A. Sachverhalt (vereinfacht)
A entschließt sich, seine beengten finanziellen Verhältnisse durch Betrugstaten zu verbessern und sich so eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Er möchte die zukünftigen Vertragspartner durch die Begebung nicht gedeckter Schecks über seine tatsächlich nicht bestehende Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit täuschen, um diese so zur Erfüllung der jeweiligen Verträge zu bewegen. In Umsetzung dieses Tatplans kommt es zu folgender erster Tat:
A vereinbart mit der Prostituierten P, dass diese über mehrere Tage Dienste als „Domina” zu einem Preis von 4.000 Euro für ihn leisten sollte. Zu diesem Zweck mietet P Räumlichkeiten in einem „Institut” an und zahlt dafür 2.000 Euro. Einen Tag vor Beginn der Leistungserbringung durch P übergibt A ihr einen auf einen Betrag von 4.000 Euro lautenden Verrechnungsscheck, dessen fehlende Deckung A kennt. P erbringt die verabredeten Leistungen. A nimmt während des knapp zwei Tage dauernden Aufenthalts in dem „Institut” außer den Diensten der P auch die dortige Unterbringung und Verpflegung in Anspruch. Mangels Deckung des Schecks erhält P keinerlei Zahlungen. Um die Durchsetzung ihrer Forderung zu erreichen, entstehen ihr Kosten für die Beauftragung eines Rechtsanwalts in Höhe von 550 Euro.
Entgegen der Planung des A kommt es nicht mehr zu weiteren Taten.
Strafbarkeit des A?
B. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 02.02.2016 – 1 StR 435/15)
Strafbarkeit wegen Betruges in einem besonders schweren Fall gemäß § 263 I, III Nr. 1 StGB
A könnte sich wegen eines Betruges in einem besonders schweren Fall gemäß § 263 I, III Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er der P einen ungedeckten Scheck überreichte und danach ihre Dienstleistungen in Anspruch nahm.
1. Tatbestand
Zunächst müsste A die P getäuscht haben. Täuschung ist das Hervorrufen einer Fehlvorstellung über Tatsachen. A hat der P einen Scheck übergeben und damit konkludent seine Zahlungsbereitschaft (als sogenannte innere Tatsache) und –fähigkeit erklärt, obwohl beides nicht der Fall war. Damit hat er P getäuscht, die sich darüber zudem irrte.
Des weiteren müsste P eine Vermögensverfügung vorgenommen haben. Eine Vermögensverfügung ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. P hat dem A ihre Dienstleistungen als „Domina“ erbracht. Diese Dienstleistungen müssten zum strafrechtlich geschützten Vermögen zu zählen sein. Fraglich ist, was unter Vermögen i.S.v. § 263 StGB zu verstehen ist.
Im Wesentlichen stehen sich heute der rein wirtschaftliche und der juristisch-ökonomische Vermögensbegriff gegenüber. Nach dem Ersteren sind dem Vermögen – ohne Rücksicht auf ihre Rechtsnatur – alle Positionen zuzurechnen, denen nach objektiven Maßstäben ein wirtschaftlicher Wert beigemessen werden kann; auf eine rechtliche sittliche Bewertung kommt es nicht an. Nach dem Letztgenannten kommt es im Ausgangspunkt auch auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise an; von der Rechtsordnung missbilligte vermögenswerte Gegenstände scheiden aber aus.
P bietet ihre Dienstleistungen am Markt gegen Entgelt an; ihnen kommt somit ein wirtschaftlicher Wert zu. Problematisch ist aber, ob diese sexuellen Dienstleistungen auch von Rechtsordnung gebilligt werden und damit auch nach dem juristisch-ökonomischen Vermögensbegriff erfasst werden. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1987 hat der BGH den Dienstleistungen einer Prostituierten den Schutz des § 263 StGB verwehrt und ausgeführt:
„Wer eine Prostituierte um den vereinbarten Lohn prellt, begeht keinen Betrug. Das hat der BGH schon in BGHSt 4, 373 ausgesprochen. Hieran ist entgegen der Meinung des LG festzuhalten. Zwar kann auch die Möglichkeit, die eigene Arbeitskraft zur Erbringung von Dienstleistungen einzusetzen, zum Vermögen i.S.d. § 263 StGB gehören, wenn solche Leistungen üblicher Weise nur gegen Entgelt erbracht werden (RGSt 68, 380). Das gilt aber nicht für Leistungen, die verbotenen oder unsittlichen Zwecken dienen (vgl. S/S-Cramer, StGB, 22. Aufl., § 263 Rn. 97). Das Strafrecht würde sich in Widerspruch zur übrigen Rechtsordnung setzen, wenn es im Rahmen des Betrugstatbestandes nichtigen Ansprüchen Schutz gewährte, die aus verbotenen oder unsittlichen Rechtsgeschäften