A. Sachverhalt
E verstirbt in der Schleswig-Holsteinischen Gemeinde K. Da Angehörige oder sonst zur Bestattung verpflichtete Personen zunächst nicht ermittelt werden können, wendet sich die Gemeinde K an ein Bestattungshaus und erteilt den Auftrag, den Leichnam im Rahmen eines Schlichtbegräbnisses (ohne Trauerfeier) zu bestatten. Es soll eine Feuerbestattung mit nachfolgender anonymer Beisetzung der Urne vorgenommen werden. Zur Bestattung verpflichtete Personen seien nicht ermittelbar.
Kurze Zeit später kann die Gemeinde K die Tochter (T) des E ermitteln. Die Gemeinde setzt T von dem Sterbefall in Kenntnis und teilt mit, dass T zur Bestattung verpflichtet sei. T habe die Möglichkeit, in den bereits erteilten Bestattungsauftrag einzutreten und die Bestattung selbst zu regeln. Andernfalls werde die Gemeinde die ihr entstandenen Kosten für die Bestattung in einem gesonderten Leistungsbescheid mit zusätzlichen Gebühren bei T anfordern. Sollte die Tragung der Bestattungskosten nicht zumutbar sein, werde anheimgestellt, die Übernahme der Bestattungskosten gem. § 74 SGB XII zu beantragen.
Da T nicht reagiert, stellt das Bestattungshaus die Kosten in Höhe von 2.500 € der Gemeinde K in Rechnung, die die Rechnung bezahlt.
Die Gemeinde K teilt T mit, dass beabsichtigt sei, sie zur Erstattung der Bestattungskosten i.H.v. 2.500 € zzgl. einer Verwaltungsgebühr i.H.v. 184 € heranzuziehen. Hierauf reagiert T mit einem Schreiben. Sie werde demnächst einen Antrag auf Übernahme der Bestattungskosten einreichen, dies aus finanziellen Gründen, vor allem aber, weil der Verstorbene „nicht ihr Vater, sondern nur ihr Erzeuger“ gewesen sei. Er habe – was zurifft – nie Unterhalt gezahlt. Als zehnjähriges Mädchen habe sie versucht, mit ihm telefonisch Kontakt aufzunehmen. Da habe er knallhart gesagt, dass er sie nicht haben und nicht sehen wolle. T wolle mit dem Verstorbenen nichts zu tun haben. Sie habe für Sterbeurkunde, Erbausschlagung und Notarkosten schon mehr Geld für ihn ausgegeben als er jemals für sie. Ihre Inanspruchnahme sei unbillig.
Die Gemeinde K erlässt einen Leistungsbescheid und fordert von T die Zahlung i.H.v. 2.684 € (2.500 € zzgl. 184 € Gebühren für 5 Zeitstunden). Hiergegen legt T fristgerecht Widerspruch ein, der mit Bescheid vom 08.08.2015 zurückgewiesen und der T am selben Tag mit einfachem Brief sowie ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung übersandt wird. Am 28.11.2015 erhebt T Klage vor dem zuständigen Gericht und beantragt die Aufhebung des Bescheides. Sie trägt vor, dass sie – was zutrifft – das Erbe ausgeschlagen habe und finanziell nicht dazu in der Lage sei, die Kosten der Bestattung zu tragen. Zudem sei eine Heranziehung zu den Kosten unbillig, da sie keinerlei Beziehung zu ihrem Vater geführt habe.
Hat die Klage Erfolg?
B. Die Entscheidung des OVG Schleswig (Urteil vom 27.4.2015, Az. 2 LB 28/14)
Die Klage hat Erfolg, soweit der Verwaltungsrechtsweg eröffnet und sie zulässig und begründet ist.
