A. Sachverhalt
Im Dezember 2015 kommt es beim Spiel der Fußballbundesliga zwischen Eintracht Frankfurt und dem SV Darmstadt 98 zu Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Zuschauergruppen. Dort werden u.a. Knallkörper auf das Spielfeld geworfen, weswegen das Spiel unterbrochen werden muss. Nach Schlusspfiff stürmen Anhänger aus dem Block der Heimmannschaft den Innenraum des Stadions. Nur ein massives Polizeiaufgebot kann Schlimmeres verhindern. Das Sportgericht des Deutschen Fußballbundes ordnet deswegen an, dass zum Rückspiel in Darmstadt keine Karten an Frankfurter Fans abgegeben werden dürfen.
Die zuständige Gefahrenabwehrbehörde in Darmstadt befürchtet zu diesem Rückspiel die Anreise von mehreren tausend Eintracht-Fans. Deswegen ordnet sie am 21.04.2016 an, dass Anhängern/Fans von Eintracht Frankfurt, erkennbar durch Fanbekleidung, Skandierung von Parolen und sonstigem Auftreten, in der Zeit vom 29.04.2016, 19:00 Uhr, bis zum 01.05.2015, 07:00 Uhr, der Aufenthalt in einem bestimmten, genau festgelegten Bereich des Stadtgebiets untersagt wird. Unter Hinweis auf die Vorfälle während des Hinspiels ordnet die Behörde außerdem die sofortige Vollziehbarkeit der Anordnung an. Der Tenor der Entscheidung wird in der örtlichen Tageszeitung, dem „Darmstädter Echo”, veröffentlicht.
A, Anhänger von Eintracht Frankfurt, möchte seinen Verein zumindest in der Stadt außerhalb des Stadions unterstützen und erhebt form- und fristgerecht Widerspruch gegen die Anordnung. Zugleich stellt er beim zuständigen Verwaltungsgericht den Antrag, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs wiederherzustellen.
Hat der Antrag des A Aussicht auf Erfolg?
B. Die Entscheidung des VG Darmstadt (28.04.2016 – 3 L 642/16.DA)
Der Antrag hat Aussicht auf Erfolg, soweit der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist und der Antrag zulässig und begründet ist.
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges
Der Verwaltungsrechtsweg ist gem. § 40 I VwGO eröffnet, wenn es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art handelt. Öffentlich-rechtlich ist die Streitigkeit, wenn die streitentscheidenden Normen dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind. Als Rechtsgrundlage für das Aufenthaltsverbot kommen § 11 HSOG (Generalklausel) und § 31 III HSOG in Betracht, beides Normen des Gefahrenabwehrrechts, die einen Hoheitsträger berechtigen und verpflichten und damit öffentlich-rechtlicher Natur sind. Es handelt sich auch nicht um eine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art, so dass der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.
II. Zulässigkeit des Antrags
Die statthafte Antragsart richtet sich nach dem Antragsbegehren (§§ 122, 88 VwGO). Statthaft könnte ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Widerspruches nach § 80 V 1 Alts. 2 VwGO sein, der gegenüber einem Antrag nach § 123 VwGO vorrangig wäre (§ 123 V VwGO). Dann müsste es sich bei dem Aufenthaltsverbot um einen belastenden Verwaltungsakt handeln und die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs nach § 80 II Nr. 4 VwGO entfallen.