hergeleitet werden. Die Prostitution verstößt auch nach heutiger Auffassung regelmäßig gegen die guten Sitten (BGHZ 67, 119 (122 ff.)). Die Aussicht der Prositutierten, durch sexuelle Leistungen den versprochenen oder üblichen Lohn zu erhalten, gehört deshalb nicht zum strafrechtlich geschützten Vermögen. Geschützt bleibt, was die Prostituierte als Entgelt erlangt hat. Zu weitergehender Pönalisierung besteht kein Anlaß. Für die Gegenmeinung spricht auch nicht, daß die Einkünfte der Prostituierten als sonstige Einkünfte i.S.d. § 22 Nr. 3 EStG einkommensteuerpflichtig sind. Für die Besteuerung ist es unerheblich, ob ein Verhalten, das den Tatbestand eines Steuergesetzes ganz oder z.T. erfüllt, gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt (§ 40 AO 1977).“ (BGH Urt. v. 28.04.1987 – 5 StR 566/86)
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die rechtliche Stellung der Prostituierten durch das zum 01.01.2002 in Kraft getretene Prostitutionsgesetz (ProstG) verbessert werden sollte. Wie Blogleser wissen, ist ein Vertrag über die Erbringung sexueller Dienstleistungen zwar auch nach Inkrafttreten des ProstG weiterhin nach § 138 I BGB nichtig. Die Vereinbarung begründet allerdings dann eine rechtswirksame Forderung auf Zahlung der vereinbarten Vergütung, wenn sexuelle Handlungen vorgenommen wurden (§ 1 ProstG). Daher geht der BGH unter ausdrücklicher Aufgabe der früheren Rechtsprechung nunmehr davon aus, dass die erbrachten sexuellen Dienstleistungen zum von § 263 StGB geschützten Vermögen zählen:
„Zum strafrechtlich durch § 263 StGB geschützten Vermögen gehören auch die von der Geschädigten ebrachten sexuellen Leistungen als sog. Domina. Zwar werden Rechtsgeschäfte über die Erbringung sexueller Leistungen gegen Entgelt nach wie vor wegen Verstoßes gegen die guten Sitten gemäß § 138 I StGB als nichtig erachtet (Palandt/Ellenberger, BGB, 75. Aufl., Anh. zu § 138 [§ 1 ProstG]; siehe auch BGH, Beschl. v. 21.07.2015 - 3 StR 104/15, NStZ 2015, 699 f. und v. 18.01.2011 - 3 StR 467/10, NStZ 2011, 278). Allerdings bestimmt § 1 S. 1 ProstG - insoweit als Ausnahmeregelung zu § 138 BGB (Armbrüster in MüKo-BGB, 7. Aufl., Anh. zu § 138, ProstG § 1 Rn. 9) -, dass eine rechtswirksame Forderung einer Prostituierten auf das für die sexuellen Leistungen vereinbarte Entgelt entsteht, wenn, wie vorliegend festgestellt, die verabredete Leistung von ihr erbracht worden ist (vgl. jeweils BGH a.a.O.). Angesichts dieser gesetzgeberischen Wertung muss bereits den in Erfüllung eingegangener Verabredungen und in Erwartung des vereinbarten Entgelts erbrachten sexuellen Leistungen ein betrugsstrafrechtlich relevanter wirtschaftlicher Wert zugemessen werden. Zahlt der Freier, wie hier der Angeklagte, entsprechend der bereits bei Eingehen des Geschäfts bestehenden Willensrichtung das vereinbarte Entgelt nicht, fehlt es an einer Kompensation für die Leistungen.“
Damit liegt in der Erbringung der sexuellen Dienstleistungen – sowohl nach dem wirtschaftlichen als auch nach dem juristisch-ökonomischen Vermögensbegriff – eine Vermögensverfügung.
Schließlich müsste P ein Vermögensschaden entstanden sein. Dazu führt der BGH – unter Verweis auf das Prinzip der Gesamtsaldierung – allgemein aus:
„Ein solcher tritt ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des Gesamtwerts seines Vermögens führt (Prinzip der Gesamtsaldierung; …). Welche Vermögenspositionen im Einzelnen in die Gesamtsaldierung einzustellen sind, bestimmt sich auch danach, auf welches unmittelbar vermögensmindernde Verhalten des im Irrtum befindlichen Täuschungsopfers (Vermögensverfügung) abgestellt wird. Hat das Opfer die von ihm aufgrund eines gegenseitigen Vertrages übernommene Verpflichtung erbracht, bestimmt sich der Eintritt des Vermögensschadens und dessen Höhe danach, ob und in welchem Umfang die versprochene Gegenleistung erlangt wird (Erfüllungsschaden; …).“
Hier fehlt es an der Kompensation durch A. Denn die von A geschuldete Gegenleistung in Höhe von 4.000 Euro ist ausgeblieben. Vollständige Erfüllung durch Barzahlung ist nicht erfolgt. Die regelmäßig als Hingabe erfüllungshalber (§ 364 II BGB) zu verstehende Begebung eines Schecks führt erst bei Einlösung zur Erfüllung (§ 362 BGB). Daran fehlt es hier mangels Deckung des begebenen Verrechnungsschecks.
