BGH zum Beweisverwertungsverbot bei rechtswidriger Durchsuchung

A. Sachverhalt (leicht abgewandelt)

A wird wegen des Verdachts einer am 15.08.2016 mittels einer Waffe begangenen gefährlichen Körperverletzung vorläufig festgenommen und in Untersuchungshaft verbracht. Im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen stoßen die Ermittlungsbeamten am 25.08.2016 zufällig auf einen auf den A zugelassenen und in dessen Wohnortnähe abgestellten Pkw, zu dem die passenden Fahrzeugschlüssel zuvor sichergestellt wurden.

Da die Ermittlungsbeamten aufgrund hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte vermuten, dass sich in diesem Fahrzeug insbesondere die bei der Straftat verwendeten Tatwaffen befinden, informieren sie den Oberstaatsanwalt O, der an diesem Donnerstag als Vertreter der an sich zuständigen Dezernentin zuständig ist. O, dem nicht bewusst ist, dass die den Ermittlungen zugrunde liegende Straftat bereits zehn Tage zurückliegt, ordnet wegen Gefahr in Verzug die sofortige Durchsuchung des Pkw des A an, ohne zuvor zu versuchen, eine richterliche Anordnung zu erlangen. Die Anordnung des O wird weder schriftlich dokumentiert noch werden die die Dringlichkeit rechtfertigenden Tatsachen (schriftlich) begründet. Um 13.35 Uhr durchsuchen Ermittlungsbeamte den Pkw des A und finden dabei zufällig knapp 100 Gramm Kokain; Tatwaffen finden sie nicht.

A wird wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a I Nr. 2 BtMG angeklagt. In der Hauptverhandlung wiederspricht der Verteidiger des A rechtzeitig der Verwertung der bei der Durchsuchung des genannten Pkw erlangten Erkenntnisse.

Können die Erkenntnisse aus der Durchsuchung des Pkw verwertet werden?

B. Die Entscheidung des BGH (Beschl. v. 21.04.2016 – 2 StR 394/15)

Man unterscheidet zwischen gesetzlichen (bspw. §§ 100a IV 2, 108 II, 136a III 2, 477 II 2 StPO) und nicht normierten (ungeschriebenen) Beweisverwertungsverboten. Hier kommt nur ein ungeschriebenes Beweisverwertungsverbot in Betracht und zwar in Form eines unselbständigen Verwertungsverbotes. Unselbständig ist das Beweisverwertungsverbot, das sich als Folge einer Verletzung von Beweiserhebungsvorschriften ergibt, also aus der Rechtswidrigkeit der Beweiserhebung.

I. Widerspruch

Nach ständiger Rechtsprechung ist Voraussetzung eines Beweisverwertungsverbotes in vielen Fällen, dass der verteidigte Angeklagte der Verwertung ausdrücklich widersprochen hat (sogenannte Widerspruchslösung). Der Widerspruch muss innerhalb der Hauptverhandlung und dort spätestens im Anschluss an die jeweilige Beweiserhebung (§ 257 StPO) erfolgen. Bleibt der Widerspruch aus, sind die Beweismittel verwertbar.

Allerdings hat der BGH noch nicht entschieden, ob die Widerspruchslösung auch für unselbstständige Beweisverwertungsverbote wegen Fehlern bei der Durchsuchung oder Beschlagnahme gilt. Das kann indes offenbleiben, da der Verteidiger der Beweisverwertung widersprochen hat.

II. Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften

Zudem müsste gegen Beweiserhebungsvorschriften verstoßen worden sein (man spricht insofern auch von einem Beweiserhebungsverbot). Ermächtigungsgrundlage für die Durchsuchung des Pkw könnten §§ 102, 105 StPO gewesen sein. Danach kann bei demjenigen, der als Täter einer Straftat verdächtig ist (hier genügt ein sogenannter Anfangsverdacht), eine Durchsuchung seiner Wohnung oder anderer Räume vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde. Zwar ist der Pkw des A, gegen den sogar der dringende Tatverdacht (vgl. § 112 StPO) wegen einer gefährlichen Körperverletzung nach § 224 StGB besteht, keine Wohnung, wohl aber ein „anderer Raum“ i.S.v. § 102 StPO. Zudem bestanden hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, in dem Pkw die Tatwaffe aufzufinden. Die Voraussetzungen des § 102 StPO lagen demnach vor. Dass es sich um einen „Zufallsfund“ handelte, ist ebenfalls grundsätzlich unproblematisch (§ 108 StPO).