Das VG Darmstadt ordnet das generelle Aufenthaltsverbot, das über eine Regelung im Einzelfall hinausgeht, als Allgemeinverfügung und damit als Verwaltungsakt ein. Es handele sich nicht um eine Rechtsverordnung:
„Hierbei handelt es sich um eine personenbezogene Allgemeinverfügung gemäß § 35 Satz 2 1. Alt. HVwVfG, die sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Adressatenkreis richtet. Es handelt sich offensichtlich nicht um eine Gefahrenabwehrverordnung auf der Grundlage von § 74 i.V.m. § 71 HSOG, denn das Aufenthaltsverbot soll nur für das Fußballbundesligaspiel zwischen dem SV Darmstadt 98 und Eintracht Frankfurt am 30.04.2016 in Darmstadt und nicht für eine unbestimmte Anzahl von Fällen und auch nur für den genannten Personenkreis gelten.“
Die zuständige Ordnungsbehörde hat die sofortige Vollziehbarkeit nach § 80 II Nr. 4 VwGO angeordnet, so dass der Antrag des A statthaft ist. Er hat gegen die Allgemeinverfügung auch Widerspruch erhoben, so dass es auf die umstrittene Frage, ob der Antrag nach § 80 V schon vor Erhebung des Widerspruchs zulässig ist, nicht ankommt.
Die Antragsbefugnis des A (§ 42 II VwGO analog) ergibt sich aus einer möglichen Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 11 I GG und § 2 I GG. Eines vorherigen Antrags nach § 80 IV VwGO bedarf es nur in den Fällen des § 80 II Nr. 2 VwGO (Umkehrschluss aus § 80 VI VwGO).
Der Antrag ist damit zulässig.
III. Begründetheit des Antrags
Die Kammer stellt die Anforderungen an die Begründetheit eines Antrags wie folgt dar:
„Ein Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist im Falle der Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO begründet, wenn diese formell fehlerhaft ist oder eine seitens des Gerichts vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das private Interesse des Adressaten an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs oder seiner Anfechtungsklage das von der Behörde geltend gemachte öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegt. Ob dies der Fall ist, richtet sich primär danach, welche Erfolgsaussichten der Widerspruch beziehungsweise die Anfechtungsklage aufweisen. Erweist sich der Verwaltungsakt als rechtmäßig und eilbedürftig, überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes. Ist der Verwaltungsakt hingegen offensichtlich rechtswidrig, überwiegt das private Interesse an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs beziehungsweise der Klage, da kein öffentliches Interesse am Vollzug eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes bestehen kann.“
1. Formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit
In formeller Hinsicht müssen die Voraussetzungen des § 80 III 1 VwGO erfüllt sein, also das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich begründet werden. Notwendig ist eine über die bloß formelhafte Erklärung hinausgehende Begründung, die das behördliche Bewusstsein über den Ausnahmecharakter der sofortigen Vollziehbarkeit erkennen lässt. Nach Ansicht des VG Darmstadt sind die Anforderungen des § 80 III 1 VwGO erfüllt:
„Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin ist formell nicht zu beanstanden, insbesondere hat die Antragsgegnerin gemäß § 80 Abs. 3 VwGO das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung noch ausreichend und einzelfallbezogen begründet.“
Ob es über die in § 80 III VwGO genannten Voraussetzungen hinaus einer vorherigen Anhörung analog § 28 VwVfG bedarf, kann wegen der für Allgemeinverfügung vorgesehenen Ausnahmevorschrift in § 28 II Nr. 4 VwVfG, dahinstehen.
2. Materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit (Abwägung)
Im Rahmen der gebotenen Abwägung zwischen dem behördlichen Vollzugsinteresse und dem Suspensivinteresse des Antragstellers ist im Rahmen einer summarischen Prüfung auf die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren abzustellen. Ein überwiegendes Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel anzunehmen, wenn die im Eilverfahren allein mögliche und gebotene Überprüfung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ergibt, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist. An der Vollziehung eines ersichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes kann kein öffentliches vollzugsinteresse bestehen, so dass zu prüfen ist, ob der angegriffene Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig ist.