Der Schaden lässt sich nach Ansicht des BGH (jedenfalls) in Höhe der vereinbarten Gegenleistung (4.000 Euro) beziffern:
„Aus dem Zusammenhang von Feststellungen, Beweiswürdigung sowie der Bemessung der Einzelstrafe im Verhältnis zu den für die übrigen Taten verhängten Einzelstrafen ergibt sich ausreichend deutlich, dass das Landgericht einen Vermögensschaden in Höhe von 4.000 Euro zugrunde gelegt hat. Das hält rechtlicher Prüfung stand.
Die Geschädigte hat die verabredeten Leistungen sowohl in Gestalt der Anmietung der genutzten Räumlichkeiten in dem „Institut” einschließlich der dort gewährten Verpflegung als auch in Form der verabredeten sexuellen Handlung erbracht. Eine Erfüllung seitens des Angeklagten ist nach den auch insoweit auf rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen vollständig ausgeblieben. Dass das Landgericht den damit für die Bestimmung der Höhe des Vermögensschadens allein maßgeblichen Wert der Leistungen der Geschädigten der Sache nach auf 4.000 Euro bestimmt hat, begegnet keinen Bedenken.
Für die Nutzung der Räumlichkeiten hat sich die Geschädigte ihrerseits zur Zahlung von 2.000 Euro verpflichtet. Unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse der Überlassung von Räumlichkeiten mit Verpflegung zur Erbringung spezieller sexueller Handlungen lässt sich insoweit ein krasses Missverhältnis zwischen den Leistungen des die Räumlichkeiten Überlassenden und dem von der Geschädigten geschuldeten Nutzungsentgelt nicht erkennen. Das Tatgericht durfte daher die volle Höhe des Nutzungsentgelts als eine den Wert der Leistung der Geschädigten bestimmende Komponente zugrunde legen.
Ebenso ist es rechtlich unbedenklich, den Wert der über einen Zeitraum von knapp zwei Tagen erbrachten sexuellen Dienste auf der Grundlage der Parteivereinbarung festzulegen. Ein von der Parteivereinbarung unabhängiger Marktwert dürfte sich angesichts der durch die Urteilsfeststellungen nahe gelegten besonderen sexuellen Dienste über einen längeren Zeitraum ohnehin nicht ohne weiteres zu ermitteln sein. Es erscheint fernliegend, dass sich etwa durch Hochrechnung von „marktüblichen” Stundenpreisen für Domina-Dienste auf den Gesamtzeitraum der von der Geschädigten erbrachten Leistungen deren wirtschaftlicher Wert am Markt präziser bestimmen ließe als durch die Festlegung von der Parteivereinbarung her.“
A handelte auch vorsätzlich und mit der Absicht, sich rechtswidrig zu bereichern.
2. Rechtswidrigkeit und Schuld
A handelte rechtswidrig und schuldhaft.
3. Strafe
Möglicherweise hat A die Voraussetzungen eines besonders schweren Falls erfüllt. In Betracht kommt das Regelbeispiel der Gewerbsmäßigkeit nach § 263 III Nr. 1 StGB. Der BGH hat in einer früheren Entscheidung zur Gewerbsmäßigkeit ausgeführt:
„Gewerbsmäßig handelt, wer sich durch wiederholte Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer verschaffen will. Liegt diese Absicht vor, ist bereits die erste Tat als gewerbsmäßig begangen einzustufen, auch wenn es entgegen den ursprünglichen Intentionen des Täters zu weiteren Taten nicht kommt (…). Eine Verurteilung wegen gewerbsmäßiger Deliktsbegehung setzt daher schon im Grundsatz nicht notwendig voraus, dass der Täter zur Gewinnerzielung mehrere selbstständige Einzeltaten der jeweils in Rede stehenden Art verwirklicht hat. Ob die Angeklagten gewerbsmäßig gehandelt haben, beurteilt sich vielmehr nach ihren ursprünglichen Planungen (vgl. RGSt 58, 19, 21) sowie ihrem tatsächlichen, strafrechtlich relevanten Verhalten über den gesamten ihnen jeweils anzulastenden Tatzeitraum.“ (BGH Urt. v. 17.06.2004 – 3 StR 344/03)
Danach hat A gewerbsmäßig gehandelt.
C. Fazit
Der Betrug gehört ohne Frage zu den examensrelevantesten Straftatbeständen des StGB. Die Entscheidung sollte daher zum Anlass genommen werden, sich (erneut) mit den grundlegenden Definitionen und Problemen des § 263 StGB zu befassen und dabei insbesondere das Merkmal des Vermögensschadens in den Blick zu nehmen.
Der BGH-Fall behandelt zudem noch weitere Fragen der Bestimmung des Vermögensschadens, weil A sich noch in weiteren Fällen jeweils des Betruges schuldig gemacht hat, indem er verschiedene PKW erwarb und dabei jeweils ungedeckte Schecks begab. Der Fall kann daher ohne großen Aufwand und beinahe „1:1“ in eine Prüfungsaufgabe übernommen werden. Wegen der enormen Examensrelevanz des § 263 StGB im Allgemeinen und des Vermögensschadens im Besonderen sollte der Fall daher unbedingt durchgearbeitet werden!
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