Eine Durchsuchung darf nach § 105 I 1 StPO aber grundsätzlich nur durch den Richter angeordnet werden. Damit wird – jedenfalls, soweit Wohnungen betroffen sind – der grundrechtlich vorgeschriebene präventive Richtervorbehalt in Art. 13 II GG einfach-gesetzlich umgesetzt. In einer wichtigen Entscheidung aus dem Jahr 2015 hat das BVerfG zu Sinn und Zweck und Bedeutung des Richtervorbehalts ausgeführt:

„Zentraler Ausgangspunkt für das Verständnis des Richtervorbehalts ist der Grundsatz der Gewaltenteilung als tragendes Organisationsprinzip des Grundgesetzes, dessen Bedeutung in der politischen Machtverteilung, dem Ineinandergreifen der drei Gewalten und der daraus resultierenden Mäßigung der Staatsherrschaft liegt (vgl. BVerfGE 3, 225 <247>). Zwar ist die Staatsanwaltschaft als zur Objektivität verpflichtetes Rechtspflegeorgan (§ 160 Abs. 2 StPO) Garantin für Rechtsstaatlichkeit und gesetzmäßige Verfahrensabläufe und als „Wächter des Gesetzes“ gerade auch dazu berufen, bei Grundrechtseingriffen im Ermittlungs- und Strafverfahren die Rechte aller Betroffenen zu wahren und die strikte Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu garantieren (vgl. BVerfGE 133, 168 <200, 219 f.>). Dennoch lag es für den Verfassungsgeber in Anbetracht der Kontrollfunktion des Grundsatzes der Gewaltenteilung nahe, mit der Anordnung des schwerwiegenden Grundrechtseingriffs, der mit einer Wohnungsdurchsuchung verbunden ist, den Richter als unabhängige Instanz zu befassen.

Hinzu tritt der Gedanke effektiven Grundrechtsschutzes durch eine Verfahrensgestaltung, die darauf abzielt, strukturelle Rechtsschutzdefizite zumindest teilweise zu kompensieren. Bei Wohnungsdurchsuchungen, die ihren Zweck nicht erfüllen könnten, wenn der potentielle Betroffene vorher davon erführe und sich darauf einstellen könnte, werden vollendete Tatsachen geschaffen, ohne dass der betroffene Grundrechtsträger sich gerichtlich rechtzeitig zur Wehr setzen kann. Dieser Situation hat der Verfassungsgeber durch die Normierung des präventiven Richtervorbehalts in Art. 13 Abs. 2 GG Rechnung getragen.

Das Grundgesetz geht davon aus, dass der Richter in Anbetracht seiner persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und seiner strikten Unterwerfung unter das Gesetz (Art. 97 GG) die Rechte des Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren kann (vgl. BVerfGE 77, 1 <51>; 103, 142 <151>; BVerfGK 7, 392 <395>). Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, das die Staatsanwaltschaft in eigener Verantwortung führt (§§ 158 ff. StPO), ist er unbeteiligter Dritter, der nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft tätig wird (§ 162 StPO). Durch seine Einschaltung soll von vornherein, nicht erst nach geschehener Durchsuchung, sichergestellt werden, dass die Interessen des Betroffenen angemessen berücksichtigt werden (vgl. BVerfGE 9, 89 <97>; 103, 142 <151>; BVerfGK 2, 310 <314>; BVerfG, Beschl. d. 3. Kammer des Zweiten Senats v. 03.12.2002 - 2 BvR 1845/00 -, NJW 2003, S. 2303 <2304>) und in den Rechtskreis des Einzelnen nicht in weiterem Umfang eingegriffen wird, als es der Zweck der Durchsuchung erfordert (vgl. BVerfGE 20, 162 <223>).“ (Beschl. v. 16.06.2015 – 2 BvR 2718/10 u.a.)