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges
Handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (§ 40 I VwGO). Streitentscheidend sind die Normen des Schleswig-Holsteinischen Bestattungsgesetzes (§ 13 II BestattG SH) sowie der §§ 230, 238 LVwG, die die Gemeinde einseitig zur Ersatzvornahme und Kostenerstattung berechtigten und damit dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind. Es handelt sich also um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne von § 40 I VwGO. So hat auch der BGH in einem aktuellen Beschluss ausgeführt:
„Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen rechtfertigt § 20 Abs. 2 Bbg- BestG, wonach die zuständige örtliche Ordnungsbehörde auf Kosten des Bestattungspflichtigen für die Bestattung zu sorgen hat, wenn dieser seiner Pflicht nicht nachkommt, keine andere Beurteilung. Zwar scheiden Ersatzansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag bei einer ordnungsbehördlichen Ersatzvornahme regelmäßig aus, weil die Kostenerstattungspflicht in diesen Fällen öffentlich-rechtlich abschließend geregelt ist.“ (BGH, Beschluss vom 26. 11. 2015 – III ZB 62/14)
II. Zulässigkeit der Klage
Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren (§ 88 VwGO). K begehrt die Aufhebung des angegriffenen Leistungsbescheides. Daher ist die Anfechtungsklage nach § 42 I Var. 1 VwGO statthaft. Als Adressatin des Bescheides, der ihr eine Leistungspflicht auferlegt, ist T klagebefugt (§ 42 II VwGO). Ein Vorverfahren wurde ordnungsgemäß durchgeführt (§ 68 VwGO). Fraglich ist aber, ob die Klage fristgemäß erhoben wurde. Nach § 74 VwGO ist die Klage binnen eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheides erhoben werden. Seit der Zusendung des Widerspruchsbescheides vom 08.08.2015 bis zur Klagerhebung am 28.11.2015 ist ein deutlich längerer als einen Monat dauernder Zeitraum verstrichen. Jedoch muss der Widerspruchsbescheid nach § 73 III 1, 2 VwGO nach den Vorschriften des VwZG zugestellt werden. Die Übermittlung mit einfachem Brief ist keine Zustellungsart im Sinne der §§ 2 ff. VwZG. Daher sei – so das OVG Schleswig – die einmonatige Klagefrist des § 74 VwGO nicht in Gang gesetzt worden:
„Die Klage ist in zulässiger Weise erhoben worden. Sie war insbesondere nicht verfristet. Zwar war seit der Zusendung des Widerspruchsbescheides vom 08.08.2013 bis zur Klagerhebung am 28.11.2013 ein deutlich längerer als einen Monat dauernder Zeitraum verstrichen. Da der Widerspruchsbescheid jedoch lediglich mit einfacher Post versandt worden war, hatte die einmonatige Klagefrist des § 74 VwGO nicht zu laufen begonnen.“
Zur Frage einer Heilung nach § 8 VwZG nimmt das OVG keine Stellung. Die Tatsache, dass K Klage erhebt, zeigt, dass ihr der Widerspruchsbescheid – wie von § 8 VwZG verlangt – „tatsächlich zugegangen“ ist. Möglicherweise ließ sich aber nicht klären, wann das der Fall war, so dass das OVG zugunsten der K davon ausgehen musste, dass ihr der Bescheid frühestens einen Monat vor Klageerhebung – also innerhalb der Frist des § 74 VwGO – tatsächlich zugegangen ist.
III. Begründetheit der Klage
Die Klage ist begründet, soweit der Bescheid rechtswidrig ist und T in ihren Rechten verletzt (§ 113 I 1 VwGO).
