A. Sachverhalt
B mietete im Jahr 2006 von der K eine ihr gehörende Wohnung in Düsseldorf, deren Miete zuletzt monatlich 619,50 € zuzüglich Vorauszahlung auf die Nebenkosten betrug. B zahlte die Mieten für die Monate Februar und April 2013 schuldhaft nicht. K mahnte die Zahlung dieser Beträge deswegen mit Schreiben vom 14. August 2013 an. Mit Schreiben vom 3. September 2013 teilte B mit, sie habe diese Mieten leider nicht überwiesen und entschuldige sich dafür, beglich die Mietrückstände aber auch in der Folgezeit nicht. Daraufhin erklärte die K mit Schreiben vom 15. November 2013 – formell ordnungsgemäß – die fristlose Kündigung und verlangt von ihr die Räumung bzw. Herausgabe der Wohnung.
Zu Recht?
B. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 13.7.2016 –VIII ZR 296/15)
Ein Anspruch der K auf Herausgabe der Wohnung könnte sich aus § 546 BGB und § 985 BGB ergeben. Voraussetzung ist jeweils, dass der Mietvertrag durch die Kündigung vom 15.11.2013 wirksam beendet wurde (vgl. § 546 I BGB: „nach Beendigung des Mietverhältnisses“ bzw. § 986 BGB). Eine wirksame Kündigung setzt (als Gestaltungsrecht) eine Kündigungserklärung und einen Kündigungsgrund voraus. Zudem darf die Kündigung nicht ausgeschlossen sein.
I. Kündigungserklärung
Eine dem B zugegangene Kündigungserklärung liegt vor. Sie ist auch im Übrigen wirksam, insbesondere ist die Schriftform gewahrt (§§ 568, 126 BGB) und der Grund angegeben worden (§§ 543, 569 IV BGB).
II. Kündigungsgrund
B war mit zwei Monatsmieten (Februar 2013 und April 2013) im Verzug iSv § 286 BGB. Einer Mahnung bedurfte es wegen §§ 286 II Nr. 1, 556b I BGB nicht; B hat die Nichterfüllung auch zu vertreten (vgl. § 286 IV BGB). Damit lag ein Grund zur außerordentlichen fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund nach § 543 I, II Nr. 3b BGB vor.
III. Ausschlussgrund
Zwischen der erstmaligen Möglichkeit zur Kündigung durch K (Anfang April 2013) und der tatsächlich erklärten Kündigung (Mitte November 2013) lagen mehr als 7 Monate. Möglicherweise ist die Kündigung damit nach § 314 III BGB als sogenannte „illoyale Kündigung“ ausgeschlossen, wonach der zur Kündigung Berechtigte „nur innerhalb einer angemessenen Frist kündigen [kann], nachdem er vom Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat.“
Fraglich ist, ob die allgemeine Vorschrift des § 314 III BGB auch auf die gesondert geregelten mietrechtlichen Kündigungstatbestände für die Kündigung eines (Wohnraum-)Mietverhältnisses nach §§ 543, 569 BGB Anwendung findet oder ob es sich bei Letzteren um insoweit abschließende Regelungen handelt. Die Frage ist durch Auslegung der maßgeblichen Vorschriften zu beantworten.
1. Wortlaut
„Schon der Wortlaut dieser Vorschriften spricht gegen eine zeitliche Schranke für den Ausspruch einer fristlosen Kündigung (vgl. Senatsbeschluss vom 13. April 2010 – VIII ZR 206/09, aaO). § 543 BGB, der – sei es als Generalklausel (Abs. 1), sei es als Regeltatbestände (Abs. 2) – die Voraussetzungen für die fristlose Kündigung eines Mietverhältnisses regelt, bestimmt in seinen weiteren Absätzen im Einzelnen die Modalitäten der Kündigung. Eine zeitliche Beschränkung für den Ausspruch der Kündigung schreibt diese Bestimmung nicht vor. Ebenso wenig enthält sie einen Verweis auf § 314 Abs. 3 BGB. Auch § 569 BGB, der für Wohnraummietverhältnisse die Vorschrift des § 543 BGB um weitere Tatbestände und Kündigungsmodalitäten ergänzt, sieht weder eine Zeitspanne, innerhalb derer die fristlose Kündigung auszusprechen ist, noch einen Verweis auf § 314 Abs. 3 BGB vor.“
2. Gesetzeshistorie
„Dies wird bestätigt durch die in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gekommene Zielsetzung des Gesetzgebers. Aus den Gesetzesmaterialien zu §§ 543, 569 BGB und zu § 314 BGB ergibt sich eindeutig, dass die Vorschriften über die fristlose Kündigung eines Mietverhältnisses als abschließende spezielle Regelung konzipiert sind und von der Einfügung einer Bestimmung, wonach die Kündigung in “angemessener Frist” zu erfolgen habe, bewusst abgesehen wurde.
