LG Detmold: Abiturjahrgang als GbR?

A. Sachverhalt (leicht abgewandelt)

Der Abiturjahrgang des A-Gymnasiums plant die Feierlichkeiten für die Zeit nach den Prüfungen, insbesondere den Abiturball. Auf einer Vollversammlung, an der alle 50 volljährigen Schülerinnen und Schüler teilnehmen, wird dazu einstimmig das folgende Prozedere besprochen: Es wird ein gemeinsames Konto eingerichtet, auf das jeder einen Beitrag von 100 Euro einzahlt. Es werden mehrere Komitees gebildet, die sich jeweils um die Organisation einzelner Events und sonstiger Vorhaben kümmern sollen. Die groben Leitlinien, insbesondere die jeweiligen Budgets, werden von der Vollversammlung vorgegeben, die Einzelheiten sollen die jeweiligen Komitees eigenständig und eigenverantwortlich regeln und den Zahlungsverkehr über das gemeinsame Konto abwickeln. Als Abiturballkomittee werden die Schülerinnen und Schüler S1, S2 und S3 benannt, die für den Abiturjahrgang den Saal des Hotel X buchen.

Auf der Suche nach einer Band werden S1, S2 und S3 bei der K-GmbH fündig. Bei einem gemeinsamen Gespräch zwischen S1, S2, S3 und der Geschäftsführerin G der K-GmbH werden die Beteiligten sich einig, dass die K-GmbH am 5.7.2015 im Hotel X von 18.15 Uhr bis ca. 23 Uhr mit fünf Musikern und einer Sängerin musikalische Darbietungen für den Abiturjahrgang erbringen wird. Hierfür soll die K-GmbH eine Gage von 1.800 Euro erhalten.

Am Tag darauf später schreiben die Mitglieder des Abiturballkomitees gemeinsam eine Email an die K-GmbH und bitten um weitere Zusatzleistungen der K-GmbH. Diese Sonderwünsche werden von der K-GmbH abgelehnt.

Daraufhin teilt das Abiturballkomitee der K-GmbH mit, dass der Abiturjahrgang kein Interesse mehr an einem Auftritt habe und sich nach einer anderen Band umsehen werde.

Die K-GmbH verlangt von B, einem Mitglied des Abiturjahrgangs, die Zahlung der vereinbarten Vergütung von 1.800 Euro.

Zu Recht?

**B.**Die Entscheidung des LG Detmold (Urteil vom 8.7.2015, Az. 10 S 27/15)

I.** 631 I BGB i.V.m. § 128 HGB analog**

Ein Anspruch der K-GmbH gegen B könnte sich aus § 631 I BGB i.V.m. § 128 HGB analog ergeben.

Dann müsste B Gesellschafter einer rechtsfähigen (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) i.S.d. §§ 705 ff. BGB sein, die GbR der K-GmbH die Zahlung des begehrten Betrages schulden (Gesellschaftsschuld) und B dafür analog § 128 HGB haften (Gesellschafterhaftung).

1. **Gesellschaftsschuld**

Zunächst müsste eine Gesellschaftsschuld bestehen.

a. Abiturjahrgang als (Außen-)GbR

Zunächst müsste der Abiturjahrgang als GbR einzuordnen sein. Eine GbR liegt nach § 705 BGB vor, wenn die Beteiligten einen Vertrag geschlossen haben, auf dessen Grundlage die Gesellschafter einen gemeinsamen Zweck verfolgen und sich jeder zur Förderung dieses gemeinsamen Zwecks verpflichtet.

Dafür spricht hier, dass alle Mitglieder auf der Vollversammlung einstimmig besprochen haben, gemeinsam die Abiturfeierlichkeiten ausrichten zu wollen. Die Förderpflicht besteht in der Einlage von jeweils 100 Euro und – jedenfalls bezogen auf einzelne Schülerinnen und Schüler – in der Tätigkeit als Mitglieder der jeweiligen Komitees. Daher kommt auch das LG Detmold zu dem Ergebnis, dass der Abiturjahrgang als GbR einzuordnen ist:

„Die Beklagte existiert als Gesellschaft bürgerlichen Rechts i.S.d. §§ 705ff. BGB. Eine solche Gesellschaft entsteht durch den Abschluss eines Vertrages, in dem sich mehrere Personen gegenseitig verpflichten, einen gemeinschaftlichen Zweck zu fördern (Sprau in Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, § 705 Rn. 1 mit weiteren Nachweisen). Dieser Gesellschaftsvertrag bedarf keiner bestimmten Form, sondern kann z.B. auch mündlich oder konkludent, also durch schlüssiges Verhalten der Vertragsparteien abgeschlossen werden. Diese Voraussetzungen liegen vor: Unstreitig haben sich mehrere Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe zusammengefunden, um einen gemeinsamen Zweck – die Organisation der Feierlichkeiten zum Abitur – zu fördern. Ein Name oder eine selbstgewählte Bezeichnung, unter der diese Gesellschaft auftreten sollte, ist keine Voraussetzung für ihre Entstehung.“

Daraus ergibt sich indes noch nicht, dass die GbR als solche rechtsfähig, also selbst Bezugspunkt von Rechten und Pflichten ist. Das ist nach der Rechtsprechung des BGH nur der Fall bei sogenannten Außen-Gesellschaften, also solchen Gesellschaften, die also solche nach außen durch (organschaftliche) Vertretung am Rechtsverkehr teilnehmen.