1. Ermächtigungsgrundlage
Rechtsgrundlage des Kostenbescheides könnte § 13 II 2 BestattG i.V.m. §§ 230, 238, 249 LVwG sein. Nach § 13 II 2 BestattG ist die Gemeinde verpflichtet, für die Bestattung zu sorgen, wenn ein Bestattungspflichtiger nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln ist oder seiner Pflicht nicht nachkommt. Dabei finden die Vorschriften über die Ersatzvornahme (§§ 230, 238 LVwG) entsprechende Anwendung. Nach § 238 LVwG kann die Vollzugsbehörde die Handlung auf Kosten der oder des Pflichtigen ausführen oder durch eine oder einen Beauftragten ausführen lassen. Eine ausdrückliche Befugnis zum Erlass eines Kostenbescheides sieht§ 238 LVwG nicht vor. Diese findet sich im allgemeinen Verwaltungsrecht in § 249 LVwG. Nach Auffassung des OVG erstreckt sich der Verweis in § 13 II 2 BestattG im Ergebnis auch auf die Anwendung des § 249 LVwG:
„Mit § 13 II S. 2 BestattG wollte der Landesgesetzgeber die im Senatsurteil vom 17.03.2008 - 2 LB 35/07 - gerügte Lücke im Gesetzeswerk schließen und für die bestattende Gemeinde die bisher nicht vorhandene Ermächtigung dafür schaffen, die Erstattung der Bestattungskosten vom säumigen Bestattungspflichtigen zu verlangen. Das Bestattungsgesetz sieht die gemeindliche Pflicht zur Vornahme der Bestattung gem. § 27 BestattG als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe an und bestimmt durch den Rechtsfolgenverweis auf die §§ 230 und 238 LVwG, dass die Gemeinde die Bestattung ohne vorherigen (Grund-)Verwaltungsakt als Ersatzvornahme im sofortigen Vollzug vorzunehmen und den Kostenersatz auf dem damit vorgezeichneten Wege nach § 249 LVwG zu erreichen hat. Dies führt gem. § 249 III-V LVwG zur Anwendung der VVKVO (vgl. Senatsbeschl. v. 04.03.2014 - 2 O 21/13 -).
Zwar bestimmt § 27 III BestattG, dass für Amtshandlungen nach diesem Gesetz von den Gemeinden Kosten (Gebühren und Auslagen) nach dem Kommunalabgabengesetz erhoben werden, was zur Folge hätte, dass die Auslagen im Rahmen des § 5 V KAG zu erstatten wären. § 13 II S. 2 BestattG weist jedoch den Weg zur Ersatzvornahme im sofortigen Vollzug und damit zum vollstreckungsrechtlichen Regime und formuliert damit eine Ausnahme von der allgemeinen Regel.“
2. Formelle Rechtmäßigkeit
Der Bescheid ist formell rechtmäßig.
3. Materielle Rechtmäßigkeit
a. Tatbestandliche Voraussetzungen
Zunächst müsste T als Bestattungspflichtige anzusehen sein. Bestattungspflichtige sind nach § 13 II 1 BestattG Hinterbliebenen oder eine von der verstorbenen Person zu Lebzeiten beauftragte Person oder Einrichtung. T wurde nicht von E beauftragt, könnte aber eine Hinterbliebene sein. Nach § 2 Nr. 12 c) BestattG sind Hinterbliebene (auch) leibliche und adoptierte Kinder. Als Kind des E ist T somit Bestattungspflichtige.
Fraglich ist, ob sich daran etwas ändert, dass sie das Erbe des E ausgeschlagen hat. Der Wortlaut der §§ 2 Nr. 12 c, 13 II BestattG knüpft nicht an die Erbenstellung an, sondern nur an die Eigenschaft als Hinterbliebene. Danach ändert die Ausschlagung der Erbschaft nichts an der Verpflichtung der T, die Kosten für die Bestattung zu tragen. Das OVG kommt zu demselben Ergebnis, führt dabei aber noch weiter aus, dass strikt zwischen der zivilrechtlichen Erbenstellung und der öffentlich-rechtlichen Bestattungspflicht zu unterscheiden sei:
„Eine vorgenommene Erbausschlagung entbindet den Kostenpflichtigen weder von seiner allein ordnungsrechtlich begründeten Bestattungs- noch von der Kostenpflicht. Auch soweit § 1968 BGB regelt, dass den Erben die Verpflichtung zur Tragung der Bestattungskosten trifft, hindert dies die Inanspruchnahme eines Bestattungspflichtigen für die aus der öffentlich-rechtlichen Bestattungspflicht resultierenden Kosten nicht. Es ist deshalb unerheblich, ob der Bestattungspflichtige die Erbschaft gem. § 1942 ff. BGB ausgeschlagen hat. Durch die Ausschlagung der Erbschaft kann sich ein Erbe nur von solchen Verbindlichkeiten befreien, die ihren Rechtsgrund gerade in der Erbenstellung haben. Verpflichtungen aus anderem Rechtsgrund bleiben hingegen auch nach der Ausschlagung der Erbschaft bestehen. Dies gilt u. a. für die öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht und die hieran anknüpfende Kostenerstattungspflicht, welche auf einem vom Zivilrecht unabhängigen Rechtsgrund beruhen (…).