(1) Die Neufassung der mietrechtlichen Kündigungsbestimmungen im Rahmen des Mietrechtsreformgesetzes vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1149) sollte die bisherigen Rechtsprechungsgrundsätze ablösen und das zuvor aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen hergeleitete fristlose Kündigungsrecht aus wichtigem Grund sowie die über mehrere Einzelvorschriften verstreuten speziellen Kündigungsgründe ablösen (BT-Drucks. 14/4553, S. 43). Mit Ausnahme der Verlängerung der Schonfrist (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) sollte damit eine inhaltliche Änderung nicht verbunden sein (BT-Drucks. 14/4553, S. 64). Die Regelung des § 314 BGB oder eine vergleichbare allgemeine Vorschrift gab es zum damaligen Zeitpunkt nicht. Auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung war ein allgemeiner Grundsatz dieses Inhalts nicht entwickelt worden.
Es war allerdings seit langem anerkannt, dass eine längere Verzögerung der Kündigungserklärung Rechtsfolgen nach sich zieht, etwa in der Weise, dass es bei Kündigungstatbeständen, die auf eine Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung abstellen, angesichts einer längeren Kündigungsverzögerung an einer solchen Unzumutbarkeit und somit an einem durchgreifenden Kündigungsgrund fehlen kann (vgl. dazu Senatsurteil vom 23. September 1987 – VIII ZR 265/86, NJW-RR 1988, 77, unter II 2 a mwN [zu § 554a BGB aF]). Ebenso stand und steht außer Frage, dass eine fristlose Kündigung im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände treuwidrig, insbesondere verwirkt sein kann (vgl. BGH, Urteile vom 29. April 2009 – VIII ZR 142/08, NJW 2009, 2297 Rn. 17; vom 18. Oktober 2006 – XII ZR 33/04, NJW 2007, 147 Rn. 11; vgl. ferner die frühere Rechtsprechung zur Verwirkung eines Rechts zur fristlosen Kündigung des Mieters gemäß § 542 BGB aF bei vorbehaltloser Weiterzahlung der Miete für eine gewisse Zeit, dazu BGH, Urteil vom 31. Mai 2000 – XII ZR 41/98, NJW 2000, 2663 unter II 3).
(2) Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber bei der Mietrechtsreform vom 19. Juni 2001 bewusst davon abgesehen festzulegen, dass die Kündigung innerhalb einer “angemessenen Zeit” ab Kenntnis vom Kündigungsgrund zu erfolgen hat (BT-Drucks. 14/4553, S. 44). Die Gesetzesbegründung verweist darauf, dass nach ständiger Rechtsprechung ein Kündigungsrecht verwirkt werden könne und deshalb ein Bedürfnis für eine solche Festlegung nicht bestehe. Zusätzlich wird darauf abgestellt, dass eine einheitliche konkrete Ausschlussfrist angesichts der Vielgestaltigkeit der Mietverhältnisse nicht festgelegt werden könne und eine “offenere” Bestimmung eine Auslegung durch die Rechtsprechung erfordere und somit kaum etwas zur Vereinfachung des Mietrechts beitragen könne. Wörtlich heißt es hierzu in den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 14/4553, S. 44):
“Es wird davon abgesehen, festzulegen, dass die Kündigung innerhalb einer angemessenen Zeit seit der Kenntnis vom Kündigungsgrund zu erfolgen hat. Ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund kann schon jetzt nach ständiger Rechtsprechung verwirkt werden […]. Eine einheitliche feste Ausschlussfrist in Anlehnung an § 626 Abs. 2 BGB sowie §§ 6, 24 und 70 VVG erscheint wegen der Vielgestaltigkeit der Mietverhältnisse (Wohnraum, Geschäftsraum, Grundstücke, bewegliche Sachen) nicht möglich […]. Eine offenere Bestimmung wäre durch die Rechtsprechung in jedem Falle auslegungsbedürftig. Die mögliche Regelung könnte damit nur wenig zur Vereinfachung des Mietrechts beitragen.”
