGB verwirklicht. Urkundenfälschung ist auch dann gegeben, wenn zur Täuschung darüber, dass ein gültiges Versicherungsverhältnis besteht, Manipulationen am Versicherungskennzeichen vorgenommen werden, etwa durch Veränderung der Farbe eines durch Zeitablauf ungültig gewordenen Kennzeichens.

 

Danach scheidet hier eine Urkundenfälschung durch A aus. Er hat weder eine unechte Urkunde hergestellt noch eine Urkunde verfälscht:

„Nach den bislang getroffenen Feststellungen benutzte der Angeklagte das vom Versicherer für den Motorroller ausgegebene Versicherungskennzeichen des Jahres 2009 (Jahresfarbe blau, vgl. § 27 Abs. 1 S. 1 FZV) zum Tatzeitpunkt am 28. Juli 2014 weiter. Dass er Manipulationen an dem Kennzeichen vornahm, um den Anschein zu erwecken, die Versicherung habe ihm das Kennzeichen für das Jahr 2014 erteilt, hat die Kammer nicht festgestellt. Es handelt sich damit zwar um eine zusammengesetzte Urkunde, diese hat der Angeklagte jedoch nicht verfälscht, da er den Erklärungsinhalt - das Vorliegen eines Haftpflichtversicherungsvertrages für das Jahr 2009 - nicht verändert hat. Eine Strafbarkeit wegen Kennzeichenmissbrauchs nach § 22 StVG kommt nicht in Betracht, weil es sich bei Versicherungskennzeichen nicht um amtliche Kennzeichen im Sinne dieser Vorschrift handelt (König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. StVG § 22 Rn. 1).“

 

Anders wäre es indes dann, wenn A “das Kennzeichen durch Abänderung der Jahresfarbe in die für das Jahr 2014 gültige Jahresfarbe (Schwarz, vgl. § 27 Abs. 1 S. 1 FZV) manipulierte [hätte], um den Anschein zu erwecken, es bestehe ein Versicherungsschutz zum Tatzeitpunkt.“

 

2. Strafbarkeit wegen Kennzeichenmissbrauchs gemäß § 22 I Nr. 1 StVG

Eine Strafbarkeit wegen Kennzeichenmissbrauchs nach § 22 StVG kommt nicht in Betracht, weil es sich bei Versicherungskennzeichen nicht um amtliche Kennzeichen im Sinne dieser Vorschrift handelt.

 

3. Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz gemäß § 6 I PflVG

Indem A den Motorroller auf öffentlichen Wegen gebraucht hat, obwohl für das Fahrzeug der nach § 1 PflVG erforderliche Haftpflichtversicherungsvertrag nicht besteht, hat er sich nach § 6 I PflVG strafbar gemacht.

C. Fazit

Die (unbeliebten) Urkundsdelikte spielen gerade auch im Straßenverkehr eine erhebliche Rolle. Anlass genug, den Fall zu nutzen, um die §§ 267 ff. StGB zu wiederholen – Jura Online ist Dir dabei gerne behilflich.