Die öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht und die gem. § 1968 BGB aus der Erbenstellung erwachsende zivilrechtliche Pflicht, die Beerdigungskosten zu tragen, sind vielmehr streng voneinander zu unterscheiden. Zwar geht für den Fall der Erbausschlagung die Vorschrift des § 1953 I BGB davon aus, dass der Ausschlagende so behandelt wird, als sei er nie Erbe gewesen, so dass ihn zivilrechtlich keine Kostenpflichten treffen. Dieser Umstand hat jedoch keine Auswirkungen auf das öffentlich-rechtliche Verhältnis (…).
Durch die Ausschlagung der Erbschaft kann sich ein Erbe nur von solchen Verbindlichkeiten befreien, die ihren Rechtsgrund gerade in der Erbenstellung haben. Verpflichtungen aus einem anderen Rechtsgrund bleiben hingegen auch nach der Ausschlagung der Erbschaft weiterhin bestehen (…). Dies gilt u.a. für die öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht und die hieran anknüpfende Kostenerstattungspflicht (…).
Der nach den öffentlich-rechtlichen Bestimmungen Bestattungspflichtige hat jedoch die Möglichkeit, in einem zivilgerichtlichen Verfahren Ersatzansprüche gegen den Erben oder einen anderen zur Tragung der Bestattungskosten Verpflichteten geltend zu machen, da diese nach § 1968 BGB bzw. nach den anderen rechtlichen Bestimmungen zivilrechtlich zur Tragung der Beerdigungskosten verpflichtet sind (…).“
Anhaltspunkte dafür, dass die Ermittlungsbemühungen der Gemeinde K nachlässig betrieben worden wären oder dass weitere vor- oder gleichrangige Bestattungspflichtige vorhanden wären, sind nicht erkennbar. Angesichts der neuntägigen Bestattungsfrist des § 16 I 2. Hs. BestattG ist auch nichts dagegen zu erinnern, dass der Bestattungsauftrag für den verstorbenen E bereits erteilt worden war. T wurde angeboten, in den bestehenden Bestattungsauftrag einzutreten und die Urne beizusetzen.
b. Heranziehen der T als unbillige Härte
T macht geltend, dass die Heranziehung eine unbillige Härte darstelle. Fraglich ist, ob und inwiefern eine unbillige Härte überhaupt berücksichtigt werden kann. Der Wortlaut der § 13 II BestattG, §§ 230, 238, 249 LVwG lässt eine solche Ausnahme nicht zu. Allerdings findet sich in § 21 II VVKO, die gemäß §§ 1 Nr. 2, 3 VVKO auch im vorliegenden Falls Anwendung findet, eine Härteklausel, wonach die Vollstreckungsbehörde von einer Berechnung und Beitreibung der Gebühren und Auslagen teilweise oder ganz absehen kann, wenn die Beitreibung der Kosten für die Schuldnerin oder den Schuldner eine unbillige Härte bedeuten würde. Das sei – so das OVG Schleswig – in Schleswig-Holstein die einzige Möglichkeit, unbillige Härten zu berücksichtigen:
„Anders als in den Bestattungsgesetzen anderer Bundesländer (…) berührt nach schleswig-holsteinischem Landesrecht eine bestehende unbillige Härte eine nach dem Bestattungsgesetz bestehende Bestattungspflicht nicht (mit der Folge, dass ein evtl. vorhandener Nachrangiger nachrückte), sondern ist bei der Frage der der Bestattung nachfolgenden Heranziehung zu den aufgewandten Kosten zu erörtern.