An einer richterlichen Anordnung der Durchsuchung aber fehlt es. Stattdessen hat Oberstaatsanwalt O die Durchsuchung angeordnet. Dazu ist er nach § 105 I 1 StPO nur bei Gefahr im Verzug befugt, also dann, wenn bei einem Zuwarten ein Beweismittelverlust droht. Wegen des Regel-Ausnahme-Verhältnisses in § 105 I 1 StPO ist der Begriff „Gefahr im Verzug“ eng auszulegen. Dazu hat das BVerfG in der bereits zitierten Entscheidung ausgeführt:

„Gemäß Art. 13 Abs. 2, 2. HS GG können Durchsuchungen außer durch den zuständigen Richter bei Gefahr im Verzug auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe - bei der strafprozessualen Durchsuchung gemäß § 105 Abs. 1 S. 1, 2. HS StPO durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 GVG) - angeordnet werden.

Der Zweck der verfassungsrechtlich vorgesehenen Eilkompetenz besteht in der Ermöglichung eines schnellen und situationsgerechten Handelns durch die Ermittlungsbehörden (vgl. BVerfGK 7, 392 <395>). Sie trägt der verfassungsrechtlichen Gewährleistung einer rechtsstaatlich geordneten Rechtspflege Rechnung, die sich, bei nachhaltiger Sicherung der Rechte des Beschuldigten, zugleich auf eine effektive und funktionstüchtige Strafverfolgung erstreckt (vgl. BVerfGE 77, 65 <76 f.>; 103, 142 <154>; 130, 1 <27>; 133, 168 <200 f.>). Dementsprechend soll den Ermittlungsbehörden durch Art. 13 Abs. 2, 2. HS GG im Interesse effektiver Strafverfolgung die Möglichkeit der Anordnung einer Durchsuchung von Wohnräumen eröffnet werden, wenn dies notwendig ist, um dem drohenden Verlust von Beweismitteln entgegenzuwirken (vgl. BVerfGE 103, 142 <154>).

Wortlaut und Systematik des Art. 13 Abs. 2 GG belegen jedoch, dass zwischen richterlicher und nichtrichterlicher Durchsuchungsanordnung ein Regel-Ausnahme-Verhältnis besteht. Dieses entspricht der dargelegten Bedeutung des verfassungsrechtlichen Richtervorbehalts und trägt dem Grundsatz Rechnung, dass derjenigen Auslegung einer Grundrechtsnorm der Vorzug zu geben ist, die ihre Wirkungskraft am stärksten entfaltet (vgl. BVerfGE 51, 97 <110>). Ordnen die Strafverfolgungsbehörden eine Durchsuchung an, fällt die präventive Kontrolle durch den unabhängigen und neutralen Richter weg. Die verbleibende nachträgliche Kontrolle kann den erfolgten Grundrechtseingriff nicht mehr rückgängig machen und genügt dem Anspruch präventiven richterlichen Grundrechtsschutzes nicht. Demgemäß ist der Begriff „Gefahr im Verzug“ i.S.d. Art. 13 Abs. 2 GG eng auszulegen. Gefahr im Verzug ist nur anzunehmen, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme (regelmäßig die Sicherstellung von Beweismitteln) gefährdet wird (vgl. BVerfGE 51, 97 <111>; 103, 142 <153 f.>). Kann hingegen der Richter mit dem Durchsuchungsbegehren befasst werden und über dieses entscheiden, ohne dass damit ein Risiko des Verlusts von Beweismitteln verbunden ist, ist für einen Rückgriff auf die Eilkompetenz der Strafverfolgungsbehörden kein Raum. Vielmehr hat dann allein der zuständige Richter über den Eingriff in das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG zu entscheiden und dabei auch dem aus dem Rechtsstaatsprinzip fließenden Verfassungsgebot effektiver Strafverfolgung Rechnung zu tragen.“ (Beschl. v. 16.06.2015 – 2 BvR 2718/10 u.a.)

