Sachverhalt (beruht auf einem Gedächtnisprotokoll)
Aufgabe 1:
Eine Vorschrift des spanischen Körperschaftsteuergesetzes gewährt besondere finanzielle Vorteile bei der Abschreibung von Firmenwerten von im EU-Ausland erworbenen Unternehmensbeteiligungen. Mehrere Mitglieder des EU-Parlaments richteten schriftliche Anfragen an die Kommission, ob die besagte Regelung als staatliche Beihilfe zu qualifizieren sei. Die Kommission eröffnete hinsichtlich der streitigen Regelung ein förmliches Prüfverfahren, in dessen Rahmen sie von vielen Unternehmen eine Stellungnahme erhielt, u. a. auch von dem Unternehmen I, einem führenden spanischen Bauunternehmen. Die Kommission schloss das Verfahren mit einem an Spanien gerichteten Beschluss nach Art. 108 II AEUV ab, der feststellt, dass die streitige Regelung mit dem „Gemeinsamen Markt“ unvereinbar ist, da mit ihr ein unzulässiger steuerlicher Vorteil für die spanischen Gesellschaften gewährt wird. Der Beschluss sieht auch vor, dass Spanien Maßnahmen zur Umsetzung des Beschlusses einleitet. Spanien muss ferner die Rückzahlung erlangter Beihilfen verlangen, die nach der Veröffentlichung des Beschlusses der Kommission noch gewährt wurden. Ausgenommen sind aus Gründen des Vertrauensschutzes Beteiligungskäufe, die vor der Veröffentlichung des Beschlusses der Kommission geschlossen wurden. I hatte vor diesem Zeitpunkt Beteiligungen an verschiedenen Gesellschaften in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten erworben und die streitige Regelung beansprucht. Nach diesem Zeitpunkt hat I Beteiligungen eines griechischen Unternehmens erworben, aber keine Steuerbegünstigung in Anspruch genommen. I erhebt fristgerecht Klage gegen den Beschluss der Kommission. Es beruft sich darauf, durch die streitige spanische Steuerregelung nicht nur potenziell, sondern auch tatsächlich Begünstigte zu sein. Es verweist außerdem darauf, dass es sich durch seine Stellungnahme aktiv am Prüfungsverfahren der Kommission beteiligt hat.
Ist die Klage zulässig? Erstellen Sie ein Gutachten.
Aufgabe 2:
Das oben genannte Unternehmen möchte für die Betonwände in seinen in Spanien erstellten Bauten deutschen Armierungsstahl verwenden. Europäische harmonisierte Sicherheitsnormen liegen hierfür nicht vor. Nach der von der spanischen Regierung erlassenen Vorschrift für Konstruktionsbeton ist die Verwendung von Armierungsstahl ohne konkrete baubehördliche Prüfung des verwendeten Stahls allein aufgrund eines Zertifikats nur erlaubt, wenn durch das Zertifikat nachgewiesen wird, dass das Produkt ein zusätzliches Garantieniveau gegenüber dem Minimum mit sich bringt, das bei der konkreten baubehördlichen Prüfung verlangt wird. I ruft das zuständige spanische Gericht an und macht geltend, die spanische Vorschrift sei nicht mit der Warenverkehrsfreiheit vereinbar. Sie erschwere den Import, da ausländische Zertifikate die über das Minimum hinausgehenden Anforderungen nicht immer erfüllten. Das Gericht setzt das Verfahren aus und legt die Frage dem EuGH vor, ob die spanische Vorschrift gegen Art. 34 AEUV verstößt. Die spanische Regierung hält die Vorlage für unzulässig, da der EuGH nicht über spanisches Recht entscheiden dürfe. Sie verweist außerdem zur Rechtfertigung der Regelung darauf, dass dadurch ein möglichst hoher Sicherheitsstandard der Gebäude gewährleistet werden solle, um Gesundheit und Leben zu schützen.
Wie wird der EuGH entscheiden? Erstellen Sie ein Gutachten.
Aufgabe 3:
Welche Unterschiede bestehen zwischen Grundfreiheiten und EU-Grundrechten? Gibt es Überschneidungen?