Der bestehenden Bestattungspflicht kann deshalb das familiäre Verhältnis zum Verstorbenen nicht erfolgreich entgegen halten. Denn die unbeschränkte öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht verstößt nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung auch in Härtefällen, in denen die Durchführung der Bestattung für den Pflichtigen wegen des persönlichen Verhaltens des Verstorbenen als grob unbillig erscheint, weder gegen die allgemeine Handlungsfreiheit des Bestattungspflichtigen nach Art. 2 I GG noch gegen das rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeitsgebot. Da die Bestattungspflicht vor allem der Gefahrenabwehr dient, können innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit keine längeren Untersuchungen über die persönlichen Beziehungen der nächsten Angehörigen mit dem Verstorbenen und über dessen etwaige Verfehlungen angestellt werden, sondern müssen möglichst schnell und eindeutig festzustellende objektive Maßstäbe eingreifen. Es ist verfassungsrechtlich nicht geboten, im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Bestattungspflicht von der schon gewohnheitsrechtlich den nächsten Angehörigen obliegenden Totenfürsorge bei gestörten Familienverhältnissen abzusehen und stattdessen die Kosten der Bestattung auf die Allgemeinheit zu verlagern.
Anders als in anderen Bundesländern ist in Schleswig-Holstein auch nicht auf den verfassungsrechtlich aus Art. 20 III GG abzuleitenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zurückzugreifen, um Härtefällen zu begegnen. Schleswig-Holstein hat mit dem Verweis auf die §§ 230, 238 LVwG den Weg gewählt, gem. § 249 III-V LVwG die Zumutbarkeit der Kostentragung im Rahmen des § 21 II VVKVO prüfen zu lassen. Nach dieser Vorschrift kann von einer Berechnung und Beitreibung der Gebühren und Auslagen teilweise oder ganz abgesehen werden, wenn die Beitreibung der Kosten für die Schuldnerin oder den Schuldner eine unbillige Härte bedeutete.“
(1) Schlechte wirtschaftliche Verhältnisse der T
Soweit T vorträgt, aus finanziellen Gründen nicht in der Lage zu sein, die Kosten für die Bestattung aufzubringen, ist dies nicht im Rahmen des § 21 II VVKO zu berücksichtigen. Insofern enthält das Sozialrecht in § 74 SGB XII eine vorrangige Sonderregelung, die die Frage der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Bestattungspflichtigen abschließend regelt:
„Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kostenschuldners spielen bei der Heranziehung zu den Kosten einer behördlich vorgenommenen Bestattung und deshalb auch bei der Erörterung einer unbilligen Härte keine Rolle. Ist der Bestattungspflichtige aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage, die Bestattungskosten zu tragen, so hat er einen Kostenerstattungsanspruch gem. § 74 SGB XII. Dieser geht einem Anspruch auf ein Absehen von der Heranziehung aus Billigkeitsgründen vor.
Der bloße Vortrag, man sei finanziell nicht in der Lage, die Kosten für die Bestattung aufzubringen, ist deshalb unerheblich (OVG des Saarlandes, Beschl. v. 11.06.2010 - 1 A 8/10 -). Soweit die Bestattungskosten nicht anderweitig, etwa durch zivilrechtliche Ausgleichsansprüche, gedeckt werden können, verbleibt dem Bestattungspflichtigen die Möglichkeit, beim zuständigen Sozialhilfeträger einen Antrag auf Kostenerstattung nach § 74 SGB XII zu stellen (OVG Niedersachsen, Beschl. v. 13.07.2005 - 8 PA 37/05 -). Allein der Bezug von Sozialhilfe bzw. bescheidene finanzielle Verhältnisse können die Annahme einer unbilligen Härte i.S.d. § 21 II VVKVO somit nicht begründen.“
(2) Fehlende „Vater-Tochter-Beziehung“ zwischen T und E
Möglicherweise begründet die nicht vorhandene „Vater-Tochter-Beziehung“ zwischen T und E eine unbillige Härte im Sinne von § 21 II VVKO.