Gegen Gefahr im Verzug spricht hier, dass die dem A vorgeworfene Tat bereits vor 10 Tagen begangen worden sein soll. Zudem befindet sich A in Untersuchungshaft. Die Durchsuchung des Pkw erfolgte an einem Donnerstagmittag, also zu einer Zeit, zu der keine Schwierigkeiten bestehen dürften, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Deswegen bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass mit einem weiteren Zuwarten die Gefahr eines Beweismittelverlusts drohte. Auch der BGH verneint deswegen das Vorliegen von Gefahr im Verzug und damit die Eilkompetenz des Oberstaatsanwalts O:

„Die (…) um 13.35 Uhr durchgeführte Durchsuchung war wegen Missachtung des Richtervorbehalts rechtswidrig. Eine gem. § 105 Abs. 1 S. 1 StPO grundsätzlich erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung lag nicht vor. Wie auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 19.10.2015 zutreffend ausgeführt hat, rügt die Revision zu Recht, dass die Anordnung des Oberstaatsanwalts nicht auf einer rechtmäßigen Inanspruchnahme seiner sich aus § 105 Abs. 1 S. 1 StPO ergebenden Eilkompetenz beruhte, weil Gefahr im Verzug objektiv nicht vorlag.“

III. Abwägung der widerstreitenden Interessen

Nach der Rechtsprechung des BGH folgt nicht aus jedem Verstoß gegen eine Beweiserhebungsvorschrift ein Verbot, die daraus gewonnen Beweise im Strafverfahren zu verwerten.  Dem Strafverfahrensrecht sei ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich ziehe, fremd. Vielmehr sei in jedem Einzelfall eine Abwägung der widerstreitenden Interessen (Strafverfolgungsinteresse des Staates vs. Rechte des Beschuldigten) vorzunehmen (sogenannte Abwägungslehre). Das hat der BGH im Jahr 2007 wie folgt zusammengefasst:

„Die Frage, unter welchen Voraussetzungen bei Missachtung des sich aus Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 S. 1 StPO ergebenden Richtervorbehalts ein Verwertungsverbot hinsichtlich der aus der Wohnung zu Tage geförderten Beweismittel anzunehmen ist, hat der Gesetzgeber nicht entschieden (vgl. Gössel in L/R, StPO 26. Aufl. Einl. Abschn. L Rn. 16). So ist - wie auch bei der Prüfung eines Verwertungsverbots bei Verstößen gegen andere Erhebungsvorschriften - davon auszugehen, dass dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd ist (BGHSt 44, 243, 249). Vielmehr ist diese Frage nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung jeweils nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (BGHSt a.a.O.).

Dabei muss beachtet werden, dass die Annahme eines Verwertungsverbots, auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung “um jeden Preis” gerichtet ist, eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts einschränkt, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (BGHSt a.a.O.). Maßgeblich mit beeinflusst wird das Ergebnis der demnach vorzunehmenden Abwägung vom Gewicht des infrage stehenden Verfahrensverstoßes (BGHSt a.a.O.). Dieses wird seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt (BGHSt a.a.O.).“ (Urt. v. 18.04.2007 – 5 StR 546/06)

Das ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Von Verfassungs wegen ist ein Beweisverwertungsverbot dann geboten, wenn es sich um schwerwiegende, bewusste oder willkürliche Verfahrensverstöße handelt. So hat das BVerfG in einer Entscheidung aus dem Jahr 2011 ausgeführt:

„Von Verfassungs wegen besteht kein Rechtssatz des Inhalts, dass im Fall einer rechtsfehlerhaften Beweiserhebung die Verwertung der gewonnenen Beweise stets unzulässig wäre (…). Die Beurteilung der Frage, welche Folgen ein möglicher Verstoß gegen strafprozessuale Verfahrensvorschriften hat und ob hierzu insbesondere ein Beweisverwertungsverbot zählt, obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Die Unzulässigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Beweiserhebung führt auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht ohne weiteres zu einem Beweisverwertungsverbot (…). Ein Beweisverwertungsverbot ist von Verfassungs wegen aber zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer acht gelassen worden sind, geboten. Ein absolutes Beweisverwertungsverbot hat das Bundesverfassungsgericht zudem in den Fällen anerkannt, in denen der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist (…).“ (Beschl. v. 20.05.2011 – 2 BvR 2072/10)