(3) Hieran hat die Einführung des § 314 BGB durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 26. November 2001 (BGBl. I S. 3138) nichts geändert. Es erschien dem Gesetzgeber zwar geboten, bei einer allgemeinen Überarbeitung des Leistungsstörungsrechts die Kündigung aus wichtigem Grund bei Dauerschuldverhältnissen in das Bürgerliche Gesetzbuch aufzunehmen. Dafür sprach sowohl die erhebliche praktische Bedeutung dieses Rechtsinstituts als auch die seit langem gefestigte Rechtsprechung zu seinem Anwendungsbereich (BT-Drucks. 14/6040, S. 177). Schon der Gesetzgeber sah jedoch, dass § 314 BGB damit als lex generalis in einem Konkurrenzverhältnis zu zahlreichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs und anderer Gesetze steht, in denen die Kündigung aus wichtigem Grund bei einzelnen Dauerschuldverhältnissen besonders geregelt ist. Wörtlich heißt es in der Gesetzesbegründung hierzu:
“Diese Einzelbestimmungen sollen nicht aufgehoben oder geändert werden, sondern als leges speciales Vorrang vor § 314 RE haben.” (BT-Drucks. 14/6040, S. 177).
Dementsprechend hat der Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes zwar an manchen Stellen im Mietrecht Anpassungen vorgenommen, so auch bei § 543 Abs. 4 Satz 1 BGB (vgl. die Übersicht zu den Änderungen bei Palandt/Weidenkaff, BGB, 75. Aufl., Einf v § 535 Rn. 77a), jedoch davon abgesehen, in §§ 543, 569 BGB einen Verweis auf § 314 Abs. 3 BGB aufzunehmen.“
3. Telos
§ 314 III BGB soll einerseits dem Gekündigten möglichst frühzeitig Klarheit darüber verschaffen, ob das Kündigungsrecht ausgeübt wird oder nicht. Andererseits liegt der Vorschrift der Gedanke zugrunde, dass der Kündigungsberechtigte durch längeres Abwarten zu erkennen gibt, dass ihm die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses – trotz Vorliegens eines zur Kündigung berechtigenden wichtigen Grunds – nicht unzumutbar ist (vgl. § 314 I a.E. BGB). Dieser Gedanke könnte auch auf § 543 BGB übertragen werden, weil ein wichtiger Grund zur Kündigung auch dort nur vorliegt, wenn dem Vermieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses unzumutbar ist (§ 543 I a.E. BGB).
Allerdings steht dem der klare gesetzgeberische Wille entgegen (s.o. unter 2.), der durch eine teleologische Auslegung nicht unterlaufen werden darf. Den Interessen des Mieters kann mit den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB), insbesondere in Form der Verwirkung des Kündigungsrechts, hinreichend Rechnung getragen werden. Deren Voraussetzungen liegen indes nicht vor:
„Die vom Berufungsgericht beanstandete “Verzögerung” der Kündigung erfüllt jedoch die Voraussetzungen der Verwirkung schon deshalb nicht, weil es – offensichtlich – an einem Umstandsmoment (vgl. dazu Senatsurteil vom 31. Juli 2013 – VIII ZR 162/09, BGHZ 198, 111 Rn. 66) fehlt. Tragfähige Anhaltspunkte für ein Vertrauen der Beklagten, die Klägerin werde von ihrem Recht zur fristlosen Kündigung wegen Verzugs mit zwei Monatsmieten keinen Gebrauch machen, sind vom Berufungsgericht nicht festgestellt und auch sonst nicht ersichtlich. Sie liegen insbesondere nicht schon darin, dass es sich bei der Klägerin um eine Kirchengemeinde handelt und die Beklagte früher bei ihr als Küsterin beschäftigt gewesen ist.“
IV. Ergebnis
Das Mietverhältnis wurde wirksam beendet. K hat gegen B einen Anspruch auf Räumung (§ 546 I BGB) und Herausgabe der Mietwohnung (§ 985 BGB).
C. Fazit
Der BGH klärt eine für die Praxis (insbesondere der Amtsgerichte, die für Streitigkeiten aus Wohnraummietverhältnissen streitwertunabhängig zuständig sind: § 23 Nr. 2a GVG) wichtig Frage, noch dazu mit einer beinahe schulbuchmäßigen Auslegung. Was liegt dann also näher, als diese Frage zum Gegenstand von Prüfungsaufgaben zu machen?
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