Zunächst ist herauszustellen, dass der Begriff der unbilligen Härte ein unbestimmter Rechtsbegriff ist. Der Behörde steht auf der Tatbestandsseite bei der Bewertung des Sachverhaltes ein Beurteilungsspielraum zu, der vom Verwaltungsgericht jedoch sehr weitgehend überprüfbar ist. Auf der Rechtsfolgenseite darf diese im Ermessen der Behörde stehende Entscheidung, ob die Heranziehung des Bestattungspflichtigen zur Kostenerstattung nach Lage des Einzelfalles unbillig ist, von den Verwaltungsgerichten nur nach dem in § 114 VwGO festgeschriebenen Prüfungsschema überprüft werden.
Ein Entfallen der Kostenerstattungspflicht aus Billigkeitsgründen kommt nur in besonderen Ausnahmesituationen in Betracht, in denen einem Angehörigen schlichtweg unzumutbar ist, für die Bestattung des Verstorbenen endgültig oder auch nur vorläufig Sorge zu tragen. Zu denken wäre dabei zunächst an die Übertragung der zivilrechtlichen Wertungen in §§ 1597, 1611 BGB, die entsprechende Einschränkungen der Unterhaltspflicht in Fällen „grober Unbilligkeit“ regeln. Diesem Gedanken erteilt das OVG Schleswig aber eine Absage:
„Entgegen der insbesondere von den Verwaltungsgerichten des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen vertretenen Ansicht sind die zivilrechtlichen Bestimmungen, nach denen die Unterhaltspflicht des geschiedenen Ehegatten (§ 1579 BGB) oder Verwandter in gerader Linie (§ 1611 BGB) wegen grober Unbilligkeit eingeschränkt ist oder vollständig entfällt, als Maßstab für die Unzumutbarkeit nicht geeignet. Anders als die Unterhaltspflicht stellt die Bestattungspflicht kein „Dauerschuldverhältnis“ zwischen Verstorbenem und bestattungspflichtigem Angehörigen dar. Bei der Pflicht zum Bestatten des Verstorbenen handelt es sich vielmehr nur um eine einmalige, mit von vornherein begrenzten Kosten verbundene Schuld. Aus diesem Grunde darf und muss die Schwelle, ab derer von einer Unzumutbarkeit auszugehen ist und die Kostentragungspflicht auf die Allgemeinheit übergeht, eine erheblich höhere sein.“
Das OVG Schleswig führt aus, dass eine unbillige Härte dann angenommen werden kann, wenn die Familienverhältnisse nachhaltig gestört sind, wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist:
“Die Heranziehung eines öffentlich-rechtlich Bestattungspflichtigen zu den Bestattungskosten kann insbesondere unverhältnismäßig sein in den Fällen, in denen die Familienverhältnisse so nachhaltig gestört sind, dass die Übernahme der Bestattungskosten für den Pflichtigen als grob unbillig anzusehen ist (…). So wird in der Rechtsprechung einheitlich vertreten, dass dies bei schweren Straftaten des Verstorbenen zu Lasten des an sich Bestattungspflichtigen der Fall sein kann (…).