a. Ermächtigungsgrundlage für das Aufenthaltsverbot
Nach Auffassung des VG ist Ermächtigungsgrundlage entgegen der Auffassung der Behörde nicht die polizeiliche Generalklausel (§ 11 HSOG), sondern die speziellere Regelung über das Aufenthaltsverbot (§ 31 III HSOG):
„Das Aufenthaltsverbot in Form der Allgemeinverfügung hat die Antragsgegnerin zu Unrecht auf die Generalklausel des § 11 HSOG gestützt. Danach können die Gefahrenabwehr- und die Polizeibehörden die erforderlichen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, soweit nicht die folgenden Vorschriften die Befugnisse der Gefahrenabwehr- und der Polizeibehörden besonders regeln. Das ist hier aber der Fall. In § 31 Abs. 3 HSOG ist das Aufenthaltsverbot als Maßnahme der Gefahrenabwehr abschließend geregelt. Danach können die Gefahrenabwehr- und die Polizeibehörden einer bestimmten Person für eine bestimmte Zeit verbieten, einen bestimmten örtlichen Bereich innerhalb der Gemeinde zu betreten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person in diesem Bereich Straftaten begehen wird. Da hier ein Aufenthaltsverbot erlassen wurde, tritt die Generalklausel des § 11 HSOG im Wege der Subsidiarität hinter die in der Spezialregelung geregelten Befugnisse zurück. Die spezielle Regelung darf nicht über die Generalklausel des § 11 HSOG ausgeweitet werden (vgl. HessVGH, Beschl. v. 28.01.2003 - 11 TG 2548/02 -; Urt. v. 10.04.2014 - 8 A 2421 /11 -, beide juris; Hornmann, HSOG, Kommentar, 2. Aufl., § 11 Rn. 3). Der Erlass eines Aufenthaltsverbotes kommt deshalb nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen von § 31 HSOG erfüllt sind.“
b. Formelle Rechtmäßigkeit des Aufenthaltsverbots
Das VG bejaht die formelle Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung:
„Es bestehen keine formellen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung, insbesondere ist sie ordnungsgemäß bekannt gemacht worden. Nach § 41 Abs. 3 S. 2 HVwVfG darf eine Allgemeinverfügung öffentlich bekannt gemacht werden, wenn die Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist. Das ist vorliegend der Fall, da zahlreiche Eintracht-Fans betroffen und die wenigsten mit Namen und Anschrift bekannt sein dürften. Nach § 7 Abs. 1 der Hauptsatzung der Antragsgegnerin erfolgen öffentliche Bekanntmachungen, soweit nichts anderes bestimmt ist, durch einmaliges “Einrücken” im “Darmstädter Echo”. Dies ist vorliegend am 27.04.2016 erfolgt, so dass die Allgemeinverfügung gemäß § 41 Abs. 4 S. 4 HVwVfG am Tage nach der öffentlichen Bekanntmachung, mithin am 28.04.2016 als bekannt gemacht gilt. Ausreichend ist dabei, dass lediglich der Tenor der Allgemeinverfügung abgedruckt und im Übrigen mitgeteilt wurde, wo der vollständige Wortlaut eingesehen werden kann (§ 41 Abs. 4 S. 1 und 2 HVwVfG). Der Magistrat ist auch gemäß § 1 Abs. 1 i.V.m. § 2 HSOG die für den Erlass der Allgemeinverfügung zuständige Gefahrenabwehrbehörde, da eine Eilbedürftigkeit nicht bestand.“
c. Materielle Rechtmäßigkeit des Aufenthaltsverbots
Die Voraussetzungen des § 31 III HSOG müssten erfüllt sein. Danach kann die Behörde einer Person für eine bestimmte Zeit verbieten, einen bestimmten örtlichen Bereich zu betreten oder sich dort aufzuhalten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person in dem Bereich eine Straftat begehen wird.
