Ratgeber-Fall

A. Sachverhalt

Der Angeklagte traf sich am 19. Februar 1983 mit dem Zeugen Andreas W., der nach einem Streit mit seinem Vater unter Mitnahme eines Revolvers und eines Personenkraftwagens das Elternhaus verlassen hatte, um ins Ausland zu gehen. W. erzählte dem Angeklagten, er wolle ins Ausland fliehen, weil er - was nicht zutraf - einen Türken angeschossen habe. Der Angeklagte fragte W., ob er Geld habe. Als W. verneinte, schlug er ihm vor, dann solle er doch das Auto oder die Waffe verkaufen. W. erklärte dazu, er wolle die Waffe behalten; das Auto könne er nicht verkaufen, weil es nicht auf ihn zugelassen sei. Der Angeklagte hielt ihm entgegen, ohne Geld könne er nicht ins Ausland gehen. Er äußerte: “Dann müsstest Du eine Bank oder Tankstelle machen”. W. antwortete darauf nicht. Im weiteren Verlauf der Unterhaltung kam das Gespräch darauf, dass man W., falls er über ausreichend Geld verfüge, in ein südamerikanisches Land bringen und ihm falsche Papiere der entsprechenden Nationalität beschaffen könne. Die Papiere - so meinte der Angeklagte - würden etwa 10.000 DM kosten. Der Angeklagte verabredete mit W. ein weiteres Treffen für den 21. Februar 1983, 12.00 Uhr. Am Vormittag dieses Tages überfiel W. in Bad V. die Zweigstelle der Kreissparkasse F.; er bedrohte einen Bankangestellten mit dem Revolver, forderte ihn auf, Geld in seine Sporttasche zu füllen, und erbeutete auf diese Weise 39.775 DM.

B. Worum geht es?

Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die Frage nach der Strafbarkeit des Angeklagten wegen Anstiftung des W zur besonders schweren räuberischer Erpressung gemäß §§ 255, 253, 250 II Nr. 1, 26 StGB.

Als Anstifter wird gleich einem Täter bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat. Notwendig im subjektiven Tatbestand ist ein sogenannter „doppelter“ Anstiftungsvorsatz:

Der Anstifter muss nicht nur im Hinblick auf seine Tathandlung, dem Bestimmen, sondern auch hinsichtlich des Taterfolgs der Anstiftung, der Vollendung einer vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat (durch den Haupttäter) vorsätzlich handeln. Weil der Angeklagte die Haupttat nur vage umrissen hatte („Dann müsstest Du eine Bank oder Tankstelle machen”), hatte der BGH die folgende Frage zu beantworten:

Wie bestimmt müssen die Vorstellungen des Anstifters von der Haupttat und dem Haupttäter sein?

(Anm.: Zum Teil wird die Problematik auch im objektiven Tatbestand bei dem Merkmal „Bestimmen“ erörtert.)

C. Wie hat der BGH entschieden?

Der BGH verneint im Ratgeber-Fall (BGH Urt. v. 21.04.1986 – 2 StR 661/85 (BGHSt 34, 63 ff.) eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Anstiftung gemäß § 26 StGB.

Zunächst stellt der BGH dar, dass er diese Fallgestaltung noch nicht zu entscheiden hatte:

„Der Vorsatz des Anstifters muß sich auf eine bestimmte Haupttat beziehen. Welche Anforderungen dabei an die Bestimmtheit zu stellen sind, ist in Schrifttum und Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt. Übereinstimmung herrscht darüber, daß es nicht ausreicht, wenn der Wille des Anstifters nur darauf gerichtet ist, den Täter ohne weitere Konkretisierung überhaupt zu strafbaren Handlungen oder zu Straftaten einer lediglich dem gesetzlichen Tatbestand nach beschriebenen Art (z.B. Diebstählen) zu veranlassen (RGRspr. 9, 107 f; RGSt 26, 361;  34, 327 f; v. Olshausen, StGB 11. Aufl. § 48 Anm. 7; Schäfer in Dalcke/Fuhrmann/Schäfer, Strafrecht und Strafverfahren 37. Aufl. § 48 StGB Anm. 2a; Dreher/Tröndle, StGB 42. Aufl. § 26 Rdn. 6; Cramer in S/S-StGB 22. Aufl. § 26 Rdn. 13; Roxin in LK StGB 10. Aufl. § 26 Rn. 9 und § 30 Rn. 24; Baumann/Weber, Strafrecht AT 9. Aufl. S. 563). Damit ist der vorliegende Fall jedoch nicht entschieden; denn hier hat sich der Angeklagte nicht darauf beschränkt, dem Täter überhaupt eine Straftat anzusinnen; auch hat er sich nicht damit begnügt, den zu verwirklichenden Deliktstatbestand (schwerer Raub oder schwere räuberische Erpressung) erkennbar zu machen: vielmehr waren in seinem Vorschlag bereits die in Frage kommenden Tatobjekte nach allgemeinen Artmerkmalen (“Bank oder Tankstelle”) festgelegt. Darin besteht die Besonderheit, die den gegebenen Sachverhalt aus der Reihe der - soweit ersichtlich - bislang höchstrichterlich entschiedenen Fälle heraushebt.“

Sodann stellt er die recht weite Auffassung von Roxin dar, der es ausreichen lässt, wenn der Anstifter die wesentlichen Dimensionen des Unrechts in seinen Vorsatz aufgenommen hätte. Das weist der BGH indes zurück:

„An der Bestimmtheit der Tat fehlt es aber auch dann, wenn diese nur nach der Gattung der in Betracht kommenden Tatobjekte umrissen ist. Zum gegenteiligen Ergebnis würde allerdings die von Roxin vertretene Auffassung führen. Danach soll es genügen, wenn in der Vorstellung des Anstifters außer einem bestimmten Tatbestand die “wesentlichen Dimensionen des Unrechts” fixiert sind, wie sie sich “durch Auslegung des Verhaltens des Anstifters aus dem Gesamtbild der Anstiftungssituation” ergeben. Nach diesem Kriterium ist beispielsweise die Aufforderung, der andere möge seinen Lebensunterhalt durch Diebstähle bestreiten oder sich das Geld durch Diebstähle beschaffen, hinreichend bestimmt, wenn nur die Größenordnung der Beträge zwischen den Beteiligten einigermaßen feststeht (Roxin in LK StGB 10. Aufl. § 26 Rn. 9; auch § 30 Rn. 24; ders. in JA 1979, 169, 172). Diese Voraussetzungen lägen hier vor.

Indessen kann dieser Ansicht nicht gefolgt werden. Sie wird der gesetzlichen Qualifizierung der Beziehung zwischen Anstifterverhalten und Haupttat als Teilnahme nicht gerecht; denn der Bezugsgegenstand der Anstiftung ist hiernach nicht mehr eine konkret-individualisierbare Tat, an der sich der Anstifter durch Herbeiführung des Tatentschlusses beteiligt, sondern die generell-abstrakte “Dimension des Unrechts”, das in ihr zum Ausdruck kommt. Damit wird die Verknüpfung zwischen Anstiftung und Haupttat aber so weit gelockert, daß die strafrechtliche Haftung des Anstifters für die Tat auch in Fällen Platz greift, in denen seine Strafwürdigkeit zweifelhaft ist und seine Gleichstellung mit dem Täter (§ 26 StGB) keine Rechtfertigung mehr zu finden vermag.“

Der BGH entscheidet, dass der Vorsatz des Anstifters, ohne sämtliche Einzelheiten der auszuführenden Haupttat schon zu erfassen, jedenfalls so viel von den sie kennzeichnenden Merkmalen enthalten muss, dass sie Tat selbst als konkret-individualisierendes Geschehen erkennbar ist. Das sei hier indes nicht der Fall, weil es an individualisierenden Merkmalen (Objekt, Ort, Zeit und sonstige Umstände der Tatausführung) fehle:

„Der Vorsatz des Anstifters muß sich auf die Ausführung einer zwar nicht in allen Einzelheiten, wohl aber in ihren wesentlichen Merkmalen oder Grundzügen konkretisierten Tat beziehen (RGSt 34, 327 f; OGHSt 2, 23, 32; Kohlrausch/Lange, StGB 43. Aufl. § 48 Anm. VII; Samson in SK StGB 3. Aufl. § 26 Rn. 7; Dreher/Tröndle a.a.O. § 357 Rn. 6; Wessels, Strafrecht AT 15. Aufl. S. 156; vgl. auch Jakobs, Strafrecht AT 1983, S. 553 f, der wohl sachlich nichts anders meint, wenn er fordert, daß derjenige, der als Anstifter haften solle, “den Rahmen und die Maximen zur Konkretisierung von Opfer [Tatobjekt], Mittel, Ort und Zeit innerhalb des Rahmens” kennen müsse). Da der Anstifter für die Tat des Angestifteten ebenso wie dieser selbst einstehen muß, ist zu verlangen, daß die Tat nicht nur nach Tatbestandstypus und allgemeinen Gattungsmerkmalen des Tatobjekts festgelegt ist, sondern in der Vorstellung des Anstifters in ihrem tatsächlichen, freilich noch nicht bis “ins Detail” ausgeführten Bild als wenigstens umrißhaft individualisiertes Geschehen erscheint (vgl. Welzel, Strafrecht 11. Aufl. S. 117: “Die Anstiftung muß nach Tat und Täter individualisiert sein”; Stratenwerth, Strafrecht AT I 3. Aufl. Rn. 886, 888: “Kenntnis der für den konkreten Unrechtsgehalt der Tat maßgebenden Begehungsweise in ihren Grundzügen”; Schmidhäuser, Strafrecht AT 2. Aufl. S. 553: “Konkretisierung auf eine bestimmte Tatmöglichkeit”).

Die Erklärung des Angeklagten, W. müßte eine “Bank oder Tankstelle machen”, genügt diesen Anforderungen nicht. Sie bezog sich nicht auf eine konkrete Tat, sondern auf eine gattungsmäßig beschriebene Mehrzahl gleichartiger Tatmöglichkeiten. Die Beschränkung der Tatobjekte auf Banken oder Tankstellen reichte nicht aus, um die Haupttat als individualisierbares Geschehen hervortreten zu lassen. Das Tatbild, wie es in der Vorstellung des Angeklagten vorhanden war, blieb in Ermangelung individualisierender Merkmale (Objekt, Ort, Zeit und sonstige Umstände der Tatausführung) unbestimmt. Es verhält sich hier ebenso wie in dem von Preisendanz (StGB 30. Aufl. § 30 Anm. 3b) gebildeten und in gleicher Weise beurteilten Fall, daß jemand dem Täter den allgemein gehaltenen Rat gibt, er möge doch einen Bankraub mit Geiselnahme verüben. Aus Gründen, die sich mit der hier vertretenen Auffassung decken, hat das Reichsgericht in einer früheren Entscheidung keine Anstiftung einer Dienstmagd zur Unterschlagung des Markterlöses darin gefunden, daß ihr erklärt worden war, sie sei dumm, daß sie die Gelegenheit nicht benutze und “sich heimlich Geld mache”; diese Äußerung - so das Reichsgericht - habe sich nicht auf eine bestimmte Handlung bezogen, sondern nur “im allgemeinen eine Anweisung” zu künftigem Verhalten dargestellt (RGSt 1, 110).“

D. Fazit

Täterschaft und Teilnahme sind klassische Prüfungsgegenstände in beiden Examina. Der Ratgeber-Fall, ein wahrer Klassiker zur Anstiftung,  ist eine gute Gelegenheit, die Voraussetzungen von Anstiftung (und Beihilfe, § 27 StGB) zu wiederholen.