Bei der Frage, ob die familiären Verhältnisse als derart gestört anzusehen sind, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Denn das Gesetz bestimmt die nahen Angehörigen zu Bestattungspflichtigen, ohne darauf abzustellen, ob und in welchem Umfang diese nach zivilrechtlichen Grundsätzen dem Verstorbenen gegenüber unterhaltspflichtig gewesen und ob die Familienverhältnisse intakt gewesen sind. Die Anordnung der Bestattungspflicht und die Festlegung der Reihenfolge beruhen auf einem vom Zivilrecht unabhängigen, der Kompetenz des Landesgesetzgebers unterliegenden Rechtsgrund. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, dass der Gesetzgeber hierbei an die den nächsten Angehörigen gewohnheitsrechtlich obliegende Totenfürsorge anknüpft und diese auch bei gestörten Familienverhältnissen vorsieht, anstatt die Kosten der Bestattung auf die Allgemeinheit zu verlagern (…).“
An diesen Maßstäben gemessen, ist die Heranziehung der T nicht grob unbillig:
„Dass zwischen der Klägerin und ihrem leiblichen Vater nie eine Vater-Kind-Beziehung bestanden hatte, führt nach den oben dargelegten Maßstäben der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht zu einer unbilligen Härte, die die Pflicht zur Kostenerstattung beeinflussen könnte. Der Landesgesetzgeber hat die Bestattungspflicht in § 12 II S. 1 BestattG den Hinterbliebenen zugewiesen und in § 2 Nr. 12 BestattG bestimmt, dass die Hinterbliebeneneigenschaft allein an den Angehörigenstatus bis zum zweiten Grad in auf- oder absteigender Linie oder an die Verwandtschaft in der Seitenlinie anknüpft. Wenn aber der Gesetzgeber ein rein formales Zuweisungskriterium anspricht, können inhaltliche Kriterien wie das Intaktsein dieser Beziehung im Rahmen der Hinterbliebeneneigenschaft und der daran anknüpfenden Kostenerstattungspflicht keine Rolle spielen. Gründe, eine unbillige Härte anzunehmen, sind deshalb außerhalb dieses Bereiches zu suchen.
Hier käme als Anknüpfungspunkt für die Annahme einer unbilligen Härte in Betracht, dass der Verstorbene einen telefonischen Kontaktversuch, den die Klägerin im Alter von zehn Jahren unternommen hatte, schroff zurückgewiesen hatte. Die Erinnerung an diesen Vorfall mag für die Klägerin schmerzhaft und unangenehm sein. Gleichwohl gerät das damalige Fehlverhalten des Verstorbenen bei weitem nicht an den Grad der Intensität, bei dem die Rechtsprechung eine Verschonung von der Kostentragungspflicht anerkannt hat (schwere Straftaten des Verstorbenen gegenüber dem Hinterbliebenen wie Tötungsversuch, sexueller Missbrauch o.ä.).“
b) Höhe der Auslagen und Gebühren
Ist der Bescheid dem Grund nach gerechtfertigt, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die begehrte Leistung auch der Höhe nach rechtmäßig ist.
Der Bescheid setzt sich aus zwei Positionen zusammen: Einerseits der Erstattung der Aufwendungen für die beglichene Rechnung des Bestattungsunternehmens, andererseits Gebühren in Höhe von 184 Euro. Der an das Bestattungsunternehmen gezahlte Betrag stellt Auslagen dar, die nach § 20 I Nr. 8 VVKO zu erstatten sind. Die Gebühren sind nach § 3 III 2 VVKO gerechtfertigt.
IV. Ergebnis
Der Bescheid ist rechtmäßig und die Klage unbegründet.
C. Fazit
Die Bestattungsgesetze der Länder spielen nicht nur – wie hier – im öffentlichen Recht eine Rolle. Auch die ordentliche Gerichtsbarkeit hatte sich in den letzten Jahren vermehrt mit der Frage zu befassen, ob und unter welchen Voraussetzungen gegebenenfalls Erstattungsansprüche aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag bestehen können. Verwiesen sei an dieser Stelle auf das Urteil des BGH vom 17.11.2011 (Az. III ZR 53/11) und den aktuellen BGH-Beschluss vom 26. 11. 2015 (Az. III ZB 62/14).
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