(1) § 31 III HSOG als Grundlage einer Allgemeinverfügung
Fraglich ist bereits schon, ob eine Allgemeinverfügung auf § 31 III HSOG gestützt werden kann:
„Zweifel bestehen deshalb, weil die Regelung Aufenthaltsverbote nur für den Einzelfall vorsieht und sie als Maßnahme gegenüber einer größeren Personengruppe kaum geeignet sein dürfte (vgl. HessVGH, Urt. v. 10.04.2014 - 8 A 2421 /11 -, juris; Hornmann, a.a.O., § 31 Rn. 66).“
(2) Bestimmtheit der Allgemeinverfügung
Zudem bestehen Zweifel an der hinreichenden Bestimmtheit der Allgemeinverfügung:
„Es bestehen bereits Bedenken bezüglich der notwendigen Bestimmtheit der Verfügung hinsichtlich des betroffenen Adressatenkreises. Voraussetzung einer personenbezogenen Allgemeinverfügung gemäß § 35 S. 2 1. Alt. HVwVfG ist, dass sie sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Adressatenkreis richtet. In der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung ist der betroffene Adressatenkreis mit Anhänger/Fans von Eintracht Frankfurt (erkennbar durch Fanbekleidung, Skandierung von Parolen und sonstigem Auftreten) beschrieben. Diese Eingrenzung dürfte bereits nicht hinreichend bestimmt sein.
Nicht eindeutig erkennbar ist, ob mit der Verfügung alle Eintracht-Fans angesprochen werden und der Zusatz in der Klammer nur ein Hinweis zur Identifizierung solcher Fans darstellt oder ob von vornherein nur solche Anhänger betroffen sein sollen, die in der beschriebenen Form nach außen hin erkennbar sind. Aus der Antragserwiderung ergibt sich, dass die Verfügung im letzteren Sinne zu verstehen sein soll. Nach der Formulierung der Verfügung ist es aber nicht ausgeschlossen, dass sich alle Fans von Eintracht Frankfurt angesprochen fühlen, auch wenn sie ihre Faneigenschaft nicht nach außen zur Schau stellen. Das Tragen von Fanbekleidung und das Skandieren von Parolen mögen noch geeignete Kriterien sein, den betroffenen Adressatenkreis der Verfügung hinreichend deutlich abzugrenzen. Was jedoch mit “sonstigem Auftreten” gemeint ist, bleibt offen.“
Diese beiden Fragen können aber offenbleiben, wenn sich schon aus anderen Gründen die Rechtswidrigkeit der Maßnahme ergeben würde.
(3) Gefahr der Begehung einer Straftat
Die Voraussetzungen des § 31 III HSOG müsste für jedes einzelne Mitglied der von der Allgemeinverfügung betroffenen Fangruppe erfüllt sein. Aus dem Tragen von Fankleidung könne –so das VG – aber nicht geschlossen werden, dass die Person auch Straftaten begehen werde:
„Die Vorschrift gestattet den Erlass eines Aufenthaltsverbots, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Betroffene in dem bestimmten örtlichen Bereich eine Straftat begehen wird. Erforderlich ist das Vorliegen konkreter nachprüfbarer Tatsachen, aufgrund derer mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Prognose getroffen werden kann, dass der Adressat der Verfügung eine Straftat begehen wird. Diese Voraussetzungen gelten auch für eine Allgemeinverfügung. Solche Tatsachen sind vorliegend nicht ersichtlich und werden von der Antragsgegnerin in Bezug auf alle Adressaten der Allgemeinverfügung auch nicht behauptet. Denn nicht jeder, der Fankleidung trägt, kann dem Kreis potentieller Straftäter zugerechnet werden. Sicherlich gibt es einige gewaltbereite sogenannte “Problemfans”, bei denen von der Begehung von Straftaten oder sonstiger Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgegangen werden kann. Es liegen jedoch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sämtliche Eintracht-Anhänger per se gewaltbereit sind, und auch speziell für den Antragsteller ist dies nicht belegt.“