Im Rahmen der danach gebotenen Abwägung ist in einem ersten Schritt zu fragen, ob die verletzte Verfahrensvorschrift dem Schutz des Beschuldigten dient (sogenannte Rechtskreistheorie). Ist das nicht der Fall, scheidet ein Verwertungsverbot aus, weil die Annahme von Beweisverwertungsverboten dem Schutz der der Rechte des Beschuldigten dient, nicht aber der Sanktionierung rechtswidriger Ermittlungsmaßnahmen. In einem zweiten Schritt ist das Gewicht des Verfahrensverstoßes nach dem Wert der betroffenen Rechtsgüter und dem Grad der Verletzung (Willkürlicher Verstoß? Bloßer Subsumtionsfehler?) zu bestimmen und gegen das Strafverfolgungsinteresse des Staates (Bagatelldelikt? Schwerstkriminalität?) abzuwägen. Dabei kann auch eine Rolle spielen, ob die Erkenntnisse auf rechtmäßige Weise hätten gewonnen werden können (sogenannter hypothetischer rechtmäßiger Ersatzeingriff). So hat der 2. Strafsenat im Februar 2016 ein Beweisverwertungsverbot mit der Erwägung verneint, dass die fehlende richterliche Anordnung einer Dursuchung „höchstwahrscheinlich“ hätte eingeholt werden können:

„Nachdem seine Identität durch Auffinden des Entlassungsscheins aus der JVA, aus der er bedingt entlassen worden war, bekannt war, ist auch anzunehmen, dass ein Ermittlungsrichter in dem Fall, dass ein Antrag auf Gestattung der Durchsuchung der Geldkassette gestellt worden wäre, höchstwahrscheinlich einen Durchsuchungsbeschluss erlassen hätte. Diese Möglichkeit der hypothetisch rechtmäßigen Beweiserlangung ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urt. v. 18.04.2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 291; Urt, v, 15.02.1989 - 2 StR 402/88, NStZ 1989, 375, 376 mit Anm. Roxin; KK/Bruns, StPO § 105 Rn. 21; krit. MüKo/Hauschild, StPO, 2014, § 105 Rn. 39; LR/Tsambikakis, StPO § 105 Rn. 149). Sie führt dazu, dass aus der ohne richterliche Gestattung erfolgten Durchsuchung kein Beweisverwertungsverbot resultiert. Anhaltspunkte dafür, dass der Richtervorbehalt von den Ermittlungsbeamten bewusst missachtet wurde, liegen nicht vor.“ (Urt. v. 17.02.2016 – 2 StR 25/15)

Gegen ein Beweisverwertungsverbot könnte im vorliegenden Fall angeführt werden, dass es um den schwerwiegenden Vorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge geht (Freiheitsstrafe von einem bis fünfzehn Jahre) und keine Verletzung von Art. 13 II GG, sondern „nur“ von § 105 StPO vorliegt. Das durchsuchte Auto stellt nämlich keine „Wohnung“ dar und wird nicht vom Schutzbereich des Art. 13 GG erfasst. So hat der Ermittlungsrichter des BGH in einem Beschluss aus dem Jahr 1997 ausgeführt:

„Dies gilt auch bei der vom BVerfG vorgenommenen weiten Auslegung (vgl. BVerfGE 32, 54 (69ff.) = NJW 1971, NJW 1971, 2299) des Begriffs “Wohnung” in Art. 13 I GG, die von der Rechtsprechung des BGH für den Bereich strafprozessualer Maßnahmen nach § 100c StPO übernommen wurde (NJW 1997, 1018). Ein Kraftfahrzeug dient der Fortbewegung des Menschen, nicht seiner “Behausung”, seinem Aufenthalt und Wirken. Zu Recht wird deshalb in der Judikatur (LG Stendal, NStZ 1994, 566, mit zust. Anm. von Mahnkopf/Döring; LG Freiburg, NJW 1996, 3021) und Kommentarliteratur (Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 13 GG Rdnr. 3c; Herdegen, in: BK, Art. 13 GG Rdn. 29 m.w. N.) ein Kraftfahrzeug auch bei extensiver Auslegung nicht unter den Begriff “Wohnung” subsumiert.“ (Beschl. v. 11.04.1997 – 1 BGs 88/97)