Dazu führt das LG Detmold aus:

„Vorliegend trat die Beklagte z.B. dadurch im Rechtsverkehr nach außen hin in Erscheinung, dass sie unstreitig ein Hotel für den Abiturball buchte.

Die von der Beklagtenvertreterin gegen eine Rechtsfähigkeit der Beklagten angeführten Argumente wurden bereits in der vorgenannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs thematisiert und greifen im Ergebnis nicht durch:

Das Problem einer Feststellung des Gesellschafterbestands im Einzelfall – das sich im vorliegenden Fall dadurch ergeben könnte, dass möglicherweise einzelne Schülerinnen und Schüler mit der gemeinschaftlichen Organisation von Abiturfeierlichkeiten insgesamt nicht einverstanden waren und daher nicht Gesellschafterinnen bzw. Gesellschafter der Beklagten geworden sind – beruht darauf, dass kein Register existiert, in dem die Gesellschafter von Gesellschaften bürgerlichen Rechts aufgelistet sind. Diese fehlende Registerpublizität der GbR steht jedoch der Annahme einer rechtsfähigen Außen-GbR nicht grundsätzlich entgegen, sondern es obliegt letztlich demjenigen, der nach einem Urteil gegen die GbR einzelne natürliche Personen in Anspruch nehmen möchte, herauszufinden und ggf. zu beweisen, ob diese Personen Gesellschafter sind (vgl. BGH, a.a.O., S. 1060).

Entsprechendes gilt für die Ausführungen zu § 736 ZPO. Insofern hat sich im Zuge der 2001 eingetretenen Änderung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hin zu einer (Teil-)Rechtsfähigkeit der Außen-GbR auch das Verständnis des § 736 ZPO dahingehend geändert, dass ein gegen die GbR ergangenes Urteil als Urteil „gegen alle Gesellschafter“ im Sinne der Norm anzusehen ist (BGH, a.a.O., S. 1059).“

b. Vertragsschluss

S1, S2, S3 und die für die K-GmbH handelnde G (§ 35 GmbHG) haben sich darüber geeignet, dass die K-GmbH am 5.7.2015 im Hotel X von 18.15 Uhr bis ca. 23 Uhr mit fünf Musikern und einer Sängerin musikalische Darbietungen für den Abiturjahrgang erbringen wird. Darin liegt nach Auffassung des LG Detmold der Abschluss eines Werkvertrages. Das Werk im Sinne von § 631 II BGB liege danach in der musikalischen Darbietung.

S1, S2 und S3 müssten auch über die notwendige Vertretungsmacht verfügt haben, damit ihre Willenserklärung der GbR gemäß § 164 I BGB zuzurechnen ist. Nach §§ 709, 714 BGB wird die GbR grundsätzlich durch alle Gesellschafter gemeinsam vertreten. Es handelt sich dabei aber um disponibles Recht, so dass die Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag auch andere Bestimmungen treffen können. So liegt es hier:

Die Gesellschafter haben auf der Vollversammlung beschlossenen, einzelne Komitees zu bilden, die sich eigenverantwortlich um die Organisation der einzelnen Events und Vorhaben kümmern sollen. Damit haben sie die Vertretungsmacht zugleich auf die jeweiligen Komitees übertragen und die gemeinschaftliche Vertretung durch alle Gesellschafter abbedungen. S1, S2 und S3 haben gemeinschaftlich gehandelt, so dass es nicht auf die Frage ankommt, ob sie nur gemeinschaftlich oder auch einzeln die Jahrgangs-GbR vertreten durften.

Aus der Ablehnung der (nachträglichen) Sonderwünsche durch die K-GmbH ergibt sich nichts Anderes:

„Aufgrund der in der E-Mail … geäußerten Wünsche nach zusätzlichen Vereinbarungen, über die es zu keiner Einigung mehr gekommen ist, ergibt sich keine andere Beurteilung. Die Äußerung dieser Sonderwünsche stellt, da der Vertrag bereits am Tag zuvor abgeschlossen worden war, keine abändernde Annahme im Sinne des § 150 Abs. 2 BGB dar, sondern lediglich ein Angebot über den Abschluss einer Änderungsvereinbarung, das seitens der Beklagten nicht angenommen wurde.“

c. Kündigung

In dem Schreiben des Komitees, wonach der Jahrgang kein Interesse mehr an einem Auftritt der K-GmbH habe und sich anderweitig umsehen werde, liegt bei verständiger Würdigung des Schreibens (§§ 133, 157 BGB) eine Kündigung des Vertrages . Nach § 649 S. 1 BGB kann der Besteller den Werkvertrag vor Vollendung des Werks jederzeit und grundlos kündigen. Der ursprüngliche Vergütungsanspruch ist somit erloschen.