(4) Verhältnismäßigkeit
Schließlich sei die Maßnahme auch unverhältnismäßig:
„Das Aufenthaltsverbot in Form der Allgemeinverfügung entspricht darüber hinaus nicht dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die hier in Frage stehende Maßnahme greift für den erfassten Personenkreis nicht unerheblich in das Recht auf die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG ein und muss sich daher als geeignet und erforderlich erweisen; außerdem darf der Eingriff in Anbetracht der grundrechtlichen Bedeutung nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck stehen“
Zwar verfolge die Allgemeinverfügung einen legitimen Zweck, allerdings sei sie schon nicht geeignet, den Zweck zu erreichen:
„Dabei verkennt die beschließende Kammer nicht, dass die Antragsgegnerin mit der Allgemeinverfügung einen legitimen Zweck verfolgt. Sie möchte dadurch die Begehung von Straftaten bzw. Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verhindern, die anlässlich des Fußballbundesligaspiels zwischen dem SV Darmstadt 98 und Eintracht Frankfurt am 30.04.2016 in Darmstadt nicht auszuschließen sind. Es mag auch zutreffen, dass eine größere Anzahl von Eintracht-Fans trotz des Stadionausschlusses nach Darmstadt anreisen wird. Wegen der bereits zahlreich registrierten Ausschreitungen in der Vergangenheit spricht zudem vieles dafür, dass es auch an diesem Spieltag erneut zu Gewalttätigkeiten und Rechtsgutverletzungen durch sogenannte “Problemfans” kommen wird. Das ausgesprochene Aufenthaltsverbot ist jedoch bereits nicht geeignet, den legitimen Zweck der präventiven Gefahrenabwehr zu erreichen.
Nicht alle Eintracht-Fans werden durch Fanbekleidung, Skandierung von Parolen oder durch sonstiges Auftreten auffallen. Gerade gewaltbereite Fans können das Aufenthaltsverbot umgehen, indem sie ihre Anhängerschaft verbergen und die Fanbekleidung abnehmen. Es erscheint daher sehr zweifelhaft, dass sich gewaltbereite Anhänger durch das Aufenthaltsverbot davon abhalten lassen, anlässlich des Fußballspiels in Darmstadt Straftaten zu begehen oder die öffentliche Sicherheit und Ordnung in sonstiger Weise zu stören. Außerdem ist eine Verdrängung der befürchteten Ausschreitungen in Stadtgebiete außerhalb des Verbotsbereichs zu befürchten.“
Überdies bestehen Zweifel an der Erforderlichkeit der Maßnahme:
„Im Übrigen ist die Allgemeinverfügung ohne die Androhung eines Mittels zur zwangsweisen Durchsetzung erlassen worden. Im Falle eines Verstoßes gegen das Aufenthaltsverbot müssten daher polizeiliche Maßnahmen ergriffen werden, zu denen die Polizeibehörden bei einer Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ohnehin berechtigt wären. Die streitgegenständliche Verfügung greift daher ohne erkennbare Funktion in die Grundrechte des betroffenen Personenkreises ein und erscheint daher auch nicht erforderlich.