Der BGH bejaht vorliegend ein Beweisverwertungsverbot und stellt dabei maßgeblich darauf ab, dass sich der Verstoß gegen § 105 StPO als besonders gravierend darstelle, weil Gefahr im Verzug unter keinem Gesichtspunkt bejaht werden könne und zu normalen Dienstzeiten nicht einmal der Versuch unternommen worden sei, eine richterliche Entscheidung zu erwirken. Dabei stellt er allerdings auch auf die Umgehung „grundrechtlicher Sicherungen“ ab, obwohl Art. 13 II GG – wie dargestellt – nicht einschlägig ist:

„Das Fehlen einer richterlichen Durchsuchungsanordnung führt hier zu einem Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der bei der Durchsuchung gewonnenen Beweismittel.

Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots ist von Verfassungs wegen zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten (BVerfG, Beschl. v. 12.04.2005 - 2 BvR 1027/02, BVerfGE 113, 29, 61; Beschl. v. 16.03.2006 - 2 BvR 954/02, NJW 2006, 2684, 2686; Beschl. v. 20.052011 - 2 BvR 2072/10, NJW 2011, 2783, 2784). Ein solcher schwerwiegender Verstoß liegt aufgrund der oben geschilderten Umstände vor. Der Gesichtspunkt, wonach dem anordnenden Oberstaatsanwalt nicht bewusst gewesen sei, dass die den Ermittlungen zugrunde liegende Straftat bereits zehn Tage zurücklag, ändert an dieser Bewertung nichts. Unbeschadet dessen, dass eine solche Fehlvorstellung auf - nicht nachzuvollziehender - nicht vollständiger Information beruht hat, die der Sphäre der Ermittlungsbehörden zuzurechnen ist, kann dieser Umstand es nicht rechtfertigen, dass noch nicht einmal der Versuch unternommen worden ist, an einem Werktag zu dienstüblichen Zeiten eine richterliche Entscheidung zu erlangen, zumal der Angeklagte sich in Untersuchungshaft befunden hatte.“

Die Frage nach einem hypothetischen rechtmäßigen Ersatzeingriff stelle sich hier wegen der „groben Missachtung“ des Richtervorbehalts nicht:

„Anders als der Generalbundesanwalt meint, kann dem Aspekt eines möglichen hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs (vgl. etwa BGH, Beschl. v. 18.11.2003 - 1 StR 455/03, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 4) bei - wie hier - solcher Verkennung des Richtervorbehalts keine Bedeutung zukommen (vgl. auch BGH, Urt. v. 18.04.2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 295 f.; Beschl. v. 30.08.2011 - 3 StR 210/11, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 8). Die Einhaltung der durch § 105 Abs. 1 S. 1 StPO festgelegten Kompetenzregelung könnte in diesen Fällen bei Anerkennung des hypothetisch rechtmäßigen Ersatzeingriffs als Abwägungskriterium bei der Prüfung des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbots stets unterlaufen und der Richtervorbehalt sogar letztlich sinnlos werden. Bei Duldung grober Missachtungen des Richtervorbehalts entstünde gar ein Ansporn, die Ermittlungen ohne Einschaltung des Ermittlungsrichters einfacher und möglicherweise erfolgversprechender zu gestalten. Damit würde das wesentliche Erfordernis eines rechtstaatlichen Ermittlungsverfahrens aufgegeben, dass Beweise nicht unter bewusstem Rechtsbruch oder gleichgewichtiger Rechtsmissachtung erlangt werden dürfen (BGH, Urt. v. 18.04.2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 296; Beschl. v. 30.08.2011 - 3 StR 210/11, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 8).“

C. Fazit

Beweisverwertungsverbote im Strafrecht sind im ersten Examen beliebte Themen für Zusatzfragen in Examensklausuren und mündliche Prüfungsgespräche. Die enorme Bedeutung von Beweisverwertungsverboten im Assessorexamen (in allen strafrechtlichen Klausurtypen) muss nicht besonders betont werden. Merken sollte man sich die Widerspruchslösung, die Abwägungslehre und die hier vom BGH aufgezeigten Grenzen der Figur eines hypothetischen rechtmäßigen Ersatzeingriffs. Die aktuelle Entscheidung sollte ein willkommener Anlass sein, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen – Jura Online hilft Dir dabei.