1. **Ergebnis**

Ein Anspruch aus § 631 I BGB i.V.m. § 128 HGB analog besteht nicht.

II. § 649 S. 2 BGB i.V.m. § 128 HGB analog

Ein Anspruch der K-GmbH gegen den B könnte sich aus § 649 S. 2 BGB i.V.m. § 128 HGB analog ergeben.

1. **Gesellschaftsschuld**

Nach § 649 S. 2 BGB steht der K-GmbH grundsätzlich ein Anspruch auf die vereinbarte Vergütung zu. Sie muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was sie infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung ihrer Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Anhaltspunkte für die Höhe der ersparten Aufwendungen bestehen hier nicht. Deshalb greift die gesetzliche Vermutung nach § 649 S. 3 BGB ein, wonach ihr ein Anspruch auf 5 % der vereinbarten Vergütung, also 90 Euro, zusteht.

Das LG Detmold führt dazu aus:

„Rechtsfolge der Kündigung des Bestellers – hier der Beklagten – ist, dass der Unternehmer – hier die Klägerin – gemäß § 649 S. 2 BGB berechtigt ist, die vereinbarte Vergütung für den noch nicht erbrachten Teil der Leistung zu verlangen, sich jedoch dasjenige anrechnen lassen muss, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt.

649 S. 3 BGB stellt insofern eine gesetzliche Vermutung auf, nach der dem Unternehmer 5 % der auf den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistung entfallenden vereinbarten Vergütung zustehen. Diese Vermutung beeinflusst auch die Darlegungs- und Beweislast der Parteien im Prozess. Soweit der Besteller höhere Ersparnisse behauptet, so dass sich eine Vergütung unterhalb der Pauschale von 5 % ergäbe, muss er diese darlegen und ggf. beweisen. Macht hingegen der Unternehmer – wie im vorliegenden Fall – eine über der Pauschale liegende Vergütung geltend, trägt er bzgl. dieses Vergütungsteils die Darlegungs- und Beweislast. Insofern muss er vertragsbezogen vortragen und – ggf. unter Offenlegung seiner Kalkulationsgrundlage – so genau beziffern, was er sich gemäß § 649 S. 2 2. Hs. BGB anrechnen lässt, dass dem Besteller eine Überprüfung und Wahrung seiner Rechte möglich ist (Sprau, a.a.O., § 649 Rn. 10f.).“

2. Haftung des B

Eine (akzessorische) Haftung der Gesellschafter und damit auch des B ergibt sich aus einer analogen Anwendung des § 128 HGB. Dazu hat der BGH in seiner Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 2001 ausgeführt:

„DerSenat hat in seiner Entscheidung vom 27. 9. 1999 (BGHZ 142, 315 (318 ff.)) die Frage der rechtlichen Einordnung der Gesellschafterhaftung noch offen gelassen. Sie ist nunmehr in Konsequenz der Anerkennung der beschränkten Rechtsfähigkeit der GbR im Sinne einer akzessorischen Haftung der Gesellschafter für die Gesellschaftsverbindlichkeiten zu entscheiden. Soweit der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft auch persönlich haftet ist der jeweilige Bestand der Gesellschaftsschuld also auch für die persönliche Haftung maßgebend. Insoweit entspricht das Verhältnis zwischen Gesellschafts- und Gesellschafterhaftung damit der Rechtslage in den Fällen der akzessorischen Gesellschafterhaftung gem. §§ 128 f. HGB bei der oHG.“ (BGH NJW 2001, 1056 (1061))

1. **Ergebnis**

B haftet analog § 128 HGB für die Schuld der Jahrgangs-GbR. Damit besteht ein Anspruch der K-GmbH gegen B in Höhe von 90 Euro.

C. Fazit

Eine Entscheidung, „mitten aus dem Leben“ und damit wunderbar für eine Prüfungsaufgabe geeignet. Der Entscheidung des LG Detmold muss man im Ergebnis nicht folgen. Denkbar ist auch, den Rechtsbindungswillen der Jahrgangsmitglieder zu verneinen oder („nur“) von einer Innengesellschaft auszugehen.

In diesem Zusammenhang soll noch erwähnt werden, dass das AG Menden eine „Facebookgruppe“ nicht als (Innen-)GbR eingeordnet hat (Urteil vom 9.1.2013, Az. 4 C 409/12)

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