Bedenken bestehen auch hinsichtlich der Größe des räumlichen Geltungsbereichs des Aufenthaltsverbots. Es handelt sich dabei nicht nur um den Bereich um das Stadion am Böllenfalltor oder den engeren Innenstadtbereich, sondern das Verbot betrifft einen nicht unbeträchtlichen Teil des gesamten Stadtgebiets. Dieser Umfang kann nicht allein damit begründet werden, dass die Orte, an denen sich die Gefahren durch randalierende Fans verwirklichen könnten, noch nicht feststehen.“
Jedenfalls aber sei das generelle Aufenthaltsverbot unangemessen:
„Das Aufenthaltsverbot für die Eintracht-Fans stellt sich aber vor allem als unverhältnismäßig im engeren Sinne dar. Der dadurch bewirkte Grundrechtseingriff betrifft in der Mehrheit Personen, die zwar Fans von Eintracht Frankfurt sind und als solche in Erscheinung treten, aber sich bisher nicht in gewalttätiger Weise betätigt haben und dies auch nicht beabsichtigen, so dass sie keine Verhaltensstörer i.S.d. § 6 Abs. 1 HSOG sind. Die Allgemeinverfügung führt mithin zu Beeinträchtigungen des Grundrechts, ohne dass dies im Einzelfall mit dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen Verhinderung von Straftaten und sonstigen Gefahren gerechtfertigt wäre. Auch das Ausmaß der Ausschreitungen in der Vergangenheit ist kein ausreichender Grund, die mit dem Verzicht auf eine Einzelfallprüfung verbundenen Nachteile für den Betroffenen zu rechtfertigen. Die Antragsgegnerin ist mithin darauf zu verweisen, durch entsprechende Einzelmaßnahmen gegen auffällig gewordene gewaltbereite Fans vorzugehen (vgl. VGH BW, Beschl. v. 04.10.2002 - 1 S 1963/02 -, juris), was sie offensichtlich über die Allgemeinverfügung hinausgehend auch durch Einzelverfügungen an bekannte gewaltbereite Fans getan hat. Es ist jedenfalls nicht angemessen, aufgrund der Gewaltbereitschaft einiger Fans allen Eintracht-Anhängern den Aufenthalt in weiten Bereichen des Stadtgebiets von Darmstadt zu untersagen.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird auch nicht dadurch gewahrt, dass das Aufenthaltsverbot nicht für Personen gelten soll, die ein berechtigtes Interesse am Betreten des Verbotsbereichs nachweisen können. Hier bleibt bereits unklar, wie und von wem dieses berechtigte Interesse im Einzelfall festgestellt werden soll. Auch erschließt sich nicht, was genau ein derartiges Interesse sein soll und wie es von der jeweiligen Person belegt werden muss. Vielmehr bleibt es der eher zufälligen Handhabung des jeweiligen Beamten überlassen, wie er die Ausnahme vom Verbot auslegt und ob er eine bestimmte Person den gesperrten Bereich betreten lässt. Zudem wird es genügend Eintracht-Fans geben, die - in Anbetracht des Zuschauerausschlusses durch das Sportgerichtsurteil des DFB vom 21.01.2016 - das Spiel schlicht gemeinsam mit anderen Fans in einer Sportsbar in der Darmstädter Innenstadt verfolgen und durch Tragen von entsprechenden Symbolen ihre Solidarität mit dem Verein zum Ausdruck bringen wollen, ohne ein darüber hinausgehendes berechtigtes Interesse am dortigen Aufenthalt zu haben. Ein generelles Aufenthaltsverbot für Eintracht-Fans stellt sich damit insgesamt als unverhältnismäßig dar.“
IV. Ergebnis
Der Antrag ist zulässig und begründet.
C. Fazit
Der Umgang mit gewaltbereiten Fußballfans („Problemfans“) stellt die Behörden und den Rechtsanwender vor einige Fragen, die – wie der vorliegende Beschluss zeigt – ohne Weiteres zum Gegenstand einer Prüfungs- oder Examensaufgabe gemacht werden können. Wenngleich die Ordnungsbehörde im vorliegenden Fall mit einer derart weit gefassten Allgemeinverfügung und dem darin enthaltenen „generellen“ Aufenthaltsverbot die rechtlichen Grenzen offenkundig überschritten hat, darf daraus nicht geschlossen werden, dass Aufenthaltsverbote für Fußballfans per se rechtswidrig seien. So hat das VG Hannover (Beschl. v. 25.07.2016 – 10 B 3186/16) ein individuelles Aufenthaltsverbot für einen Anhänger von Hannover 96, das sich zeitlich und örtlich an allen Heimspielen des Fußball-Zweitligisten Hannover 96 und des Regionalligisten Hannover 96 II in der Saison 2016/2017 orientiert, für rechtmäßig erklärt. Zudem kann der Fall zum Anlass genommen werden, um sich mit dem Prüfungsschema von § 80 V VwGO auseinanderzusetzen.
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