Unverbindliche Lösungsskizze
1. Aufgabe: Zulässigkeit der Klage des I
I. Zuständigkeit
Hier: Nichtigkeitsklage, Art. 263 I AEUV
II. Beteiligtenfähigkeit
- Aktiv
Hier: Juristische Person, Art. 263 IV AEUV
- Passiv
Hier: Organ der EU
III. Klagegegenstand
Hier: Beschluss der Kommission
IV. Klagebefugnis
-> Bei Handlungen gem. Art. 263 IV AEUV:
- Adressat
Hier: nicht I, sondern Mitgliedstaat Adressat
- Unmittelbare und individuelle Betroffenheit
Dagegen: Nach Beschluss der Kommission keine steuerbegünstigte Beteiligungskäufe durch I
Dafür: Vor dem Beschluss der Kommission steuerbegünstigte Beteiligungskäufe; Beteiligung am Prüfungsverfahren; Beteiligungskäufe nach Beschluss
V. Klagegrund, Art. 263 I AEUV
Hier: Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Handlung
VI. Klagefrist, Art. 263 VI AEUV
-> 2 Monate ab Bekanntgabe (+)
VII. Ergebnis: (+)
2. Aufgabe: Entscheidung des EUGH
A. Zulässigkeit
I. Zuständigkeit
Hier: Vorabentscheidungsverfahren, Art. 267, 256 I AEUV
II. Vorlagegegenstand
Hier: Auslegung der Verträge
- Nicht: spanisches Recht, sondern Vereinbarkeit des spanischen Rechts mit dem AEUV
III. Vorlageberechtigung
-> Gericht eines Mitgliedstaates (+)
IV. Entscheidungserheblichkeit (+)
B. Begründetheit
-> Verstoß der spanischen Regelung gegen die Warenverkehrsfreiheit, Art. 34 AEUV
I. Schutzbereich
Kein spezielles Sekundärrecht (+)
Unmittelbare Anwendbarkeit (+)
Grenzüberschreitender Sachverhalt (+)
Persönlicher Schutzbereich
- Auch juristische Personen
- Sachlicher Schutzbereich
-> Aus Mitgliedstaat stammende Ware
Hier: Armierungsstahl (+)
II. Eingriff
Diskriminierung (-); Arg.: keine unterschiedliche Behandlung
Beschränkung
-> Jede Handelsregelung, die geeignet ist, tatsächlich oder potentiell, unmittelbar oder mittelbar den innergemeinschaftlichen Handel zu beeinträchtigen („Dassonville“)
Hier: spanische Regelung zum Garantieniveau bei Armierungsstahl kann häufig von ausländischen Zertifikaten nicht erfüllt werden
III. Rechtfertigung
- Schranke
Hier: Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Art. 36 S. 1 AEUV. Keine Diskriminierung bzw. verschleierte Beschränkung.
- Schranken-Schranke
a) Zweck
Hier: Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen (s.o.)
b) Geeignetheit (+)
c) Erforderlichkeit (+)
d) Verhältnismäßigkeit i.e.S.
Hier: konkreter Gesundheitsschutz wohl vorrangig ggü. Warenverkehrsfreitheit (andere Ansicht vertretbar).
3. Aufgabe: Grundfreiheiten und Grundrechte
Grundfreiheiten flankieren speziell den Gemeinsamen Markt, Art. 26 ff. AEUV, sind also eher wirtschaftlich ausgerichtet im Vergleich zu den Grundrechten, Art. 6 EUV i.V.m. Grundrechts-Charta, die universell gelten.
Grundrechte sind Abwehrrechte, enthalten aber auch eine objektive Werteordnung. Sie entfalten Drittwirkung (gelten mittelbar auch zwischen Privaten) und begründen Schutzpflichten des Staates.
Die Grundfreiheiten begründen Diskriminierungsverbote (ähnlich wie GleichheitsGrundrechte) und Beschränkungsverbote (ähnlich wie Freiheitsgrundrechte). Auch die Grundfreiheiten können Drittwirkung entfalten und Schutzpflichten begründen.
Du möchtest weiterlesen?
Dieser Beitrag steht exklusiv Kunden von Jura Online zur Verfügung.
Paket auswählen